VERDAMMT ZU LEBEN – VERDAMMT ZU STERBEN/I QUATTRO DELL`APOCALISSE
Lucio Fulcis Italowestern aus der Spätphase des Subgenres
Der Spieler und Betrüger Stubby Preston (Fabio Testi) kommt nach Salt Flat, wo ihn der Sheriff (Donald O´Brien) erkennt und verhaftet. In der Zelle des Gefängnisses trifft Stubby auf den verrückten Burt (Harry Baird), einen Schwarzen, auf die Hure Bunny (Lynne Frederick) und den Trinker Clem (Michael J. Pollard). Man vertreibt sich die Zeit mit Käferrennen und leisen Gesprächen. Doch mitten in der Nacht bricht in der Stadt die Hölle los: „Ehrbare“ Bürger, bewaffnet und maskiert, treiben Spieler, Huren, jeden, den sie nicht als anständig betrachten, auf die Straßen und töten sie wahllos. Bunny hat fürchterliche Angst, daß auch die Gefangenen geholt werden und dem Mob zum Opfer fallen. Doch der Sheriff, der sich aus den Vorgängen in der Stadt ansonsten heraushält, schützt zumindest die Insassen seiner Zellen.
Am folgenden Morgen entlässt er seine Schützlinge, nimmt Stubby aber dessen gesamtes Geld ab. Dann schickt er die Vier mit einer Kutsche in die Wildnis. Stubby schlägt vor, daß man sich gen Süden wenden solle, wo er eine Stadt kennt, wo sie alle unterkommen könnten. Die Gruppe hat etwas 200 Kilometer Strecke durch das unwegsame Gelände von Utah vor sich. Unterwegs lernen sie sich besser kennen. Bunny ist schwanger, Burt ein ehemaliger Totengräber, der behauptet, in Kontakt mit den Toten, seinen „einzigen Freunden“, zu stehen, der immer nach etwas Trinkbaren gierende Clem erweist sich als kluger und sensibler Mensch.
Die Gruppe trifft auf einen kleinen Treck Mormonen, die sich ein Stück Land suchen wollen, wo sie sich niederzulassen gedenken. Die Mormonen helfen ihnen, geben ihnen zu essen und Kleidung und schließen sie in ihre Gebete ein. Allerdings nehmen sie auch wie selbstverständlich an, daß Stubby und Bunny Ehepartner sind und das erwartete Kind von ihm ist. Obwohl sich die beiden bisher nicht unbedingt sympathisch waren, berichtigen sie die Annahme nicht. Als sie sich wieder trennen, dankt Stubby den Mormonen für ihre Hilfe.
Auf dem weiteren Weg treffen die Vier auf Chaco (Tomás Milián), ein gesuchter Verbrecher, der sich ihnen wie selbstverständlich anschließt. Er ist schwer bewaffnet und ein guter Schütze. So versorgt er die Gruppe mit Essbarem, indem er Vögel vom Himmel schießt, die Burt, der hinter dem Wagen herlaufen muß, einsammeln soll.
Als Reiter hinter ihnen auftauchen, schießt Chaco diese von den Pferden. Zwei der drei Verfolger sind sofort tot, den dritten foltert Chaco, indem er ihm Haut aus dem Leib schneidet und schließlich dessen Sheriffstern – die Verfolger waren Männer des Gesetzes – in die Brust rammt. Stubby bittet Chaco, den Mann zu töten, ihn nicht leiden zu lassen.
Nachdem man abends gegessen hat, verabreicht Chaco seinen Begleitern Peyote, eine Droge. Während Bunny, Burt und Clem schlucken, was Chaco ihnen gibt, spuckt Stubby es wieder aus. Chaco, der sich den alkoholabhängigen Clem gefügig macht, indem er ihm Whiskey anbietet, fordert ihn auf, die anderen zu fesseln. Danach macht er sich über seine Opfer lustig, vergewaltigt Bunny und foltert Stubby mit Tritten. Dann lässt er die Vier in der Sonne zurück, verletzt aber Clem schwer, als dieser versucht, ihn daran zu hindern, den Wagen und die Pferde mitzunehmen.
Clem kann die anderen noch befreien, bevor er zusammenbricht. Stubby und Bunny kümmern sich um ihn und operieren die Kugel aus seinem Bein. Dann tragen Stubby und Burt den stark blutenden Clem auf einer Trage, die Burt gebaut hat, durch die Wüste.
