BRIDGE OF SPIES – DER UNTERHÄNDLER/BRIDGE OF SPIES

Steven Spielberg entführt sein Publikum in die kältesten Tage des Kalten Kriegs

Im Jahr 1957 wird Rudolf Abel (Mark Rylance) vom FBI als sowjetischer Spion verhaftet. Der Mann ist Kunstmaler, als Agent der feindlichen Macht jedoch schon länger im Visier amerikanischer Behörden. Abel ist britischer Staatsbürger, kein Amerikaner, was seinen Fall ein wenig kompliziert macht, da er nicht des Hochverrats angeklagt werden kann.

Die Öffentlichkeit – vor allem die Medien – erwarten dennoch ein deutliches Urteil, das mit der Todesstrafe abgeschlossen wird. Doch wollen die USA der Welt natürlich auch beweisen, dass sie auch ihren Feinden ein rechtsstaatliches Verfahren angedeihen lassen, weshalb ein vertrauenswürdiger Anwalt für Abel gesucht wird.

James Donovan (Tom Hanks) ist Sozius in einer großen New Yorker Anwaltskanzlei. Sein Spezialgebiet sind freilich Versicherungsfälle. Ein Bereich, in dem er zu glänzen versteht. Er ist ein durchschnittlicher amerikanischer Familienvater, der das Leben mit seiner Gemahlin Mary (Amy Ryan) und mit seinen Kindern Carol (Eve Hewson), Roger (Noah Schnapp) und Peggy (Jillian Lebling) sehr zu schätzen weiß. So versteht er zunächst nicht, weshalb ausgerechnet er, der jahrelang keine Strafrechtsverfahren mehr begleitet hat, als Anwalt für Abel ausgewählt wird.

Donovan nimmt den Auftrag jedoch an und erfährt schnell, worum es geht: Er stellt fest, dass viele der gegen Abel erbrachten Beweise nach amerikanischem Recht nicht gerichtsfest sind, doch Richter Mortimer Byers (Dakin Matthews) weist alle Einwände zurück und macht Donovan in einem Hintergrundgespräch deutlich, dass dieser einfach seinen Dienst quasi nach Vorschrift verrichten und ansonsten das Verfahren seinen Gang gehen lasse solle. Die Interessen des Staates gingen vor die individuellen Rechte eines Individuums.

Donovan weiß, dass er eine Verurteilung Abels nicht wird abwenden können, sucht Richter Byers aber in dessen Haus auf und dringt in ihn, seinen Klienten nicht zum Tode zu verurteilen. Sein Argument ist dabei ein eher technisches: Abel könne in Zukunft bei einem Austausch gegen einen Amerikaner von Nutzen sein.

Byers folgt Donovans Einwand und verurteilt Abel zu 30 Jahren Haft, was noch im Gerichtssaal zu Tumulten führt. Erst recht wird Donovan angefeindet. Das geht so weit, dass nachts auf sein Haus geschossen wird und die jüngeren Kinder in Angst und Schrecken versetzt werden. Und auch seine Frau ist nicht gerade begeistert vom Engagement ihres Gatten.

Donovan nämlich strebt eine Revision vor dem Supreme Court, dem obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten, an. Dass ein solcher Schritt nicht nur seinen Vorgesetzten in der Kanzlei kaum gefällt, sondern auch in der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe stößt, macht der Streifenpolizist deutlich, der in jener Nacht der Schüsse auf das Haus der Donovans den Tatort begeht und Donovan übel beleidigt, fast handgreiflich wird.

Die U.S.-Air Force hat in dieser Zeit mit der Lockheed-U-2 ein Aufklärungs- und Spionageflugzeug entwickelt, welches enorme Reichweite hat und vor allem aus großer Höhe sehr detailgenaue Aufnahmen herstellen kann.

Am 1. Mai 1960 wird der Pilot eines solchen Maschine, Francis Gerry Powers, über sowjetischem Gebiet abgeschossen und gefangen genommen. Weder ist es ihm gelungen, den Selbstzerstörungsmechanismus der Maschine zu aktivieren, noch hat er die Giftnadel, die jeder der Piloten bei sich trägt, zur Anwendung gebracht und sich getötet, wie es die Militärführung den Männern nahegelegt hat und insgeheim auch erwartet.

