DER UNSICHTBARE ROMAN

Christoph Poschenrieder folgt Gustav Meyrink in die Niederungen des explizit Politischen

Literatur über Literatur birgt zumeist die Gefahr der Redundanz und der Reduktion. Man kann die Originale lesen, sich literaturwissenschaftlich oder populärwissenschaftlich mit einem Thema oder Autoren beschäftigen, ein Roman über Romane, bzw. Autoren, kann hingegen leicht ins Oberflächliche abgleiten, an einem Gegenstand haften bleiben, der nicht wirklich durchdrungen wird, möglicherweise schon deshalb, weil der Autor des neueren Werkes schlicht nicht über die literarische Kraft seines Vorbildes, seines Objekts, verfügt. Ein wenig erging es so vor einigen Jahren Hans Pleschinski mit KÖNIGSALLEE (2013), der einen Besuch Thomas Manns im Jahr 1954 in Düsseldorf behandelte, dabei Realität und Fiktion munter durcheinanderwirbelte und doch den Geruch des Trivialen nicht ganz abschütteln konnte, obwohl Pleschinski durchaus ernsthafte Momente des Mann´schen Lebens behandelte. Es ist also Vorsicht geboten, wenn gegenwärtige Autoren sich früherer Kollegen annehmen.

Leider ist auch Christoph Poschenrieders DER UNSICHTBARE ROMAN (2019) nicht ganz von solchen Oberflächlichkeiten freizusprechen. Er nimmt sich einer ebenfalls wahren, vom Autor auch genauestens recherchierten, leider aber nur auf magerer Faktenlage beruhenden Begebenheit an, die sich Ende des 1. Weltkriegs in Bezug auf einen nie geschriebenen Roman von Gustav Meyrink zutrug. Der in Wien geborene Autor, Verfasser des GOLEM (1913/14), war ein scharfzüngiger und oftmals auch verletzender Satiriker, der sich früh dem Okkulten zugewandt hatte, dabei aber eine scharfe Trennlinie zwischen der zeitgenössisch beliebten Verehrung für das Übernatürliche, die Geisterbeschwörung und andere Jenseitserfahrungen und seinem ernsthaften Interesse an fernöstlichen Philosophien und vor allem der Yoga-Lehre zog. Er stand den ideologischen Bewegungen seiner Zeit eher distanziert gegenüber und lebte, auch während der November-Revolution, die schließlich München ergriff, in einem besseren Haus in Starnberg und hielt, trotz seines Umgangs mit Vertretern der sozialistischen Bewegung wie Erich Mühsam, einen gehörigen Abstand zu allem Revolutionärem. Dies vorweg zum Verständnis des Folgenden.

Ende des Krieges – und hier setzt Poschenrieders im Ton dem Vorbild durchaus gewachsener Roman ein – wird Meyrink vom Auswärtigen Amt angefragt, ob er bereit sei, ein Werk über die Kriegsschuld als Auftragsarbeit zu schreiben. Dabei wird ihm die Vorgabe gemacht, daß es die Freimaurer sein müssten, denen diese Schuld zugeschrieben wird. Meyrink, immer an Geld interessiert, nimmt den Auftrag eher widerwillig an und tut dann – nichts. Er beschäftigt sich kaum mit dem, was er zu schreiben hätte und reflektiert in Reaktion auf die Unfähigkeit, zu schreiben, womit er beauftragt wurde, sein bisheriges Leben und wie er überhaupt dazu gekommen war, zu schreiben. Das ist vor allem lustig, weil Poschenrieder seinen Meyrink mit eben jener ätzenden Schärfe auch sich selbst reflektieren lässt, mit der der Autor auch andere überzog.

In kurzen Kapiteln wird uns Meyrinks Leben und schriftstellerisches Werden als Ergebnis einer gewissen Unwilligkeit zur bürgerlich verantwortungsvollen Arbeit geschildert. In seinen jungen Jahren war er an Bankgeschäften in Prag beteiligt, wo er mit einem Partner ein Geldhaus betreibt, dabei aber vor allem am Vermehren eigenen Vermögens, weniger an dem seiner Kunden interessiert ist. Als die Geschäfte – laut Meyrink ist sein Kompagnon dafür verantwortlich – den Bach runtergehen, beschäftigt er sich ernsthaft mit Alchemie, in der Hoffnung, das „Goldmachen“ zu erlernen.  Sein Interesse fürs Okkulte entspringt hingegen dem Wunsch, über die herkömmlichen Glaubenssysteme hinaus tiefere Wahrheiten zu erkennen, da Meyrink, der entgegen allgemeiner Annahmen eben kein Jude war, in keiner der monotheistischen Religionen Halt findet. Eine Sinnkrise führt ihn bis an den Selbstmord, dann hin zu Yoga und den daraus resultierenden Lehren.

