EIN EINSAMER ORT/IN A LONELY PLACE

Dorothy B. Hughes brillanter Noir-Thriller funktioniert auf vielen Ebenen

Vielleicht sollte man, will man Dorothy B. Hughes Klassiker EIN EINSAMER ORT (IN A LONELY PLACE, Original erschienen 1947; Dt. 2022 in der Übersetzung von Gregor Runge) besprechen, gar nicht einmal damit beginnen, wie unglaublich einflußreich der Roman auf die Hardboiled- und ‚Noir‘-Literatur gewesen ist, sondern auf einen eher randständigen Fakt hinweisen: Dies ist neben vielen anderen Aspekten, auch eine, in eine Story, in Handlung übersetzte Studie dessen, was man gemeinhin Hass auf Frauen nennt. Und was seit einiger Zeit kulturell und juristisch als ‚Femizid‘ bezeichnet wird: Verbrechen, Morde, die an Frauen begangen werden, eben weil sie Frauen sind. Es ist eine sehr genaue psychologische Beobachtung jener Verfassung, aus der heraus ein Mann diese Hassgefühle entwickelt und ebenso, wie er sie in Taten übersetzt. Hughes schildert nicht einen einzigen der im Roman begangenen Morde – es reicht, daß wir die Motivik des Täters nach und nach geboten bekommen. Und zwar konsequent aus seiner Sicht.

Das nämlich ist das eigentliche Ereignis dieses Buchs: Die Autorin schildert die gesamten Geschehnisse aus der Sicht des Täters. Zwar bedient sie sich eines auktorialen Stils, nicht der Ich-Perspektive, doch nimmt sie ausschließlich die des Killers ein. Der – ‚Dix‘ genannt – ist ein Serienmörder, der, so legt es die Handlung schließlich offen, obwohl wir es bereits lange ahnen, seine Mordlust auch schon vor dem Einsetzen der Handlung befriedigt hat. Dix ist ein ehemaliger Flieger, der nun – der Krieg ist noch nicht lange vorbei – verloren in Los Angeles gestrandet ist. Dix will nicht arbeiten, er lebt von den Zuwendungen eines reichen Onkels, der ihm nach seiner Ausmusterung ein Jahr des Müßiggangs zugestanden hat, das Dix nutzen will, um einen Kriminalroman zu schreiben. Umso besser, daß sein alter Kumpel Brub, einst ein Flieger-Ass wie Dix, nicht nur als Ermittler bei der Polizei arbeitet, sondern auch mit dem Fall des „Würgers“, wie der Täter öffentlich bezeichnet wird, befasst ist. Zudem ist Brub, müde und ausgelaugt von einem Fall, bei dem er und seine Kollegen auf der Stelle treten, gern bereit mit seinem alten Kumpel über die Interna zu reden, ja, er nimmt ihn bei einer Gelegenheit sogar zu einer Tatortbesichtigung mit. Dix kann also erster Hand Recherche für seinen vermeintlichen Roman betreiben – und bleibt immer unterrichtet über das, was die Polizei weiß.

Dix wiegt sich in Sicherheit. Allerdings nur, solange er nicht in die Nähe von Brubs Gemahlin Sylvia kommt. Denn der traut er nicht über den Weg. Er mag nicht, wie sie ihn anblickt, ihn nahezu mit Röntgenaugen zu durchschauen scheint. Zumindest bildet er sich das ein. Allerdings kann Dix sich anhand dieser Frau erklären, wieso er die Frauen im Allgemeinen nicht leiden kann. Obwohl er sie auch verehrt. Er fühlt sich zu Laurel hingezogen, eine Nachbarin in dem Appartement-Komplex, in dem er die Wohnung eines anderen alten Bekannten bezogen hat. Der Mann sei nach Rio gegangen, eines Jobs halber. Und diese Laurel ist für Dix wie die Verkörperung all dessen, was er an einer Frau mag. Einer Frau wie Brucie, die er einst in England kannte und die, wie er von Brub erfährt, ermordet wurde. Diese Mitteilung stürzt Dix in eine tiefe Trauer und Verzweiflung. Natürlich weiß er, daß er es war, der Brucies Leben beendet hat – doch hatte er diese Tat verdrängen wollen. Nun so brutal daran erinnert zu werden, bringt Dix komplette innere Konstruktion ins Wanken. Ab diesem Zeitpunkt wird seine Paranoia immer virulenter, verstärkt sich seine Panik und greift er zu immer irrsinnigeren Beschwichtigungen, um sich einreden zu können, daß ihn niemand verdächtigt und wenn, dann habe niemand irgendeinen Beweis gegen ihn.

