THE CEREMONIES

Ein Klassiker der modernen Horrorliteratur, fast vergessen

In einem heißen Sommer Ende der 70er, vielleicht zu Beginn der 80er Jahre, sucht der Dozent Jeremiah Freirs die Ruhe des ländlichen New Jersey, um an seiner Dissertation zu arbeiten. Er beschäftigt sich mit der unheimlichen Literatur vergangener Dekaden und Jahrhunderte und hofft, in der Gemeinde der Bethren, einer an die Amish-People gemahnenden Sekte, die nötige Abgeschiedenheit zu finden, um mit seiner Arbeit voran zu kommen. Doch wenige Tage, bevor er aus New York abreist, lernt er Carol kennen. Die beiden verlieben sich ineinander und die junge Frau besucht Jeremy auf der Farm der Poroths, wo er für ein kleines Entgelt untergekommen ist. Doch weder Jeremy, noch Carol oder Deborah und Sarr Poroth ahnen, daß alles, was ihnen scheinbar zufällig widerfährt, minutiös geplant wurde. Geplant von einem bösen, alten, kleinen, weißen Mann namens „Rosie“. Lediglich Sarrs Mutter, die aus dem Geschlecht der Troets hervorgegangen ist und dadurch über besondere seherische Gaben verfügt, ahnt die Gefahr, in der nicht nur die Betreffenden schweben, sondern die gesamte Gemeinde von Gilead, wie das verschlafene Nest heißt, wo die sich ankündigenden Geschehnisse passieren werden…

1984 erschien THE CEREMONIES (Dt. hier 2022) als bisher einziger Roman des Publizisten und Herausgebers T.E.D. Klein. Klein war damals Gründer und Chefredakteur des Twilight Magazines, Zentralorgan des Abseitigen, wodurch ihm jedoch kaum Zeit blieb, eigene Geschichten zu Papier zu bringen. THE CEREMONIES wurde damals allerdings schnell zum Bestseller und gilt bis heute als ein Klassiker der unheimlichen amerikanischen Literatur jüngeren Datums. Klein bedient sich einer wilden Mischung damals gerade in der amerikanischen Horror-Szene – gleich ob literarischer oder filmischer Natur – angesagter Motive, sucht sich Anleitung bei H.P. Lovecraft und anderen, auch zeitgenössischen Autoren, allen voran Stephen King, und versteht es, diese in eine kohärente, sich organisch entwickelnde Story zu verweben, die den Leser die allermeisten der über 500 Seiten des Romans zu fesseln versteht. Oder, besser, zu fesseln verstand – denn es besteht kein Zweifel, daß Kleins Konzept seither vielfach kopiert, zitiert und variiert wurde. Und somit sicherlich durch Abnutzung an Überzeugungskraft verloren hat.

Grundlegend spielt Klein mit der Angst vor Geheimgesellschaften, Sekten und religiösem Fanatismus, die hier geschickt eingesetzt wird, um möglichst lange offen zu halten, ob die Bewohner der abgelegenen Stadt Gilead mit dem, was da unweit ihres Dorfes aus der Unterwelt hervorgekrochen kommt, unter einer Decke stecken oder vielmehr zur Rettung der Protagonisten beitragen. Klein versteht es, seiner Story einen guten Dreh zu verpassen und somit selbst jene, die schließlich zur Hilfe eilen, weitestgehend als fremd und auch furchteinflößend zu charakterisieren. Denn nie wird klar, ob diese Menschen, wenn sie nicht bereits mit dem „Bösen“ infiziert und ihm zu Diensten sind, nicht zumindest wissen – oder ahnen – daß ihrer Gemeinschaft eine besondere Rolle im Ringen mit den ALTEN spielt, wie Klein seine Dämonen oder heidnischen Götter oder gefallenen Engel nennt und damit direkt an ein Lovecraft´sches Motiv – jenes des Cthulhu-Mythos –  anknüpft. Der alte Mann, genannt Rosie, der sich so anheischig um Carol kümmert, dessen Rolle als sinistrer Strippenzieher Klein allerdings früh preisgibt, entstammt zwar seinerseits einem der Geschlechter, die die Gemeinschaft der Bethren mitbegründet haben, doch scheint seine Familie – die bereits genannten Troets – immer schon eine Ausnahmestellung unter den Siedlern eingenommen zu haben. Und Rosies Bemühungen, einem nie näher erklärten Dämon zur Wiederkunft in der Welt zu verhelfen, scheinen auch nicht mit den Lehren der Gemeinschaft (die Klein uns allerdings ebenfalls nie näher erklärt) übereinzustimmen. Hier folgt einer seinen ganz eigenen Plänen.