Nach einigen Tagen taucht Chaco mit ein paar Kumpanen auf und sucht nach der Gruppe. Auch die Verbrecher haben nichts mehr zu essen. Stubby, unbewaffnet, ist entschlossen, sich diesmal zu wehren. Doch kurz bevor Chaco sie entdeckt, wird er gerufen. Seine Kumpane haben den Mormonentreck entdeckt. Als Stubby und die andern die Überreste des Trecks erreichen, müssen sie feststellen, daß die Mormonen alle tot sind. Frauen, Kinder, alte Männer – alle wurden von Chaco und seinen Begleitern grausam umgebracht.
Stubby und die anderen erreichen schließlich eine Geisterstadt. Stubby fängt, tötet und brät einige Mäuse, die er den andern zum Essen gibt. Zwischen ihm und Bunny kommt es zu Streitereien, weil sie es nicht mehr aushält, hungrig und ohne Aussicht darauf, daß sich ihre Lage bald bessert. Burt geht auf den Friedhof des Ortes und unterhält sich mit den Gräbern, wobei er den Eindruck erweckt, daß er sich mit den Toten selbst unterhalte. Clem wird immer schwächer, er fordert Bunny und Stubby auf, nach seinem Tod eine Stunde Liebe miteinander zu machen und das Leben zu feiern. Dann stirbt er.
Während sich Burt um die Leiche kümmert, legen sich Stubby und Bunny wie von Clem gefordert, zueinander ins Stroh. Als sie zurückkehren, hat Burt ein großes Stück Fleisch. Er habe ein Tier erlegt, behauptet er. Die drei essen sich satt. Erst am nächsten Tag, als er die Ställe durchsucht, findet Stubby die Leiche von Clem, aus der Fleischstücke herausgeschnitten wurden. Nun begreift er, daß Burt ihnen Teile von Clems Leiche zu essen gegeben hat.
Stubby und Bunny wollen weiterziehen, doch sie können Burt nicht finden. Sie stehen auf der Hauptstraße der Geisterstadt, rufen nach ihm, aber Burt zeigt sich nicht. Stubby erklärt Bunny, daß Burt vielleicht in seinem Wahn besser allein unter den Toten aufgehoben ist. So ziehen sie nun nur noch zu zweit weiter.
Bunny, nun hochschwanger, wird immer schwächer. Stubby muß sie stützen. Sie treffen auf eine Kutsche, die ein Priester lenkt. Es ist Pater Sullivan (Adolfo Lastretti), ein alter Bekannter von Stubby Preston. Er gibt den beiden zu essen und erzählt Bunny von gemeinsamen Erlebnissen, die ihn, den Reverend, schließlich von seiner Spielsucht kuriert hätten. Plötzlich bricht Bunny zusammen. Sie steht kurz vor der Niederkunft. Sullivan lädt sie in seinen Wagen und erklärt Stubby, sie müssten sie nach Altaville bringen, das sei die nächste Siedlung.
Dort angekommen, stellt sich heraus, daß Altaville, eine alte, hoch gelegene und eingeschneite Goldgräberstadt, ausschließlich von Männern bewohnt wird. Die wollen zunächst nichts mit den Neuankömmlingen zu tun haben. Doch Lemmy (Bruno Corazzari) zeigt sich doch menschlich und fordert den Arzt (Giorgio Trentini) auf, Bunny zu helfen. Während der sich daran macht, das Kind zur Welt zu bringen, schließen die Männer draußen jede Menge Wetten ab: Wird es ein Junge? Wie groß, wie schwer wird er sein? Einer will sogar wetten, wie groß Bunnys Vagina nach der Geburt sein wird. Doch als die rauen Kerle die Schreie der Frau hören, verstummen sie und werden ernsthaft. Und als endlich die Schreie des Kindes ertönen, brechen sie in Jubel aus.
Es ist ein gesunder und kräftiger Junge, den Bunny zur Welt gebracht hat. Doch Bunny selbst ist schwach und verliert ihre Lebenskraft. Sie sieht ihren Jungen und bittet Stubby, ihm ein guter Vater zu sein. Dann sucht sie seine Hand und flüstert ihm zu, daß sie ihn liebe. Stubby, der wie versteinert ist, reagiert nicht und nimmt auch nicht ihre Hand. Bunny stirbt.