Hughes gelingt hier eine brillante Doppelstrategie: Sie erklärt den Täter und seine Psyche durch den Mann und seine Unsicherheit. In beiden Fällen gelingt ihr die Darstellung auf den Punkt. Dem klassischen ‚Film Noir‘ und seinen literarischen Vorlagen wurde immer attestiert, ein gebrochenes Männlichkeitsbild zu reflektieren. Seine Helden – besser: Antihelden – entstammen einer Generation, die von den Schlachtfeldern Europas in ein Zivilleben zurückkehrt, dem sie sich entfremdet haben. Sie sind brutalisiert, sie wurden die vergangenen Jahre dazu angehalten, ihrer Enthemmung freien Lauf zu lassen – was im Krieg zur Heldentat führt, im Zivilleben aber als verbrecherisch gilt – und sollen sich nun wieder als ordentliche Herren und Gentlemen einordnen. Doch die Ordnung, die sie verlassen haben als sie in den Krieg zogen, gilt nicht mehr. Auf einmal haben sich die Frauen selbstständig gemacht, sie haben sich in die Arbeitswelt eingegliedert, sie sind unabhängig, sie entwickeln einen eigenen Willen. Und diese Entwicklung wird von den Männern dieser Geschichten als bedrohlich wahrgenommen. Und so stoßen sie dauernd auf „gefährliche“ Frauen. Die sogenannte Femme fatale hielt Einzug in den Hollywood-Film und hat seither ihren festen Platz in dessen Mythologie. Sie hatte das Gesicht von Barbara Stanwyck, von Joan Crawford, von Veronica Lake und vielen anderen. Sie war verführerisch, undurchsichtig und gefährlich. Was die Männer dieser Geschichten reizt – und oftmals in den Untergang zieht.

Dix ist ein solcher Mann. Hughes führt ihn in einer nächtlichen Szene am Strand ein und lässt ihn dort eine Fantasie durchleben, in der er wieder in einem Kampfjet sitzt und diese endgültige Macht empfinden lässt, die er dort hatte. Herr über Leben und Tod. Frei. Hier, im Nebel von Malibu, kann er dieses Gefühl fast authentisch reproduzieren. Dix vermisst den Krieg. Und er verachtet – auch wenn er das nie explizit sagt – das Zivilleben. Er will nicht arbeiten, er ist der Meinung, ihm stünden nicht nur die schönsten Frauen zu, sondern auch ein Leben in Saus und Braus, wie es die Filmstars führen, die in diesem Los Angeles nie anzutreffen sind (nur einmal führt Hughes den Leser an die Glamourwelt heran, wenn erwähnt wird, daß ein Haus, welches zu verkaufen war, zuvor einem Schauspielerpaar gehörte, davor „Fairbanks“, womit wohl der Stummfilmstar Douglas Fairbanks gemeint sein dürfte). Hollywood als Synonym für Ruhm, Reichtum und Glamour kommt hier nur genauso vor, wie es sich den meisten Menschen darstellt: Im Kino, in Gazetten und Boulevardmagazinen – und in den Träumen der Menschen. Laurel hatte ein „paar kleine Rollen“, träumt aber davon, ein großer Star zu werden – wie so viele, überall in den USA, überall auf der Welt. Dix träumt nicht von der spezifischen Glamourwelt der Traumfabrik. Er träumt von etwas Unbestimmten, von dem er meint, es haben zu müssen, weil es ihm einfach zusteht.