Powers wird in einem Schauprozess angeklagt und zu 10 Jahren Haft in Gefängnissen und Arbeitslagern der Sowjetunion verurteilt. Während der Zeit im Gefängnis wird er immer wieder der Folter unterzogen, ihm wird der Schlaf entzogen, er wird geschlagen und wieder und wieder mit eiskaltem Wasser überschüttet. Er soll technische Details zu der Maschine, aber auch Ablaufpläne der Einsätze preisgeben.

Der CIA-Direktor Allen Dulles (Peter McRobbie) bittet Donovan in sein Büro in Langley, Virginia. Der Anwalt soll als inoffizieller Unterhändler nach Ost-Berlin reisen und als Privatperson – ohne jedweden Rückhalt der amerikanischen Regierung oder der staatlichen Institutionen – über einen Austausch von Powers gegen Abel verhandeln. Obwohl ihm dabei unwohl ist und er weiß, dass seine Frau ihm die Hölle heiß machen wird, nimmt Donovan auch diesen Auftrag an.

Er reist in Gesellschaft des ihm schon bekannten und nicht sonderlich sympathischen CIA-Agenten Hoffman (Scott Shepherd) nach Europa. In Berlin angekommen, erfahren die beiden nicht nur vom Bau der Mauer quer durch die ehemalige deutsche Hauptstadt, sondern auch, dass der US-Student Frederic Pryor (Will Rogers) hinter der Mauer im Ost-Teil der Stadt als amerikanischer Spion festgehalten wird. Tatsächlich wollte Pryor, der bei einem ostdeutschen Professor seine Dissertation schrieb, diesen und dessen Tochter aus dem sich schließenden Teil der Stadt herausholen.

Donovan – der erfährt, dass der ostdeutsche Anwalt Wolfgang Vogel (Sebastian Koch) ihn dort in der sowjetischen Botschaft treffen wolle, um über die Bedingungen eines Austauschs zu verhandeln – beschließt, nicht nur um Powers, sondern auch um Pryor zu verhandeln.

Donovan reist allein mit der S-Bahn nach Ost-Berlin und macht dort zunächst die Bekanntschaft einer der damals weit verbreiteten Jugendbanden, die ihm den Mantel abnehmen. In der Botschaft wird er dann nicht von Anwalt Vogel empfangen, sondern zunächst von Abels Familie bestürmt, dieser solle umgehend freigelassen werden. Als sich Donovan befremdet zeigt, bricht Abels vermeintliche Frau in Tränen aus.

Nun tritt ein Mann hinzu, der sich als Referent der Botschaft zu erkennen gibt und Donovan, der sich durch den Entzug seines Mantels eine schwere Erkältung zugezogen hat und eigentlich alles schnell abwickeln und wieder nachhause will, mehrfach darauf hinweist, dass diese Dinge immer ihre Dauer hätten. Später wird Hoffman diesen Mann als Cousin Drews (Michael Schenk) identifizieren. Drews ist KGB-Chef für West-Europa.

Bei dieser Begegnung erfährt Donovan auch, dass Pryor sich eben nicht in sowjetischem Gewahrsam, sondern in dem der Ostdeutschen befinde. Donovan müsse sich an Vogel wenden, wolle er um Pryor verhandeln. Donovan begreift, was Abel einst meinte, als der ihm bei einem seiner Besuche im Gefängnis erklärt hatte, dass man die Regeln dieses Spiels niemals benennen und sich niemals auf irgendeine getroffene Vereinbarung verlassen könne: Man wisse normalerweise nämlich nicht einmal, welches Spiel eigentlich gespielt würde.

Donovan sucht Vogel in dessen Kanzlei auf, Drews hatte bereits angedeutet, dass Vogel Privilegien genieße. So fährt er unter anderem einen schicken schwedischen Sportwagen. Vogel gibt sich jovial und erklärt, gern sei die ostdeutsche Regierung bereit, Pryor auszutauschen – gegen die Anerkennung der DDR als souveränen Staat. Donovan erklärt seinem Kollegen, dass er eine solche Zusage überhaupt nicht geben könne, er aber auch nicht glaube, dass die USA eine solche Zusage zu geben bereit seien. Daraufhin zeigt Vogel ein anderes Gesicht und geht Donovan hart an.

Dann wieder freundlich bietet er Donovan an, ihm mit in den Westteil der Stadt zu nehmen, legt es aber durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung darauf an, am Checkpoint Charlie von DDR-Polizisten angehalten zu werden. Er zeigt Donovan seine Macht, indem er ihn eiskalt den Beamten überlässt, während er ohne Probleme die Grenze passieren darf.

