SIE SIND VERDAMMT/THE DAMNED

Ein bedrückender, immer noch aktueller Science-Fiction/Horrorfilm

Der Amerikaner Simon Wells (Macdonald Carey), ein Segler, bandelt während eines Landgangs mit Joan (Shirley Ann Field) an. Diese allerdings dient lediglich ihrem Bruder King (Oliver Reed) als Lockvogel. Der und seine Gang aus Teddy-Boys überfallen den Ahnungslosen und schlagen ihn zusammen. Dennoch läßt sich Simon tags darauf erneut auf ein Gespräch mit Joan ein und diesmal merkt man der jungen Frau durchaus Interesse an. Doch erneut tauchen King und seine Jungs auf und Simon und Joan retten sich mit dem Schiff zu einer nahgelegenen Klippe. Dort hat Mr. Bernard (Alexander Knox) seine Villa, deren Gästehaus er an seine alte Freundin Freya Neilson (Viveca Lindfords) vermietet hat. Sie ist eine freigeistige, anthroposophisch angehauchte Künstlerin, die mit Bernard über den Wert des Lebens und der Natur – gottgegeben wie sie ist – diskutiert. Simon und Joan müssen auch aus dem Gästehaus fliehen, wo sie für ein paar Stunden in Freyas Abwesenheit Unterschlupf gefunden hatten. King, der sie immer noch verfolgt, rasend, da er befürchtet, die Kontrolle über seine wie er immer noch jungfräuliche Schwester zu verlieren, folgt ihnen. Und so stoßen sie zufällig auf eine Grotte unterhalb der Klippe, wo sie auf eine Schar Kinder treffen. Diese retten sie und führen sie in ihr geheimes Versteck. Die Kinder, die in Kontakt mit Mr. Bernard stehen, der sie unterrichtet und vorbereiten will auf die Zeit „danach“, in der sie die einzige Hoffnung der Menschheit seien, weiter zu existieren, sind vollkommen abgeschnitten von der Außenwelt und zudem eiskalt. So ruft King auch sofort aus: Sie sind tot! Doch je weiter Simon, Joan und King in die Geheimnisse der Grotte vorstoßen, desto eindeutiger wird, welches Schicksal ihnen bestimmt ist…

Was für ein Experiment: Da dreht ein überzeugter Sozialist und Gesellschaftsanalytiker amerikanischer Provenience einen dystopischen Science-Fiction-Film für das führende Studio für Horrorfilme seines Gastlandes. Oder, genauer: Der sein Heimatland aufgrund der Nachstellungen des HUAC (House Un-American Activities Committee) des hetzerischen Senators Joe McCarthy geflohene Joseph Losey verwirklicht für die Hammer Studios, bis dato v.a. für ihre Neuinterpretation des DRACULA-Mythos berühmt, THE DAMMED (1963), die Adaption des Romans CHILDREN OF LIGHT von H.L. Lawrence. Und so entsteht einer der bedrückendsten Filme der frühen 60er Jahre, vollkommen unter dem Einfluß der damals erstmals wirklich spürbaren atomaren Bedrohung, die durch die Kubakrise im Herbst 1962 auch dem Letzten verdeutlicht worden war. Aus der heute zynisch (und dumm) anmutenden Verherrlichung der Atomkraft inklusive ihres militärischen Nutzungspotentials war innerhalb weniger Jahre ein Gefühl dafür geworden, daß dies de facto auch das Ende der Menschheit bedeuten konnte, ja, bedeuten musste, denn wie wollte man diese ungeheure Kraft, dieses enorme Vernichtungspotential je wieder einfangen? Es ist exakt diese Prämisse, die Loseys Film zugrunde legt.
Der Film beginnt wie eine etwas übertrieben, ja grotesk anmutende Studie zu Jugendgewalt im englischen Klassensystem. Wenn man in den ersten Minuten betrachtet, wie Losey seine Teddy-Boys aufmarschieren läßt – alle uniformiert in schwarzen Jacken, mit Papphütchen für einen Kindergeburtstag auf dem Kopf, nur ihr Anführer King in einem grauen Jackett und mit einem Regenschirm bewaffnet – denkt man heutzutage sofort an Kubricks A CLOCKWORK ORANGE (1971) und wie er dessen Hauptdarsteller Alex und seine „Droogies“ ausstattete und sich geben ließ. Nur acht Jahre zuvor entstanden, wird THE DAMMED mit Oliver Reeds King ein direktes Vorbild gewesen sein, zu ähnlich sind seine exaltierten Gesten und ausgreifenden Bewegungen denen seines ungemein berühmteren Nachfolgers. England wurde zu Beginn der 60er Jahre von jenen „Rockerkriegen“ erschüttert, von denen Pete Townsend später in seiner Rock-Oper QUADROPHENIA (1973) zu erzählen wusste. Da King und seine Männer mit Motorrädern ausgestattet sind, liegt auch diese Assoziation nah. Diese Truppe terrorisiert das gemütliche Küstenstädtchen und stellt für einen unbescholtenen Amerikaner wie Simon also eine echte Bedrohung dar. Je länger wir King und seinen Jungs allerdings lauschen, je länger wir sie in der Interaktion auch und gerade mit Joan erleben, desto besser begreifen wir, wie unsicher, kindisch und letztlich ungefährlich sie sind. Erst recht, sobald wir begreifen, daß Simon, Joan und King – letztlich ein jeder von uns – ganz anderen Bedrohungen ausgesetzt sind. Das ist einer der brillanten Züge des Drehbuchs: Alltägliche Bedrohungen, gesellschaftliche (Fehl)Entwicklungen, das Auseinanderdriften der Generationen einerseits – die drohende Vernichtung der Menschheit, der Welt, allen Seins andererseits: das Alltägliche im Konkreten, das Umfassende im Abstrakten.

