DER HEXENJÄGER/WITCHFINDER GENERAL
Michael Reeves begründet das Subgenre des "Hexenfilms"
England, 1645. Der Bürgerkrieg tobt, Cromwells Puritaner bekämpfen als Parlamentsarmee die Truppen König Karls I. Die Lage ist unübersichtlich. Der „Roundhead“ – wie die Soldaten Cromwells genannt werden – Richard Marshall (Ian Ogilvy) darf nach einer Heldentat auf dem Schlachtfeld seine Braut, Sarah Lowes (Hilary Heath), in Suffolk besuchen. Deren Vater John (Rupert Davies), ein katholischer Priester, gibt seinen Segen für die Hochzeit, bittet Richard aber, Sarah nach der Trauung umgehend weit weg zu bringen, er befürchtet Übergriffe gegen einen „Papisten“ wie ihn. Richard verspricht es, muß aber zunächst zu seiner Einheit zurückkehren. Während seiner Abwesenheit zieht ein vollkommen anderes Unheil auf, als John Lowe es erwartet hatte: Der Hexenjäger Matthew Hopkins (Vincent Price) und sein Gehilfe John Steame (Robert Russell) treiben ihr Unwesen in der Gegend. Sie tragen in eine bereits verunsicherte und teils ausgehungerte Bevölkerung das Gift des Hexenwahns, dem etliche Männer und Frauen überall in Ostengland bereits zum Opfer gefallen sind. Hopkins, der für jede „erkannte“ und hingerichtete Hexe eine Art Kopfgeld erhält, ist natürlich daran interessiert, sein Geschäft möglichst lukrativ zu betreiben. Steame, der Mann fürs Grobe, ist für die Geständnisse verantwortlich. Auch Lowe gerät in den Fokus von Hopkins. Sarah bietet sich dem „Witchfinder General“, wie der offizielle Titel lautet, den Hopkins bald trägt, an, um ihren Vater vor der Folter und dem Galgen zu retten. Steame, der von seinem Herrn wenig Freundlichkeit erfährt, vergewaltigt Sarah in Hopkins´ Abwesenheit. Dieser verliert dadurch das Interesse an dem Mädchen und lässt John Lowe und zwei Mitangeklagte zunächst der Folter unterziehen und schließlich aufhängen. Richard, der mit dem Sonderauftrag unterwegs ist, den flüchtigen König an der Küste abzufangen, erfährt durch Zufall, was sich daheim in Suffolk zugetragen hat. Er nutzt seine Freiheiten und reitet los, um Sarah zur Hilfe zu eilen und ihren Vater zu rächen. Er bekommt Steame zu fassen, doch bevor er ihn töten kann, kann der entkommen und Hopkins warnen, der gerade in der Stadt Lavendel eine Hexenverbrennung durchführt. Sarah und Richard begehen in Lowes Kirche eine heidnische Hochzeitszeremonie, um ihren Bund zu besiegeln. Dann nehmen sie die Verfolgung des Hexenjägers auf. Hopkins und Steame stellen Sarah und Richard eine Falle, nehmen beide gefangen und klagen sie der Hexerei an. Keiner der beiden gesteht, doch kann Richard sich schließlich befreien und schlägt mit einer Axt auf Hopkins ein, nachdem er Steame geblendet hat. Der sterbende Hopkins wird durch den gezielten Schuß eines Kameraden von Richard erlöst, Richard verliert vollkommen die Kontrolle über sich und brüllt seinen Freund an, der habe ihm seine verdiente Rache genommen. Sarah, an einen Tisch gefesselt, schwer verletzt und dem Wahnsinn nah, bricht in nicht enden wollende Schreie aus.
Kaum ein Genre ist im Laufe seiner Entwicklung und Geschichte derart verzweigt, wie das des Horrorfilms. Vom klassischen „phantastischen Film“, der uns Monster und Halbwesen präsentierte, über die verrückten Killer und Serienmörder, die Zombies, den Cross-Over mit der ‚Science Fiction‘ bis hin zu Subgenres, die sich eher formal – bspw. durch die explizite Darstellung von Gewalt im sogenannten Splatterfilm oder den sogenannten ‚Body Horror‘, der ebenfalls den Körper in Verwandlung thematisierte – definieren als durch inhaltliche Abwandlungen, hat der Horrorfilm nahezu alle nur denkbaren Ängste, Abgründe und Abarten der menschlichen Spezies verhandelt. Da stellt der sogenannte „Hexenfilm“ einen eher peripheren Bereich dar, der für viele einschlägige Filmemacher vor allem deshalb interessant war, weil er die Darstellung von Sadismus, oft mit sexueller Konnotation, zuließ. Im Laufe der Entwicklung dieses Typs von Horrorfilmen wurde genau diese Kombination zu einem Topos und vom Publikum geradezu erwartet. Die Welle der „Hexenfilme“ setzte Ende der 60er Jahre ein und ebbte nach fünf, sechs Jahren bereits wieder ab. Zu billig die meisten der Produkte, zu exploitativ und zu wenig aussagekräftig über ihre reinen, kühl berechneten, Schauwerte hinaus. Das Publikum, das Horrorfilme goutiert, ernsthaft goutiert, ist entgegen aller landläufigen Annahmen aber eher ein intellektuelles, denn ein rein tumbes, dem billigen Affekt frönendes. Man darf es nicht unterschätzen oder gar glauben, man könne ihm etwas vormachen. Nirgends fällt Könnerschaft so auf wie im Horrorfilm (weshalb viele große Regisseure nicht umsonst in diesem Metier reüssiert haben), aber zugleich kann man sich selten so lächerlich machen wie im Horrorfilm. Die besseren Vertreter des „Hexenfilms“ hingegen weisen weit über ihre reinen Schauwerte hinaus, dafür steht Michael Reeves WITCHFINDER GENERAL (1968), oder aber – wie es Lucio Fulci in NON SI SEVIZIA UN PAPERINO (1972) durchexerziert – sie meditieren über die Gewalt, die menschlicher Furor entfachen kann.
