MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR/DRIVING MISS DAISY

Bruce Beresford bietet einen trotz aller Wohlfühlattitüde doch differenzierten Film über Rassen- und Klassenschranken

Atlanta, Georgia, im Jahr 1948. Miss Daisy Werthan (Jessica Tandy), eine ältere, sehr reiche Witwe, setzt ihren Wagen beim Ausparken aus der Garage versehentlich in den Garten des Nachbarn. Ihr Sohn Boolie (Dan Aykroyd) legt ihr nahe, zukünftig auf das Fahren zu verzichten, da die Versicherung nicht mehr bereit sei, die Policen zu zahlen. Doch Miss Daisy ist nicht bereit, eigenes Zutun einzusehen, in ihren Augen war es die Schuld des Wagens.

Boolie weiß sich nicht anders zu helfen, als auf eigene Kosten einen Fahrer einzustellen, den seine Mutter dann nicht rausschmeißen kann. So kommt Hoke Colburn (Morgan Freeman), auch er ein schon älterer Herr schwarzer Hautfarbe, in das Haus von Miss Daisy.

Die lehnt die ungebetenen Dienste zunächst ab. Doch bleibt Hoke Colburn hartnäckig und schließlich gelingt es ihm, Miss Daisy dazu zu bringen, sich von ihm zu den Treffen mit ihren Freundinnen oder auch in die Innenstadt fahren zu lassen, wo sie gern einkaufen geht.

In Miss Daisys Haus lebt neben der Hausherrin selbst nur die Bedienstete Idella (Esther Rolle), die ein für Hoke nur schwer zu durchschauendes, zwar distanziertes, jedoch auch vertrautes Verhältnis zu Miss Daisy pflegt. Abends verlässt sie das Haus, morgens kommt sie wieder, den Tag über verrichtet sie allerlei Arbeiten. Hoke und sie verbringen viel Zeit gemeinsam in der Küche, erst recht, als in den 50er Jahren das Fernsehen aufkommt. Sie lieben beide dieselben Serien und verfolgen deren Fortsetzungen mit großer Aufmerksamkeit. Eines Tages wird Idella hier vor dem Fernseher sterben und von Hoke gefunden werden.

Zwischen Hoke Colburn und Miss Daisy entwickelt sich langsam, sehr vorsichtig und mit Unterbrechungen, Rückschlägen und einer Menge Missverständnissen ein Vertrauensverhältnis. Hoke muss allerlei Belehrungen durch die ehemalige Lehrerin ertragen, reagiert darauf jedoch immer mit Bedacht und zurückhaltend.

Als Miss Daisy feststellt, dass Hoke nicht lesen kann, bringt sie ihm Lesen und Schreiben bei.

Bei einem Ausflug nach Alabama, zum 90. Geburtstag ihres Bruders, müssen Hoke Colburn und Miss Daisy Werthan einige heikle Situationen durchstehen. Zunächst werden sie bei einer Pause, während sie sich ein Sandwich und ein paar, von Idella bereitete, hart gekochte Eier genehmigen, von einer Polizeistreife aufgefordert, die Papiere zu zeigen. Die Polizisten zeigen offen ihre Abneigung gegen beide: Den Schwarzen Mann und die jüdische Frau. Später muss Hoke sich gegen seine Arbeitgeberin durchsetzen, dass er zur Toilette gehen darf. Sie ist der Meinung, er könne ruhig einhalten, bis sie am Ziel angekommen seien, Hoke erklärt, er sei ein nun schon längst erwachsener Mann, er wisse durchaus, wann er ein Bedürfnis habe. Als er den Wagen verlässt, merkt Miss Daisy, wie sehr sie auf ihn angewiesen ist, weil sie auf einmal Angst bekommt und nach ihm ruft.