Und Dix tötet. Er verfolgt Frauen, er „macht sich an sie ran“, wie er es selbst ausdrückt, führt sie ins Kino aus oder in eine Bar, er ist charmant und Brub bestätigt gegenüber Sylvia mehrfach, daß Dix „damals in England“ schon immer der Schwarm der Damenwelt gewesen sei. Wenn er ihr Vertrauen erschlichen hat, bringt Dix seine Neubekanntschaften an einen einsamen Ort, vergewaltigt und erwürgt sie. Hughes, die nicht vom Fach ist, erfasst die Psyche dieses Mannes – eines gewissen Typus´ von Mann – sehr genau. Dix neigt dazu, Frauen entweder zu überhöhen – dies kommt sowohl in seinen Gedanken hinsichtlich Laurels zum Ausdruck, aber auch in seinen Erzählungen von Brucie – oder sie, manchmal unvermittelt, aus einem Impuls, einem Affekt heraus, als falsch, verschlagen, generell als „Huren“ zu bezeichnen. Hughes erkennt aber vor allem die darunter sich verbergende Labilität dieses angeschlagenen männlichen Charakters. Die zugrundeliegende Wut wird immer wieder thematisiert. Dix unterliegt plötzlichen Stimmungsschwankungen, die ihn immer gefährlich wirken lassen, auch, wenn er selbst vielleicht noch gar nicht weiß, daß dem augenblicklich so ist. Um genau diesen Effekt erzielen zu können, verzichtet die Autorin auf die Perspektive des Ich-Erzählers. Ihr Rückgriff auf eine personale Erzählperspektive gibt ihr die Möglichkeit, Dix zu beschreiben, in seine Gedankenwelt vorzudringen, diese aber zu sezieren und nicht nur wiederzugeben. Durch diesen Kunstgriff bleibt Dix dem Leser immer ein wenig fremd, suspekt und wirkt dadurch auch bedrohlich.

Bedrohlich wirken auch Dix´ Strategien der Autosuggestion. Wie er seine Paranoia zu beschwichtigen sucht und wie sie sich doch immer wieder Bahn bricht. Hughes nimmt literarische Anleihen bei Poes berühmten THE TELL-TALE HEART (1843), wo es der eingebildete Herzschlag eines Ermordeten ist, der den Täter in den Wahnsinn treibt und sich schließlich dem Ermittler ergeben lässt. Wie der Erzähler in jener Geschichte, beruhigt auch Dix sich selbst, indem er sich immer wieder versichert, wie gewieft er ist, daß er an alles denkt, daß es weder Indizien noch Beweise gäbe, die auf ihn als Täter hinweisen. Und doch fühlt er sich verfolgt, beobachtet, wird ihm nahezu jeder – selbst die Putzfrau, die seine Wohnung reinigt – zu einer unmittelbaren Bedrohung. Am allermeisten Sylvia. Sie wird von Dix fast schon mythisch überhöht, bekommt von ihm nahezu übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben. Sie könne ihn nicht leiden, mehr noch aber habe sie ihn schon am ersten Abend durchschaut. Als er ihr dies im kurzen Finale des Romans so auch sagt, erklärt sie, daß sie lediglich gemerkt habe, daß etwas mit ihm nicht stimme.

