THE GREEN INFERNO
Eli Roth erweist dem Kannibalen-Film seine Referenz
An der Columbia-University in New York kommt es zu Hungerstreiks einiger aktivistischer Gruppen, die gegen das Vorgehen internationaler Konzerne im Amazonasgebiet demonstrieren. Unter der Leitung ihres Anführers Alejandro (Ariel Levy) und seiner Freundin Kara (Ignacia Allamand) planen sie, an den Amazonas zu reisen, eine der Großbaustellen aufzusuchen, sich dort an zu fällende Bäume zu ketten, die Aktion live mit ihren Smartphones ins Netz zu streamen und somit ihrem Anliegen die nötige Aufmerksamkeit zu bescheren.
Die Erstsemesterin Justine (Lorenza Izzo), die mit ihrer Freundin Kaycee (Sky Ferreira) zusammenwohnt, zeigt Interesse an den Aktionen, obwohl Kaycee sich alle Mühe gibt, die Aktivisten als verbohrt und engstirnig dastehen zu lassen.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten, weil Alejandro sie für zu unerfahren hält, doch nicht zuletzt durch die Fürsprache von Jonah (Aaron Burns), der ein wenig verliebt in Justine ist, gelingt es ihr, Mitglied der Gruppe zu werden. So fliegt sie auch mit den anderen nach Südamerika.
Dort läuft zunächst alles wie geplant: Sie werden von dem Drogenhändler Carlos (Matías López), der die ganze Aktion aus unerfindlichen Gründen finanziert, abgeholt und ausgestattet, dann fliegen sie mit einem Kleinflugzeug in den Dschungel, wo die Aktion ebenfalls wie geplant stattfindet.
Doch reagieren die Sicherheitsleute der Baufirma weitaus brutaler, als Alejandro und Kara dies immer dargestellt hatten. Da Justines Vater (Richard Burgi) Anwalt bei der UNO ist, versprechen sich die Aktivisten große Aufmerksamkeit für die Aktion; als ein Sicherheitsmann droht, Justine zu erschießen, sollte der Rest der Gruppe sich weigern die Ketten zu lösen, ist Kara bereit, ihre Mitaktivistin zu opfern, da dies noch mehr Aufmerksamkeit generieren würde. Ab diesem Zeitpunkt weiß Justine, dass sie mit dieser Truppe eigentlich nichts mehr zu tun haben will.
Sie alle werden in ein Flugzeug verfrachtet, das sie zum nächsten internationalen Flughafen bringen soll. Doch die Maschine stürzt ab, nur acht der Insassen überleben. Es sind Justine, Alejandro, Kara, Jonah, Lars (Daryl Sabara), Amy (Kirby Bliss Blanton), Samantha (Magda Apanowicz) und Daniel (Nicolás Martínez). Während sie sich sammeln und nach dem Notsender des Flugzeugs suchen, werden die Aktivisten von einem indigenen Stamm angegriffen. Kara wird dabei getötet, die anderen betäubt und in das Dorf der Eingeborenen verbracht.
Hier kommen sie zu sich und werden ihrer Lage gewahr: Sie sind in Schweinekoben gefangen Gehaltene eines indigenen Stammes, dessen Mitglieder am ganzen Körper angemalt und über und über mit Schmuck behängt sind. Vor allem aber müssen sie sehr bald feststellen, was mit ihnen geschehen soll. Sofort nach der Ankunft im Dorf wird Jonah vom Rest der Gruppe getrennt und auf einen Block gelegt. Die Stammesälteste kommt hinzu und reißt Jonah die Augen und die Zunge aus dem Kopf und isst diese, bevor er bei lebendigem Leibe zerstückelt und schließlich geköpft wird. Der Stamm teilt sich dieses Mahl.
