SLEEPERS

Barry Levinson liefert ein hochmanipulatives Selbstjustizdrama

Hell´s Kitchen, New York City, in den 1960er Jahren. Die Freunde Lorenzo  “Shakes” Carcaterra (Joseph Perrino; später Jason Patric), Michael Sullivan (Brad Rentro; später Brad Pitt), Tommy Marcano (Jonathan Tucker; später Billy Crudup) und John Reilly (Geoffrey Wigdor; später Ron Eldard) wachsen in den Straßen dieses immer schon verrufenen Viertels auf, in dem ein Gemisch aus Italienern, Iren, Hispanics und Juden mehr oder weniger gut miteinander lebt, wo die Staatsmacht selten eingreift und die Gesetze von Männern wie King Benny (Vittorio Gassman) gemacht und überwacht werden.

Die Freunde genießen die heißen Sommer, spielen Basketball mit Pater Bobby (Robert De Niro), der sich bemüht, die Jungs auf die rechte Bahn zu bringen. Sie spielen den Erwachsenen Streiche und hängen mit Carol Martinez (Monica Polito; später Minnie Driver) ab, in die sie alle heimlich verliebt sind.

Eines Tages wollen die Vier einem Händler seinen Hot-Dog-Stand klauen. Doch die Aktion geht furchtbar schief, als der schwere Wagen sich selbstständig macht und im Eingang einer Subway-Station verschwindet. Dort wird ein zufällig vorbeikommender Passant schwer verletzt.

Die vier Freunde landen vor dem Jugendgericht und werden alle zu mindestens einem Jahr im Wilkinson Home for Boys, einem Jugendgefängnis, verurteilt. Alle vier haben furchtbare Angst. Im Knast müssen sie sich der Angriffe der älteren Jungs erwehren, schlimmer aber sind die Übergriffe des Wachpersonals um den Aufseher Sean Nokes (Kevin Bacon). Der und seine Kumpane herrschen mit eiserner Hand, prügeln und demütigen die Insassen und vergehen sich an den vier Freunden. Dafür bringen sie sie in die Kellerräume der Anstalt, wo niemand die Schmerzensschreie der Kinder hört.

Die Vier schwören sich, daß sie sich nicht unterkriegen lassen und niemandem von den Erniedrigungen erzählen, auch nicht Pater Bobby, der sie regelmäßig besucht. Da die Wächter regelmäßig ein Rugby-Spiel gegen ihre Schutzbefohlenen ansetzen, bei dem die Häftlinge lediglich dazu da sind, zu verlieren, überredet Michael den Star-Spieler der Häftlinge, den Schwarzen Rizzo (Eugene Byrd), bei nächster Gelegenheit ernst zu machen und dem Wachpersonal einen echten Fight zu liefern. Diesen gewinnen wirklich die Jungs, was zu fürchterlichen Konsequenzen führt: Die vier Freunde werden krankenhausreif geprügelt, Rizzo überlebt die Gewalt der Wachen nicht.

So müssen die vier ihre Haftzeit über sich ergehen lassen, bis sie entlassen werden.

Das Jahr 1981. Mittlerweile sind die vier Freunde erwachsen. John und Tommy haben sich zu Gangstern und den Anführern der West Side Boys-Gang entwickelt. Beide werden diverser Schwerverbrechen, sogar verschiedener Tötungsdelikte, verdächtigt. Michael hat das Viertel verlassen. Er hat Jura studiert und ist Staatsanwalt bei der Stadt New York. Shakes schreibt für den Lokalteil der New York Times.

Eines nachts treffen John und Tommy in einer Bar auf ihren früheren Peiniger Nokes. Der arbeitet mittlerweile bei einem Sicherheitsdienst und nimmt in der Bar ein spätes Mahl zu sich. Nachdem Tommy und John sich ihm zu erkennen gegeben haben, erschießen sie ihn kaltblütig und vor aller Augen.