Die Männer betrachten den neugeborenen Jungen bereits als Teil ihrer Gemeinschaft. Eine Geburt bedeutet Leben und bringt Sinn in das Dasein dieser teils sehr verbitterten Kerle. Sie defilieren an Bunnys Leiche vorbei und dann an der Krippe des Kindes, das sie alle berühren, als sei es ein Zeichen für eine andere, bessere Zukunft. Sie bitten Reverend Sullivan, das Kind zu taufen. Der erklärt, das ginge nur, wenn es einen Namen gäbe. So nennen sie das Kind Lucky.
Stubby lässt all dies geschehen. Dann übergibt er den Männern offiziell das Kind und bittet sie darum, sich gut um es zu kümmern. Die Männer – fast schon in Angst, der „Vater“ könne seine Anrechte einfordern – versprechen Stubby, daß Lucky es immer gut bei ihnen haben werde. Sie statten ihn mit einem Pferd, Waffen, Kleidung und einem Mantel aus und Stubby reitet davon.
Wieder in der Wüste, trifft er auf eine Hütte, vor der ein Wagen steht. Es ist der Wagen, mit dem er und die andern einst aus Salt Flat entkommen waren. Auch seine Tasche ist noch vorhanden: Seine Spielutensilien und sein Rasierzeug sind einsatzbereit. Stubby begreift, daß Chaco und seine Männer im angrenzenden Stall sind.
Er geht hinein und erschießt die Begleiter von Chaco. Der will auf Stubby schießen, woraufhin der ihm eine Kugel in den Arm verpasst. Dann beginnt Stubby, sich zu rasieren. Dabei erklärt er dem langsam auf ihn zu kriechenden Chaco, daß dieser ihn damals besser direkt getötet hätte. Chaco macht sich über Stubby lustig, weil er vor dessen Augen Bunny vergewaltigt habe. Stubby zerschneidet Chaco das Gesicht mit dem Rasiermesser. Dann erschießt er ihn. Langsam reitet er davon, nur begleitet von einem freilaufenden Hund.
Lucio Fulci gilt denen, die mit dem Namen überhaupt etwas anfangen können, als ein Großmeister des Splatterfilms, als einer jener Filmschaffenden, die in den goldenen Jahren des Subgenres – jenen zwischen 1978 und den mittleren 80ern – für einige der prägendsten Werke dieser Spielart des Horrorfilms verantwortlich zeichneten. Fulci, der seit 1959 selber Regie führte, nachdem er zuvor Drehbücher geschrieben und als Regie-Assistent gearbeitet hatte, war aber in vielerlei Genres zuhause. Unter anderem hat er auch drei Italowestern gedreht, deren mittlerer, I QUATTRO DELL´APOCALISSE (1975), als sein bester, sicherlich aber als der ungewöhnlichste gelten kann. Ungewöhnlich nicht nur im Werk des Regisseurs, sondern auch im Subgenre des Westerns italienischer Provenienz.
Entstanden in der Spätphase des Genres, kurz, bevor es versandete, zeigt der Film bereits viele jener Merkmale, die später so typisch für Fulcis harte Horrorfilme werden sollten. Zugleich ist dies jedoch ein Film, der mit ausgesprochen lyrischen Szenen und Momenten größter Zärtlichkeit aufwartet, was ihn nicht nur im Oeuvre seines Regisseurs, sondern auch im Italowestern generell ungewöhnlich macht. Fulci ist ein Fetischist des Konkreten, Er zeigt in seinen Filmen immer wieder Detailaufnahmen durchstochener Augen, verletzter Haut, bloßliegender Knochen. Dennoch – oder gerade deswegen? – haben seine Filme oftmals eine metaphysische Präsenz. Auch wenn sie in ihrer zeitlichen und räumlichen Verortung ebenfalls sehr konkret werden, wirken die Geschichten, die er erzählt, häufig allem Diesseitigen enthoben. Fulci gelingt eine Dialektik von Konkretem und Abstrakten, von schmerzhafter Eindeutigkeit und einer moralischen Ambivalenz, die seine Werke immer wieder besonders machen, manchmal unerträglich, manchmal aber auch von unheimlicher Schönheit, deren Eleganz sich gegen all den Ekel an der Welt, die den Regisseur auszeichnete, durchzusetzen versteht. Oft jeder herkömmlichen Handlung enthoben, episodenhart, wenn nicht gar rein szenisch aufbereitet, sind dies Filme unmittelbarer Gegenwärtigkeit. Figuren scheinen sich durch ein ahistorisches, zeitloses, immerwährendes Jetzt zu bewegen, was vor allem für die apokalyptischen Zombiefilme, die immer schon in einem profanen Jenseits spielen, von Bedeutung ist. Verweise auf ein Früher sind hier lediglich Markierungen zur Orientierung und zur Definition des herrschenden Zustands.