Der Rest der Gruppe begreift, dass ausgerechnet jener Stamm, um dessen Rettung es ihnen zu tun war, kannibalistisch veranlagt ist. Sie alle werden nach und nach Opfer dieser Gelüste werden. Alejandro zeigt sich relativ ruhig, was die andern verwundert. Daraufhin gesteht er ihnen, dass die ganze Aktion Fake war. Carlos – der seinerseits bei dem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist – hatte sie angeheuert, um die Firma zu vertreiben, damit eine andere, mit ihm verbundene Firma den Auftrag übernehmen könne. Diese werde in etwa drei Tagen das Lager des Stammes erreicht haben, dann würden sie befreit. Bis dahin gelte es, durchzuhalten.
Für Amy, die innerhalb der Gruppe der Aktivisten das offenbar schwächste Glied ist, wird die Situation zusehends verzweifelter. Zudem wird sie von Koliken geplagt und muss sich, sehr zur Belustigung ihrer Bewacher und zum Ekel ihrer Mitgefangenen; eruptiv erleichtern. Samantha versucht zu fliehen, kommt aber nicht weit, wird betäubt und zurückgebracht.
Samantha, Amy und Justine werden aus dem Käfig geholt und von der Stammesältesten untersucht, die dabei feststellt, dass Justine noch Jungfrau ist. Deshalb ist sie für eine Genitalverstümmelung ausersehen und wird nachts darauf vorbereitet. Samantha hat, als sie außerhalb des Käfigs war, mehrere Kanus gesehen. Sie unternimmt einen neuerlichen Fluchtversuch, diesmal besser vorbereitet, da es den anderen gelingt, die Bewacher durch ein klingelndes Handy abzulenken.
Justine wird morgens zurück in den Käfig gebracht, sie ist nun rituell bemalt und wurde so für die bevorstehende Zeremonie der Beschneidung vorbereitet. Die Gruppe erhält etwas zu essen, das Alejandro sofort verspeist. Er erklärt den anderen, sie sollten sich zusammenreißen, es handle sich um Schweinefleisch. Als Amy ihre Schüssel fast geleert hat, erblickt sie an deren Grund ein Stück von Samanthas Tattoos. Sie blickt sich um und erkennt im Lager, wie die Kinder mit Hautstücken von Samantha spielen. Offensichtlich ist der die Flucht nicht gelungen. In ihrem Ekel und da sie so oder so am Ende ihrer Kräfte ist, zerbricht Amy die Schüssel und schneidet sich mit einer Tonscherbe die Kehle auf.
Lars hat immer noch einen Beutel Marihuana in seinem Schuh, das er von Carlos erhalten hatte. Er und Daniel stopfen es der toten Amy in den Rachen in der Hoffnung, den Stamm, sollte er Amy verzehren, derart in einen Rausch zu versetzen, dass den übrigen die Flucht gelingt. Der Plan geht auf, Justine und Daniel fliehen, Alejandro lassen sie zurück, da sie ihn aufgrund seiner Lügen und seines auch ansonsten sehr zynischen Verhaltens maßgeblich für ihre Situation verantwortlich machen. Alejandro schlägt Lars nieder und erklärt, dass er ihn brauche, damit der zuerst gefressen werde und nicht er, der immer noch auf die baldige Ankunft der Sicherheitsleute aus Carlos´ Firma hofft.
Justine und Daniel fliehen, müssen dabei einen reißenden Fluss überqueren, und gelangen schließlich zur Absturzstelle, wo sie das Notsignalgerät finden. Doch ist dessen Akku leer. Die Eingeborenen haben die Toten aus dem Flugzeug auf Spießen ausgestellt, nun müssen Justine und Daniel deren Hosen nach noch funktionierenden Handys durchsuchen. Doch bevor es ihnen gelingt, ein Signal abzusetzen, werden sie von Stammesangehörigen erneut betäubt und zurück ins Dorf verschleppt.
Dort haben die bekifften Stammesangehörigen derweil Lars bei lebendigem Leib und roh – also ohne ihre übliche Zeremonie – aufgefressen. Justine wird, sobald sie wieder im Dorf ist, für die Beschneidungszeremonie vorbereitet, Daniel wird an einen Pfahl gebunden, mit einer Paste eingerieben und seinem Schicksal überlassen – riesige Ameisen, die durch die Paste angezogen werden, fressen ihn nach und nach auf.