Während europäische Genre-Autoren der 70er Jahre mit ganz profanen Ängsten spielten – Weltuntergangsszenarien und Rache der Natur waren oftmals ihre Sujets – oder sich an klassischer Gruselliteratur versuchten, war in den USA ein Strang der einschlägigen Literatur von einem Unbehagen an religiösen Themen geprägt. Die 70er hatten das spirituelle Erwachen der sogenannten New-Age-Szene erlebt, waren für solcherlei Spielarten post-hippiesker Entwicklungen allerdings auch geradezu prädestiniert. Man vergisst leicht, daß es einen wirklichen kulturellen Unterschied zwischen Europa und seinen wirklich säkularen, teils laizistischen Traditionen und den USA gibt, die natürlich zutiefst durch die Ethik protestantischer Sekten geprägt sind. Religionsfreiheit ist in den USA ein noch weitaus höher angesehenes Gut, als dies in Europa der Fall ist. Dies führt aber immer wieder auch zu Konfrontationen in der Gesellschaft – zumindest, wenn Kleinstsekten sich gegen die Staatsmacht stellen. 1979 hatte es das Massaker von Jonestown gegeben. Jonestown war eine Ansiedlung im Dschungel von Guyana, wohin sich der Endzeitprediger Jim Jones mit seinen Getreuen zurückgezogen hatte und wo er am 18. November 1979 einen Massenselbstmord befahl, dem die meisten seiner Anhänger folgten; jene, die nicht folgen wollten, wurden jedoch kaltblütig umgebracht – gleich ob Kinder, Frauen oder Männer. Wie ernst selbst die amerikanische Regierung die Sekte nahm, beweist die Anwesenheit von amerikanischen Offiziellen in der Siedlung in den Tagen vor dem Kollektiv-Suizid. Was dann im Dschungel geschah, wurde in Europa meist als Auswuchs religiösen Fanatismus´  betrachtet, zwar tragisch, doch weitestgehend eine Skurrilität. Anders in den USA, wo die Geschehnisse in Südamerika Schockwellen auslösten; allein die Zahl von fast tausend Toten sorgte für Aufsehen. Stephen King hat bei verschiedenen Gelegenheiten, angesprochen auf die realen Schrecken, aus denen sich sein Schreiben speist, auf den Schock hingewiesen, den das Jonestown-Massaker darstellte.

Wenn T.E.D. Klein seine Geschichte nun also inmitten einer abgeschiedenen, im ländlichen New Jersey angesiedelten Sekten-Gemeinschaft spielen lässt (mit gelegentlichen zwischenzeitlichen Abstechern nach New York, wo ein wesentlicher Teil der Entwicklungen um Rosie und Carol sich zutragen), dann kann der Leser getrost davon ausgehen, daß ihm auch der Schrecken der realen Geschehnisse einige Jahre zuvor vor Augen standen. Ansonsten spielt er mit aus heutiger Sicht recht herkömmlichen Versatzstücken des Genres. Da wird der Gegensatz von Stadt und Land genüsslich ausgespielt – Backwoods-Geschichten waren spätestens seit Tobe Hoopers THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) ein Topos im Genre; ein Horrorfilm aus den früheren 70er Jahren, der bei nahezu null Budget eine enorme Reichweite und damit immensen kommerziellen Erfolg hatte und genau diesen Gegensatz thematisierte – , es wird mit der Furcht vor Fremden geflirtet und dadurch eine Atmosphäre steter Bedrohung innerhalb der Bethren-Gemeinschaft und der Stadt Gilead erzeugt; bei der nie ganz klar wird, wer eigentlich für wen die Bedrohung ist – Städter für die Landbevölkerung oder eben genau andersherum, wobei Klein das gegenseitige Sich-Belauern ebenfalls genüsslich auswalzt. Zu guter Letzt nutzt Klein aber auch die Klaviatur tief versteckter irrationaler Ängste vor Mächten und Kräften des „Bösen“, sprich des Teufels, die ohne unser Bemerken walten und wirken und sich nach und nach, schleichend, entfalten. Auch damit steht Klein durchaus in der Tradition der jüngsten Entwicklungen im Genre. Denn mit William Friedkins Kassenknüller THE EXORCIST (1973) und dem späteren Adepten THE OMEN (1976) hatte der Leibhaftige – und damit das denkbar irrationalste Motiv – Wiedereinzug ins Pantheon der physischen wie psychischen Bedrohungen gehalten.

