BILLY SUMMERS

Stephen King bietet Einblicke in seine Schreibwerkstatt...und vertritt eine seltsame Moral

Wer weiß, vielleicht liest man einige Autoren auch nur deshalb noch, weil man sich ihnen aus alter Anhänglichkeit verbunden fühlt. Wer in den späten 70er und den 80er Jahren aufwuchs und sich literarisch für das Horror-Genre interessierte, der konnte kaum an Stephen King vorbei. Man las CARRIE (Dt. 1977) und BRENNEN MUSS SALEM (1989) und natürlich SHINING (1977) und schwänzte die Schule, um unbedingt eines der ersten Exemplare von ES (1986) zu ergattern. King war, neben Peter Straub oder Dean Koontz, der führende Vertreter des Genres und lieferte (meistens) das Erwünschte. Irgendwann ließen die Gewaltorgien nach, wurden die Geschichten versöhnlicher, die Themen vielfältiger. King wollte sichtlich als „ernsthafter“ Schriftsteller gesehen werden, nicht nur als Verfasser von Unheimlichem und Anstößigem. Ein Umstand übrigens, der recht tief in sein Seelenleben und sein eigenes Beurteilungsraster blicken lässt. In den vergangenen Jahren begann er schließlich Kriminalgeschichten zu schreiben, deren übernatürlicher Gehalt nur noch im Promillebereich zu messen war.

2021 erschien BILLY SUMMERS (2021) und die Kritik war begeistert. Ähnliches hatte der Meister zuvor selten erlebt. Als ATLANTIS (1999) erschien und später bei seinem Roman LOVE (2006) hatte es das gegeben, auf einmal galt King als renommiert und hier und da machten sich Stimmen bemerkbar, die dem Vielschreiber sogar den Literaturnobelpreis zuschanzen wollten. Vielleicht etwas zu viel der Ehre, schließlich ist das kein Fleißpreis. Nun, mit der Story über einen Mietkiller, der in Trumps Amerika darauf wartet, seinen letzten Auftrag zu erledigen, bald begreift, daß auch er erledigt werden soll und dann in einer unerwarteten Wendung der Handlung plötzlich zum Retter einer jungen Frau namens Alice wird, die Opfer eines Mehrfachvergewaltigung wurde, ließ sich die Kritik erneut zu Jubelstürmen hinreißen. Der Roman wurde als Kommentar auf eben jene gespaltene Gesellschaft gelesen, die einen Präsidenten wie Donald Trump möglich gemacht hatte, angeblich habe der Liberale Stephen King dem Reaktionär Trump und seinen Anhängern ordentlich die Meinung gegeigt. Kann man so sehen, muß man aber nicht.

Tatsächlich – um mit diesem Verdikt aufzuräumen, das im Handlungsverlauf letztlich überhaupt keine Rolle spielt – kommentieren der titelgebende Billy Summers und seine Bekannten hier und da die aktuelle Politik, allerdings sind es auf den über 700 Seiten, die King hier gefüllt hat, dann doch eher Spurenelemente von Kritik, als daß man es mit einer ernsthaften Auseinandersetzung zu tun hätte. So kann man hier eher ablesen, wie sehr jene, die Trump unterstützen und deren kritische Stimmen zu Kings Roman ebenfalls laut zu vernehmen waren, ihrer Verblendung erlegen sind, wenn sie in diesem Buch wirklich einen Angriff auf ihr Idol erkennen wollen. Und andersherum kann man sich schon fragen, ob jene Kritiker, die den Roman bei seinem Erscheinen so über den Klee lobten, nicht zu jener Zeit nach jedem Strohhalm griffen, um irgendetwas gegen den ungeliebten Millionär an der Staatsspitze in den Händen zu halten. Auf jeden Fall nimmt King in seinem Roman kaum reellen Bezug zu den politischen Tagesgeschäften. Und ob man es mit einem Kommentar auf eine gespaltene Gesellschaft zu tun hat, sei ebenfalls einmal dahingestellt.

Was aber hat es nun wirklich mit BILLY SUMMERS auf sich? Man erinnere sich an die relevanten Killerfilme, bevor Quentin Tarantino dem Beruf mit PULP FICTION (1994) ein ganz neues Image verpasste: Robert Siodmak verfilmte 1946 mit THE KILLERS (1946) eine Kurzgeschichte von Ernest Hemingway, deren Handlung paradigmatisch werden sollte. Denn der „Schwede“, jener junge Mann, um den es geht, im Film von einem sehr jungen Burt Lancaster dargestellt, wartet vor allem. Er wartet nicht auf einen Auftrag, sondern auf den Tod, der wiederum in Gestalt zweier weiterer Killer auf ihn lauert. Rache in der Unterwelt. Jener „Schwede“ verbringt den Film also damit, auf seine Henker zu warten und erinnert sich dabei, wie alles so kam, wie es nun ist. In BLAST OF SILENCE (1964) wird uns ein Killer bei der Arbeit vorgeführt, der sehr viel Zeit darauf verwendet, sein Opfer auszuspähen, zwischendurch sucht er Anschluß an sein altes Leben, merkt aber, daß ein Mensch, der seiner Profession nachgeht, außerhalb der Gesellschaft steht. Und wie „der Schwede“ in Siodmaks Film Noir, muß auch Frank Bono in BLAST OF SILENCE am Ende sterben. Killer im Film, das waren immer Existenzialisten, meist Männer, die das Leben nahmen, wie es kam, die sich ihren Vorteil im Daseinskampf mit aller Gewalt verschaffen wollen und die doch immer am Ende lernen müssen, daß, wer mit dem Feuer spielt, sich wahrscheinlich verbrennt. Es waren Leben im Wartestand und selbst dann, wenn einer sich einmal zu wehren begann – Alain Delon in seiner Paraderolle in LE SAMURAÏ (1967) muß hier exemplarisch genannt werden – konnte er maximal anderen noch helfen, für ihn selbst gibt es keinen Ausweg mehr, sein Schicksal scheint längst besiegelt.