Donovan verbringt ein paar Stunden in Gewahrsam der DDR-Polizei, bis Hoffman ihn auslösen kann.

In der Folge verhandelt Donovan mit diversen Sowjet-Stellen, aber auch mir Oberen der DDR, wobei er immer wieder darauf beharrt, nur über beide Amerikaner zu verhandeln. Nach etlichen Versuchen – bei denen er sich auch gegen die eigenen Leute durchsetzen muss, denn Hoffman und dessen Vorgesetzte lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihnen Pryors Schicksal relativ egal ist, ihnen geht es nur und ausschließlich um Powers – gelingt es dem Anwalt schließlich, einen Austausch auf der Glienicker Brücke auszuhandeln. Während dort Abel gegen Powers getauscht werden soll, soll Pryor am Checkpoint Charlie die Grenze passieren.

Am 10. Februar 1962 findet der Austausch wie von Donovan gefordert und vereinbart statt. Abel und Donovan treffen hier zum letzten Mal aufeinander und Abel dankt seinem Anwalt für dessen Einsatz. Donovan will wissen, was seinen Klienten auf der anderen Seite erwarte. Abel antwortet, er solle darauf achten, ob er umarmt oder direkt auf den Rücksitz eines Wagens gesetzt werde. Letzteres verhieße nichts Gutes. Abel wird auf die Rückbank gesetzt.

Zurück in New York, wird Donovans Verhandlungsgeschick in einer Live-Schalte im Fernsehen erwähnt. So erfahren seine Frau und die Kinder, wo er war. Er selbst hatte behauptet, er habe mit einem reichen Klienten in Schottland angeln müssen.

Als Donovan eines Morgens wieder mit der Hochbahn nach Manhattan zur Arbeit fährt, sieht er, wie einige Kinder einen Zaun überklettern. Er fühlt sich daran erinnert, wie er aus der S-Bahn in Berlin blickend Zeuge wurde, wie einige Menschen, die die Mauer überklettern wollten, erschossen wurden.

Eine Einblendung unterrichtet den Zuschauer, dass Donovan später noch einige Male für Austauschverhandlungen hinzugezogen wurde. Darunter auch nach dem Fiasko in der Schweinebucht auf Kuba, wo über 1000 amerikanische Staatsbürger in Gefangenschaft gerieten.

Wahrscheinlich denken die meisten Menschen, wenn sie den Namen Steven Spielberg hören, an Außerirdische, Monster-Haie, die Abenteuer eines Archäologie-Professors, an Dinosaurier oder das verschneite Polen unter der Nazi-Diktatur. Letzteres, weil mittlerweile auch der KZ-Film SCHINDLER´S LIST (1993) mit Spielberg assoziiert wird, obwohl der Regisseur beim breiten Publikum eher für gute und gut gemachte Unterhaltung stehen dürfte, das Gegenteil des zuletzt genannten Films.

Doch gerade dieser Film sollte als Wegweiser in die andere Karriere des Filmemachers dienen: Spielberg, den man ob seines Eskapismus bei Leibe nicht mögen muss, dessen Überwältigungskino man sich aber nur schwerlich wird entziehen können, wenn man sich ihm aussetzt, hat immer wieder auch andere Filme gedreht. Filme weitab von den Spektakeln, die JAWS (1975) oder CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND (1977), die RAIDERS OF THE LOST ARK (1981), E.T. THE EXTRA-TERRESTRIAL (1982) oder JURASSIC PARK (1993) boten. Schon eines seiner frühesten Werke – THE SUGARLAND EXPRESS (1974) – bot ein zwar aufwändig gedrehtes, dennoch an der amerikanischen Realität angelehntes Sozialdrama. Mag THE COLOR PURPLE (1985) bei aller Akkuratesse noch wie ein fast verzweifelter Versuch gewirkt haben, als „ernsthafter“ Regisseur wahr- und ernstgenommen zu werden, konnte Spielberg spätestens mit Filmen wie eben SCHINDLER´S LIST, AMISTAD (1997) oder MUNICH (2005) beweisen, dass er durchaus in der Lage war, „ernsthafte“ Stoffe angemessen umzusetzen. In jüngerer Vergangenheit sind noch LINCOLN (2012) oder THE POST (2017) und einige andere hinzugekommen.