Michael zieht den Prozeß an sich, was im Viertel für Aufruhr sorgt. King Benny bietet den West Side Boys an, Michael aus dem Weg zu räumen, wenn die das wünschen. Doch hat Michael Kontakt zu Shakes aufgenommen und dem seinen Plan mitgeteilt: Er will den Fall absichtlich verlieren, den Prozeß aber dazu nutzen, die Vorgänge im Wilkinson aufzudecken und zugleich Rache an den Peinigern von damals nehmen.

Shakes klärt King Benny über die Absichten auf, auch andere Bekannte aus Hell´s Kitchen werden eingeweiht. Carol, mittlerweile Sozialarbeiterin, die Zugang zu städtischen Archiven und Akten hat, soll ihnen Unterlagen über die anderen an den damaligen Mißbräuchen Beteiligten liefern. Michael will aber weiterhin nicht, daß irgendjemand erfährt, was damals wirklich passiert ist. Außerdem besteht er darauf, daß John und Tommy nicht erfahren, was er wirklich vorhat.

King Benny hilft, indem er in Michaels Auftrag den Anwalt Danny Snyder (Dustin Hoffman) engagiert. Der Mann ist Alkoholiker und schwer drogenabhängig, was ihn zu einem leicht führbaren Strohmann macht, der nach Michaels geheimen Drehbuch handelt. King Benny seinerseits sorgt auch dafür, daß zwei der vier Zeugen der Anklage ihre Aussagen zurückziehen.

Der Fall geht schließlich vor Gericht und es gelingt Michael geschickt, die Zeugen so zu positionieren, daß es für Snyder ein Leichtes ist, sie zu verhören. Dich es bleibt eine entscheidende Schwäche der Verteidigung, keinen Entlastungszeugen zu haben, der den Angeklagten ein Alibi gibt.

Während der Prozeß seinen Gang nimmt, gelingt es Shakes und Carol, nach und nach Material gegen alle damals beteiligten Wärter des Wilkinson zusammen zu tragen. Carol, die früher mit Michael und dann bis zu seiner Verhaftung mit John zusammen war, zeigt auch Shakes gegenüber tiefere Gefühle. Doch der ist nur an dem Plan interessiert.

Schließlich läuft alles darauf hinaus, einen Zeugen zu finden, der für John und Tommy aussagt. Shakes geht zu Pater Bobby und erzählt dem – und der ihn begleitenden Carol – die gesamte Geschichte. Er legt Michaels Plan dar und erklärt, was ihnen damals im Wilkinson widerfahren ist. Pater Bobby ist entsetzt und auch verletzt, daß die Jungs sich ihm damals nicht anvertraut haben. Er gibt Shakes zu verstehen, daß er den Plan für die Rechtfertigung von Selbstjustiz hält und zudem für die Jungs lügen müsse, was seinem Glauben zutiefst zuwiderläuft.

Die Verteidigung ruft derweil den früheren Wächter des Wilkinson Ralph Ferguson (Terry Kinney) auf. Es gelingt Snyder durch eine geschickte Befragung und dem wiederholten Verweis auf einen drohenden Meineid, Ferguson, der zunächst darauf besteht, sein Freund Nokes sei ein guter Mensch gewesen, der keiner Fliege etwas zuleide habe tun können, schließlich einzugestehen, was damals wirklich geschehen ist. Auch dem Gericht wird die Motivation der Angeklagten nun verständlicher.

Schließlich tritt Pater Bobby in den Zeugenstand und gibt an, er sei an dem betreffenden Abend mit John und Tommy bei einem Basketball-Spiel der New York Knicks gewesen. Er kann sogar drei Eintrittskarten vorweisen.

Vor allem diese Aussage trägt dazu bei, daß John und Tommy freigesprochen werden.

Wochen nach dem Ende des Prozesses, treffen die vier Freunde und Carol sich im Hinterzimmer von King Bennys Bar. Sie feiern ihren Erfolg, lassen ihre Freundschaft hochleben und schwören einander, sich nie aus den Augen zu verlieren.