Während Justine bettelt und fleht, sie gehen zu lassen, sind im Dschungel plötzlich deutlich Maschinengeräusche zu vernehmen. Der Stamm bewaffnet sich und zieht in Richtung der Geräusche. Auch die Frauen folgen. Nur ein Mädchen, mit dem Justine zuvor mehrfach Kontakt hatte, weil sie es mit einer kleinen Flöte, die sie an einer Kette um den Hals trägt, verführen konnte, bleibt zurück und befreit Justine. Die wehrt sich gegen die letzte im Dorf verbliebene Frau, die sie wieder fesseln will. Dann flieht sie.
Sie findet Daniel an dem Pfahl, der sie bittet, ihn zu töten. Justine bringt dies nicht über sich, ein kleiner Junge bestäubt Daniel mit einem Pulver, das diesen tötet. Justine flieht in den Dschungel, ebenfalls in Richtung der Geräusche. Sie wird von den letzten im Dorf Verbliebenen verfolgt.
An einem Wasserfall trifft sie auf einen schwarzen Jaguar, von dem die Legende sagt, sein Erscheinen könne sowohl ein gutes wie ein schlechtes Omen sein. Als die Verfolger sehen, dass der Jaguar Justine passieren lässt, drehen sie ab und verschwinden im Dschungel.
Mittlerweile ist ein regelrechter Kampf zwischen den Sicherheitsleuten der Holzfällerfirma und den Indigenen ausgebrochen. Es ist ein ungleicher Kampf: Hochmoderne Schusswaffen gegen Pfeil und Bogen. Dutzende der Eingeborenen sterben. Angestellte der Firma bringen Justine in Sicherheit. Sie kehrt nach New York zurück.
Dort wird sie im Beisein ihres Vaters von Polizisten und Diplomaten befragt, was sich im Dschungel zugetragen habe. Sie lügt und erklärt, sie sei die einzige Überlebende des Flugzeugabsturzes gewesen, der Stamm habe sie gerettet und versorgt. Dann sei sie Zeugin des Vorgehens der Firma geworden, die den Regenwald abholze und ein Massaker an dem Stamm verübt habe.
Nachts träumt Justine, Alejandro träte auf dem Campus an sie heran. Er habe überlebt! Justine, mit Zähnen eines Werwolfs bewehrt, beißt ihm in die Kehle. Dann wacht sie auf.
Während des Abspanns sieht man eine Satellitenkarte des Amazonasgebiets. Alejandros Schwester spricht am Telefon mit Justine und erklärt, sie habe ihren Bruder auf einem Satellitenbild entdeckt. Die Kamera zoomt immer näher an das Bild heran und man erkennt einen schwarz angemalten Alejandro.
Das Mondo-Genre, vor allem der daraus hervorgegangene Kannibalen-Film, ist ein Sub-Genre des Splatter-Films, dessen berüchtigtste Vertreter – allen voran Ruggero Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST (1980) und Umberto Lenzis CANNIBAL FEROX (1981), aber auch schon frühe Beiträge wie MONDO CANNIBALE/IL PAESE DEL SESSO SELVAGGIO (1972), den ebenfalls Lenzi realisierte – selbst die hartgesottensten Aficionados an den Rand des noch Erträglichen drängen. Das gelang ihnen – auch hier ist Deodatos Film einsamer Spitzenreiter – vor allem mit langanhaltenden Gerüchten, es handle sich womöglich um sogenannte Snuff-Filme, also Werke, deren Schrecken real, nicht gestellt sind. Mittlerweile weiß die Filmwissenschaft, dass dies zumindest auf die dargestellten Tötungen von Menschen nicht zutrifft, sehr wohl aber auf die gezeigten Tiertötungen, die ein wesentlicher Bestandteil, ja ein regelrechtes Merkmal der Mondo-Filme sind.