Auch BRIDGE OF SPIES (2015) gehört in eben diese Kategorie. Wie MUNICH ist auch dieser Film ein wirklicher Polit-Thriller, der – einmal mehr bravourös ausgestattet, wie nahezu alle Filme des Regisseurs – sein Publikum in die Vereinigten Staaten und das Berlin der späten 1950er und der 60er Jahre und so also mitten hinein in die Jahre des kältesten Krieges entführt. Das Drehbuch von Matt Charman, welches dieser gemeinsam mit den Coen-Brüdern – ebenfalls Größen der jüngeren Hollywood-Geschichte sowohl als Regisseure, wie auch als Produzenten – geschrieben hatte, beruht auf einer der berüchtigten „wahren Begebenheiten“, welche Hollywood so gern anführt, um seinen Geschichten Authentizität zu verleihen. Hier allerdings stimmen nicht nur die Rahmendaten.

Buch und Film orientieren sich am authentischen Fall des Sowjet-Spions Rudolf Abel, den das FBI 1957 verhaftete. Ihm wurde der Prozess gemacht, bei dem die Öffentlichkeit – Medien, Politik und die Bevölkerung – einen Schuldspruch und die Todesstrafe erwartete, ja verlangte. Als Pflichtverteidiger wurde ihm James Donovan zugewiesen, ein hervorragender Versicherungsanwalt, der seit Jahrzehnten keinen Strafrechtsfall mehr verhandelt hatte. Donovan wurde schnell und eindringlich klar gemacht, dass er nur deshalb verpflichtet wurde, damit die Weltöffentlichkeit sieht, dass die USA auch ihren erklärten Feinden ein rechtsstaatliches Verfahren angedeihen lässt. Dass es ein faires Verfahren allerdings nicht geben würde, macht der Richter im Film dem Anwalt schon vor Prozessbeginn klar. Spätestens an dieser Stelle dürften Buch und Regie zumindest in den Details zugunsten der Dramaturgie entschieden haben. Donovan – das wiederum ist verbürgt – konnte die Todesstrafe abwenden und erwirkte eine langjährige Haftstrafe für seinen Klienten. Nicht zuletzt indem er darauf verwies, dass Abel einmal als Verhandlungsmasse bei einem Austausch mit der Sowjetunion dienen könnte.

Und genau so kam es dann auch: Abel wurde 1962 gegen den US-Piloten Francis Gary Powers ausgetauscht, dessen U2-Spionage- und Aufklärungsflugzeug 1960 über sowjetischem Gebiet abgeschossen worden war. Donovan war damals der Unterhändler, der ohne jegliche Rückendeckung der US-Institutionen, aber in deren Auftrag (namentlich der CIA unter Allen Dulles) mit den Sowjets über einen Austausch verhandeln sollte. Vor Ort in Berlin erfuhr Donovan, dass der amerikanische Student Frederic Pryor während des Mauerbaus 1961 von der ostdeutschen Staatsicherheit verhaftet und inhaftiert worden war. So beginnt er – zumindest im Film – ein dramatisches Doppelspiel, um auch diesen jungen Mann gegen Abel austauschen zu lassen. Was ihm – in der Realität wie im Film – tatsächlich auch gelang.

Sowohl das Buch als auch Spielbergs Regie halten sich weitestgehend an die Fakten und historischen Vorgaben, dramatisieren[1] wie angemerkt hier und da und geben sich Mühe, dennoch eine kohärente Geschichte zu erzählen. Das allerdings – und darin unterscheidet sich BRIDGE OF SPIES dann fundamental von MUNICH – gelingt nicht durchgehend. Zudem, und das macht den Film streckenweise etwas schwer erträglich, will Spielberg ganz offensichtlich auch ein Moralstück erzählen. Nicht zuletzt deshalb dürfte er einmal mehr Tom Hanks für die Rolle des – zumindest im Film – aufrechten Amerikaners James Donovan gewonnen haben.

