DIE STUNDE DES SCHAKALS
Ein gut gelungener Polit-Thriller
Die besseren – das heißt: die glaubwürdigeren – Politthriller funktionieren meist deshalb gut, weil sie ihre Geschichten entlang der Wirklichkeit erzählen oder gleich komplett auf ein authentisches, wahrhaftiges Gerüst zurückgreifen. Dieses Prinzip kann man hervorragend beim Meister des Politthrillers, bei Frederick Forsyth, beobachten. Er nimmt häufig eine wahre Geschichte als Ausgangspunkt und vermischt sie dann ungeheuer gekonnt mit fiktiven Figuren und Geschehnissen. So entstanden mit Werken wie DER SCHAKAL (1972) oder DIE AKTE ODESSA (1973) Klassiker des Genres.
Bernhard Jaumann hält es in seinem Thriller DIE STUNDE DES SCHACKALS (2010/2023),. Ebenso. Der Autor, der einige Zeit in Namibia – dem früheren Deutsch-Südwestafrika – lebte, nimmt mit der Ermordung von Anton Lubowski ebenfalls eine authentische Geschichte als Ausgangspunkt für einen spannenden Roman. Jaumann spinnt eine ebenso spannende wie einleuchtende Story um die möglichen Hintergründe und vor allem der Hintermänner des Attentats.
Anton Lubowski war ein deutschstämmiger Anwalt, der sich als Aktivist der SWAPO (South-West Africa People´s Organisation) – einer marxistisch ausgerichteten Befreiungsorganisation – anschloss und am 12. September 1989 brutal ermordet wurde. Seither ranken sich etliche Gerüchte, teils auch Verschwörungserzählungen um diesen politischen Mord. Waren es Mitglieder des CCB (Civil Cooperation Bureau), einer Geheimeinheit der südafrikanischen Armee? Oder waren es seine eigenen Verbündeten aus der SWAPO, die sich dafür rächen wollten, dass Lubowski angeblich als Doppelagent fungiert und gemeinsame Sache mit den Südafrikanern und damit den Vertretern des Apartheid-Regimes gemacht haben soll? Oder gab es ganz andere Zusammenhänge? Wirklich geklärt wurde der Mord an dem Aktivisten nie. In den 90er Jahren wurden die Unterlagen und Gerichts-Akten des Falles an die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission übergeben, die schließlich bekanntgab, ein von der südafrikanischen Armee beauftragter Killer habe Lubowski erschossen. Ob diese Variante stimmt, ist ebenfalls umstritten.
Jaumann lässt die Inspektorin Clemencia Garises in einem Fall ermitteln, der schnell auf den Mord an Lubowski verweist. Offenbar reist ein mit einer AK-47 – einer Kalaschnikow – bewaffneter Killer durch Namibia, Südafrika und Botswana und tötet jene Männer, die wahrscheinlich an die Ermordung Lubowskis beteiligt waren. Doch offenbar haben verschiedene Stellen innerhalb der Polizei unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der Fall zu handhaben sei: Clemencia will vor allem verhindern, dass es zu weiterem Blutvergießen kommt, ihr geschätzter Kollege Angula macht sich mit schon an Irrsinn grenzender Vehemenz an die alten Fallakten zu dem politischen Mord und will offenbar beweisen, dass damals einige der Männer verwickelt waren, die heute an der Macht sind und vor allem auf dem Ticket der SWAPO an diese Macht kamen. Angula ist sich sicher, dass Lubowski umgebracht wurde, weil man ihn fälschlicherweise für einen Verräter hielt. Einer der Männer, die er verdächtigt an dem Komplott beteiligt gewesen zu sein, ist sein und Clemencias Vorgesetzter Oshivelo. Und der wiederum müht sich um jeden Preis, die Ermittlungen in eine bestimmte Richtung zu lenken, die unbedingt von den politischen Implikationen wegführt. Und dann ist da noch der ehemalige Richter Hendrik Fourie. Dieser Mann – ein Weißer, der auf einer Farm außerhalb von Windhoek lebt als hätten sich die Verhältnisse nie geändert, als sei er noch immer der Baas, der Chef, der unangefochtene Herr und Meister seiner Ländereien und der dort lebenden Arbeiter, größtenteils Schwarze – verfolgt eine ganz eigene Agenda. Nur langsam und unter höchster Gefahr für ihr eigenes Leben gelingt es Clemencia, die Puzzleteile zusammenzusetzen.
