WAS HEISST HIER „WIR“? ZUR RHETORIK DER PARLAMENTARISCHEN RECHTEN
Eine sehr genaue Untersuchung rechten Sprechens
Auf schmalen 50 Seiten – ursprünglich eine Rede, hier in einer erweiterten und überarbeiteten Textfassung – wagt der Literaturwissenschaftler, Publizist und Lyriker Heinrich Detering in seinem Band WAS HEISST HIER „WIR“? ZUR RHETORIK DER PARLAMENTARISCHEN RECHTEN (2020) den Versuch, genau das zu tun, was von den Vertretern der Rechtsaußen-Partei AfD ununterbrochen gefordert wird: Er nimmt sie sehr, sehr ernst. Er nimmt sie so ernst, dass er ausgewählte, mittlerweile allgemein bekannte Aussagen verschiedener Politiker dieser Partei – darunter Alexander Gauland und Björn Höcke – einem regelrechten Close Reading unterzieht. Was dabei herauskommt, ist wenig schmeichelhaft für die Untersuchten, umso mehr allerdings Bestätigung dessen, was immer mehr Menschen in diesem Land befürchten: Dass diese Partei eine wirkliche Bedrohung für die Demokratie, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt.
Nun sind seit der Erstveröffentlichung dieser klugen Untersuchung bereits wieder nahezu fünf Jahre ins Land gezogen, mittlerweile kennen wir noch ganz andere Aussagen verschiedener Akteure des rechten Rands, die AfD ist seit der Neuwahl vom Februar 2025 die zweitstärkste Partei im Deutschen Bundestag, sie hat ihre Fraktionsstärke nahezu verdoppelt gegenüber 2021. Was also, könnte man sich fragen, hat uns ein solches Bändchen noch zu sagen, was wir nicht bereits wüssten?
Die Antwort kann durchaus lauten: Wenig. Wenig, weil, wer sich mit dem Sujet beschäftigt, so oder so schon weiß, was Detering uns mitzuteilen hat. Mag sein. Die Antwort könnte aber genauso gut lauten: Sehr, sehr viel. Sehr viel, weil Detering sich die Mühe macht, Aussagen wie jene, diese „verdammten zwölf Jahre“, „Hitler und die Nazis“ seien lediglich „ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, ganz genau zu untersuchen. Und gerade anhand dieses Beispiels auf ungemein gebildete Art und Weise (übrigens ist das Buch auch deshalb ein ungeheurer Genuss, weil hier einer schreibt, der sehr genau weiß und versteht, womit er es zu tun hat) die Schwachstellen in dem, was Gauland wahrscheinlich „Argumentation“ nennen würde, aufzeigt; darüber hinaus vor allem aber aufzeigen kann, mit welcher Perfidie jemand wie Gauland – immerhin ein nach eigenem Dafürhalten intellektuell gebildeter, belesener ehemaliger CDU-Politiker – hier Tatsachen verdreht und vor allem äußerst geschickt Variablen verschiebt. Denn, so lernen wir, das eigentlich Verdammenswerte an den Nazis, bleibt man im Kontext von Gaulands Gesamtaussage, ist nicht der Holocaust, sondern ihre Erfolglosigkeit (S. 36).
Ähnlich verfährt Detering mit der mittlerweile berühmt-berüchtigten Dresdner Rede von Björn Höcke. Jener Rede, in der dieser das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und dabei, ebenfalls rhetorisch geschickt, mit der Doppeldeutigkeit des Genitivs – des genitivus obiectivus („Denkmal erinnert an die Schande) und genitivus explicativus („Denkmal ist schändlich“) – gespielt hatte (S.27). Viel mehr aber nimmt Detering jene Teile der Rede unter die Lupe, die den aufmerksamen Hörern schon damals viel eher aufgestoßen sein dürften: Er untersucht, überaus genau auf Syntax und Semantik achtend, was Höcke da eigentlich für ein Bild der Deutschen verbreitet, wenn er behauptet, dass die nach 1945 begonnene „systematische Umerziehung“, die den Deutschen durch die Alliierten angeblich widerfuhr, dem „deutschen Volk“ (was auch immer das im Einzelnen ist) die „kollektive Identität“ geraubt habe? Das „Verbrechen“ an den Deutschen ist also der Bruch, der NACH 1945, also nach dem Ende des Nazi-Regimes, vollzogen wurde. So wird dem oder den Deutschen also eine Art intrinsische Ablehnung der Demokratie unterstellt.
Nebenbei – und genau dafür ist ein Close Reading so sinnvoll – kann Detering nachweisen, was und wen Leute wie Höcke, Gauland, aber auch Alice Weidel, Beatrix von Storch und viele, viele andere Vertreter dieser Partei eigentlich meinen, wenn sie vom „Volk“ sprechen. Von jenem Volk, das sie angeblich zurückerobern und gewinnen wollen. Gerade anhand Höckes Rhetorik während der Dresdner Rede kann sein Führungsanspruch, um nicht zu sagen: Sein Führeranspruch, bestens nachgewiesen werden. Immer wieder ist es einerseits die genaue Betrachtung der grammatikalischen Spitzfindigkeiten, derer sich diese Politiker bedienen, um aus einem „Ich“ schnell ein „Wir“ zu basteln – und vice versa – oder aber ganze Menschengruppen durch unzulässige Gleichsetzungen in Haft zu nehmen, bspw. für die Verbrechen einzelner. Dass Detering dabei den Blick nicht nur auf die Inhalte, nicht nur auf die rhetorischen Mittel, sondern – gerade in den öffentlich, teils im Bundestag gehaltenen Reden der Protagonisten – auch auf den Gestus, die Haltung richtet, die dabei eingenommen werden, macht diese Betrachtungen, Analysen und Untersuchungen umso wertvoller.
Sicher, wir sind weiter, das Tagesgeschehen eilt voran, wir werden von der sich in immer schnellerer Umdrehung befindlichen Aktualität getrieben – dennoch kann es nicht schaden, sich von Zeit zu Zeit zurückzulehnen und genau solche Texte wie diesen zu lesen. Denn sie schärfen, auch in der Wiederholung, das eigene Bewusstsein dafür, womit man es hier eigentlich zu tun hat. Und sie lehren sich eben nicht treiben zu lassen, sondern das eigene Tempo zur Maxime zu machen. Genau zu sein, genau hinzuschauen, und sich die Zeit zu nehmen, die es braucht, um all den Ungeheuerlichkeiten auf den Grund zu gehen, welche uns von diesen „Politikern“, die im Grunde Anhänger einer äußerst gefährlichen Sekte sind, wieder und wieder geboten werden. In Zukunft eher mehr, denn weniger.