Während die Bilder dieser Nacht gezeigt werden, berichtet Shakes, der die ganze Geschichte im Rückblick aus dem Off erzählt hat, daß Michael seinen Job bei der Staatsanwaltschaft aufgegeben und nach England gegangen sei. Dort lebe er als Handwerker. Er selber ist weiter bei der Times angestellt, John und Tommy hingegen haben ihren Triumph nicht lange überlebt. John starb wenig später an einer Überdosis, Tommy wurde einige Jahre danach erschossen.

Amerikanische Filme und die amerikanische Literatur lieben die Geschichte, die auf „wahren Begebenheiten“ beruht. Diese garantiert Authentizität, wobei sie aber immer den Sonderfall betont – eben den, der erzählungswürdig ist – , von dem dann auf das Ganze geschlossen werden kann. Die „wahre Begebenheit“ erlaubt es, Unvorstellbares zu erzählen, aber auch moralisch Fragwürdiges, denn es ist ja durch die vermeintliche Wirklichkeit belegt und damit abgesichert. So wird auch Barry Levinsons SLEEPERS (1996) das charakteristische „Nach einer wahren Begebenheit“ vorangestellt. Interessanterweise wird aber vor am Abspann auch intensiv darauf hingewiesen, daß sich die betroffenen Institutionen – ein Jugendknast, die Polizei und die Gerichte – deutlich von dem Berichteten distanzieren. Es wird darauf verwiesen, daß die geschilderten Vorgänge so nicht stattgefunden hätten und es auch keine Aktenlage gäbe, die das, was der Film erzählt, bestätigten.

Levinson hat, seit er mit AMERICAN DINER (1982) seine Karriere als Regisseur begann, etliche erfolgreiche Filme gedreht, die bekanntesten dürften auch heute noch RAIN MAN (1988), DISCLOSURE (1993) und BANDITS (2001) sein. Aber auch SLEEPERS war erfolgreich und leistete der Karriere von Brad Pitt Vorschub, der hier eine tragende Rolle spielte. Levinson versammelte ein großartiges Ensemble – Robert De Niro, Dustin Hoffman, Minnie Driver, Vittorio Gassman, Kevin Bacon, Billy Cudrup und Jason Patric sind neben Pitt in herausstechenden Haupt- und Nebenrollen zu sehen – um eine düstere Rache- und Selbstjustizgeschichte zu erzählen.

Angesiedelt auf zwei Zeitebenen, wird zunächst von den Erlebnissen von vier Freunden Mitte der 60er Jahre in einem Jugendgefängnis berichtet. Hier werden sie – irisch- und italienischstämmige Katholiken aus Hell´s Kitchen, einem berüchtigten Stadtteil in Manhattan – Opfer von Folter und Mißbrauch durch einige Wärter, deren Anführer beängstigend diabolisch von Bacon dargestellt wird. Vierzehn Jahre später, 1981, sind die vier Freunde erwachsen. Zwei von ihnen sind Schlägertypen, lokale Helden, die mehrfach wegen Mordes angeklagt waren, aber immer davongekommen sind. Die beiden anderen haben bürgerliche Berufe ergriffen, allerdings ist nur einer von ihnen – der von Pitt gespielte Michael Sullivan – wirklich erfolgreich. Er ist Staatsanwalt und reißt das Gerichtsverfahren gegen seine Jugendfreunde, die ihren ehemaligen Peiniger in einer Bar erschossen haben, an sich. Anders, als es das Viertel und darin auch die die Straße beherrschenden Gangster annehmen, will er dieses aber gar nicht gewinnen, sondern dazu nutzen, die Zustände in der Jugendstrafanstalt offenzulegen und anzuprangern.