In beiden Fällen ist die Frage erlaubt, ob man es wirklich mit Horrorfilmen zu tun hat. Seinerzeit wurden sie sicherlich aufgrund der Darstellung von Gewalt und der vordergründigen Lust an Folter, Sadismus und Schmerz dem Genre zugeschlagen, zudem kam im Falle von Reeves Film hinzu, daß sein von ihm ungewollter Hauptdarsteller Vincent Price eine schon damals fest installierte Ikone des Horrorfilms war. Umso erstaunlicher, wie es Reeves gelang, Price zu einer brillanten Leistung zu animieren. Heute sind die Grausamkeiten, die WITCHFINDER GENERAL auch in der in Deutschland erst seit Kurzem zugänglichen ungekürzten Fassung ausstellt kaum mehr der Rede wert, jeder TV-Historienfilm über ROM oder die BOCCHIAS geht da weiter. Auch bietet Reeves eher zurückhaltende Regie – die sich neben Momenten hektisch wackelnder Handkamerabilder auf aussagekräftige Tableaus der südwestenglischen Landschaft, auf Momente voller Ruhe, fast der Komplentation verlässt – wenig Anlaß, den Film zwingend als Horrorfilm zu betrachten. Ein historischer Film, der sich die Verrohung des Menschen in rohen, grausamen Zeiten zum Thema nimmt, vielleicht einem Werk wie Patrice Chéreaus LA REINE MARGOT (1994) näher als jedem seiner Genreverwandten? Dagegen spräche, daß Reeves wenige filmische Spuren zuvor nahezu ausnahmslos im Gruselfach zu finden sind.
WITCHFINDER GENERAL wirkt seltsam distanziert, dem Geschehen gegenüber indifferent, fast teilnahmslos. Das lässt ihn allerdings umso grässlicher wirken. Wir sind gezwungen, der Willkür, dem Unrecht, den Vergewaltigungen und Folterungen mit derselben Indifferenz zuzuschauen und zu ertragen, mit welcher Willkür Macht sich entfalten kann, wenn es keine herrschende Ordnung mehr gibt, die in der Lage ist, das Recht durchzusetzen. Allerdings wirft der Film dann zugleich die Frage auf, was Recht eigentlich ist, denn Matthew Hopkins, der titelgebende Hexenjäger, lässt keinen Zweifel aufkommen, daß er das Recht, das Gesetz, repräsentiert. Was die Lage der ihm Ausgelieferten umso schrecklicher Macht. Der dem Film zugrunde liegende Roman nutzt das historische England und seine unsichere politische Lage im Bürgerkrieg Mitte des 17. Jahrhunderts, doch ist die Figur des authentischen Hopkins dramaturgisch so verfremdet, daß er gut als Studie eines faschistischen Charakters eignet. Machtwille und die Lust an der Unterdrückung anderer können sich in Zeiten wie diesen und dem entsprechenden Charakter perfekt ausbreiten und durchsetzen.
Der Film versteht es zudem, die Handlung zwar zeitlich wie geographisch zu benennen, im Grunde aber in ein Niemandsland zu verlegen, das fast hermetisch wirkt. Dazu trägt der Verzicht auf Massenszenen (die sicherlich auch nicht dem Budget des Films entsprochen hätten) bei. Die Situation um Lowe und die verächtlich „Papisten“ titulierten Katholiken unter Cromwell wird stark genug vereinfacht, um eine sehr allgemeine Aussage über politische Willkür, über Machtmißbrauch und die daraus entstehende Gewaltspirale zu treffen. Zudem versteckt sich in der Hochzeitszeremonie, die Sarah und Richard selbstaneignend vollziehen, durchaus ein Hauch Religionskritik; zumindest Kritik daran, was geschieht, wenn in ihrem Namen getötet wird. Und in den grässlichen Szenen, in denen es dann zu Hinrichtungen kommt, scheut sich Reeves auch nicht, die Dörfler, die Bauern und Mägde als stumpfsinnigen Mob zu zeigen, der für eine unterhaltsame Bereicherung des Alltags auch bereit ist, Menschen zu opfern. Sehr realistisch muten sie an, diese Momente im Film, da Menschen, auch Frauen und Kinder, ebenso abgestoßen wie fasziniert baumelnde Leichen oder brennende Kadaver von Menschen anglotzen, die zu Hexen erklärt wurden. Ein verrohtes Volk, das Michael Reeves da zeichnet. Mag das Ende des Films vielleicht in Ermangelung eines schlüssigeren Ausgangs entstanden sein, Sarahs nicht enden wollende Schreie drücken den ganzen Wahnsinn über das aus, was im Namen Gottes der Mensch seinesgleichen antut.