Faktentreue kann eben auch schwierig sein. BRIDGE OF SPIES weist einen wahren Bruch auf, ziemlich genau zur Mitte des Films. Bis dahin spielt sich die Handlung zwischen heruntergekommenen Vierteln in Brooklyn, einer einem Postamt ähnelnden Großkanzlei und den hehren Hallen amerikanischer Rechtswirklichkeit, wie sie wahrscheinlich nie war und sowieso nie wieder sein wird, ab. Dieser Teil erzählt von Abels Verhaftung, dem Prozess, Donovans letztlich geglückten Versuchen, seinen Klienten vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren und den Problemen, die dieses Mandat ihm und seiner Familie beschert. Die nämlich wird bedroht bis hin zu Schüssen, die abends auf das Haus der Donovans abgegeben werden.

Parallel zu diesen Ereignissen, auf denen natürlich das Hauptaugenmerk liegt, erzählt Spielberg aber auch die Geschichte um die U2 und Powers, dessen Absturz – oder Abschuss, so stellt es auch der Film dar – zu einem Politikum des Kalten Krieges wurde. Allerdings merkt man auch, dass Spielberg und sein Team Vieles an Kenntnis über die Sachlage beim Publikum voraussetzen. Zwar werden Powers´ Flug und der Absturz spektakulär inszeniert, womit Spielberg auch dieser Seite seines Talents gerecht wird, doch lässt der Film alles außen vor, was den Fall Powers so spektakulär machte. Die Auftritte im Fernsehen bspw. Sobald Powers inhaftiert wird, dient seine Figur dem Film eigentlich vor allem dazu, den maximalen Abstand der Haftbedingungen (und damit Lebensbedingungen?) zwischen den USA und der UDSSR aufzuzeigen.

Und genau da kommt die Moral ins Spiel. Spielberg zeigt kein Amerika, in dem alles wunderbar ist, im Gegenteil. Die Justiz wird zumindest als voreingenommen dargestellt, Donovan muss fast schmerzhaft erfahren, wie er gegen eine unsichtbare Wand prallt, als er ein faires Verfahren einfordert. Obwohl die Beweise, die man gegen Abel anführt, unter Bedingungen eingeholt wurden, die dem Rechtssystem widersprechen – so gab es bspw. keinen Durchsuchungsbefehl für Abels Wohnung – akzeptiert der Richter diese und lässt Donovans Einwände nicht gelten. Und in jener Szene, in der auf das Haus der Donovans geschossen wird, verdeutlicht der Film, wie gespalten die Gesellschaft damals war: Der Streifenpolizist, der den Tatort sichert, stellt James Donovan zur Rede und macht deutlich, dass er nichts von ihm und seinem Engagement hält. Doch bei all diesen Ungerechtigkeiten macht der Film fast hysterisch auf die Diskrepanz zur Sowjetunion aufmerksam. Immer wieder wird gezeigt, wie Powers nachts aus der Zelle gezerrt und in einen Verhörraum geführt, mit eiskaltem Wasser bespritzt und mit Fragen traktiert wird. Abel sitzt derweil in einem zwar nicht komfortablen, aber bei weitem nicht so verkommenen Gefängnis, wie Powers dies erdulden muss.

Sicher liegt Spielberg da in der Darstellung nicht ganz falsch, dennoch wirkt sein Film in diesen Szenen aufdringlich und extrem parteiisch. Fast hat man den Eindruck, es mit einem sehr verspäteten Propagandafilm zu tun zu haben. Sein Blick auf Ost-Berlin allerdings dürfte doch recht wirklichkeitsnah sein. Denn der zweite Teil des Films spielt zu großen Teilen in Berlin – Ost wie West – und gerade hier ist es den Set-Dekorateuren und den Location-Scouts gelungen, wahrlich authentisch wirkende Szenerien für den Film zu finden und zu gestalten. Dies hilft, über den Bruch, den es zwischen dem USA-Teil des Films und dem Berlin-Teil gibt, hinwegzutäuschen. Man staunt, wie authentisch das alles wirkt und fühlt sich an einen Film wie THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD (1965) erinnert, der seinerzeit zwar nicht on location gedreht wurde, die Atmosphäre des Kalten Krieges jedoch hervorragend einfangen und wiedergeben konnte. Und genau das gelingt auch Spielberg. Wenn James Donovan in Berlin ein- und dort auf lauter Menschen trifft, die den herrschenden Konflikt sehr viel besser verstehen als er, dann spürt man die durchgehende Paranoia jener Jahre ebenso, wie die stete unterschwellige Bedrohung, die damals geherrscht haben muss.