Dies sind nur einige der Ereignisse und Begebenheiten, die sich durch die Jahre ziehen und die doch dazu beitragen, dass die beiden einander annähern. Miss Daisy muss nach und nach begreifen, dass von sich zu behaupten, dass man keine Vorurteile gegen niemanden habe, nicht reicht. Man muss das Unrecht schon begreifen, erkennen und benennen. So bringt ihr Hoke Colburn nach und nach bei, das Unrecht, das gegen Schwarze geschieht, auch zu sehen.

Als in den 60er Jahren Martin Luther King seine Thesen veröffentlicht und damit maßgeblich dazu beiträgt, dass die Bürgerrechtsbewegung relevant wird, findet Miss Daisy Gefallen an dem Mann. Sie erhält sogar eine Einladung, als er vor ausgesuchtem Publikum in Atlanta sprechen soll. Da alle, die sie einlädt, mit ihr dorthin zu gehen, absagen, fragt sie unterwegs zu der Veranstaltung, ob Hoke sie begleiten wolle. Der zeigt sich befremdet – er soll nun, unvorbereitet, in der Uniform eines Bediensteten zu einer Ansprache Martin Luther Kings gehen? Er bitte Miss Daisy, ihm das nächste Mal, wenn sie ihn bitten wolle, sie irgendwohin zu begleiten, frühzeitig Bescheid zu geben. So geht Miss Daisy allein zu der Veranstaltung und hört King dort sprechen, während Hoke Colburn im Wagen vor der Tür sitzt und der Rede im Radio lauscht.

Bei einer anderen Gelegenheit können Miss Daisy und Hoke Colburn die Straße nicht passieren, weil in der Synagoge, wo sie hinwollten, eine Bombe gefunden wurde. Erst will sie nicht begreifen, dass es dieselben Leute sind, die Schwarze angreifen, die eben auch Bomben an jüdische Einrichtungen legen. Miss Daisy wird langsam der Zusammenhang deutlich, der zwischen Rassismus und Antisemitismus besteht.

Eines Tages kommt Hoke morgens in Miss Daisys Haus und findet die alte Dame offensichtlich verwirrt vor. Sie scheint in der Vergangenheit zu leben. Hoke informiert Boolie und wartet dann mit Miss Daisy, bis deren Sohn eintrifft und sich um sie kümmert. Miss Daisy ergreift Hokes Hand, drückt sie fest und erklärt ihm, er sei ihr bester Freund. Hoke drückt ihre Hand und erklärt ihr, dass sei wohl so…

Die Jahre gehen ins Land. Im Jahr 1973 schließlich lebt Miss Daisy, mittlerweile an einer starken Demenz leidend, in einem Pflegeheim. Sie ist nun fast Einhundert Jahre alt. Es ist ein Vierteljahrhundert vergangen, seit sie und Hoke Colburn – selbst um die 85 Jahre alt und mittlerweile schwer sehbehindert – einander das erste Mal begegnet sind.

Hoke trifft Boolie im Haus von Miss Daisy, das verkauft werden soll. Es ist Thanksgiving und die beiden fahren gemeinsam in das Pflegeheim, um die alte Dame zu besuchen. Die scheint allerdings nur Hoke zu erkennen. Boolie überlässt die beiden sich selbst. Hoke setzt sich zu Miss Daisy und hilft ihr, ihren Käsekuchen zu essen.

„White Saviour“ ist mittlerweile der Fachbegriff für jene Filme, die vordergründig davon erzählen, wie schwarz und weiß, trotz der Geschichte, die sie ebenso verbindet wie trennt, doch zu Freunden werden können und sich eigentlich gut verstehen. Oft sind es Filme, die auch in das Metier des „Feel-Good-Movies“, also der Wohlfühlfilme fallen, weil sie ihrem Publikum vorgaukeln, dass es nur guten Willen und guten Muts bedarf, um historische Schranken und Hürden zu überwinden. Und die ihr Publikum meist mit einem wohlig-warmen Gefühl aus dem Kino entlassen. Typische Vertreter des „White Saviour“-Films sind Werke wie CRY FREEDOM (1987) von Richard Attenborough, FRIED GREEN TOMATOES (AT THE WHISTLE STOP CAFE) (1991) von Jon Avnet, AMISTAD (1997) von Steven Spielberg, in jüngerer Zeit THE GREEN BOOK (2018) von Peter Farrelly. Bei anderen Filmen, wie bspw. Alan Parkers MISSISSIPPI BURNING (1988) oder Edward Zwicks GLORY (1989), kann man geteilter Meinung sein, ob hier tatsächlich im engeren Sinne weiße Retter-Figuren auftreten, oder ob die Sachlage nicht doch etwas komplizierter ist.