Dass, neben den artverwandten Zombiefilmen, die seit geraumer Zeit fröhliche Urständ´ feiern, auch diese Spielart des Extrem-Splatters irgendwann wieder auf die Leinwand zurückkehren würde, war abzusehen. Und siehe da – es ist der Hohepriester des epigonalen Kinos Eli Roth, der dem Kannibalen-Film mit seinem Werk THE GREEN INFERNO (2013) entsprechende Referenz erweist. Dabei gibt er sich große Mühe, dem blutigen Anspruch an Gore und Splatter, an detaillierte Darstellung noch der übelsten Verstümmelungen und Tötungen und also seinen Vorbildern mit dem Eifer des Aficionados gerecht zu werden. Auf die üblen Tiertötungen jedoch verzichtet er (wahrscheinlich wären sie heute auch nicht mehr realisierbar) und vermeidet zudem den Basisfehler all seiner Vorgänger: Er verfällt nicht in den diesen Filmen immer immanenten Rassismus.
So sehr sich Deodato und auch Lenzi – ersterer noch etwas glaubwürdiger als sein Kollege, dessen Ziel immer schon vor allem die reine Ausbeutung seiner Themen Gewalt und Sex war, der also der prototypische Vertreter des Exploitation-Kinos ist – sich bemühten ihren Filmen einen pseudowissenschaftlichen, weil pseudodokumentarischen Anstrich zu verpassen und angeblich das skrupellose Vorgehen westlicher Zivilisation und des Raubtierkapitalismus´ gegen urwüchsige Eingeborene in Südamerika, Afrika oder Asien anzuprangern – in der Darstellung eben jener Eingeborener kamen sie nie über die Stufe des bestenfalls „edlen Wilden“ hinaus. Zumeist verharrten sie auf der Ebene des „reinen Wilden“, der, halb Mensch, halb Tier, zu Grausamkeiten neigt und kaum als menschliches Wesen wahrzunehmen ist. Zudem stellten sie die Kämpfe und Kriege der Eingeborenenstämme, die sie angeblich porträtierten, oft so dar, dass die Weißen – also Amerikaner oder Europäer – dann meist doch recht gut wegkamen, wurden sie doch Opfer ihrer guten Absichten, die die „Wilden“ eben nicht verstanden – oder gar nicht verstehen wollten, da sie eben von Natur aus viel zu böse, brutal und schlecht waren. Und außerdem eben Menschenfleisch als Grundnahrungsmittel liebten.
Roth, der sicherlich ein Reaktionär[1], keinesfalls aber dumm ist, kennt natürlich all diese Analysen und Vorwürfe. So suchen er und sein Kameramann Antonio Quercia dann auch Bilder, die deutlich von den Vor-Bildern abweichen. Roth verzichtet komplett auf den pseudodokumentarischen Stil, der prägend, ja nahezu zwingend für viele der originalen Mondo-Filme war; lediglich gewisse Unschärfen, wenn Quercia die Handkamera einsetzt, erinnern an die Vorläufer und sollen sicher auf diese verweisen und ihnen einen gewissen Respekt zollen. Ansonsten aber bleibt THE GREEN INFERNO ein „objektiv“ erzählter Film, weder nutzt er Found-Footage-Material, noch eben subjektiv gefilmte Szenen, obwohl Handykameras eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Story des Films spielen und dieser somit durchaus den eigenen medialen Standort reflektiert.