Auch hier, in I QUATTRO DELL`APOCALISSE, verweist der originale Titel auf Endzeit und das jüngste Gericht. Die Formulierung „I quattro dell`Apocalisse“ würde im Italienischen immer mit den „Vier Reitern der Apokalypse“ gleichgesetzt werden. Der Offenbarung des Johannes entnommen, charakterisieren sie Heimsuchungen durch Krieg, entfesselte Gewalt, Hunger und wirtschaftlichen Niedergang und schließlich den Tod durch Krankheit und Seuche. Es sind also mächtige Gestalten, deren erste – auf einem weißen Pferd reitend – gern auch positiv besetzt wurde, indem man in ihr die Wiederkunft des Messias, allerdings eines richtenden Messias, sehen wollte. Bei Fulci stehen die vier Figuren, um die sich der handlungsarme, episodische Film dreht, allerdings für Archetypen der Ausgestoßenen. Ein Spieler, Ein Narr, eine Hure und ein Trinker finden sich in einer Schicksalsgemeinschaft, die in der Literatur zum Film gern als „Familie“ bezeichnet wird. Und wirklich werden der Spieler und die schwangere Hure sich im Laufe der Handlung als Ehepaar ausgeben. Diese Menschen sind Verlierer, am äußersten Rand der Gesellschaft angesiedelt. Ihr Vorhandensein symbolisiert den Untergang also eher resignativ, denn bedrohlich – und so werden sie im Lauf der Geschichte auch Bedrohte, nicht Bedrohende.
Der Weg, den die Vier gehen, ist ein Passionsweg, der unweigerlich in den Tod führt. Diese Vorgabe erfüllt sich im Laufe des Films: Während der Trinker und die Hure schließlich das Zeitliche segnen, erleben der Narr und der Spieler den metaphorischen, symbolischen und sozialen Tod, wobei der Narr im Film – er hat Jahre als Totengräber gearbeitet und nennt die Toten seine Freunde – von Anfang als jemand charakterisiert wird, der auf der Grenze zwischen den Welten – oder zwischen Wahn und Wirklichkeit – wandelt. Fulci scheut sich nicht, seine Gabe, die Geister zu sehen und mit ihnen zu kommunizieren, filmisch zu unterstützen und als gegeben darzustellen. Als der Spieler und die Hure weiterziehen wollen, nachdem sie in einer Geisterstadt (sic!) den Trinker verloren haben, suchen sie den Narren. Dabei zeigt die Kamera sie von verschiedenen Standorten aus subjektive Perspektiven, beobachtende Point-of-View-Einstellungen, die durch die Nutzung der Handkamera leicht verwackelt und durch die sichtbar in das Bild integrierten Gegenstände, hinter denen die nie gezeigten Beobachter als sich Verbergende gekennzeichnet sind. Ohne daß wir begreifen, wo genau die Subjekte hinter diesen Einstellungen sich befinden, verstehen wir, daß es räumlich weit auseinanderliegende Standpunkte sind. So suggeriert Fulci hier, daß die Geister, die der Narr zu sehen behauptet, tatsächlich da sind.
Im Horrorfilm sind Einstellungen wie diese eine Norm, um eine für dem Betrachter, aber auch den Protagonisten, bislang nicht erkenntliche Gefahr zu markieren. Allerdings markieren sie im Horrorfilm eben fast immer eine Bedrohung, hier scheint sich etwas eher verbergen zu wollen, abzuwarten, bis die Eindringlinge – Spieler und Hure – sich entfernen und der Ort, der den Geistern gehört, wieder in seine Ruhe und Stille zurückfallen kann. Nur der Narr, der Freund und Kenner der Toten, ist hier willkommen.
