FLUCH DER VERLORENEN/HORIZONS WEST
Ein Kleinod des großen Budd Boetticher
Die Brüder Dan (Robert Ryan) und Neil (Rock Hudson) Hammond kehren aus dem Bürgerkrieg, in dem sie auf Seiten der Südstaaten gekämpft haben, auf die heimatliche Farm in der Nähe von Austin, Texas, zurück.
Vater Ira (John McIntire) freut sich, nun wieder Unterstützung zu haben, da er die Ranch nur schlecht allein bewirtschaften kann. Doch Dan will schnell hoch hinaus, da er sieht, wie reich Austin und die Daheimgebliebenen geworden sind. Er schließt sich, nachdem er bei einer Pokerpartie mit dem reichen Cord Hardin (Raymund Burr) fünftausend Dollar verloren hat, einer Gruppe von Banditen und Wegelagerern an, die – ehemalige Soldaten der Konföderierten – die Gegend unsicher machen. Mit Rinder- und Pferdediebstahl, vornehmlich begangen an Hardins Herden, generiert auch Dan schnell einen gewissen Reichtum.
Doch Geld verändert, ja, es verdirbt den Charakter: Dan beginnt immer mehr Land aufzukaufen, dabei schreckt er vor keinem Druckmittel zurück. Schließlich können auch Neil und Vater Hammond nicht mehr tatenlos zusehen, was der Sohn, bzw. Bruder so treibt. Neil nimmt den Posten des Sheriffs an und muß eingreifen, als ein wütender Mob versucht, Dan zu morden. So stehen die Brüder schließlich auf verschiedenen Seiten des Gesetzes, und doch muß Neil versuchen, den eigenen Bruder zu retten…
Budd Boetticher brauchte nicht zwingend seinen Star Randolph Scott, um Meisterwerke vorzulegen. Gelingen konnte ihm dies auch mit Leuten wie Robert Ryan oder dem jungen Rock Hudson, der – man mag es kaum glauben – eine veritable Westernkarriere vorzuweisen hatte, bevor er für Douglas Sirk ins Bad der Tränen stieg. HORIZONS WEST (1952) spricht behände von Boettichers Qualitäten.
Obwohl die Rezeption des Films allzu gern auf das „Kain und Abel“-Motiv abhebt, kann man davon eigentlich nicht sprechen. Schon allein die zeitliche Präsenz auf der Leinwand degradiert Hudsons Neil Hammond zu einem Nebendarsteller im Drama eines Mannes, der sich vom Leben betrogen fühlt – und das ist Dan Hammond. Ohne daß der Film gesondert darauf zu sprechen käme, außer an einer Stelle zum Schluß hin, dreht sich hier nahezu alles um den Krieg und die Nachwehen des großen „Bruder“kampfes. Dies könnte man gerade so noch allegorisch lesen, aber selbst diese Lesart wäre arg konstruiert. Hier erschlägt kein Bruder den Bruder, im Gegenteil, einer der Brüder versucht zu verhindern, daß dem anderen ohne Verhandlung Gewalt angetan wird.
Das Pokerspiel, bei dem Dan das Geld verliert, findet in einem Saloon statt, der in seiner Ausstattung eher nach Disneyland passen würde, derart verziert und verschnörkelt erstrahlt hier alles in einem gleißenden Weiß. Dies ebenso wie die Aufnahmen aus den Straßen der prosperierenden Stadt Austin, verdeutlicht nur allzu genau den Verdruß, den jene empfanden, die nach Jahren der Entbehrung und als Verlierer stigmatisiert aus dem Krieg heimkehrten und feststellen mussten, daß andere, die möglicherweise nie auch nur in der Nähe eines Schlachtfeldes gewesen waren, derweil zu Reichtum und Ansehen gekommen sind. Und – Dans sofortiger Flirt mit Hardins Frau Lorna (Julie Adams) beweist es – die schönsten Frauen abbekommen hatten.