Wie so oft im Genre, ist es auch hier eine Gruppe moderner, wahrscheinlich als woke zu bezeichnender Weißer aus der wohlbehüteten und sicheren Umgebung einer westlichen Universität, die sich aufmacht, um die Natur und deren unberührten Völker zu retten. In diesem Fall sind es einige Aktivisten der Columbia-University in New York, die verhindern wollen, dass der Regenwald des Amazonas weiterhin aus kommerziellen Gründen abgeholzt und damit auch die Lebensgrundlage und Umwelt der dort immer noch zurückgezogen lebenden Eingeborenen zerstört wird. Dazu fliegt die Gruppe in ein Rodungsgebiet, kettet sich dort an die Bäume, filmt die Aktion und streamt sie direkt ins Netz. Da eine der Beteiligten – die Hauptfigur Justine – die Tochter eines bei der UNO arbeitenden Anwalts ist, ist die Aufmerksamkeit gesichert. Leider läuft nach der gerade noch halbwegs sicher beendeten Aktion alles weitere schief, das Flugzeug, das die Aktivisten zurück in die Zivilisation bringen soll, stürzt im Urwald ab und die Überlebenden fallen in die Hände eines Stammes, der Menschenfleisch als Delikatesse betrachtet.
Vor allem in CANNIBAL HOLOCAUST war dies das oft beschworene und von der Kritik zumeist in Frage gestellte und zurückgewiesene Motiv: Eine Gruppe von Dokumentarfilmern – oder wahlweise Studenten (CANNIBAL FEROX) – reist in das Amazonas-Gebiet und dreht einen dokumentarischen Film (im Film), wodurch Regisseur Deodato behaupten konnte, es gehe ihm vor allem um Medienkritik. Da das Dokumentarische immer immanenter Bestandteil der Mondo-Filme gewesen ist, erweist Roth diesen auch mit den live gestreamten Aktionen im Dschungel auf immerhin recht subtile und hintergründige Weise seine Referenz. Dass es in diesem Fall ausgerechnet Studenten sind, die filmen und streamen, verweist dann auf Lenzis Machwerk, das in einschlägigen Kreisen ähnlichen Kultstatus genießt, wie Deodatos Film.
Man kann natürlich grundlegend behaupten, dass die Idee des „Kannibalen“, sieht man einmal vom snobistischen Serienmörder Hannibal Lecter ab, einem Connaisseur, der seine Opfer – besser gesagt: ausgewählte und besonders wohlschmeckende Teile seiner Opfer – immer mit dem richtigen Wein zu genießen verstand, schlicht eine wahnwitzige Idee weißer Kolonialisten gewesen ist. Der Wilde, einen Knochen durch die Nase und im Haar, der den Missionar im Kochtopf siedet, bis der die richtige Temperatur und den rechten Garungsgrad erreicht hat – ein Motiv etlicher Witze und Cartoons. Es gab Kannibalismus, doch selbst die seriöse Wissenschaft, sowohl Anthropologen als auch Ethnologen, streitet seit jeher, in welchen Kontexten Kannibalismus überhaupt vorkam. Selten reine Nahrungsaufnahme, war er zumeist Teil von rituellen Sieges- oder Stammesfeiern, bei denen das Verspeisen von Gegnern, Feinden, die man im Kampf oder bei Überfällen getötet hatte, dazu diente, sich deren Kraft, ihren Geist oder ihren Mut einzuverleiben. Also eher eine spirituelle Einverleibung (sic!). Wirklich als Nahrung wurde das Fleisch von Artgenossen fast ausschließlich in extremen Not- und Ausnahmesituationen, bspw. in Kriegszeiten, gegessen. Berühmtestes Beispiel der nun auch schon nicht mehr jüngeren Vergangenheit ist wahrscheinlich jener Flugzeugabsturz in den Anden 1972, als die Überlebenden, um an der kargen Absturzstelle überhaupt etwas Essbares zu haben, sich an den Leichen der Toten gütlich taten. Und dies sicherlich nicht mit Genuss.
So muss man wahrscheinlich konstatieren, dass die Idee eines kannibalistischen Stammes, der am Amazonas lebt und alles frisst, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, an sich schon rassistisch ist. Will man dieses Motiv dennoch in einen Film einbauen – und sei es nur, um den geliebten Vorbildern zu frönen, die man einst in jugendlichen Tagen und Nächten verschlungen hat – wird man nicht umhinkommen, schlicht damit zu leben, dass irgendwer den Rassismus-Vorwurf erhebt und damit wahrscheinlich auch recht behält. Man muss sich also sehr große Mühe geben, will man diese Thematik halbwegs glaubwürdig und dennoch ohne allzu üble rassistische Klischees und Stereotype in eine Story einbauen.
