SKIPPY STIRBT/SKIPPY DIES

Ein netter, zu langer und oft zu klischeehafter College-Roman aus Irland

Jeder kennt das: Im Buchladen lacht einen ein Cover an, man liest den Klappentext, denkt sich: Och ja, klingt interessant, und nimmt das Buch mit. Dann steht es im Regal. Und steht da und steht da. Nur gelesen wird es nicht. Warum auch immer. Thema interessiert doch nicht wirklich, schlechte Kritik in der Tagespresse, man hat gerade anderes, wichtigeres zu tun. Tausend Gründe. Dann wird das Buch – vielleicht Jahre später – irgendwo erwähnt, man erinnert sich, da war doch was – und greift endlich beherzt zu.

SKIPPY STIRBT (SKIPPY DIES, Original erschienen 2010, Deutsch 2012) wurde in Bret Easton Ellis´ Essayband WEISS (2019) lobend erwähnt und kam dem Rezensenten so wieder in den Sinn. Also wurde es gelesen. Und die Lektüre hat sich im Großen und Ganzen gelohnt. Eine irische Coming-of-Age-Geschichte, die an etliche Coming-of-Age-Geschichten aus den USA erinnert, was es zunächst schwierig macht, den Roman richtig zu verorten. Ein Elite-College in Dublin, gegründet und zumeist geführt von katholischen Priestern, durch dessen Alltag der Leser einer Freundesgruppe unter den Schülern folgt, zugleich aber auch den Erlebnissen eines Lehrers, der selbst Schüler an der Schule war und nun durch eine Midlife-Crisis geht. Es dauert, bis man all die Namen geordnet hat, bis deutlich wird, wer hier wer ist. Ruprecht Van Doren, ein verfetteter aber genialischer Schüler, der titelgebende Skippy, der schon auf den ersten Seiten stirbt, bevor die Geschichte einsetzt und uns berichtet wird, wie es dazu kam, daß dieser Junge das Zeitliche segnete, Dennis, ein sich zynisch gebender junger Mann (die Schüler sind alle ca. 12 Jahre alt), Carl, Drogendealer und mit durchaus psychopathischen Zügen ausgestattet, schließlich Lori, in die sich Skippy unsterblich verliebt und die ihn wider Erwarten sogar erhört. Sie verbringen eine keusche aber wunderbare Nacht im Anschluß an ein Schulfest, was wiederum die Aufmerksamkeit von Carl erregt, der Anspruch auf Lori erhebt – Anspruch im wahrsten Sinne des Wortes. Und so wird ein Reigen von zwischenmenschlichen Verwerfungen, von Freund- und Feindschaften, von Irrungen und Wirrungen unter den Schülern in Gang gesetzt, die schließlich dramatische, ja tragische Folgen zeitigen.

Paul Murray erzählt diesen Reigen in einem ironisch angehauchten Ton, manchmal ins Zynische abgleitend, sich der Tragik, die der Geschichte innewohnt, jedoch bewußt. Dabei entsteht ein seltsamer Hybrid von einem Buch. Murray gelingt es, die Verlorenheit dieser Jungs – dies ist, man muß es so deutlich konstatieren, ein Jungsbuch – zu veranschaulichen, die Struktur einer Institution wie dieses Seabrook-Colleges, die schwächere Kinder schlicht zu vergessen scheint, spürbar zu machen. Er zeigt die Machtfülle der Lehrer, aber auch die Zwänge, denen sie unterliegen. Gerade anhand von Howard, jenem Mann in der Midlife-Crisis, der sich als Geschichtslehrer müht, seinen Schülern ein Bewußtsein historischer Abläufe zu vermitteln, ihnen trockenes Wissen mit Anschauungsmaterial und emotionalisierenden Geschichten näher zu bringen, der dabei aber von einem Lehrapparat und einer Schulleitung, die vor allem an reibungslosen Abläufen und der Erfüllung der Curricula interessiert ist, gehindert wird, steht hier exemplarisch. Wer in diesem System aus den vorgegebenen Abläufen ausbricht, wer sich nur ein Gran von den ausgetretenen Pfaden entfernt, stößt allenthalben auf erbitterten Widerstand.

