HITCHER – DER HIGHWAYKILLER/THE HITCHER
Einer der essenziellen Filme der 1980er Jahre
Jim Halsey (C. Thomas Howell) nimmt in einer regenreichen Nacht auf den Highways des Südwestens einen Anhalter mit, den Hitcher (Rutger Hauer). Der stellt sich als John Ryder vor und entpuppt sich dann sehr schnell als ein Psychopath. Mit dem Messer bedroht er Halsey, fordert ihn auf, sich dazu zu bekennen, tot sein zu wollen, will aber zugleich, daß sein Opfer sich wehren solle. Das tut Halsey – und hat in kürzester Zeit nicht nur die Staatspolizei und diverse Sheriffbüros an den Fersen, die ihn für den Killer halten, sondern auch einen immer wieder phantomhaft auftauchenden Ryder, der ihm aus ausweglosen Situationen hilft, ansonsten aber ein gnadenloses Katz-und-Maus-Spiel mit seinem Opfer spielt. Schließlich läuft alles wie zwangsläufig auf ein finales Duell der Kontrahenten hinaus – mitten auf den leeren Highways in der Wüste…
Will man etwas wissen über Stimmungen, Strömungen und die Verfasstheit der Gesellschaft, sollte man in Amerika immer auf die Genrefilme blicken, die Hollywood wie Ausschußware neben seinen Blockbustern herproduziert: 1986, Ronald Reagan ist seit nunmehr einer halben Dekade im Amt und hat bewiesen, was er unter „Kommunikation“ versteht, er, der gern als „Großer Kommunikator“ bezeichnet wurde – nämlich den Menschen begreiflich zu machen, warum das oberste, reichste Prozent amerikanischer Bürger immer mehr Steuerfreiheiten und andere Privilegien genießt, während der Rest des Landes in eine gnadenlose Rezession gleitet und ganze Landstriche verarmen. Fast unbemerkt startet in jenen trüben Tagen in den wenigen Kinos am Times Square, die kein ‚XXX‘, also Pornographie, versprechen, sondern „echte“ Filme, ein kleiner, dreckiger Thriller, der die Lage des Landes auf erstaunliche Art und Weise reflektiert. Ein Kleinod des harten, kompromißlosen Actionthrillers – aber eben auch der Seismograph einer Gesellschaft, die nach und nach in der Depression versinkt. Und um Erlösung fleht.
Alfred Hitchcock war es, der in seinem Jahrhundertfilm PSYCHO (1960) der Wüste – bis dahin meist Landschaftsprotagonist im Westerngenre – eine vollkommen neue, bedrohliche Dimension und Bedeutung für die amerikanische Gegenwartsgesellschaft gab. Allein und nackt starb Janet Leigh einen verdammt einsamen Tod in der Dusche eines Motels mitten in der Einsamkeit der Mojave-Wüste. Im ausgesprochen katholischen Kontext des Films wirkte dieser Umstand noch zusätzlich erschreckend auf den Zuschauer. Die Wüste wurde zu einem ‚Waste Land‘, einer amerikanischen Seelenlandschaft, leer, einsam und verweist. Symbolisierte sie bei John Ford das Land schlechthin, durchaus bedrohlich, aber eben als ein Draußen, etwas Fremdes und Anderes definiert, wurde sie nun zu einem Abbild des Inneren des modernen, entwurzelten Menschen, der auf der Suche war, dabei aber lange schon vergessen hat, was er eigentlich sucht. Robert Harmon, der mit dem nominellen B-Picture THE HITCHER (1986) sein Regiedebut vorlegte, nutzt die Kargheit und Leere des Landes formal und inhaltlich auf ähnliche Weise (und verweist durchaus auf Hitchcocks ‚Psycho‘ Norman Bates, wie er auch auf allerhand andere Figuren realer wie fiktionaler Natur des amerikanischen kulturellen Kosmos verweist) : Er reduziert seinen Film bis zum Äußersten. Neben Halsey und seinem Peiniger tritt lediglich Jennifer Jason Leigh in der Rolle der Kellnerin Nash in einer nennenswerten Rolle auf. Handlung, Personal, Ort, die Dialoge – alles in diesem Film wird reduziert auf exakt das, was es braucht, um den Plot voranzutreiben und das Publikum mit den nötigsten Informationen zu versorgen. Im Grunde ein biblisches, archaisches Ringen zwischen einem gottgleich an den unwahrscheinlichsten Stellen auftauchenden Übermenschen (durchaus im Nietzscheanischen Sinne) und einem diesem zürnenden Gott Ausgelieferten, der – auf die nackte Existenz in einem wüsten Land reduziert – um das bisschen Leben kämpft, das er sein Eigen nennt.