James Donovan, der im wirklichen Leben später noch oftmals als eine Art inoffizieller Diplomat an Austauschaktionen zwischen Ost und West, aber auch an den Verhandlungen mit Fidel Castro beteiligt gewesen ist, um die Gefangenen nach dem Fiasko in der Schweinebucht auszulösen, wird von Hanks als eben jener durchschnittliche, im Kern konservative, aber immer auch dem Liberalismus zugeneigte Mann gespielt, den der Schauspieler oftmals in seiner Karriere verkörpert hat. Hanks hat diesem Typus des aufrechten amerikanischen Mannes ein Gesicht, eine Gestalt gegeben. Dieser Mann ist skeptisch, er ist nicht übermäßig interessiert und auch nicht übermäßig interessant. Dieser Mann ist auch nicht übermäßig an Politik interessiert und ebenso wenig informiert. Er ist ein Familienmensch, der aber auch Erfolg und Bestätigung im Beruf sucht. Donovan wird im Film bei einem Hintergrunddeal in einer Bar oder einem Klub eingeführt, wo er für die Versicherung, die er vertritt, einen Handel mit einem Kläger abschließen will. Schnell begreift der Zuschauer, dass dieser Mann auch fähig ist, Winkelzüge zu unternehmen, um seine Interessen durchzusetzen.

So wirkt es im Film umso erschreckender, wenn Donovan spätestens in Berlin in eine Welt der Agenten, Spione, Geheimdienste und Geheim-Codes eintritt. Er macht sich allein auf den Weg nach Ost-Berlin, wo er den ebenfalls real verbürgten Anwalt Wolfgang Vogel treffen soll. Sebastian Koch spielt den als eine Art DDR-Playboy mit freiem Zugang zum Westteil der Stadt, der seinen Herrn aber unumwunden dient. Wenn Donovan dann in der sowjetischen Botschaft eintrifft und dort alle möglichen Leute – darunter die angebliche Familie Abels – trifft, nicht jedoch Vogel, wird überdeutlich, auf was für ein gefährliches Spiel er sich eingelassen hat. Abel seinerseits hatte ihn bei einem Besuch Donovans im Gefängnis gewarnt: Man könne die Spielregeln nicht lernen, wenn man nicht einmal wisse, um welches Spiel es sich eigentlich handle.

Donovan ist aber auch – und dafür bürgt eben Tom Hanks mit seinem Image – nicht manipulierbar. Oder wenn er manipulierbar sein sollte, dann nur sehr begrenzt. Und sobald er es merkt, ist nicht mehr mit ihm zu spaßen. Das kriegen seine Vorgesetzten in der Kanzlei zu spüren, als er nicht bereit ist, auf eine Revision im Abel-Fall zu verzichten; erst recht bekommen es aber sowohl die amerikanischen Agenten der CIA als auch die Sowjetagenten und letzthin auch Vogel zu spüren, wenn Donovan darauf beharrt, Doppelverhandlungen sowohl mit den Sowjets wegen Powers, als auch mit den Ostdeutschen wegen Pryor zu führen. Und er bleibt hartnäckig, ja stur, was ihn – wieder typisch für die Art Mann, die Hanks so gerne spielt – dann auch erfolgreich sein lässt.

Spielberg, der seinen Film zu einer Zeit geplant und vorbereitet hat, in der die Nachwehen der Rechtsbeugungen durch die Bush-Administration noch zu spüren waren, sich die Schatten der kommenden Trump-Jahre aber bereits abzeichneten, hat hier sehr bewusst einen Kommentar auf ein Amerika abgegeben, in dem ein jeder sich klar machen muss, wo er oder sie steht und wie sie oder er zur Verfassung und dem steht, was dieses Amerika aus- und lebenswert macht. Er wollte, einmal mehr, diesen aufrechten, dem Gesetz, der Verfassung und ihren Gründervätern verpflichteten Amerikaner zeigen und ihn stärken. Das hatte er bereits in LINCOLN getan, doch steht der 16. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika so weit über den Dingen, ist als historische Gestalt so ins Mythische entrückt, das er als Vorbild kaum funktioniert. Wer reicht schon an diesen Mann heran (außer natürlich – in seiner Selbstwahrnehmung – Donald Trump)?

