HIGH TENSION

Französische Stilübungen in Terreur...

Die Kommilitoninnen Marie (Cécile de France) und Alex (Maiwenn) fahren in das Landhaus von Alex‘ Eltern, wo sie sich auf ihre Examina vorbereiten wollen. Doch in der Nacht wird Marie durch Zufall Zeugin, wie ein Psychopath (Philippe Nahon) sich Zutritt zum Haus verschafft und sowohl Alex‘ Eltern, als auch ihren jüngeren Bruder bestialisch ermordet. Er durchstöbert das Haus, fesselt Alex und nimmt sie schließlich in seinem Lieferwagen mit. Marie konnte sich im Laderaum des Wagens verstecken, als der Wagen an einer Tankstelle hält, gelingt es ihr, sich zu befreien und den Tankwart (Franck Khalfoun) zu informieren. Doch der Killer, der schon im Haus von Alex‘ Eltern Verdacht geschöpft hatte, daß da noch jemand sei, hat auch jetzt den richtigen Riecher. Er tötet den Tankwart und setzt seine Fahrt fort, nachdem er die Tankstelle inklusive der Damentoiletten durchsucht hat. Marie informiert die Polizei, die sich jedoch wenig hilfsbereit zeigt. So nimmt sie sich den Sportwagen des toten Tankwarts und verfolgt den Lieferwagen, in dem ihre Freundin gefangen gehalten wird und eines schrecklichen Schicksals harrt…

Unter den neuen, postmodernen Horrorfilmen stechen die französischen mittlerweile heraus. Sei es MARTYRS, sei es INSIDE – nicht nur dehnen diese Filme zusehends die Grenzen des Zeigbaren hinsichtlich der Gewaltdarstellungen, sie bemühen sich auch, Themen aufzugreifen und aufzuarbeiten, die dem Begriff „Horrorfilm“ durchaus neue Dimensionen hinzufügen. Allerdings kann man dies nicht über alle französischen Produktionen des Genres behaupten. HIGH TENSION (der im Original HAUTE TENSION heißt und in Deutschland sinnigerweise einen englischen Titel verpasst bekam), ein frühes Werk des mittlerweile anerkannten Regisseurs Alexandre Aja (Remakes von MANIAC/2012; THE HILLS HAVE EYES/2006), will einfach nur genau das erzeugen, was der Titel ansagt: Hochspannung. Und man muß sagen: Bei allem, was dem Film vorzuwerfen ist – Hochspannung generiert er streckenweise wirklich.

Nichts an diesem Plot (nicht einmal das etwas überraschende Ende, das hier jedoch nicht verraten werden soll), ist originell oder auch nur ungewöhnlich. Alles – das Setting, der Verrückte, die Tötungsarten (Beil, Rasiermesser, Flex und Flinte), die Personen usw. – ist 1:1 aus anderen Horrorfilmen übernommen. Man kann von Szene zu Szene sogar ganz gut aufzählen, welcher Klassiker des Slasher-, Splatter- oder Gruselfilms gerade Pate gestanden hat. Das ist derart offensichtlich, daß man es Aja nicht einmal zum Vorwurf machen kann. Er hat es offenbar gar nicht anders gewollt. Es ging ihm wohl lediglich darum, ein Gerüst zu finden, daß ihn von Szene zu Szene, von Thrill zu Thrill, von Spannungsmoment zu Spannungsmoment trägt. Die einzelnen Momente hingegen haben es dann durchaus in sich. Denn egal, ob die Heldin im Schrank hockt, während der Killer im Zimmer jemanden verstümmelt oder ob sie unterm Bett ans Gestell gekrallt hofft, nicht entdeckt zu werden, ob sie sich müht den Lastwagen zu öffnen oder sich in den Herrentoiletten der Tankstelle versteckt – man kennt das alles und dennoch gelingt es Aja geschickt, all diesen längst bekannten und tausendfach gesehenen Momenten Spannung abzugewinnen. Obwohl man gerade als Afficionado härterer Horror/Terrorfilme einiges gewohnt ist und in nahezu allen Szenen genau weiß, was passieren wird – oder eben nicht, denn der Regisseur weiß, was er tut – erwischt man sich dennoch dabei, mit zu fiebern und den „Richtigen“ die Daumen zu drücken.