Kompliziert ist die Lage auch im Fall von Bruce Beresfords DRIVING MISS DAISY (1989). In den einschlägigen Listen zum „White Saviour“-Film taucht dieses Werk selten bis gar nicht auf, erfüllt aber dennoch viele Aspekte, die es eigentlich dazu prädestinieren. Erst recht, wenn man einen Film wie GLORY dazurechnet. Denn Zwick erzählt eine Geschichte von Selbstermächtigung und Emanzipation in einer Zeit, als Schwarze noch gar keine Rechte in den Vereinigten Staaten hatten. Dass das im Film beschriebene Regiment, welches im Sezessionskrieg auf der Seite der Union kämpfte, einen weißen Offizier hatte, war schlicht den zeitgeschichtlichen Gegebenheiten geschuldet. Dass die von Jessica Tandy brillant verkörperte Miss Daisy Werthan einen Schwarzen als Chauffeur beschäftigt – der allerdings von ihrem Sohn angestellt wird, da die alte Dame eigentlich noch selber fahren will – ist auch im Jahr 1948 nicht zwingend nötig gewesen.

Basierend auf seinem eigenen Theaterstück hatte Alfred Uhly ein Drehbuch geschrieben, welches von der schon erwähnten Südstaatendame Miss Daisy erzählt, die zu Beginn der Geschichte ihren Wagen zu Schrott fährt, dafür aber den Wagen, keinesfalls eigenes Unvermögen verantwortlich macht. Miss Daisy ist eine ältere Dame jüdischen Glaubens, die strenge Ansichten über Moral und Benimm vertritt und sich darob gern und viel mit ihrem Sohn streitet. Dieser Sohn – im Film von Dan Aykroyd gespielt – engagiert schließlich den schwarzen Chauffeur Hoke Colburn – Morgan Freeman spielt ihn in einer für seine Karriere wesentlichen Rolle – um seine Mutter in und durch die Stadt zu kutschieren. Über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren erwächst aus dem Arbeitsverhältnis der beiden nach und nach eine Freundschaft, die auch noch anhält, nachdem Miss Daisy, hochbetagt, in ein Heim gezogen ist, wo Hoke Colburn, mittlerweile selbst ein alter Mann, sie regelmäßig besucht.

Es war einer der Filme, mit denen Morgan Freeman einem breiteren Publikum bekannt wurde. Für den Charakterdarsteller war das Jahr 1989 wesentlich, denn er spielte auch in GLORY und ebenso in JOHNNY HANDSOME (1989) und einem weiteren Film, doch keine Rolle katapultierte ihn derart in das öffentliche Bewusstsein, wie die des Hoke Colburn, die er zuvor schon in der Off-Broadway-Inszenierung des Stücks gespielt hatte. Freeman gibt diesem Mann eine enorme Würde, zugleich kann man in seinem Spiel aber auch immer die Verletzung spüren, die einem erwachsenen Mann widerfährt, der behandelt wird wie ein Junge.

Die Geschichte ist in Georgia angesiedelt, also dort, was als „tiefer Süden“ bezeichnet wird. Staaten wie Georgia, Alabama, Mississippi oder Louisiana waren Kern der Sezession, jenes Verbunds von Südstaaten, die sich 1861 aus der Union loslösen wollten, um ihren „Lebensstil“ – also die Sklaverei, auf welcher ihr Reichtum vor allem beruhte – beibehalten zu können, und damit den amerikanischen Bürgerkrieg auslösten. Wenn also eine reiche jüdische Dame hier einen schwarzen Chauffeur einstellt, dann ist dies ein sehr kompliziertes und vielschichtiges Gemisch, jenseits der Frage von Schwarz und Weiß.