Episodisch erzählt Murray also von den diversen Erlebnissen seines literarischen Personals. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht, als roter Faden dienen Skippys Verliebtheit, Ruprechts Versuche, in neue Dimensionen vorzustoßen, den zeitlichen Rahmen stecken diverse schulische Veranstaltungen ab – das schon erwähnte Fest, ein Schwimmwettbewerb, die 140-Jahr-Feier des Colleges. Angefüllt sind die immerhin fast 800 Seiten des Romans mit etlichen Episoden aus dem Leben der Schüler und Lehrer. Dabei erfasst Murray sowohl die pubertären Probleme der Heranwachsenden, als auch jene des krisengeschüttelten Howard recht gut. Die Frage ist, wie das eine sich zum andern verhält und ob die Verbindungen zwischen den Jungen und dem Lehrer zwingend sind. Und der Leser muß sich fragen, ob er wirklich über solch eine lange Lesestrecke die dauernden Beleidigungen der Jungen untereinander ertragen will, die sich vornehmlich mit „Spast“ oder „Idiot“ oder „Homo“ anreden, was zwar durchaus der Realität entsprechen mag, auf die Dauer aber ermüdend wirkt. Und auch die Probleme von Howard sind letztlich nicht originell erzählt, daß man nun wirklich bahnbrechend Neues über das Problem der männlichen Midlife-Crisis erfahre würde. Dazu ist Murrays Betrachtung nicht tief genug und seine Sprache zu oberflächlich.

Das ist Murrays Kernproblem: So sehr seine Hauptfiguren – eben vor allem Skippy und Ruprecht, sowie Howard – charakterlich auch ausgetüftelt sein mögen, so viel Mühe er sich gibt, sie differenziert zu zeichnen und mit Leben zu erfüllen, zu viele der Nebenfiguren enden im Klischee. Sei es der zynische Direktor, der nur an eigener Macht und wenig an seinen Schülern interessiert ist, dessen Gattin, die zugleich seine Sekretärin ist und rundweg als Dummchen gezeichnet wird – und damit exemplarisch für die wenigen Frauen in diesem Roman steht, die alle durchweg durchtrieben, dümmlich oder sexgesteuert sind – , ob die Pater, die nach und nach die Macht über die Schule verlieren und derer sich gleich zwei mit pädophilen Gedanken herumschlagen, die sie zum Glück nicht ausleben, während der Schwimmlehrer, der sich nach eigenen Angaben an dem jungen Skippy vergangen hat, von der Schule hinfort gelobt wird, ob Lori, Skippys Objekt der Begierde, oder etliche, für die Handlung weniger wichtige Schüler, deren Eltern und Lehrer – zu oft bedient sich Murray im Baukasten des College-Romans und der entsprechenden Sprachbilder. Manchmal gewinnt er dem darin Enthaltenen noch eigene, das Klischee brechende Ideen ab, die den Leser schmunzeln lassen, zu häufig aber macht er es sich einfach. Zu einfach.

So entsteht irgendwann der Eindruck, daß der ganze Roman auf dem schlüpfrigen Sand der billigen Kolportage aufgebaut wurde. Es ist wohlfeil, sich über reiche, aber an ihren Kindern wenig interessierte Eltern lustig zu machen, es ist ebenso wohlfeil, jede Wendung aufzugreifen, die ein Internats-Roman bietet, ohne sie in irgendeiner Weise zu brechen, es ist zu einfach, sich eines Personals zu bedienen, das dem Leser aus etlichen Romane von J.D. Salinger bis Thomas Woolfe bekannt vorkommt und es einfach nur ins Irische zu wenden. Und es ist viel zu einfach – und in gewisser Weise auch verharmlosend – das Thema „Mißbrauch“ zwar anzuschneiden, dann aber auf möglichst simple, gar verharmlosende Art und Weise zu behandeln und im Grunde fallen zu lassen. Ist der Roman an vielen Stellen trotz seiner Mängel doch gut lesbar, unterhaltsam und auch anrührend, wird es an dieser Stelle ärgerlich. Denn nötig für die Entwicklung der Geschichte oder den dramatischen Ereignisse sind diese Einsprengsel nicht. So bleibt der ungute Eindruck, daß der Autor hier eher eine Pflichtaufgabe abgehakt hat, weil er sich möglicherweise dachte, ein Roman über ein dezidiert katholisches College in Dublin ohne Bezug zum Mißbrauch durch einen (oder mehrere) Priester, sei nicht möglich.

Sieht man von dieser wirklich unangenehmen Tatsache ab, ist SKIPPY STIRBT, wie so viele Romane der letzten Jahre, immer noch zu lang und nicht kohärent, manchmal zu klischeehaft und oft sprachlich nicht unbedingt fesselnd, aber dennoch ein weitestgehend unterhaltsamer Roman, dem es eben auch gelingt, die Nöte der (männlichen) Pubertät gut auszustellen, wenn auch mit gelegentlich etwas derben und holzschnittartigen Mitteln. Ein Buch für zwischendurch, leicht lesbar, interessant genug, um dran zu bleiben, ohne wirklichen Tiefgang und ganz sicher kein Roman, das den Leser allzu sehr fordert. Manchmal bergen Regale mit „vergessenen“ Büchern gerade für solche Gelegenheiten doch die eine oder andere Entdeckung.

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