Fulci bedient sich aber immer wieder auch anderer, eher dem Horrorfilm verwandter Mittel, die seinen Western außergewöhnlich machen. Die Eingangsszene, in der ein Mob „anständiger“ Bürger Spieler, Huren, Trinker und andere „verkommene Subjekte“ nicht nur aus der Stadt treiben, sondern gleich an Ort und Stelle meucheln, erinnert ebenfalls an einen Horrorfilm. Unter an den Ku-Klux-Klan gemahnenden Masken versteckt, tritt hier eine anonyme, bewaffnete Macht auf, die wie ein Jüngstes Gericht über die Sündhaften kommt. Am folgenden Tag zeigt uns die Kamera das Ergebnis dieser Raserei: Die Stadt ist mit Leichen gesät, Dahingemeuchelte liegen in den Straßen, hängen von Veranden und Balkonen herab, weisen fürchterliche Wunden und Verletzungen auf.
Fulci markiert hier aber auch auf inhaltlicher Ebene den Ausgangspunkt seines Films: Die Gesellschaft, in der sich diese Figuren bewegen, scheint schon eine endzeitliche zu sein. Die „anständigen“ Bürger nehmen das Gesetz in die eigene Hand und sind in ihrem Furor fürchterlicher, als es jeder Desperado sein könnte. Die Gesetze verkehren sich, die Gesellschaft ist ver-rückt. Die Anständigen haben sich gegen die aus ihrer Sicht Unanständigen verschworen und gezeigt, wie schnell Bürgerlichkeit in reine Aggression, wie schnell Zivilisation in Barbarei umschlagen kann. Zeichen des Untergangs? Ja. Aber auch Zeichen einer dekadenten, sich selbst entfremdeten Gesellschaft.
Der Sheriff schließt sich in seinem Büro ein, lässt sich vom Spieler dafür bezahlen, seine Gefangenen dem Mob nicht ausgeliefert zu haben und schickt die Vier dann in die Wüste. Dort begegnet dem kleinen Trupp der von Tomás Milián gespielte Chaco, der der Leibhaftige selbst zu sein scheint. Er foltert und vergewaltigt offenbar nur zu seiner persönlichen Belustigung, Wenn der Spieler ihn am Ende des Films richtet, kann dies als ein messianischer Akt gesehen werden: Christus besiegt den Satan. Christlich-religiöse Symbolik durchzieht den Film an allen Ecken und Enden. Die Geburt eines Kindes, nicht in der Wüste, sondern in einer verschneiten Einöde, ein Kind, dessen Vater niemand kennt, auch nicht der, den alle für den Vater halten. Die Geburt in Schmerz, der Tod der Mutter in einer Corona aus Licht – Fulci scheut hier nicht die ganz dick aufgetragenen Hinweise.
Auffallend ist, daß es Fulci gelingt, den gesamten Film hindurch mit einer endzeitlichen, bedrohlichen und bedrückenden Atmosphäre auszustatten, dennoch aber immer wieder hoffnungsvolle Ausblicke zu bieten. Sowohl die Vier untereinander, als auch einige derer, die sie unterwegs treffen, zeigen erstaunlich humane Züge, vor allem für einen Italowestern. I QUATTRO DELL`APOCALISSE ist eben nicht zynisch, wie so viele seines Fachs, sondern zeigt die Behauptung der Menschlichkeit in einer unmenschlichen, feindlichen Umwelt. Ganz besonders tritt dies in jener Episode hervor, in der der Spieler, die Hure und der Priester, der sich der beiden annimmt, in eine Stadt einreiten, in der ausschließlich Männer leben. Diese nehmen sich der kurz vor der Niederkunft stehenden Frau an, bringen das Kind zur Welt, zeigen Anteilnahme am Tod der Mutter und finden sich bereit, das Kind an ihrer Statt anzunehmen und sich darum zu kümmern. Besonders auffällig ist, daß diese Episode massiv der Kritik widerspricht, der Film stecke voller Klischees. Genau diese bedient Fulci hier eben nicht. Im Gegenteil. Er zeigt scheinbar „harte Kerle“ als weich, mitmenschlich, empathisch und damit exakt als das Gegenteil dessen, was sie sonst in Italowestern darstellen. Hier interessiert sich niemand dafür, die Frau zu vergewaltigen, den Spieler zu morden, die Schwachen auszunutzen oder zu demütigen. Bestens könnte man Fulci vorwerfen, im Verzicht auf das im Italowestern übliche Männerbild auf allzu deutliche – wie oben erwähnt – christliche Symbolik und die darin enthaltenen Klischees zurückzugreifen.