Losey weiß diesen Gegensatz nahezu perfekt auszuspielen. Organisch greift hier eins ins andere, die Geschichte erfährt keinen Bruch, lediglich die psychologische Ungenauigkeit, daß Joan umgehend bereit sein soll, Simon zu heiraten und sich von ihm aus der Enge und Spießigkeit des englischen Kleinstadtlebens entführen zu lassen, wirkt ein wenig unglaubwürdig. Doch die Entwicklung der Story von einem sozial bewußten Drama um einen aufschneiderischen Amerikaner, ein gelangweiltes Mädchen und einen sexuell frustrierten jungen Mann, der seine Männlichkeit lediglich durch die Macht über seine Schwester ausleben kann, hin zu einem wirklich bedrückenden und zutiefst pessimistischen Science-Fiction-Film, der die Klaviatur der zeitgenössischen Ängste nahezu perfekt zu spielen versteht, gelingt Buch und Regie auf wunderbare Weise. Zudem hat Losey mit Freya Neilson eine Figur zur Hand, die es ihm erlaubt, das Geschehen auf einer Metaebene zu reflektieren. Und doch bleibt der Film trotz aller angedeuteten Intellektualität, trotz seiner Anliegen und des durchaus ernsthaft geführten Diskurses spannend. Äußerst spannend. Bis hinein in die letzten Szenen zittern wir mit Simon, Joan und King, aber auch mit den Kindern, wie sie erbärmlich um Hilfe rufen, ihrem eisigen Gefängnis ohne Tageslicht zu entfliehen und doch keine Rettung finden können. Das Ende des Films ist in seiner Erbarmungslosigkeit nicht unähnlich jenem in Stanley Kramers ON THE BEACH von 1959. Allerdings führt Losey dem Zuschauer mit noch größerer Präzision und Eiseskälte die Logik des Vernichtungsdenkens – vielleicht besser: des vernichteten Denkens? – vor.

Dem Sozialisten und Exilamerikaner Joseph Losey, der sich von Beginn seiner Karriere an Fragen der Ausgrenzung, sozialer Standards und derer Unterwanderung, Außenseitern und Stigmatisierten zugewandt hatte, gelingt formal ein Horrorfilm, wie er sein muß: Atemberaubend und zutiefst verstörend; zugleich jedoch läßt er den Horror aus der Realität des Jahres 1962/63 erwachsen, er verzichtet auf alles Übernatürliche, sein Grauen erweckt die Eiseskälte, mit der Menschen wie Mr. Bernard in der Lage sind, ihre Ziele zu verfolgen und durchzusetzen. Zieht man die Kreise etwas weiter und bedenkt, daß der kalte Krieg ja nicht nur atomare Abschreckung bedeutete, sondern auch den (technischen, weltanschaulichen, militärischen) Wettstreit zweier Systeme, werden sowohl Bernards Verhalten als auch das ganze System, das er vertritt, immer faschistoider. Geradezu krypto-faschistisch. Und so werden die Methoden, die angeblich unsere Freiheit beschützen sollen, zu eben jenen Methoden, die die Unterdrücker der Freiheit anwenden. Systemisch gleichen sich also die freiheitlich-westliche, liberale Welt und der real existierende Sozialismus immer weiter an, bedienen sich beide nahezu gleicher, faschistischer Methoden, bedienen sich also bei eben jenem System, daß sie formal beide eben erst niedergerungen hatten.

Losey bietet uns ein zutiefst pessimistisches Gesellschaftsbild: die sich in Freyas Kunst darstellende Freiheit (sie moduliert immer wieder Vögel, Symbole der Freiheit, aber auch des Todes, wenn sie Bernard einen solchen schenkt und ihn den „Friedhofsvogel“ nennt), die ästhetische Komponente freiheitlichen Denkens wird von Losey zwar nicht denunziert, gegenüber dem kalt-rationalen Denken, dem gnadenlosen Effizienzgedanken jedoch zumindest als wehrlos, bzw. unterlegen dargestellt. Die einzige Möglichkeit, letzterem zu begegnen, ist, seine Würde zu bewahren. Und das tut Freya, indem sie sich ihrer Kunst zu- und von ihrem Häscher abwendet in jenen Momenten, in denen sich entscheidet, wer in dieser Geschichte das eigentliche Monster ist. So gelingt dem Regisseur im Gewande eines astreinen Horror/Science-Fiction-Films eine gefährlich aktuelle Analyse seiner Gegenwart. Und dabei zeigt er uns, daß – man bedenke, es mit einem Hammer-Horrorfilm zu tun zu haben – die reale Gefahr nicht von bissigen Grafen aus Osteuropa oder haarigen Tiermenschen aus Sevilla ausgeht, sondern – diese Sicht ist natürlich in der romantischen Geschichte vom Doktor Frankenstein im Kern ebenfalls schon angelegt – von uns selbst, von unserer Hybris und den Systemen und Institutionen, die wir erfinden und nutzen, ihr Ausdruck zu verleihen. Loseys Film ist in gewisser Weise immer noch aktuell, aktueller, als wir es wohl wahrhaben wollen.

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