James Donovan ist da ein anderes, ein lebensnäheres Kaliber und Spielberg inszeniert ihn – und Hanks spielt ihn – als aufrechten, erfolgreichen aber durchschnittlichen amerikanischen Familienvater. Und damit eben auch als einen Mann, der an Aufgaben wächst, denen er eigentlich nicht gewachsen ist, für die er eigentlich auch nicht prädestiniert ist. Er ist Anwalt – Versicherungsanwalt – kein Diplomat. Und doch weiß Donovan im entscheidenden Moment, worauf es ankommt: Dass ein Kerl wie Pryor eben genau so viel wert ist wie ein Gerry Powers. Was die CIA in Person des Agenten Hoffman natürlich ganz anders sieht. Aber, so erklärt es Donovan Hoffman in einer recht eindringlichen Szene zu Beginn des Films, was macht einen Amerikaner – Hoffman deutscher, er, Donovan, irischer Abstammung – zu einem Amerikaner, wenn nicht eben das Papier, auf dem die Verfassung geschrieben steht? Papiere – das ist die einzige Versicherung, Amerikaner zu sein. Und so ist es also seine Aufgabe, seine in seinen Augen „natürliche“ Aufgabe, auch Pryor aus den Klauen des Sozialismus und dessen bösen Schergen und Gefängnissen zu befreien.

Spielberg wäre natürlich nicht Spielberg, wenn er uns Pryor nicht als einen idealistischen jungen Mann vorführen würde, der altruistisch in die Mühlen der Weltpolitik geraten ist, weil er natürlich seinen Professor und dessen Tochter (in die er selbstredend verliebt ist) aus dem Ostteil der Stadt, die soeben durch eine Mauer getrennt zu werden droht, befreien wollte. Und natürlich suggeriert uns Spielbergs Inszenierung, dass diese Motive allemal mehr wert sind, als die eines Abel oder Powers – Männer, die immerhin wussten, auf welche Risiken sie sich einlassen, wenn sie ihren Jobs nachgehen. Wobei Spielberg mehrfach darauf verweist, dass Powers letztlich auch nur ein Bauernopfer in einem Spiel ist, das er gar nicht überschauen kann. Und auch Abel lässt der Film Gerechtigkeit widerfahren, da Donovan mehrfach Freund wie Feind darauf hinweist, dass Abel standgehalten, nichts verraten und geschwiegen habe und damit ein „guter Soldat“ gewesen sei. So kann BRIDGE OF SPIES das für Spielberg so typische wie offenbar notwendige Pathos-Level einlösen.

BRIDGE OF SPIES hat nicht die Dichte und Intensität, die MUNICH auszeichnete, der sehr viel bewusster als Episodenfilm inszeniert ist und dessen Brüche deshalb bei Weitem nicht so ins Auge stechen, wie die in diesem Film. BRIDGE OF SPIES ist sicherlich nicht Spielbergs bester Film, er reicht auch nicht an das dort nachvollziehbare Pathos von LINCOLN heran, er kann die Dringlichkeit, die seine Geschichte vorgibt, nicht belegen. Doch kann er die Atmosphäre jener Jahre gut wiedergeben.

Spielberg ist ein großartiger Regisseur, wenn er darum geht, dem Zuschauer eine Vision der Zukunft zu präsentieren und Möglichkeiten aufzuzeigen, wohin diese führen könnte, doch ist er mindestens ebenso befähigt, sein Publikum mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Ob in Filmen wie THE COLOR PURPLE, EMPIRE OF THE SUN (1987), auch SCHNDLER´S LIST – Filme, in denen er die jüngere Vergangenheit beschwor – oder aber Filmen wie AMISTAD oder LINCOLN, die in eine weiter entfernte Vergangenheit reichen, immer sind seine Zeitreisen atmosphärisch dicht, eindringlich und überzeugend. Dass Steven Spielberg ein Meister der Inszenierung, des Timings, der Schauspielführung, aber auch der Spannung und – ja, auch das – des Humors ist, weiß, wer dem Kino in den vergangenen 50 Jahren verfallen war oder einfach nur Unterhaltung suchte. Und auch BRIDGE OF SPIES ist zumindest dies: unterhaltsam. Trotz einer Länge von 142 Minuten, trotz eines erzählerischen Bruchs in der Mitte des Films, trotz eines divergierenden Fokus, mal auf diese, mal auf jene Figuren, kann dieser Spionage-Polit-Thriller bannen und fesseln.

 

[1] So wird der Film-Donovan Zeuge einer Erschießung an der Mauer, als er die Grenze in einer S-Bahn überquert. Hochdramatisch aber wohl nicht belegt.

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