Wenn überhaupt, dann ist Fulci zynisch in der Darstellung von Minderheiten, ohne dies wahrscheinlich zu wollen. Sowohl der Narr, der ein Schwarzer ist, als auch Chaco werden auf fast rassistische Art und Weise gezeichnet. Der Narr redet scheinbar wirr, er ist verrückt. Zugleich sehen wir ihn öfters „niedere“ Arbeiten erledigen: Er rennt hinter der Kutsche her, von der aus Chaco die Tauben erschießt, und sammelt diese ein, er ist derjenige, der dem Spieler und der Hure nach des Trinkers Tod dessen Fleisch zu essen gibt und sie damit ungewollt zu Kannibalen macht – auch dies übrigens ein Verweis nicht nur auf den Horrorfilm generell, sondern spezifisch auf Fulcis Zombiefilme, die folgen sollten. Man kann Fulci in der Darstellung des schwarzen Narren also rassistische Motive unterstellen, man kann aber auch zu dem Schluß kommen, daß Fulci – als historischen Verweis – die Situation der Schwarzen in den USA nach dem Bürgerkrieg sehr genau erfasst, reflektiert und metaphorisch verarbeitet. Die Sklaverei als Sündenfall einer ganzen Gesellschaft, die damit so oder so verdammt ist. Die Opfer dieses Sündenfalls können nach dieser Auslegung gar nicht anders, als verrückt zu werden, dem Wahn verfallen, bedenkt man, was ihnen angetan wurde. Zugleich verfügen sie über tiefere Einsichten, andere Fähigkeiten. Hier wäre das der Kontakt mit den Toten, den der Film ja in Anbetracht der weiter oben geschilderten Kameraeinstellungen ernst nimmt. So gesehen wäre Fulcis Darstellung des Schwarzen eben nicht rassistisch, sondern sie würde eine rassistische Haltung indirekt ausstellen – und denunzieren.
Komplizierter ist die Darstellung Chacos. Offenbar ein Mexikaner, ist er gekleidet wie ein zur Entstehungszeit des Films noch zeitgenössischer Hippie, wobei sich deren Kleidung allerdings oft an indianischer orientierte. So entsteht ein Dreiklang aus Mexikaner – Indianer – Hippie. Diese Lesart wird dadurch unterstützt, daß Chaco seinen Opfern – dem Spieler, der Hure, dem Narren und dem Trinker – Peyote verabreicht, also eine halluzinogene Droge. Chaco ist aber im Kontext des Films der Teufel. So stellt Fulci eine sehr konservative Sicht zur Schau, die zumindest an rassistischen Motiven entlang schrammt. Und auch in dieser Lesart des Fremden als teuflisch, drückt sich erneut ein christliches Motiv aus. Satan als Versucher, Verführer und Vernichter in einem. Chaco taucht genau im richtigen Moment auf – die vier Flüchtigen drohen Hungers zu sterben, Chaco sorgt mit seinen Waffen für Essen. Ebenso verteidigt er sie, als sie angegriffen werden. Er tötet die vermeintlichen Angreifer, die sich dann aber als Männer des Gesetzes entpuppen. Schließlich foltert er den sterbenden Sheriff, womit seine teuflische Natur offenbar wird. Diese Szene dürfte dazu beigetragen haben, daß Fulcis Film in Deutschland lange indiziert war und nur in einer massiv gekürzten Einstellung gezeigt werden durfte.