Es gibt eine Szene, in der Hoke Miss Daisy zu einem Familientreffen nach Alabama fährt. Die beiden machen eine Pause am Straßenrand, um etwas zu essen. Ein Polizeiauto hält, die Beamten stellen die alte Dame und den schwarzen Fahrer zur Rede, müssen sie dann aber in Ruhe ihres Weges ziehen lassen. Die Kamera zeigt eine Totale, wir sehen den Wagen mit Miss Daisy und Hoke Colburn wegfahren, während die Polizisten ihnen nachblicken. Auf der Tonspur hören wir, wie der eine Beamte zum anderen sagt: Eine Jüdin und ein N*****, das kann ja nichts werden. Es sind solche kleinen Momente, die Uhly nutzt, um die Situation im Süden vor den Dekaden der Bürgerrechtsbewegung zu zeigen. Schwarze waren hier praktisch rechtlos, aber auch Juden, Katholiken und Angehörige anderer Religionen, die nicht einer der protestantischen Kirchen angehörten, waren sehr unbeliebt und teils widerlichen und tendenziell auch tödlichen Angriffen ausgesetzt.

Der Film gibt sich also große Mühe, seinem Publikum die Problematik der Rassentrennung, der Unterdrückung und Diffamierung nahezubringen. Und das mit einem hohen Grad der Differenzierung. Denn keinesfalls stellen Buch oder Regie das Unrecht, das Hoke Colburn widerfährt, auf eine Stufe mit dem Misstrauen und den Vorbehalten, die einer jüdischen Dame womöglich hinter vorgehaltener Hand entgegengebracht werden. Ganz im Gegenteil: Hoke Colburn gelingt es, seiner Arbeitgeberin nach und nach begreifbar zu machen, dass sie sich vielleicht für eine Liberale halten mag – mehrfach weist Miss Daisy darauf hin, keine Vorurteile oder Ressentiments zu haben – dass das aber nicht gleichbedeutend ist mit einem gleichberechtigten Nebeneinander von schwarz und weiß.

Spät in ihrem Verhältnis zu ihrem Chauffeur wird Miss Daisy eingeladen, einem Auftritt Martin Luther Kings beiwohnen zu dürfen. Da sie niemand aus ihrem Freundeskreis begleitet, bietet sie dies sehr spät – quasi schon auf dem Weg zur Veranstaltung – Hoke Colburn an. Der lehnt ab, weil er merkt, dass er lediglich Lückenfüller wäre. Und weil er keinesfalls in einer Chauffeur-Uniform einer Rede des großen Mannes beiwohnen möchte. So sitzt also schließlich die weiße Miss Daisy in der herrschaftlichen Villa, in der King auftritt, während der schwarze Hoke Colburn draußen im Wagen hockt. Sie hört King live, Colburn hört King im Radio. Es ist einer der grandiosen Momente dieses Films. Denn so ruhig und wie nebenbei dies inszeniert ist, so treffend und schmerzhaft ist es eben auch. Es bringt so vieles auf den Punkt, was bis heute zwischen Schwarzen und Weißen zu Missverständnissen und eben auch gegenseitigen Ressentiments führt.

Ist DRIVING MISS DAISY deshalb also doch anders als andere Filme ähnlicher Machart? Auch in THE GREEN BOOK kutschiert ein Mann einen anderen Mann in den Jahren strenger Rassentrennung durch den Süden – allerdings ist es hier ein von Viggo Mortensen gespielter Weißer, der den von Mahershala Ali gespielten Musiker Don Shirley chauffiert. Und doch wird letzterem Film vorgeworfen, Rassismus in einem Wohlfühlfilm, einem Feel-Good-Movie eben, abzuhandeln und dabei sowohl Klischees zu reproduzieren, als auch in dem Versuch, diese zu brechen, neue Klischees zu produzieren. Tatsächlich macht es sich Beresford nicht ganz so einfach. Sein Film ist voller solcher kleinen Momente wie den oben geschilderten, er ist voller Momente, die, durchdenkt man sie genauer, sehr schmerzhaft sind. Und doch entlässt er sein Publikum eben mit diesem Gefühl, dass das alles zu überwinden sei, dass Schwarze und Weiße irgendwie Freunde sein könnten, wenn sich beide Seiten nur ein wenig Mühe geben.