THE HITCHER entwickelt einen eigenartigen Sog, dem der Zuschauer sich nicht entziehen kann. Trotz der Opfer, die Ryder produziert, trotz seiner Gewalt und trotz unserer Ahnung, daß er einen ausgesprochen ungesunden Einfluß auf Halsey ausübt, wohnen wir diesem Zweikampf, diesem fast faustischen Pakt atemlos und gespannt bei, ja, wir erwischen uns sogar dabei, wie wir dem Ungeheuer, das Ryder zweifelsohne ist, die Daumen drücken, damit es zum finalen und entscheidenden Show-Down kommen kann. Jim Halsey muß sich befreien von diesem Dämon der Landstraße, der ihm – einem Übervater gleich – einen tödlichen Initiationsritus aufzwingt und dabei in Halseys Seele Abgründe aufdeckt, von denen dieser selbst nichts ahnte. Viel schneller, als man glauben würde, viel ZU schnell, lernt Halsey die Handgriffe und Tricks, die es braucht, um in entscheidenden Momenten entkommen, sich in entscheidenden Momenten wehren und eben auch andere verletzen zu können. Ohne, daß der Film je zu Erklärungen oder ausholenden Abschweifungen ansetzte, deutet sich immer wieder eine Verbindung zwischen Ryder und Halsey an, die sich vor allem in dem ausgesprochen guten Spiel der beiden Hauptdarsteller, in Blicken und Doppelungen ausdrückt. Diese Männer sind mindestens seelenverwandt. Mindestens, wenn nicht…mehr…
1986 war das Kino bereits geflutet mit Slashern – jenen Serienmördern à la Jason Vorhees und Michael Myers aus den FREITAG DER 13. (1980ff.)-, und der HALLOWEEN (1978ff.)-Serie – und anderen Verrückten, Mördern, Psychopathen. Es musste schon was dran sein an einem Typ wie John Ryder, damit man mit einem Plot wie dem zu THE HITCHER noch wen hinterm Ofen hervorlocken konnte. Rutger Hauer gelingt es vom ersten Moment an, wenn er sich – komplett durchnässt – schemenhaft dem Wagen nähert, dann einsteigt und sofort die Deutungshoheit der Situation im Wagen übernimmt, diesen Mann mit einer gnadenlos bedrohlichen Aura zu umgeben. Doch genauso gelingt es ihm schnell, Ryder mit etwas auszustatten, das wie große Müdigkeit, ja Erschöpfung wirkt. Und vom Moment an, da er beginnt, Halsey zu bedrohen, ahnen wir, daß dieser Mann mehr vorhat, als einfach nur ein Massaker anzurichten. Sucht da einer die finale Auseinandersetzung? Sucht da einer die Kraft, die die seinige übersteigt? Sucht da einer – einen Nachfolger, einen Juniorpartner? Oder sucht da einer gar Erlösung? Erlösung vom Fluch des ewigen Wanderns und Tötens? Stellvertretend für all jene Männer, die wirklich wie imaginiert diese Landschaften durchstreift und dort ihre Signatur mit Blut hinterlassen haben? All die Ethan Edwards, Howard Kemps, die Tom Joads und Tom Dunsons, die dem Mythos dieses Landes ihren Stempel aufgedrückt haben[1]. All diese Vermutungen und Annahmen läßt Hauers Spiel zu und das gibt diesem John Ryder als Figur eine Qualität, eine Vielschichtigkeit, die kaum einer der genannten Psychopathen hatte, Freddie Krueger (A NGHTMARE ON ELM STREET – 1984ff.) vielleicht ausgenommen. Ryder wirkt müde, das vor allem macht diese Figur so hintergründig.