Jaumann lässt seine Story wie einen herkömmlichen Kriminalfall beginnen und bleibt über weite Strecken auch bei den polizeilichen Ermittlungen. Doch unterbricht er die Handlung immer wieder durch die Protokolle der Aussagen eben jener Männer – Oshivelo, Hendrik Fourier und einen der am Mord Beteiligten, der den Spitznamen „Donkerkop“ trägt – die schon 1989 entweder am Attentat auf Lubowski beteiligt oder aber mit den Ermittlungen und der Verhandlung beschäftigt waren. So entsteht ein recht eindringliches Portrait dieses Landes, das endgültig erst 1990 seine Freiheit und die Unabhängigkeit vom damals immer noch unter der Apartheid leidenden Südafrika erhielt. Und früh im Roman verstehen wir, dass es tatsächlich um mehr geht, als um herkömmliche Morde aus niederen Beweggründen. Da Jaumann auch aus der Sicht des Killers – eines Todkranken, der sich als Todesengel hergibt um den eigenen Kindern eine Zukunft zu sichern – erzählt, entsteht ein umfassendes Bild der Vorgänge.
Angereichert – in gewisser Weise auch aufgelockert – wird die Story durch Clemencias familiäre Probleme. Sie ist diejenige in der Familie, die als Polizistin das beste Einkommen hat und die somit die gesamte nähere Familie mitfinanziert. Seit dem frühen Tod der Mutter – sie kam durch eine verirrte Kugel ums Leben, auch dieser Fall wurde nie aufgeklärt, doch anders als im Lubowski-Fall war daran nicht Vertuschung sondern Desinteresse, reine Ignoranz schuld – ist ihr Vater depressiv, der Bruder droht in die Kriminalität abzurutschen und die Tanten sind entweder mit sich oder mit Clemencias Liebesleben beschäftigt. Und da ein weißer Journalist auftaucht, der offenbar an Clemencia Interesse hat, welches sie auszunutzen versteht, um ihre Ermittlungen voranzubringen – so nutzt sie u. a. gern und ausgiebig sein Auto, bis sie es schließlich zu Schrott fährt – können die Tanten auf ein baldiges freudiges Ereignis hoffen. Diese Erzählstränge entbehren nicht einer gewissen Komik, und doch gelingt es Jaumann auch, die dahinter sich verbergende Tragik – ein Land, das immer noch an der Armutsgrenze entlangschliddert; nicht auf- oder gar verarbeitetes Leid aus Jahren, Jahrzehnten der Unterdrückung; ein junger Staat, der noch nach seiner Rolle sucht mit einer Bevölkerung, die ebenfalls noch nicht weiß, wohin es sie treiben wird – immer wieder zu verdeutlichen, ohne dies allzu plakativ zu gestalten. Durch die komischen Aspekte wird die Tragik quasi nebenher mitgereicht.
Gerade diese Aspekte lassen einen deutschen Leser dann aber auch immer wieder nachdenklich werden. Da schreibt ein weißer deutscher Mann aus Sicht einer schwarzen afrikanischen Frau. Geht das? Die Frage muss so stehen bleiben. Jede/r Leser*in muss sie für sich beantworten. Vielleicht funktioniert es deshalb, weil es so eindeutig als Thriller markiert ist und in dieser Funktion nie mehr zu sein behauptet, als es eben ist. Ein Spannungsroman, der sich eben eines – ein, wie der Autor es nennt, „notwendiges Nachwort“ verdeutlicht dies noch einmal – sehr ernsten und wesentlichen Themas annimmt. Wobei auch dabei ein Unwohlsein bleibt. Denn es ist dezidiert ein Weißer, um dessen Tod, um dessen Ermordung es hier geht. Wie so oft – man denkt bspw. an Donald Woods´ später von Richard Attenborough unter dem Titel CRY FREEDOM (1987) verfilmtes Buch BIKO (1978) – ist es die Geschichte eines Weißen in Bezug auf das schwarze Afrika, wo es doch vielleicht eher um die Geschichte all der namenlosen schwarzen Menschen gehen sollte, die in diesen fürchterlichen Kämpfen durch die Jahrzehnte gelitten haben und – oft gewaltsam – zu Tode gekommen sind.
Sieht man von diesen durchaus problematischen Fragen ab, die, wie gesagt, ein/e jede/r für sich beantworten muss, bleibt ein gelungener Politthriller, der nicht zuletzt dadurch überzeugt, dass er nie überkonstruiert wirkt und in den nicht etliche zusätzliche, den Plot verkomplizierende Ebenen eingebaut wurden. So kann man Clemencia Garises Ermittlungen und Schlussfolgerungen gut folgen und bleibt am Ball. Jaumann ließ noch zwei weitere Romane um die Figur der jungen Inspektorin folgen.