Anhand der Figur des Chaco kann man allerdings auch feststellen, daß I QUATTRO DELL`APOCALISSE mit dem amerikanischen Spätwestern im Sinne Sam Peckinpahs korrespondiert[1]. Mehrfach zitiert der Film Einstellungen und auch atmosphärische Details aus PAT GARRETT AND BILLY THE KID (1973), der eine sehr bewusste Gleichsetzung der Outlaws um Billy mit den Hippies vornimmt, dies neben äußerlichen Merkmalen vor allem dadurch unterstützt, daß er Bob Dylans Musik als Soundtrack nutzt und diese Ikone der Gegenkultur auch im Film eine Rolle spielen lässt. Ebenso nutzt auch Fulci die Musik in seinem Film. Unterlegt wird der Soundtrack von einigen Songs, die immer wieder anklingen, wie thematische Begleitung einzelner Figuren wirken und in ihrer Melancholie amerikanischen Folksongs entsprechen[2]. Sie unterstützen auch die Endzeitstimmung des Films, der – darin eben ähnlich den Spätwestern amerikanischer Prägung – eine Gesellschaft ausstellt, die sich langsam auflöst. Allerdings, darin anders als die amerikanischen Verwandten, hat diese Auflösung hier keinen historischen Kontext, sondern einen religiösen. Während Filmemacher wie Peckinpah einen historisch konnotierten Wandel beschreiben, der den Übergang in zivilisierte Gesellschaften markierte, in denen Männer wie bspw. Billy the Kid sie darstellt – Outlaws, Freiheitsliebende – nicht mehr gebraucht und also nicht mehr geduldet werden, wirkt das unwirtliche Land, das die vier Hauptfiguren bei Fulci durchstreifen, wirken die Begegnungen, die sie hier haben, wie eine Welt und eine Gesellschaft vor ihrem apokalyptischen Untergang. Danach kann nichts mehr kommen, danach haben wir es mit dem Jüngsten Tag zu tun, an dem sich entscheiden wird, ob wir verdammt zur Hölle sind – oder ins Himmelreich aufgenommen werden.
Entgegen der Annahme, die der deutsche, aber auch der Originaltitel suggerieren, hält Fulci sich und dem Publikum alle Möglichkeiten offen. Die Geburt eines Kindes ist auch immer ein Zeichen der Hoffnung. Daß Chaco durch sein ehemaliges Opfer getötet und damit die Ordnung wiederhergestellt wird, lässt ebenfalls für die Zukunft hoffen. Darauf, daß es Gerechtigkeit noch gibt und weiterhin geben kann. Der Film ist zudem voller zärtlicher, lyrischer Momente, in denen Menschen sich umeinander kümmern, sich ihrer Freundschaft versichern, Empathie für den Schmerz und das Leid anderer aufbringen. So hat man es hier eben auch mit einer allegorischen Erlösungsgeschichte zu tun.
Für einen Western bietet Lucio Fulci eine Menge ungewöhnlicher Momente, Ereignisse und Figuren auf. Dadurch wirkt I QUATTRO DELL`APOCALISSE auch weniger typisch, als die anderen Westernwerke des Regisseurs, die sich viel enger an genreübliche Thematiken – in beiden Fällen sind es Rachegeschichten – halten. Dieser Film wurde allzu lange als schlicht brutal denunziert, daß er stark gekürzt wurde, mag sein Übriges dazu getan haben, obwohl die Kürzungen hauptsächlich nicht einmal die gewalttätigen Stellen betrafen. Vielmehr schnitt man einige der Dialogszenen, die tiefere Einblicke in das komplizierte, eben untypische und aufgrund dessen vielleicht auch schwieriger vermarktbare Figurenkonzept boten. Dabei sticht der Film qualitativ wirklich aus der Dutzendware der Italowestern heraus. Zu seiner ungewöhnlichen Thematik kommen formal erstaunlich gute Schauspieler, ein wirklich hervorragender Soundtrack und die Kameraarbeit von Sergio Salvati, dem eindringliche Bilder der Wüste gelingen.
Fulcis Filme mögen incht jedermanns Sache sein, vor allem trifft dies auf seine späten Horrorfilme zu. Doch I QUATTRO DELL`APOCALISSE sollte zumindest jedem Westernliebhaber einen zweiten Blick wert sein. Es gibt hier einen der besten Italowestern zu entdecken, ein großartiges Filmerlebnis, sensibel, schwankend zwischen Gewalt und leidenschaftlicher Menschlichkeit, ein Plädoyer für Humanismus und ein Ausweis dafür, daß Fulci, worunter er zeitlebens litt, ein gnadenlos unterschätzter Filmemacher war.
[1] Darüber hinaus werden aber auch deutlich C´ERA UNA VOLTA IL WEST (1968) und IL GRANDE SILENZIO (1968) zitiert, sowie Bilder einer ganzen Reihe klassischer amerikanischer Western evoziert.
[2] Ein weiterer Hinwies auf diese Korrespondenz ist die Besetzung Clems mit Michael J. Pollard, der in einem der weniger bekannten Spätwestern amerikanischer Prägung spielte, DIRTY LITTLE BILLY (1972). Ein Film, der seinerseits stark durch den Italowestern beeinflusst war.