STEINLAND

Band zwei der Trilogie um die Ermittlerin Clemencia Garises

STEINLAND (2012) ist der zweite Roman in Bernhard Jaumanns Trilogie um die namibische Ermittlerin Clemencia Garises. Und wie im ersten Teil – DIE STUNDE DES SCHAKALS (2010) – ist auch dieser Kriminalroman ein verkappter Polit-Thriller. Wie zuvor beginnt alles mit einem Mord, hinter dessen oberflächlich betrachtet trivialen Zusammenhängen und Motiven sich tiefsitzender Hass und die koloniale Geschichte des Landes auftun.

Ein Farmer wurde erschossen. Als Clemencia und ihr Kollege Tjikundu auf der Farm Steinland – seit Generationen im Besitz der deutschstämmigen Familie Rodenstein – eintreffen, sieht alles nach einem Raubüberfall mit Todesfolge aus. Eine Bande wollte Solarpaneele stehlen, Gregor Rodenstein, der laut seiner Frau am Abend zuvor gewarnt worden war, dass genau dies passieren könne, hatte den Räubern gemeinsam mit Nachbarn aufgelauert, die Dinge gerieten außer Kontrolle, ein Verbrecher wurde angeschossen, Rodenstein das Opfer eines der Komplizen des Verletzten. Zudem wurde Rodensteins Sohn Thomas entführt und soll angeblich freigelassen werden, sobald die Gangster in Sicherheit sind. Clemencia nimmt die Tatsachen zunächst so hin. Doch als es ihr gelingt, einen Verdächtigen zu stellen und festzunehmen, erzählt der die Geschichte völlig anders. Zwar habe man die Paneele stehlen wollen – doch weder habe man jemanden erschossen, noch den Sohn der Familie entführt. Was für Clemencia jedoch viel erschreckender ist: Der Verdächtige kommt ihr bekannt vor. Es ist ein Freund ihres seit Tagen verschwundenen Bruders Melvin.

Und so verstrickt Clemencia sich nach und nach in einem Gewirr aus Verdächtigungen, politischen Zusammenhängen, bei denen die von der SWAPO – der South-West Africa People´s Organisation, die seit 1966 gegen die Südafrikaner, welche das Land besetzt hielten, gekämpft hatte und die seit 1990 durchgehend die Regierung des schließlich befreiten Landes stellt – angestrebte Landreform, die einige weiße Farmer ihre Besitztümer kosten wird, eine Rolle spielt, und persönlichen Belangen. Denn nicht nur ist ihr Bruder in die Ereignisse involviert, seit geraumer Zeit unterhält Clemencia auch eine Beziehung zu dem ebenfalls deutschstämmigen Journalisten Claus Tiedke. Und der hat natürlich berufsbedingt ebenfalls Interesse an den Hintergründen des Falles – erst recht, als ihm dämmert, dass mehr dahintersteckt als ein herkömmlicher Raubmord. Und so passiert, was irgendwann passieren musste: Clemencias und Claus´ Professionen kommen sich in die Quere.

Jaumann gelingt es gekonnt, die verschiedenen Stränge – persönliche wie politische – zusammenzuführen und miteinander zu verweben, um dann auch noch anhand einiger wesentlicher Nebenfiguren wie Clemencias Kollegen Robinson – ein Weißer, der sich beruflich übergangen fühlt und dies für Rassismus schwarzer Vorgesetzter gegen einen weißen Polizisten hält, allerdings nie in Betracht zieht, dass er einfach kein guter Polizist sein könnte – aber auch eines Staatssekretärs, der für die bevorstehenden Reform verantwortlich zeichnet, möglicherweise aber sein höchst eigenes Süppchen kocht, Themen wie Rassismus, Neid und das Wirken der Historie in seine Geschichte einzuflechten. Und es gelingt ihm vor allem, dass das alles zusammenfindet und dabei weder überfrachtet noch allzu konstruiert wirkt. Nach und nach entblättert sich die Wirklichkeit vor Clemencia, die zudem begreifen muss, dass auch ihre Dienststelle nicht frei von Korruption ist. Das allerdings ahnte sie schon seit jenem Fall, von dem Jaumann den Leser*innen im ersten Band der Trilogie erzählt hatte.

Unter den Freunden der Kriminalliteratur gibt es ja (mindestens) zwei Lager in Bezug auf die Frage, ob Ermittler persönlich in einen Fall involviert sein sollten oder sein dürfen. Die einen finden, gerade das gäbe einem Fall die erforderliche emotionale Fallhöhe, die andern sind der Meinung, der Zufall, dass Polizist und Opfer oder Polizist und Täter einander kennen, sei von vornherein zu aufgesetzt und wirke somit immer überkonstruiert. Anhand dieses Falles könnte man die Diskussion nun bestens fortführen. Die namibische Hauptstadt Windhoek beheimatet ca. 500.000 Einwohner. Der Mord, dessen Opfer Gregor Rodenstein wird, ereignet sich weit außerhalb der Stadt, mehrfach wird erwähnt, dass die Fahrt zur Farm hinaus Stunden dauert. Wie wahrscheinlich ist es also, dass ausgerechnet der Bruder der Ermittlerin in diesem Fall einer der Täter ist? Eher unwahrscheinlich, sollte man meinen.