Warten ist also ein wesentliches Merkmal des (literarischen wie filmischen) Daseins als Auftragsmörder. Erst recht, wenn man in einem Südstaatenkaff sitzt und nicht weiß, wann derjenige, den man erschießen soll, eigentlich eintrifft. Im Falle von Billy Summers sind dies geschlagene drei Monate. Und was macht der Auftragsmörder so, wenn er diese Wartezeiten zu überstehen hat? Er muß sich ja die Zeit vertreiben. Er könnte also endlich mal sämtliche Sudoku-Hefte durcharbeiten, die in letzten Jahren liegen geblieben sind, oder er könnte das Modell der U.S.S. Enterprise fertigstellen, das seit gefühlt 15 Jahren seiner Vollendung harrt. Man könnte auch KRIEG UND FRIEDEN lesen, ein mit nahezu 2000 Seiten auf drei Monate gut anzulegendes Projekt. In Billy Summers´ Fall ist es aber nun so, daß seine Auftraggeber sich überlegt haben, daß er als Schriftsteller fungieren soll, der sich in einem möblierten Haus einmietet, ein Büro in einem Turm in der Innenstadt belegt, von wo er dann den tödlichen Schuß anbringen soll, wenn es soweit ist, und sich so nach und nach in der Stadtgemeinschaft einleben und auch bekannt machen soll. So kann er die Wartezeit überbrücken und fällt nicht auf. Also macht sich Billy Summers, dessen Überlebensstrategie darin besteht, sich für sehr viel dümmer auszugeben als er wirklich ist, daran, ein Buch zu schreiben. Da er aber nun einmal kein Schriftsteller ist, stehen ihm auch nicht die nötige Phantasie oder das Sprachvermögen zur Verfügung, die es braucht, einen Roman zu schreiben. Also greift Summers auf jenes Mittel zurück, das in der ersten Seminarsitzung eines Schreibkurses wie ein Mantra heruntergebetet wird: Immer nur über das schreiben, was man kennt, also das eigene Leben.

So kommt der Leser des Romans BILLY SUMMERS also in das Vergnügen, ein Buch im Buch lesen zu dürfen. Anfangs bewusst kindlich, also „schlecht“ geschrieben, da Billy argwöhnt, daß seine Auftraggeber ihn mit heimlich installierter Software überprüfen könnten, dann immer mehr Kraft gewinnend, erzählt der mehrfache Mörder und Möchtegernschriftsteller Billy Summers von seinem Werdegang. Als Kind in einer Trailerpark-Siedlung aufgewachsen, mit einer Mutter gesegnet, die jeden Monat einen neuen Mann anschleppt, wird der kleine Billy nahezu zwangsläufig zum Mörder, als er versucht seine Schwester zu retten, die vom aktuellen Ersatz-Papa zu Tode geprügelt wird. Nach Jahren in einer Pflegefamilie meldet sich Billy bei den Marines und landet so schließlich im Irak. Hier wird er aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten als Scharfschütze eingesetzt und muß den Tod mehrerer Kameraden miterleben, von denen einige mittlerweile zu Freunden geworden sind. Je weiter der Roman BILLY SUMMERS voranschreitet, desto mehr nähern sich die in Kings Roman erzählte Geschichte und die, die Billy niederschreibt, einander an. Das „Buch im Buch“ wird schließlich zu einem Schlüsselwerk – und zwar im Oeuvre des Stephen King.