Die Berichte über die Auseinandersetzungen zwischen Reeves und Price am Set sind Legende. Reeves soll angeblich Donald Pleasence in der Rolle des Hexenjägers bevorzugt haben und mit dem ihm von der amerikanischen Seite der Produktion aufgezwungenen Vincent Price sehr unglücklich gewesen sein. Er ignorierte Price während des gesamten Drehs, gab ihm knappe Regieanweisungen und ließ ihn ansonsten abblitzen. Die Angst, daß mit Price die unterschwellige Ironie der von ihm geprägten Edgar-Allen-Poe-Verfilmungen durch Roger Corman in seinen Film einziehen könnte, ist verständlich, das Ergebnis allerdings ist dann wirklich vollkommen frei von Price´ üblicher spöttelnden Arroganz, die fast alle seine Figuren auszeichnet. Graugesichtig passt Price sich kalt und brutal der Ernsthaftigkeit des Films an. Es gibt Sätze, die in einem Poe-Film Lacher hervorgerufen hätten, bspw. wenn er seinem Assistenten entgegenschleudert, jedes Leben bedeute ihm viel, vor allem das eigene, doch hier wirkt eine solche Dialogzeile nur noch bedrohlich, haben wir doch allzu genau betrachten müssen, was seine Lust an der Qual anderer für Folgen zeitigt. Sowohl zu Beginn des Films als auch, wenn Sarahs Vater und zwei mitangeklagte Frauen der Inquisition unterzogen werden, geht der Film sehr weit und scheut nicht davor zurück, dem Zuschauer einiges zuzumuten. Diese Momente grenzen dann eben doch auch ans Exploitationkino, das sich Ende der 1960er Jahre gerade durchzusetzen begann. Da der Film für den kontinentaleuropäischen Markt zudem mit expliziten Nacktszenen aufgepeppt wurde, kann man Reeves Vorbehalte gegen einen zumindest ausgesprochen renommierten Schauspieler wie Vincent Price nur bedingt verstehen, war er ansonsten doch offenbar einschlägigen Marketingkonzepten gegenüber aufgeschlossen.
Wie dem auch sei, WITCHFINDER GENERAL markiert den Beginn einer Welle harter „Hexenfilme“ als Subgenre des Horrorfilms, vielleicht allerdings stellt er neben Fulcis Film auch schon den Höhepunkt dar. Darüber wäre zu streiten. Zugleich markieren die Jahr 1968, 1969, 1970 durchaus eine Wegscheide, denn in diesen Jahren begann das Genre aufzusplittern. Der amerikanische Independent-Horrorfilm und auch südeuropäische Produktionen, wurden zusehends härter und mündeten spätestens zum Ende der Dekade in den harten Splatterfilm, dem George A. Romero bereits 1968 mit NIGHT OF THE LIIVING DEAD (1968) den Weg gewiesen hatte. Der britische Horrorfilm schlug eine etwas andere Richtung ein, obwohl auch er durchaus harte Filme hervorbrachte. Doch ähnlich wie Robin Hardys einige Jahre später entstandene THE WICKER MAN (1973), lebt auch Reeves Film von einem spezifischen Kontrast: In manchmal pastellartig blass anmutenden Farben verliert sich Reeves in träumerischen Bildern englischer Landansichten, die etwas Verschleiertes, etwas Surreales über den Film legen. Die Schönheit des herbstlichen Suffolk bildet den Hintergrund für all die Grausamkeiten, die der Film bietet. Hardys Film nutzt diesen Kontrast ähnlich. Was beiden Filmen ebenfalls innewohnt ist die Angst vor dem Mob. Es wäre interessant zu untersuchen, ob sich der Horror im europäischen Film von dem im amerikanischen nicht darin unterscheidet, daß es in Europa eher Massen sind, von denen Bedrohlichkeit ausgeht, während der amerikanische Horrorfilm meist die Macht eines überstarken Individuums fürchtet.
WITCHFINDER GENERAL ist ein wunderbares Beispiel grimmigen britischen Kinos, das einen vollkommen eigenständigen Beitrag zur Ausarbeitung europäischen Schreckens leistet. Und der düstere Film, der doch vor allem am hellichten Tage spielt, kann auch heute noch ausgezeichnet Schrecken erzeugen.