Klein versteht es recht gut, die klebrige Hitze, die eine Stadt wie New York im Sommer im Griff hat, und jene schwüle Landhitze, die brütend über den Feldern hängt, zu beschreiben und damit einzufangen und seiner Geschichte damit eine flirrende, fast halluzinatorische Grundierung zu geben. Allerdings fällt ihm zwischendurch nicht allzu viel ein und so ziehen sich die Seiten und die einzelnen Kapitel, gerade im Mittelteil des Romans, ähnlich zäh dahin, wie ein sommerlicher Nachmittag auf einer Veranda irgendwo im Nirgendwo. Zwar weiß Klein eine Menge Details, manchmal ganz unscheinbarer Natur, in den Text einzuflechten, Details, die später, zu gegebener Zeit, beim Leser für Unruhe oder gar Unbehagen sorgen, da er nach und nach erst begreift, welche Bedeutung sie haben, doch ziehen diese Hinweise nahezu vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung eines solchen Werkes kaum mehr. Hinzu kommt eine eher platte Figurenzeichnung. Weder Jeremy, noch Carol oder eine der anderen Figuren macht eine wesentliche Wandlung durch, entwickelt Persönlichkeit oder gar Untiefen. Alle Protagonisten scheinen hier – was bis zu einem gewissen Grad ja auch der Story entspricht – auf vorgegebenen Bahnen zu rotieren, scheinen sich an einem ungeschriebenen Drehbuch zu orientieren und sich in ihrem Verhalten immer danach auszurichten, was nun gerade für die Story des Romans wichtig ist. Dadurch aber sind sie von Beginn der Erzählung an Marionetten, deren Persönlichkeit wir nicht verstehen. Die aber vielleicht auch gar keine Persönlichkeit haben.

Jeremy ist der fast klischeehafte Großstadt-Intellektuelle, der sich auf dem Land einmietet, um seine Ruhe zu haben, den Anforderungen des Landes – Ungeziefer und Insekten, Dunkelheit und absolute Stille, sowie allerlei Sitten und Gebräuche, die er weder versteht noch goutiert – jedoch nicht gewachsen ist und sich auch nicht einbringen mag. So stößt sein Benehmen – allein die Tatsache, daß er nicht „arbeitet“, sondern sein Geld mit Nachdenken und Schreiben verdient, wird von den Bewohnern von Gilead als anstößig wahrgenommen – auf Befremden und es bleibt immer eine Kluft zwischen ihm und seinen Gastgebern, respektive der Gemeinschaft, der gegenüber diese verpflichtet sind. Carol ihrerseits ist ein aus einem katholischen Mädcheninternat ausgebüxte junge Dame, die sich eigentlich ihre Jungfräulichkeit für die Ehe aufbewahren will, zugleich aber mehr als gespannt ist, was es mit Sex und all dem nun eigentlich auf sich hat. Auch sie bleibt in den eng gefassten Zwängen der Rolle, die die Geschichte für sie vorsieht. Gleiches gilt für die Bewohner der Kleinstadt. Auch sie bleiben immer in den engen Korsetten der Ansprüche, die an ihre Rollen im Geschehen gestellt werden, wodurch sie meist wie Abziehbilder wirken. Einzig Rosie, der alte Mann, der ganz allein seine Fäden zieht und doch nicht frei ist, weil Handlanger eines größeren, älteren und weitaus böseren Wesens, ist eine wirklich interessante Figur in diesem Reigen. Allerdings orientiert sich die Figurenzeichnung eindeutig an solch einem Protagonisten wie Roman Castevet, dem fürsorglichen Alten an der Seite seiner Frau Minnie in Roman Polanskis ROSEMARY´S BABY (1968). Dennoch beweist eine Figur wie Rosie einmal mehr: Bösewichter machen einfach mehr Spaß!

THE CEREMONIES ist heutzutage nur noch leidlich spannend, da seine Einzelteile und die Struktur sowie sein Schema zu bekannt und zu durchsichtig sind. Dennoch kann Klein seine Leser immer noch packen, da er zumindest eine dichte, schwüle, bedrohliche Atmosphäre zu generieren versteht und zudem die Gegensätze zwischen dem flirrenden nächtlichen Bild einer Großstadtmetropole wie New York und dem langsamen, steten Rhythmus einer zurückgeblieben erscheinenden Gemeinde nur 40 Kilometer von der Weltstadt entfernt, herauszuarbeiten weiß. Und obwohl er sehr früh ahnt, wohin die Reise in diesem Roman gehen wird, ist der Leser doch interessiert, wie Klein von A nach B kommt, wie die einzelnen Stränge miteinander verwoben und schließlich zu einem – wenn auch wenig actionreichen – Finale verknüpft werden. Man kann anhand dieses Romans gut ab-lesen, wohin die Reise im Genre in den 80er Jahren führen würde.

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