Boetticher weiß diese Gemengelage aus historisch fundierten und dramaturgisch begründeten Motiven für die Entwicklung der dramatischen Konflikte geschickt miteinander zu vermischen, Dans Movens damit uneindeutig zu belassen und somit den Charakter ebenso interessant wie bedrohlich zu inszenieren. Robert Ryan, anders als in vielen sonstigen Rollen, darf hier ein durchaus differenziertes Bild seiner Figur zeichnen. Der Titel HORIZONS WEST deutet ja bereits an, was kommt: Dan fühlt sich betrogen, vom Leben, von seinen Leuten; er will selber teilhaben an der Prosperität, am Reichtum und am vermeintlich guten Leben. Er richtet die Augen dahin, wo junge Männer in Amerika traditionell ihr Augenmerk hin ausrichten: Nach Westen. Dort, wo neue, weite Horizonte sich auftun und die Zukunft Wohlstand und Ansehen verspricht. Man kann ihm dies kaum übelnehmen. Wenn er und seine Mitstreiter Neil und der ehemalige Vorarbeiter der väterlichen Ranch TinyMcGilligan (James Arness) anfangs in die Stadt geritten kommen, kontrastiert der Staub und Dreck, der ihre Uniformen bedeckt, deutlich mit der Sauberkeit und Ordnung der heutigen Hauptstadt des Staates Texas. Vielleicht könnte man Dan – wenn überhaupt – vorwerfen, daß er nicht wirklich die Weite des Westens gesucht hat, sondern in heimatlichen Gefilden geblieben ist?
Es ist jedenfalls Ryans Schauspielkunst und Boettichers Inszenierungsgeschick zu verdanken, daß wir die Wandlung von einem vielleicht zynischen, vielleicht nur bitteren Mann zu einem brutalen und ver-bitterten Mann glauben und nachvollziehen können. Man kann darüber spekulieren, ob die Tatsache, daß der Übergang in den äußeren Bedingungen dieser Wandlung etwas holprig geraten ist, nun Boettichers Budget oder den Studiovorgaben – der Film hat gerade einmal eine Laufzeit von 81 Minuten und war damit für die Double-Bills am Samstagnachmittag vorgesehen – geschuldet ist. Quasi per Schnitt bringt es Dan vom Habenichts, der die väterliche Ranch flieht, zum Großgrundbesitzer, der die Nachbarn des Vaters massiv unter Druck setzt, ihm ihr Land zu verkaufen. Dans innere Wandlung ist da weitaus glaubwürdiger, als die dargestellten äußeren Schritte, die er von der recht ausführlichen Rekrutierungsszene der ehemaligen Soldaten zum Big Boss nimmt.
Dem Western gerade der 50er Jahre wird ja gern eine ebenso rassistische und reaktionäre Haltung unterstellt, wie auch eine im Kern antikapitalistische. Es ist sehr viel einfacher, für ersteren Vorwurf Beispiel zu finden, als wirklich nennenswerte für die zweite Unterstellung. HORIZONS WEST aber ist ein solches Beispiel. Selten wird das Streben nach Reichtum, das in Amerika ja gern mit dem Streben nach Glück gleichgesetzt wird, derart kritisch betrachtet wie hier. Geld verdirbt den Charakter, wurde oben als ein Motto dieses Films behauptet, und der belegt das an allen Ecken und Enden: Hardin – der uns sang- und klanglos mitten im Film verläßt und damit vielleicht die gerechteste Behandlung erfährt, die einem Typen wie ihm gebührt – ist offenbar ein Kriegsgewinnler und Menschenverächter, der meint, sein Reichtum erlaube ihm das; Dan Hammond entwickelt sich zu eben genau dem, was wir anfangs an Hardin ablehnen; Ira Hammond und Neil sind ehrliche Rancher, die nicht viel haben, dafür aber ehrliche Arbeit leisten; Austin wird als neureiche, aufstrebende Stadt dargestellt, die überkandidelt und versnobt ist. Die Zeichen des Films sind eindeutig, was die Kritik an kapitalistischen Auswüchsen betrifft.
Budd Boetticher ist mit HORIZONS WEST ein kleines Meisterwerk mit nur wenigen Schwachpunkten gelungen. Ökonomisch schlank erzählt er seine Story der ungleichen Brüder und bereichert das reine Familiendrama mit historischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Dank einer Schar großartiger Schauspieler aus der zweiten Reihe und ebenso großartiger Charakterdarsteller (McIntire, Burr, Arness oder Dennis Weaver) gelingt es auch, das ganze Vehikel über den sonstigen Durchschnitt des B-Western zu heben. So hat man hier ein schönes Beispiel für die Könnerschaft des Regisseurs abseits der bereits erwähnten Meilensteine des Genres, die er später mit Randolph Scott drehen sollte.