Roth und seine Mitstreiter – er und Co-Autor Guillermo Amoedo haben das Drehbuch gemeinsam verfasst – geben sich nun also wirklich alle Mühe, den Stamm, den sie sich für ihren Film erdacht haben, so in Szene zu setzen, dass ihr Film den schlimmsten Klischees aus dem Weg geht und irgendwie auch funktioniert, ohne in allerübelsten Rassismus abzugleiten. Das gelingt ihnen zum Teil erstaunlich gut, doch keineswegs so absolut, wie es die Kritik seinerzeit behauptete. Auch Roth spielt mit dem Motiv des und der Angst vor dem Fremden, auch hier wird das Moment des Grauens vor dem „Wilden“, dem Unverständlichen ausgewalzt und natürlich ist sein Film somit auch nicht frei von letztlich rassistischen Ressentiments.
Erstaunlich ist vor allem, wie es Roth in seiner Inszenierung und unter seiner Anweisung eben auch Quercia in den Bildern gelingt, die Eingeborenen und Angehörigen des Stammes möglichst neutral und möglichst wenig bedrohlich einzufangen. Sie sind geschminkt und tätowiert, mit ihrer Gesichtsbemalung wirken sie fremd, doch nutzt die Kamera bspw. nie Verfremdungseffekte, um die Gesichter des Häuptlings (oder Schamanen? – der Film bleibt in seiner Beschreibung des Stammes sehr vage, was natürlich die Perspektive der Aktivisten, die ihm ausgeliefert sind, repräsentiert) oder das der Dorfältesten, die zu bestimmen scheint, wer leben darf und wer als nächstes im Ofen landet, so zu entfremden, dass schon die Darstellung selbst entmenschlicht und zum gewünschten Grauen beiträgt. Überhaupt ist der Blick des Films auf diese Eingeborenen, wenn man sie denn überhaupt noch so nennen darf, Indigene trifft es wohl besser, erstaunlich „objektiv“. Sie werden als zwar fremd aber nicht bösartig dargestellt. Ihre Blicke auf die Eindringlinge sind auch selten feindselig, eher interessiert, neugierig. Immer wieder fängt die Kamera ihre Gesichter in ruhigen Einstellungen ein und gibt ihnen damit Individualität, holt sie aus der Masse heraus, als die sie in einschlägigen Produktionen gern behandelt und gezeigt werden. Und es wird immer wieder deutlich, dass die Studenten – ebenso, wie die Holzfäller und deren Sicherheitsleute –hier diejenigen sind, die in einen ihnen fremden Lebensraum eingedrungen sind und diesen verändern. Gleichsam mit dem infizieren, was wir gern „Zivilisation“ nennen.
Es ist dann eben einfach Pech, dass es halt nun einmal den Riten und Traditionen der Indigenen entspricht, Menschen zu essen. Wenn die Dorfälteste dem ersten Opfer – dessen Marter und spätere Zubereitung der Film genüsslich ausschlachtet, indem er die Prozedur detailliert zeigt – die Augäpfel bei lebendigem Leib aus dem Kopf schält und anschließend die Zunge herausschneidet, um beides roh zu verspeisen, dann entspricht das, was wir da sehen, den Standards, ja Topoi des Genres. Aber selbst in diesen Momenten gibt der Film nicht der Versuchung nach, das Geschehen zu dämonisieren. Es wird als eine im Kontext des Stammes wohl relativ gängige Handlung gezeigt. Was es für die Opfer und deren Freunde, die mit ansehen müssen, was da geschieht, natürlich nicht leichter macht. In diesen Momenten merkt der Zuschauer aber auch, dass er es hier eben mit einem epigonalen Werk zu tun hat, dass die Macher des Films bei aller politischen Korrektheit, der sie gerecht zu werden hoffen, eben auch und vor allem einen echten Kannibalen-Film abliefern wollten – mit allem, was dazu gehört. Und das tun sie dann auch. Mit allem was dazu gehört. Und da beginnen dann – filmisch und dramaturgisch betrachtet – auch die Probleme.