Erzählt wird die Geschichte von dem von Jason Patric gespielten Lorenzo „Shakes“ Carcaterra, der es zwar auch nicht weit gebracht hat im Leben, sich aber immerhin als kleiner Schreiberling für den Lokalteil der New York Times verdingt. Der reale Carcaterra hat das dem Film zugrunde liegende Buch geschrieben, das 1995, nur ein Jahr vor dem Film, erschienen und ein enormer Erfolg war. Die Film-Erzählung – für das Drehbuch waren Carcaterra selbst und Regisseur Barry Levinson verantwortlich – sichert sich somit ab, um die Geschehnisse einerseits authentisch wirken zu lassen, andererseits kann sich die Regie so aber auch gegen den Vorwurf schützen, hier offensiv Selbstjustiz zu verherrlichen. Was sie aber, wie der gesamte Film, selbstredend tut. Die Stimme Carcaterras berichtet dem Zuschauer aus dem Off von Hell´s Kitchen, einer Gegend, die beispielhaft dafür steht, weshalb New York so oft zum „Melting Pot“, einem multikulturellen Schmelztiegel, erklärt wird. Iren, Italiener, aber auch Juden, Hispanics und ein paar Schwarze leben hier zwischen der 34. Und 57. Straße, sowie der 8th Avenue und dem Hudson River auf engem Raum zusammen. Es galt immer als ein gefährliches Viertel, in dem Banden und die Mafia das sagen haben und das Gesetz gern wegschaut. Genau so beschreibt auch Carcaterra das Viertel zu Beginn des Films. Da Patric seine Rolle mit einem gewissen Leidensdruck ausstattet, setzt schon dieser Beginn, der an die Gangster-Filme von Martin Scorsese erinnert, den Ton des Films. Ein gewisser Stolz auf das Viertel, die eigene Herkunft, schwingt mit. Dies setzt sich später im Film fort, wenn die erwachsenen Killer John und Tommy von Carcaterra beschrieben werden. Daß sie beide verschiedener Morde verdächtigt werden, scheint nicht zu interessieren, eher zementiert es ihren Status als „harte Kerle“, doch daß sie nie angeklagt, bzw. nie einer der Taten überführt wurden, scheint Carcaterra geradezu Respekt abzuverlangen.

Und in genau diesem Ton berichtet der Film schließlich auch von dem Mord an dem sadistischen Gefängniswächter Nokes, den John und Tommy zufällig eines Abends im Jahr 1981 in der besagten Bar treffen, wo sie ihn niederschießen. Mit Hilfe eines von De Niro gespielten Priesters, dem lokalen Gangsterboss, etlicher Freunde und Bekannter aus der Gegend und sich auf die absolute Verschwiegenheit verlassend, die in Hell´s Kitchen gegenüber Außenstehenden herrscht, gelingt es dem cleveren Michael Sullivan, den Prozeß so zu deichseln, daß seine Freunde nicht nur unbescholten daraus hervorgehen, sondern eben auch die fürchterlichen Zustände im Wilkinson Home For Boys zur Sprache kommen. Um dies zu erreichen, werden Zeugen eingeschüchtert, falsche Zeugen aufgeboten und Lügen und Gerüchte verbreitet. All das stellen weder Carcaterra, noch Levinsons Film je in Frage.