Von all dem berichtet uns der Roman-Meyrink wie gesagt in ironischem, manchmal ätzendem Ton und das hat für den Leser den Vorteil, es auf den meisten dieser gerade einmal 268 Seiten mit einem wirklich humorvollen und oft auch hintersinnigen Text zu tun zu haben. Der allgegenwärtige Krieg, dessen Opfer Meyrink auf Berlinreisen und später einer Demonstration sieht, sorgt allerdings für einen bitteren und eher düsteren Hintergrund. Diese Bilder entbehren dann auch aller Komik oder Ironie. Meyrink, der selber jedwedem Kriegsdienst entgeht, für die Front allemal zu alt gewesen wäre, und dank seines Erfolgs mit dem GOLEM ein Leben führen kann, wie es während des Krieges nur wenigen vergönnt gewesen ist, nimmt die Verheerungen des Krieges sehr genau wahr und hat dafür keine Worte mehr übrig. Lediglich seinem Auftraggeber im Auswärtigen Amt gegenüber lässt er seine Schärfe aufblitzen. Wie unmöglich die Aufgabe ist, einen Roman zu schreiben, der die Schuldfrage am Krieg klärt, indem er sie verschwörungstheoretisch den Freimaurern zuschiebt, wird Meyrink jedoch schnell klar. Was er zunächst für eine Schreibblockade hält, trägt dann eben zu der ernsthaften und ehrlichen, auch schmerzhaften Selbstbefragung bei, die den Großteil des Romans ausmacht.

Poschenrieder fügt etliche Recherchenotizen sowohl zu Meyrinks Leben, wie auch diesem speziellen Auftrag in seinen Fließtext ein und ordnet diesen damit ebenso, wie er ihn auch immer wieder unterbricht und zu einem gewissen Maß auch unterläuft. Die wenigen Ergebnisse zu dem Auftrag, die der Autor auch thematisiert, nicht zuletzt in einem fiktiven, von ihm geführten Interview mit Gustav Meyrink, zeugen auch von der Schwierigkeit, einen Roman wie den vorliegenden überhaupt zu schreiben. Und genau das spürt der Leser zwischen den Zeilen und zwischen den Seiten. So flechtet Poschenrieder eine zweite Ebene in seinen Text, die die Rivalität zwischen Erich Mühsam und Kurt Eisner betrifft, zugleich das Bohèmeleben all dieser späteren Revoluzzer thematisiert und sich zugleich über deren Aufstand auch ein wenig lustig macht. München erscheint hier – und natürlich evoziert dies Gedanken an den Hitler-Putsch und den Marsch auf die Feldherrenhalle 1923, den wiederum Herbert Rosendorfer als Anlaß für seinen satirischen, wie eine Farce anmutenden Roman DIE NACHT DER AMAZONEN (1989) nahm, der seinerseits in DER UNSICHTBARE ROMAN mitschwingt, mindestens in der Formulierlust des Autors – wie das Zentrum von Schmalspurrevolutionären, Schmalspurliteraten und Schmalspurbohèmiens, die alle dem Lebensgefühl einer eher beschaulichen, gemächlichen Stadt erliegen.

Die Engführung des sich allen revolutionären Gebarens enthaltenden Meyrink, seines Auftrags und den Revolutionären um Eisner, Mühsam und Toller (der seinerseits nur in einem Gespräch zwischen Mühsam und Meyrink erwähnt wird) wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen, nicht wirklich zwingend. Da Meyrink sich selbst im Roman als faul beschreibt und das Schreiben als bloßen Broterwerb darstellt, könnte die Diskrepanz, ja Entfernung, zwischen ihm und einem als Getriebenen dargestellten wie Mühsam kaum größer sein. Obwohl es am Ende Mühsam ist, der Meyrink aus dem Dilemma mit dem Roman, den er nicht schreiben will – und auch nicht schreibt – hinaushilft.

Für den Leser bleibt dies ein vor allem erheiterndes, manchmal nachdenklich stimmendes, allerdings nie wirklich in die Tiefe der Geschehnisse dringendes Lesererlebnis, das trotz seines schmalen Umfangs zum Ende hin ein wenig – Achtung, Wortspiel – mühsam wird. Die Grundidee scheint reizvoll, doch wie die Recherchebelege eben zeigen, auch nicht wirklich romanfüllend. So bleibt der Eindruck, daß hier ein Anriss, eine Skizze, vorliegt, eine gelegentlich etwas wahllos zwischen psychologischer Erklärung, politischer Bewertung und persönlicher Betroffenheit changierende Behauptung – und eben Redundanz – vorliegt. Zwingend und folgerichtig ist das allerdings nicht. Unterhaltsam allemal.

Als Nachtrag sei erwähnt: Das Kriegsschuldbuch verfasste schließlich Friedrich Wichtl. Unter dem Namen WELTFREIMAUREREI – WELTREVOLUTION – WELTREPUBLIK (1919) erfreute es sich – als „Sachbuch“ gehandelt – größter Beliebtheit bis weit in modernere Zeiten hinein und funktioniert wohl nach wie vor einwandfrei für alle, die den großen Verschwörungstheorien anhängen…

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