Denn hier, mehr noch als in den Romanen SIE (1987) oder STARK – THE DARK HALF (1989), die sich ebenfalls mit den Schwierigkeiten und Niederungen des Schriftstellerdaseins beschäftigen und durchaus auch hadern, reflektiert der Autor hier die Differenz von Fiktion und Wirklichkeit. Zudem lebt King auf den letzten Einhundert Seiten dann doch seine Wut auf das, was in seinem Land passiert, zumindest indirekt aus. Denn Billy spürt den Hintermännern seines Auftrags nach und stößt auf einen Medienmogul. Der ist nicht umsonst deutlich einer Figur wie Rupert Murdoch nachempfunden. Murdoch, u.a. Besitzer des US-Fernsehsenders Fox News, war maßgeblich daran beteiligt, Donald Trump nicht nur zum Kandidaten zu machen, sondern auch ins Amt des Präsidenten zu hieven. Doch im Roman sind es vielmehr sehr persönliche Gründe, die den Mann dazu verleiten, einen Mord in Auftrag zu geben. So nimmt King die politische Brisanz aus dem Fall, zeichnet schlicht das Bild eines hässlichen, machtgeilen und sehr, sehr gefährlichen alten, weißen Mannes und lebt in seinem Roman eine Rachephantasie aus. Allerdings erfahren wir diese ganze Schlußepisode nur noch aus den Kapiteln des „Romans im Roman“. Dadurch kann King ein Doppelspiel spielen und seine Leser auf ehrbare Weise ein wenig hinters Licht führen, zugleich aber auch das Schreiben als solches reflektieren. Das Entstehen einer Geschichte und wie ein Autor (oder eine Autorin) reelles Material zu einem Produkt der Erfindung, der Phantasie machen kann, es wird hier exemplarisch und hoch emotional vorgeführt.

Der politische Aspekt ist insofern zu vernachlässigen. Interessant ist eben dieses Doppelspiel mit Wahrheit und schriftstellerischer Freiheit. Ohne zu viel verraten zu wollen, zeigt der Twist am Ende des Romans BILLY SUMMERS auch, wie Literatur als Trauerarbeit funktionieren kann. Es zeigt aber auch, wie sich langsam, vorsichtig, tastend aus persönlichen Erfahrungen, aus eben dem, was man kennt, Literatur herausschält, destilliert wird. Es zeigt, wie sich in Fiktionen oftmals größere Wahrheiten entblättern, als ein Sachbuch oder eine Autobiographie o.ä. jemals liefern oder belegen könnten. Es war Norman Mailer, der genau diese These einmal aufgestellt hat: Daß Fiktionen, scheinbar „Erfundenes“, oftmals wahrer ist als alle Dokumentationen, Sachbücher oder Zeitungsartikel. Ein Grund, weshalb der Mann immer wieder über den Grat zwischen engagiertem Journalismus und Romancier tänzelte und es ihm meistens gelang, die Balance zu halten.

Doch sollte man sich nichts vormachen: Nimmt man den Aspekt „Buch im Buch“ einmal heraus – oder wird despektierlich und unterstellt, daß King das auch eingefügt hat, um auf seine in den Großromanen üblichen, mindestens 700 Seiten zu kommen – dann bleibt ein eher durchschnittlicher King-Roman übrig. Sympathische Figuren, üble Bedrohungen, unerwartete Wendungen und seitenlange Dialoge (einer seiner großen Stärken) wechseln sich ab, die Action ist, wie seit längerem schon, zurückgenommen und wir lesen uns durch die vielen Gefühlschwankungen aller Beteiligten hinsichtlich des eigenen Lebens und den Beziehungen zu anderen. Übrigens sogar jener, die im Buch als „schlechte Menschen“ tituliert – und zum Abschuß freigegeben werden. Denn dies ist dann doch ein ärgerlicher Aspekt dieses Romans: Damit wir, die Leser, mit einem Mann wie Billy Mitgefühl haben, ja sogar Sympathie empfinden können, muß seine Profession im Roman in ein Licht gerückt werden, welches sie zumindest teilweise gerechtfertigt erscheinen lässt. Doch die Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Menschen, die Billy, bald auch seine Schutzbefohlene Alice, vornimmt, mutet dann doch arg schlicht an. Um nicht zu sagen: hilflos. Denn Menschen aus einer Distanz von 1000 Metern einfach die Schädeldecke weg zu pusten, das erfordert dann in der Rechtfertigung doch einiges an Verrenkungen. Und die funktionieren immer nur bedingt. Ein Mord bleibt ein Mord. Und wenn man der Justiz, dem Rechtssystem, der Rechtsstaatlichkeit derart mißtraut, daß ein Auftragsmord gerechtfertigt wird, weil es einen „schlechten Menschen“ trifft, der sich sonst ja so oder so aus allen juristischen Lagen befreien kann, dann ist man im Denken gar nicht so weit von einem Mann wie Donald Trump entfernt. Denn der sieht den Staat ja auch als mehr oder weniger verkommen an und ist der Meinung, es müsse mal ordentlich aufgeräumt werden. Billy Summers ist also so etwas wie der Entrümpler, der das Aufräumen übernimmt. Eine doch sehr fragwürdige Moral.

Vielleicht ist es also wirklich so: Man liest manche Autoren vor allem deshalb, weil man sich ihnen verbunden fühlt. Sie haben einen begleitet, sie haben vielleicht sogar ein wenig das eigene Weltbild mitgeprägt, sie haben einem viele Stunden guter Unterhaltung beschert und man will sie einfach nicht fallen lassen. Allerdings sollten diese Autoren alle paar Jahre mal mit etwas an die Öffentlichkeit treten, das einen auch wirklich überzeugt. Das ist bei King seit geraumer Zeit leider nur noch begrenzt der Fall.

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