SLEEPERS könnte schulbuchmäßig dazu dienen, darzulegen, wie man Kameraarbeit, Bildgestaltung, Schnitt und Montage, Schauspielerleistungen, den Einsatz von Musik und Geräuschen nutzt, um ein Publikum so zu manipulieren, daß es sogar Ungeheuerliches akzeptiert und schließlich sogar gutheißt. All die genannten Elemente werden im Film geradezu exemplarisch – und das bedeutet exquisit – eingesetzt. Für die Kameraarbeit zeichnete Michael Ballhaus, langjähriger Mitstreiter von Rainer Werner Fassbinder und Martin Scorsese, verantwortlich; die Musik von John Williams setzt ihre dramatischen Akzente punktgenau, was kein Wunder ist, bedenkt man, daß der Mann für etliche Scores des Großmeisters der filmischen Manipulation, Steven Spielberg, zuständig war. Die Mise en Scène ist grandios, vor unseren Augen ersteht zunächst das Bild eines heißen Sommers im New York der Mittsechziger, später das bedrückende Abbild jenes düsteren New York City der späten 70er und frühen 80er Jahre. Die Szenen im Gefängnis sind manchmal unerträglich, Ballhaus und Levinson inszenieren wahre Abbilder der Hölle, wenn die Jungs in die Kellerräume gebracht werden, wo die Wächter über sie herfallen. Die Leistungen der Schauspieler – vor allem jener Jungs, die die jugendlichen Protagonisten darstellen – sind ebenfalls hervorragend. De Niro als Pater Bobby ist die moralische Instanz, ein harter Kerl, dessen späte Berufung ihn vor dem gewalttätigen Leben eines Straßengangsters bewahrt hat, und der als einziger in Frage stellt, was Sullivan und Carcaterra vorhaben. Das ist natürlich ein geschickter Zug des Drehbuchs, da somit erwartbarer Kritik am Gezeigten schon vorgegriffen und der Wind aus den Segeln genommen wird. Dustin Hoffman als versoffener und drogenabhängiger Anwalt, der zur rechten Zeit weiß, was zu tun ist, um die nötige moralische Fallhöhe im Gerichtssaal herzustellen, liefert eine routinierte Leistung ab, aber bei einem Schauspieler seines Kalibers ist routiniert in etwa das, was bei andern Höchstleistungen sind. Pitt, Patric und die anderen Darsteller der erwachsenen Freunde haben nicht allzu viel zu tun, weshalb ihre Leistungen dagegen etwas abfallen, dennoch aber ist ein jeder in seiner Rolle vollkommen überzeugend.

Barry Levinsons Regie ist zudem über alle Zweifel erhaben. Daß er es kann und was er kann, hat er zuvor ausreichend bewiesen, hier aber ist es schon erstaunlich, wie er zwischen einem Jugenddrama, einem kurzzeitigen Thriller und schließlich einem Gerichtsfilm changiert und dabei nie das jeweils Wesentliche aus den Augen verliert. Trotz einer Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden, ist der Film kurzweilig, weil er immer spannend bleibt. Die Dialoge sind gut geschrieben und ebenso gut in Szene gesetzt. Wenn Carcaterra Pater Bobby von den Erniedrigungen und Mißhandlungen erzählt, die die vier Jungs in Wilkinson, wo der Pater sie regelmäßig besucht hatte, berichtet und der Zuschauer an den Augen von Robert De Niro ablesen kann, was in diesem Mann, der einiges gesehen hat im Leben, vor sich geht, braucht es eigentlich keine unterstützenden Bilder mehr. Doch Levinson erspart es uns nicht, zumindest anzudeuten, was sich in den Kellern der Anstalt abgespielt hat. Der Film hat ein hohes Tempo, gerade die Auftaktszenen in Hell´s Kitchen, bei denen Levinson deutlich Anleihen bei Scorsese genommen hat, zeugen dafür. Und auch später bleibt eine gewisse Rasanz in der Story, ohne das Levinson sein Publikum durch die Handlung triebe.

Daß die ganze Geschichte schließlich für die Angeklagten positiv ausgeht und wir in einer Schlußszene sehen, wie die vier feiern und endlich mit ihrer Vergangenheit abschließen können, täuscht nicht über den melancholischen Grundton des Films hinweg. Sullivan gibt seine Karriere in der Justiz auf und geht ins Ausland, John und Tommy überleben ihren Triumph nur um einige Jahre, bevor Drogen, Alkohol und das Gangsterleben ihren Tribut fordern, und Carcaterra mag eine bescheidene Karriere als Journalist bei der New York Times anstreben, wirklich erfolgreich wird er jedoch nicht. SLEEPERS läßt wenig Zweifel daran aufkommen, daß diese vier Menschen für ihr Leben gezeichnet wurden durch das, was ihnen widerfahren ist. Dabei zeigt er sie nahezu ausschließlich als Opfer.