Denn der Mondo-Film bringt es mit sich, dass er früher oder später in Langeweile erstarrt. Die Aneinanderreihung von Gräueltaten, Tötungen, Zerfleischungen, Martern und das permanente Ausstellen zerstörter, gefolterter und zerstückelter Körper ergibt ja aus sich heraus noch keinen spannenden Film. Es ergibt vielleicht eine Mutprobe für Pennäler am Freitagabend – wie viel davon halte ich aus, ohne das Sofa vollzukotzen? – aber keine Story, keinen Spannungsbogen und keine Dramatik. Und letztlich sind die Handlungsabläufe all dieser Filme – da ähneln sie weitestgehend den wesensverwandten Zombiefilme, vor allem jenen der ersten Welle harter Zombiefilme Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre – auch immer gleich. Absturz oder sonstiger Grund, allein im Dschungel verloren zu gehen, Gefangennahme, Zeremonien, Flucht, erneute Gefangennahme, Zuspitzung (was meist bedeutet, dass der Ekel noch mal gesteigert wird, Stichwort Tierverstümmelung) und schließlich Flucht und Rache oder Überfall eines feindlichen Stammes, Massaker und in dem entstehenden Chaos dann die endgültige Flucht. Auch Roth bietet genau diesen Handlungsablauf und hat damit genau das Problem, dass seine Vorgänger eben auch hatten: Der Film ist weder sonderlich spannend, noch sonderlich aufregend.
Gemessen an seiner für heutige Verhältnisse recht kurzen Laufzeit von knapp 100 Minuten, nimmt er sich viel Zeit, das Personal vorzustellen und die Ausgangssituation zu kreieren, wobei man konstatieren muss, dass sich das Drehbuch tatsächlich Mühe gibt, zumindest einigen der Protagonisten echte Charaktere zukommen zu lassen. Sicher, auch die sind nicht frei von Klischees – der gutaussehende Ober-Aktivist, der sich als Zyniker und Egozentriker entpuppt, seine Freundin, eine hard-boiled Aktivistin, die bereit ist, für ein gutes Bild ein Mitglied ihrer Gruppe zu opfern, das eher unbedarfte Blondchen, bei dem eh niemand versteht, weshalb sie mitkommen wollte und warum man sie mitgenommen hat. Aber die Hauptfigur Justine ist vergleichsweise differenziert dargestellt, auch wenn ihr letztlich natürlich die ebenfalls genre-typische Rolle des Final Girl zukommt.
Dass Roth seine Hauptfigur ausgerechnet Justine nennt, hat allerdings einen gewissen Hautgout, zumindest zeugt es von ironischer Distanz zum eigenen Werk. Denn der Name Justine erinnert nun einmal an jene Figur aus dem DeSade´schen Kosmos, die titelgebend für eines der zentralen Werke des Marquis wurde. Justine will, anders als ihre Schwester Juliette, tugendhaft bleiben, was ihr nur bedingt gelingt. So wird sie Opfer aller möglichen sexuellen und sadistischen Untaten, bemüht sich aber dennoch immer, ihren Idealen treu zu bleiben. Das kann man von der Justine im Film durchaus auch behaupten. Als es zum Schwur kommt, sie zurück in der Zivilisation ist und zu den Vorgängen im Dschungel befragt wird, schützt sie die Indigenen trotz all der Schmerzen und all der Pein, die sie im Dorf erleiden musste und prangert lediglich die ausbeuterischen Konzerne und jene an, die sie und die anderen Aktivisten, von denen keiner überlebt hat, in eine Falle gelockt und für ihre Belange missbraucht haben. Dass sie zudem noch eine von der Stammesältesten amtlich bescheinigte Jungfrau ist, unterstreicht da natürlich die Verwandtschaft zur DeSade´schen Justine, ist aber sicher nur ein krönendes Detail.