In dem ausgesprochen lesenswerten Nachwort, das in dieser Ausgabe abgedruckt ist, analysiert Megan Abbott sehr eindringlich nicht nur die Bezüge zum ‚Film Noir‘ (und geht dabei auch auf Verfilmung des Romans mit Humphrey Bogart von 1950 ein), sondern vor allem, wie Hughes die klassische Rollenverteilung im Genre hier geradezu verkehrt. Es sind hier zwei Frauen, die den Fall schließlich lösen und dem Mörder eine Falle stellen. Dieser Mörder entspricht in seiner Charakterisierung im Buch eben jenen Femmes fatales, hier nun also ist ein Homme fatal, von dem die Gefahr ausgeht. Worauf Abbott allerdings nicht hinweist, ist die Tatsache, daß der Leser nie anwesend ist, wenn die beiden Frauen, was sie zwangsläufig getan haben müssen, miteinander ihre Ansichten über Dix austauschen und einen Plan austüfteln, um ihm die Falle zu stellen. So, wie wir nie anwesend sind, wenn Dix tötet, wird uns auch die gesamte Ermittlungsarbeit am Fall – sowohl die institutionelle der Polizei, als auch die private von Sylvia und Laurel – vorenthalten. Und gerade durch diese Leerstellen wird Dix´ Paranoia glaubwürdig bestätigt. Er kann immer nur spekulieren und steigert sich immer weiter in seine Wahngebilde hinein, versucht sich zu erklären, weshalb Laurel tagelang verschwunden bleibt, verdammt sie, vergibt ihr, beteuert seine Liebe, dann wieder seine Verachtung. Und weiß doch nichts.

Die Abwesenheit dessen, was sich für Dix unsichtbar abspielt, gibt der Geschichte etwas Klaustrophobisches. Wir sind als Leser nie klüger als Dix, nie wissen wir mehr. Im Grunde wissen wir sogar sehr viel weniger als er, weil wir seine Vorgeschichte nur erahnen und sie sich uns erst nach und nach entblättert. Doch sind wir zugleich gemeinsam mit Dix in diesem „einsamen Ort“ eingesperrt, der sein Kopf ist. Wir sind dort zusammengepfercht mit seinen Ängsten, der Wut, den affektiven Impulsen, den immer wieder aufscheinenden Hoffnungen – auch auf ein „normales“ Leben, das sich ihm nur als ein ferner Traum von Reichtum und Ansehen darstellt, jenseits eines bürgerlichen Durchschnittsdaseins – und mehr und mehr auch mit seinen Erinnerungen. Und die führen direkt in die Hölle.

Diese Konstruktion der kunstvollen Auslassung erlaubt es Hughes, eine feine Dekonstruktion herkömmlicher Stereotype vorzunehmen, die einem Massenpublikum damals mehr aus Filmen denn aus der Literatur geläufig gewesen sein dürften. Weder die Morde, noch die Ermittlung bekommen wir geboten, stattdessen nur Annahmen und subjektive Spekulationen. Natürlich muß Hughes so auch keine Logiklöcher füllen oder überbrücken, was technisch natürlich nicht einer gewissen Raffinesse entbehrt. Doch raffiniert ist dieser Roman so oder so. Er ist subtil und er ist subversiv in seiner Zeit und in seiner Genauigkeit der Beobachtung des männlichen Geschlechts an einem Wendepunkt der Moderne. Und er krempelt das Genre in gewisser Weise um. Der Noir-Thriller – wie auch der ‚Film Noir‘ galt der Literatur- und der Filmwissenschaft immer als tendenziell misogyn, als frauenverachtend und frauenfeindlich. Hughes Roman ist das nicht. Im Gegenteil gelingt es ihr auf brillante Art und Weise genau diese Misogynie zum eigentlichen, zugrundeliegenden Thema ihres Romans zu machen. Und somit gelingt ihr eben auch eine Dekonstruktion des Genres an sich.

EIN EINSAMER ORT kann sich als Thriller problemlos mit den besten des Genres messen. Der Roman funktioniert darüber hinaus aber eben auch als eine perfekte Studie des „starken“ Geschlechts zu einem Zeitpunkt, als sich historisch gesehen genau solche Zuschreibungen auflösten und vielleicht das begann, was heute als allgemeine Verwirrung der Geschlechter wahrgenommen wird. Ein brillanter Text.

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