Müde war auch das Land 1986. Müde des jahrelangen patriotischen Feuerwerks, müde all der Versprechungen, die doch immer nur für die andern in Erfüllung zu gehen schienen. Diese Müdigkeit spiegelt sich in einer Figur wie Ryder und im ganzen Setting des Films. Ryder ist – wie die besten Bösewichter in der Geschichte des Hollywoodfilms – eine mythische Gestalt. In diesen Typen spiegelt sich oft ein tiefes Unbehagen an der eigenen Natur, auf sie werden oft jene Ängste und Befürchtungen projiziert, die einen beim Blick in den Spiegel umtreiben. Externalisierung. Die klassischen Bösewichter sind deshalb oft auch überlebensgroß, weil sie zu besiegen natürlich enormes Prestige mit sich bringt – je größer, stärker und wilder mein Feind, desto größer die Leistung, die ich vollbracht habe, ihn zu bezwingen. Andererseits verdeutlicht diese Überhöhung auch die Größe dessen, was eine Gesellschaft sich selbst an Verwerfungen und Verdorbenheit zuzuschreiben bereit ist. Bei Ryder sieht das allerdings etwas anders aus, worin genau die Referenz zur amerikanischen Gesellschaft Mitte/Ende der 80er Jahre zum Ausdruck kommt: Selbst die Sündenböcke, selbst unsere Feinde, taugen nicht mehr als wahre Gegner. Können uns keine wirkliche Angst mehr einjagen. Sie sind müde, wie wir (was sich nicht zuletzt in der ebenfalls erschöpft wirkenden Einigung zwischen den U.S.A. und der Sowjetunion hinsichtlich der atomaren Abrüstung im isländischen Reykjavik spiegelte), sie eignen kaum noch als mythisch überhöhte Projektionsflächen unserer Ängste, Sorgen und Befürchtungen, bestenfalls sind sie nur noch Spiegel unserer selbst und weisen uns darauf hin, daß die eigentliche, letzte Bedrohung wir sind. Das Böse schlummert immer direkt in unserer Nähe, in uns. Jim Halsey erfährt in den Tagen, die er John Ryder ausgeliefert ist, viel über sich, über seinen Kontrahenten erfährt er – nichts. Ist Ryder „nur“ ein Killer? Ist er ein Dämon (seine „Fähigkeiten“ deuten mehrfach Außergewöhnliches an)? Oder gar der Leibhaftige selbst? Ist das ein „armer Teufel“, der „zwischen den Winden“ gefangen über die Highways streift, durch diese karge, mythische amerikanische Landschaft, jenes Land, das John Ford dem Film einst geschenkt und zum amerikanischen Nationalheiligtum erkoren hat, und der den Geist all jener oben genannten Figuren atmet, die diesem Land einst ihren Stempel aufgedrückt haben? Doch zugleich ist er die wandelnde Dekonstruktion dieser mythischen Gestalten, da in John Ryder das Prinzip der Externalisierung ad absurdum geführt wird. Es funktioniert nicht mehr, eine Gestalt wie Ryder führt uns gnadenlos immer und immer wieder nur auf eins zurück – auf uns selbst.
Und so steckt in einem Film wie THE HITCHER, in einer Figur wie Ryder, natürlich auch ein Hinweis auf das ganz große Rad, ‚the lay of the land‘: Ryder ist auch ein „großer Kommunikator“, auch wenn seine Sprache nicht zwangsläufig die gesprochene ist. Seine Kommunikationsform heißt Angst, sein Medium Gewalt. Er entspricht eben auch jenem Satan, dem die U.S.A. auf den Leim gegangen sind, jenem Präsidenten, der sich als Freund der Menschen präsentiert hatte und doch nur daran interessiert ist, ihnen das Beste zu nehmen, was sie haben: Ihre Seele.
Harmon ist ein gemeiner, kleiner, dreckiger Thriller gelungen, der ohne Kompromisse seine Geschichte gnadenlos runtererzählt und keine Gefangenen macht. So funktioniert er und so will er gesehen werden. Anderthalb Stunden knallharte Unterhaltung. Und dennoch – das Unbehagen, das THE HITCHER auszulösen vermag, weist über den wohligen Schauer eines überstandenen Horrorfilms hinaus. Wenn der Überlebende dieses archaischen Duells schließlich eine letzte Zigarette raucht und die Sonne über den Weiten der Wüste versinkt, sehen wir ein Bild reiner Einsamkeit, endloser Verlorenheit. Diesem Mann – stellvertretend für eine Gesellschaft, ein Land – ist nicht mehr zu helfen. Verloren in sich selbst und konfrontiert mit den eigenen Abgründen aus Ängsten und Gewalt, steht er „nackt und allein“ mitten im ‚Waste Land‘ – Lost.
[1]Hauptfiguren aus THE SEARCHERS (John Ford – 1956); THE NAKED SPUR (Anthony Mann – 1953); THE GRAPES OF WRATH (John Ford – 1940); RED RIVER (Howard Hawks – 1948).