Das ist natürlich eine Perspektive, die sehr viel leichter von einem Weißen einzunehmen ist. Ein schwarzer Künstler würde dies möglicherweise vollkommen anders sehen – und anders darstellen. Denn die Verletzungen, die 450 Jahre Sklaverei, Unterdrückung, Rechtlosigkeit in einer ganzen Bevölkerungsgruppe hinterlassen, Wunden, die nicht so leicht vernarben, geschlagen haben, lassen deren Angehörige vielleicht nicht ganz so einfach vergessen. Oder gar verzeihen. Und auch Beresfords Film kann eben nicht verbergen – was ihm allerdings anzurechnen ist, ist die Tatsache, dass er sich und dem Publikum da auch keine falschen Hoffnungen macht – dass schlussendlich die Hierarchien eben nicht so leicht zu durchbrechen sind.

Hoke Colburn wird Miss Daisy weiterhin „Miss Daisy“ nennen, während sie ihn „Hoke“, also bei seinem Vornamen, nennen wird. Er wird, trotz aller sich andeutenden Freundschaft, weiterhin seine Uniform tragen, wenn er das Haus von Miss Daisy betritt. Und – das allerdings eine Szene, die der Film nutzt, um genau die hier angesprochenen Gefälle zu verdeutlichen – Hoke Colburn wird auch noch in der Küche essen, allein, wie seine Arbeitgeberin – ebenfalls allein – im Salon essen wird, nachdem Idella, Miss Daisys ebenfalls schwarze Haushälterin, die Jahrzehnte für sie gearbeitet hat, verstorben ist. Da ist DRIVING MISS DAISY dann doch brutal ehrlich: Rassen- und Klassenschranken lassen sich nicht nolens volens durchbrachen oder gar aufheben.

Ein einziges Mal – ebenfalls auf jener Fahrt nach Alabama – gelingt es Hoke Colburn, sich durchzusetzen und damit die Hierarchie, wenn nicht umzukehren, so doch zumindest kurz aufzuheben: Als er ein dringendes Bedürfnis verspürt, hält er schließlich an und geht hinter einen Busch. Entgegen der Anweisung seiner Chefin, die der Meinung ist, er könne genauso gut einhalten, bis sie ihr Ziel erreicht hätten. Hoke Colburn weist sie darauf hin, dass er ein mittlerweile älterer Herr sei, der wisse, wann er mal müsse. Und dass er nun gedenke, diesem Bedürfnis nachzukommen. Dies ist eine direkte Anspielung auf den Blues-Klassiker Mannish Boy, der von Muddy Waters geschrieben und erstmals gesungen wurde. Zentrale Passage des Texts ist der Hinweis, dass der Sänger ein MANN sei, kein Junge – I´m a MAN, I spell M A N[…], no B O Y[…]I´m a man, a full grown man… Es ist die Selbstermächtigung eines schwarzen Mannes. Denn „Boy“ war (und ist es leider häufig immer noch) die herkömmliche Bezeichnung für schwarze Männer im Süden durch Weiße. Es ist eine rassistische, herabsetzende Bezeichnung. Zwar will Miss Daisy im Film nicht so sein – doch wird in dieser Szene deutlich, dass das Ressentiment eben auch in jenen schlummert, die es vermeintlich „gut“ meinen.  Oftmals muss man sie erst mit leichtem Druck auf ihre eigenen Haltungen hinweisen.