Schnell lässt der Film den Zuschauer vergessen, daß es einen Grund gab, weshalb sie überhaupt eingebuchtet wurden. Daß sie nicht nur einen Hot-Dog-Verkäufer, der ihnen, Carcaterras Erzählung zufolge, vollkommen egal war, um seinen Lebensunterhalt gebracht, sondern auch einen Mann schwer verletzt haben, als ihnen der Hot-Dog-Wagen in die Subway rauschte und dort einen Ahnungslosen unter sich begrub, hat man am Ende des Films längst verdrängt. Daß John und Tommy nicht nur gedungene Mörder und Anführer einer üblen Straßengang sind, sondern Nokes klassisch hingerichtet haben, also Rache, also Selbstjustiz, übten, stellt SLEEPERS nie in Frage. Und aufgrund all der brillant genutzten Mittel, die der Film einsetzt, folgt der Zuschauer dem Film in diesen Ansichten. Ersteres wird als eine Art natürlicher Werdegang in einer Gegend wie Hell´s Kitchen dargestellt, gleichsam ein Naturgesetz, Letzteres als entschuldbarer Racheakt an einem Mann, der eben nur ein Sadist und Menschenschinder gewesen sei. Daran ändert auch die Aussage von Nokes Kollegen und Freund Ralph Ferguson im Zeugenstand nichts. Ihn bringt Anwalt Snyder zu einem Geständnis – was bei der Schwere der Anschuldigungen erstaunlich einfach anmutet, indem der Anwalt schlicht auf den möglichen Meineid verweist, sollte Ferguson nicht die Wahrheit sagen – und infolgedessen auch zu einem moralischen Zusammenbruch, was im Kontext des Films so dargestellt wird, als rechtfertige dieser nachträglich den Mord an Nokes. Der Gerechtigkeit wird dadurch genüge getan, indem Michael Sullivan durch Tricks und Kniffe dafür sorgt, daß auch die anderen beteiligten Wärter – mittlerweile in weitaus angeseheneren Jobs – wegen dieser oder jener Verbrechen verhaftet werden. Unter anderem lassen sie Rizzos Bruder, selbst ein Gangster in Harlem, wissen, wer für den Tod des Jungen verantwortlich gewesen ist – was zu einem weiteren Mord an eben jenem früheren Wächter durch die Männer des Gangsters führen. Auch dies wird im Kontext des Films fast als Selbstverständlichkeit dargestellt.

Es bleibt also am Ende dieses in jeder Hinsicht hervorragend gemachten Films ein schales und ungutes Gefühl. Weshalb, so fragt man sich, haben Carcaterra und Sullivan ihre jeweiligen Jobs nie dazu genutzt, die Vorgänge von damals aufzuklären, anzuprangern, zu verfolgen? Klar, die Scham – dies wird mehrfach im Film geäußert und man darf dies sicher nicht unterschätzen. Doch dieselben Leute, die sich schämen, zuzugeben, welchen Grausamkeiten sie als Kinder ausgesetzt waren, schämen sich nicht, offen sichtbar einen Mann umzubringen. Die dahinterstehende Logik, daß sich die Jungs aus Hell´s Kitchen in Hell´s Kitchen so ziemlich alles erlauben können und somit sowieso über ein deformiertes Moralverständnis verfügen, ist erschreckend, leider aber auch zwingend für die innere Logik des gesamten Films.

So wird SLEEPERS zu einem Beispiel jener besonders perfiden, weil eben so gut gemachten Filme aus Hollywood, die eine höchst fragwürdige ethische Haltung vor sich hertragen, geschützt durch das Einzelfalldiktum der „wahren Begebenheit“. Es ist schwer, mit solchen Werken umzugehen, denn loben mag man sie nicht, verdammen kann man sie aber aufgrund ihrer Qualität als Film eben auch nicht. Oder gerade deshalb?

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