Doch zurück zum Film und der Darstellung, die Roth nutzt. Nach der ausgiebigen Einführung der Figuren, zeigt er ebenso ausgiebig die Aktion im Dschungel, mit der das Vorgehen des Konzerns angeprangert werden soll. Es dauert nahezu eine Stunde, bis es soweit ist und die ersten echten Gore-Effekte geboten werden. Und da muss man sich nichts vormachen: Einen Film wie THE GREEN INFERNO schaut man wegen genau dieser Effekte. Die sind dann zugegeben wirklich gory und sehr effektiv und überzeugen vor allem bei der ersten Begegnung der Aktivisten mit den kannibalistischen Gelüsten des Stammes, den zu retten sie eigentlich in den Dschungel geflogen waren. Doch hält der Film dieses Niveau bei den Effekten nicht über die gesamte Strecke durch. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt einer der Studenten bei lebendigem Leib von den Kannibalen zerrissen wird und ein Kleinkind mit dem Unterschenkel inklusive des Fußes des Bemitleidenswerten aus dem chaotischen Menschenknäuel auftaucht, kann das Publikum sich ein Lachen wahrscheinlich nicht verkneifen. Einerseits ist das, was man da zu sehen bekommt, zu deutlich eine Puppe, andererseits ist der ganze Aufbau des Bildes – der gewollte Ekel des abgerissenen Unterschenkels, aus dem die Knochen ragen und das fröhliche Lächeln des Kindes, das stolz seinen Anteil wegträgt – einfach zu lachhaft, in sich zu widersprüchlich, und der Betrachter ist zu diesem Zeitpunkt auch einfach schon zu abgestumpft, um nun noch sonderlich verstört zu reagieren.
THE GREEN INFERNO ist aber eine alles in allem recht gelungene Hommage an seine Vorbilder, deutlich bemüht, deren Fehler nicht zu begehen und steckt doch fest in der Falle des Immergleichen, in welche diese Filme zumeist tappen. Er fügt dem Sujet wenig bis nichts hinzu und kann bestenfalls in kleinen Details – wie eben der Namensgebung der Hauptfigur – überzeugen. So darf man gespannt sein, ob Eli Roth, der mittlerweile weitaus häufiger als Darsteller in und vor allem als Produzent von Filmen in Erscheinung tritt, ein weiteres Sub-Genre aus dem Kosmos des wirklich harten Splatter- und Gore-Films auserwählen und ihm seine Referenz erweisen wird.
[1] „Reaktionär“ ist in diesem Falle so zu verstehen, dass Roth seinerseits eher zu jenen Filmemachern des Genres zu zählen ist, die reine Exploitation betreiben. Selten haben seine Werke – sei es nun CABIN FEVER (2002), sei es HOSTEL (2005) – dem Genre etwas Eigenes, Neues, gar Originelles hinzuzufügen. Sie ergötzen sich an Gewalt, Schmerz, Pein und Leid, ohne dies reell zu reflektieren. Das unterscheidet Roth maßgeblich von Regisseuren wie James Wan, der die SAW-Reihe initiierte (ab 2004) und später mit INSIDIOUS (2010) und den CONJURING-Filmen (ab 2013) zu Wiederbelebung des Geisterfilms beitrug, oder auch Alexandre Aja, der mit HAUTE TENSION (2003) Wesentliches zur Welle des modernen französischen Horrorfilms beitrug. In Roths Portfolio passt es dementsprechend perfekt, dass er 2018 die Regie beim Remake des ultrareaktionären Charles-Bronson-Vehikels DEATH WISH (1974) übernahm. THE GREEN INFERNO ist unter diesen Gesichtspunkten vielleicht wirklich sein bester, weil eigenständigster Film.