Nun könnte man meinen, all die beschriebenen Beispiele zeigten doch, dass DRIVING MISS DAISY eben kein „White Saviour“-Film sei, da er doch die Schwierigkeiten des Zusammenwachsens von Schwarz und Weiß, die Probleme des Zusammenlebens manchmal subtil, manchmal überdeutlich bezeichnen und benennen würde. Und ja, das stimmt auch. Der Film ist sicherlich ein besserer Beitrag, um zur Verständigung beizutragen. Und sicher meint er es eben auch gut. Zudem sind sich Buch – das vor allem – sowie die Regie und offenbar auch alle Beteiligten sehr wohl bewusst, worum es geht und wie schwierig es ist, dabei die Balance zu halten, Maß und Mitte zu wahren. Wobei sich die Frage stellt, ob es hier überhaupt um Maß und Mitte zu tun ist?

So liegt das Problem dieses und so vieler vergleichbarer Filme vielleicht einfach darin, dass er sein Publikum mit einem Gefühl entlässt, dass dem Thema unangemessen ist. Mag das bei einem Film wie FRIED GREEN TOMATOES auch deshalb um ein Vielfaches schlimmer sein, weil er sein Sujet schlicht verharmlost[1], so muss man auch im Falle von Beresfords Film festhalten, dass das Publikum nicht gerade mit einem unguten Gefühl, gar echtem Unwohlsein aus dem Kinosaal tritt. Der Film entlässt uns mit einer ebenso sentimentalen wie natürlich durch und durch berührenden Szene, wie der nun wirklich alte Hoke Colburn Miss Daisy – scheinbar dement – in dem Heim besucht, wo sie untergebracht ist, und ihr hilft einen Kuchen zu essen. Ein Bild der Versöhnung, des Versöhnlichen. Das passt natürlich in dcen Kontext des Films und knüpft unmittelbar an eine frühere Szene an, in welcher die langsam ihren zunehmenden Gedächtnisverlusts begreifende Miss Daisy Hokes Hand ergreift und gesteht, er sei ihr bester Freund – im Grunde ihr einziger, so wie es der Film, trotz steter Spielerunden mit Damen aus der Nachbarschaft, suggeriert.

Und natürlich ist im Grunde nichts einzuwenden gegen Bilder der Versöhnung, des menschlichen Miteinanders, der Zugewandtheit. Ist es nicht auch und gerade das Recht – vielleicht sogar die vornehme Pflicht – des Mainstreamkinos, dem Publikum Träume zu verkaufen? Möglichkeiten einer besseren Welt? Utopien, wenn man so will? Doch, das darf es, das soll es auch. Doch sollte es nicht – und leider passiert das allzu häufig – suggerieren, dass diese bessere Welt eigentlich schon existiere, dass die andere Welt, die, in der Menschen andere Menschen unterdrücken, quälen, verfolgen und töten, im Grunde nur ein böser Albtraum sei. Doch so weit sollte man im Vorwurf bei diesem Film, bei DRIVING MISS DAISY, auch nicht gehen. Es gelingt hier durchaus, problematische Zusammenhänge aufzuzeigen und ebenso, dass diese nicht mit einem Satz oder einer Geste aufzuheben wären. Gerade die Tatsache, dass Miss Daisy als Jüdin selbst eher eine Außenseiterin ist, verdeutlicht dies. Andererseits hätte man diesen Aspekt – gerade auch, weil der Film 1948 einsetzt, als die Gräuel, die sich in den Todeslagern der Nazis abgespielt hatten, immer bekannter wurden, immer stärker ins Bewusstsein der Menschen auch jenseits des Atlantiks eindrangen – auch noch stärker betonen können als in einer einzigen, weiter oben beschriebenen Szene.