Andererseits gibt gerade die persönliche Verstrickung Clemencias dem Autor die Möglichkeit, deren Tanten Miki Selma und Miki Matilda erneut in die Handlung einzubauen. Wie im ersten Teil sorgen sie auch hier für eine gewisse Portion Humors, welcher der ansonsten bedrückenden und bedrohlichen Grundstimmung des Romans guttut. Weniger gut tut ihm allerdings die Tatsache, dass es Jaumann nicht gelingt, seiner Hauptfigur auch nur annähernd so viel Persönlichkeit und Charakter mitzugeben, wie diesen beiden Tanten, deren Schaffen allerdings auch immer hart am Rande zur Karikatur entlang balanciert. Die eine versteht sich als moderne Hexe, die andere als Heiratsvermittlerin im Nebenberuf, beide kommentieren unentwegt Clemencias Privatleben und setzen sich grundsätzlich über deren Anweisungen hinweg – vor allem, wenn sie diese als Polizisten gibt. Dadurch bringen sie sich und Clemencia auch gern einmal in Gefahr.

Clemencia Garises bleibt, wie auch im Vorgängerband schon, eher unnahbar und schwer zu fassen. Die Leser*innen können sie sowohl als Polizistin als auch als Privatperson nur schwer einschätzen. Sie lässt die Leser*innen an ihren allgemeinen Gedanken hinsichtlich der Entwicklung des Landes teilhaben, diese allerdings sind so allgemein gehalten, dass sie auch einem Lexikon entnommen sein könnten. Besser wird es dort, wo sie den Leser*innen ihren Stadtteil und das Leben der Schwarzen näherbringt. Doch auch diese Überlegungen und Gedanken sind so allgemein gehalten, dass wir zwar etwas über das Land und seine Gesellschaft lernen, dies allerdings kaum als Überlegungen einer jungen Polizistin begreifen. Deren ureigenen Empfindungen – bspw. hinsichtlich ihrer Beziehung zu Claus Tiedke – bleiben vage, fast erratisch und selten sind sie nachvollziehbar. So bleibt schließlich die ganze Figur eher vage und ungenau. Und ist damit auch nicht wirklich interessant.

Nun könnte man dies tatsächlich auch als eine Stärke des Romans bewerten. Denn viele Kriminalromane suchen ihr Heil in besonders komplizierten, manchmal depressiven, manchmal aggressiven Ermittlerfiguren, die viel Interesse auf sich ziehen. Und manchmal übertünchen diese Romane damit, wie dröge und einfallslos die Fälle oder Hintergrundgeschichten sind, die sie erzählen. Dem ist hier eben nicht so. Jaumann erzählt gekonnt und vor allem mit sehr viel Hintergrundwissen aus der Gegenwart Namibias als eines modernen afrikanischen Landes, welches sich bemüht, demokratischen, rechtsstaatlichen Standards gerecht zu werden. Und das daran wieder und wieder zu scheitern droht. Dieses Scheitern ist in Jaumanns Diktion nahezu immer Folge einer nachwirkenden Kolonialgeschichte, deren Verhältnisse funktional geklärt scheinen, die aber nicht vergehen will, nicht vergehen kann. Da würde eine allzu auffällige Ermittlerfigur eher stören.

Denn solange einige wenige – vor allem Weiße – sehr viel haben, den Reichtum, die Ressourcen des Landes auf sich vereinen, viele andere hingegen in Armut verharren; solange es nur eine dünne Mittelschicht gibt und selbst die – Clemencia sollte sich als Beamtin des Polizeiapparats eigentlich dazu zählen dürfen – nicht wirklich zu einem wenn auch noch so bescheidenen Wohlstand gelangt; solange die Fragen von schwarz und weiß und dem Verhältnis zueinander nicht wirklich und nachhaltig geklärt sind – solange wird das Land nicht zu einem tragfähigen inneren Frieden kommen.

Da können die Oberen – Polizisten, Minister oder Staatsbeamte -, da können die Reichen und Mächtigen noch so sehr sich bemühen, den Dreck, der sich vor ihren Türen, in ihren Büros und Häusern, auf ihren Feldern anhäuft, unter die größten Teppiche zu kehren, die sie finden. Irgendwann wird der Berg aus Dreck zu hoch, wird er zu auffällig, wirbelt er zu viel Staub auf. Und dann wird es irgendeine aufmerksame Polizistin oder einen aufrechten Journalisten geben, die sich fragen, was wirklich dahintersteckt. Im Zweifelsfall wird es Clemencia Garises sein.

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