So bleibt hier nicht so sehr ein fahler Beigeschmack, wie bei anderen Filmen ähnlichen Inhalts, man könnte sogar sagen, dass das Prinzip des „White Saviour“-Films hier in gewisser Weise sogar umgedreht, geradezu verkehrt würde. Denn es ist der weise Hoke Colburn, der Miss Daisy einiges lehrt, weniger sind es Miss Daisy oder gar ihr Sohn, die Hoke helfen. Der weiß sich durchaus selbst zu helfen, wie er mehrfach im Film beweist. Aber, auch das gehört zur Wahrheit, ist er – in all seiner Weisheit und seiner freundlichen Bestimmtheit gegenüber seiner Arbeitgeberin, die trotz allem eben immer noch eine reiche weiße Dame in den Südstaaten ist – eben auch selbst schon wieder ein Klischee. Er erfüllt das Klischee des eben weisen, grundgütigen und vor allem nachsichtigen älteren schwarzen Mannes, der liebevoll den Kopf schüttelt ob der Nachlässigkeiten des menschlichen Wesens. Ein Klischee, das gerade Morgan Freeman in seiner späteren Karriere noch manches Mal in verschiedenen Variationen bedienen sollte.

So setzt sich die Kette an Argumenten und Gegenargumenten endlos fort und ein Film wie dieser, ein Mainstreamfilm, der kommerziell funktionieren muss, kann sie letztlich nicht durchbrechen oder gar aufheben. Er kann aber, im Rahmen seiner Möglichkeiten, versuchen, die Widersprüche spürbar zu machen. Und das gelingt hier dann doch auf hervorragende Art und Weise. Nicht zuletzt, weil mit Morgan Freeman und Jessica Tandy – einer Grande Dame des klassischen Hollywoods der goldenen Ära – zwei unfassbar gute Schauspieler ihre Rollen mit Leben füllen und sich dabei ein Duell liefern, das es in sich hat. Tandy gelingt eine bravouröse Darstellung des Alterns, Freeman hält dagegen. Es sind in seiner Darstellung vor allem die Zwischentöne – wie er sich anfangs den Anstrich des einfachen Jungen gibt, auf die nicht immer von Weisheit kündenden Bemerkungen seiner Arbeitgeberin so zu reagieren versteht, dass sie sich nie auf die Füße getreten zu fühlen braucht, wie er aber langsam, mit den Jahren, die in ihrem Dienst vergehen, mehr und mehr zeigt, wer er wirklich ist, was in ihm steckt, bis hin zu dem Momenten, in denen er ihr offen widerspricht – die diesen Hoke Colburn so glaubwürdig und eben auch würdevoll erscheinen lassen. Und Tandy portraitiert eine Dame, die letztlich nicht aus ihrer Haut kann, auch nicht, als sie es eigentlich bereits besser weiß, besser wissen müsste, eine Dame, die sich redlich Mühe gibt – und doch auch immer wieder an den Begrenzungen ihrer Klasse und deren Konventionen scheitert.

Das ist großes Schauspielerkino und immer wieder eine Ehre, dem beizuwohnen. Auch deshalb war DRIVING MISS DAISY einer der großen Gewinner an den Kinokassen des Jahres 1989 und einer der ganz großen Gewinner bei der Oscarverleihung 1990. Bei neun Nominierungen konnte der Film vier Trophäen gewinnen: Bester Film, Beste Hauptdarstellerin, Bestes adaptiertes Drehbuch und Bestes Make-Up. Leider ging Morgan Freeman, der ebenfalls nominiert war (Bester Hauptdarsteller), leer aus. Doch das nur nebenbei, denn seine Leistung bleibt ungeschmälert. Es ist eine grandiose schauspielerische Leistung in einem letztlich grandiosen, weil stillen und differenzierten Film.

 

[1] Ohne hier genauer darauf eingehen zu können, sollte man sich noch einmal vor Augen führen, wie der Film von Jon Avnet mit dem Thema Ku-Klux-Klan umgeht. Wäre das alles so einfach gewesen, wie der Film es sogar etwas komödiantisch darstellt, fragt man sich, weshalb eine Blues-Sängerin wie Billy Holiday von der Strange Fruit sang, dieser seltsamen Frucht, die da in den Bäumen hängt – und schlicht die schwarzen Opfer weißer Lynchmobs bezeichnete…

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