Aja hat sich durch die Remakes von THE HILLS HAVE EYES und MANIAC – die Originale sind gemeinhin Klassiker des Horror/Splatterfilms der 70er Jahre – mittlerweile einen viel größeren Namen gemacht. Man wundert sich nicht einmal, daß es ihm in beiden Fällen – ganz anders als dem Deutsche Markus Nispel, der für die Neuverfilmungen sowohl des TEXAS CHAINSAW MASSACRE als auch die von FRIDAY THE 13TH verantwortlich zeichnet und im Grunde nur bewies, daß er die spezielle Magie und Atmosphäre der Originale nicht verstanden hat – gelungen ist, dem Stoff entweder eigene Aspekte abzugewinnen (MANIAC) oder sogar das Original – wenn nicht zu übertreffen – zumindest gleichwertig zu verfilmen (THE HILLS HAVE EYES). Und auch hier, in seiner ersten Großproduktion, immerhin aber schon seinem vierten Film, merkt man, daß er ein echter Verehrer der alten Filme ist, ebenfalls ein Afficionado, jemand, der die Gesetze des modernen Horror/Terrorfilms ganz genau kennt und verstanden hat. Und jemand, der große Lust hat, diese Gesetze erneut -in Variationen – zur Anwendung zu bringen.

Nimmt man es ganz genau, hat man es bei HIGH TENSION ebenfalls mit einer Neuverfilmung zu tun, nämlich jener einer ganzen Reihe klassischer Spannungsszenen und -momente aus bekannten Horrorfilmen. Das Ganze unter Zuhilfenahme des einfachsten (und wirksamsten) Gerüsts, welches ein Horrorfilm zu bieten hat: Der Einbruch des zerstörerischen Fremden in eine gewohnte/friedliche/schützende Umgebung. Wobei Aja eine ganze Reihe spannender Momente schon daraus bezieht, daß Marie Alex in deren abseits gelegenes Elternhaus begleitet und sie somit selber – mit ihren kurzen, blondierten Haaren und einer großen Klappe schnell als „typischer“ Großstadtbewohner charakterisiert – ein Eindringling ist. Ihr mutet das alte Haus mit seinen knarrenden Stufen und quietschenden Türen, umgeben von weiten Maisfeldern, selbst schon unheimlich an. Ein weiteres Element, dessen sich Aja bedient, ist die Unerklärlichkeit dessen, was passiert: Er verzichtet vollkommen auf Erklärungen, wir erfahren nichts über den Killer und verstehen wirklich erst in den letzten Minuten des Films, womit wir es hier eigentlich zu tun haben. So ist der Angriff auf Alex Familie und auf die beiden jungen Frauen auch deshalb so beängstigend, weil er nie verständlich wird. Da taucht dieser Typ auf und bringt eben alle um. Das könnte nun äußerst platt wirken (und zugegeben ist es sicher nicht die allergrößte Stärke des Films), doch gelingt es durch die Darstellung des Killers, durch die Mise en Scène, die Atmosphäre und nicht zuletzt einen enervierenden Sound-Track, geschickt von dieser Drehbuchschwäche abzulenken. Erwähnt sei hier generell der Soundtrack, der, angelehnt an solch reine Sound-Tracks wie denen zu THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE oder Dario Argentos SUSPIRIA, dem Zuschauer allein schon gehörig zuzusetzen weiß.

Das Töten allerdings ist extrem drastisch dargestellt. Es gibt eine neue Debatte über Gewalt im Film und gerade die französischen Beiträge zum postmodernen Horror stehen dabei im Fokus – und meist auch in der Kritik. Zu plakativ, zu visuell, zu blutig und zu verliebt in die Darstellung der Gewalt seien viele dieser Filme. Nun hat es diese Diskussionen wohl immer schon gegeben: Der originale KING KONG (1933)musste geschnitten werden, weil es Szenen gab, in denen man sah, wie ein Saurier sich ein paar Matrosen von einem Baum pflückte und genüßlich verspeiste; Tod Brownings Meisterwerk FREAKS (1932) stand lange unter Bann, weil die „schrecklichst verunstalteten“ Menschen, die der Film präsentierte, einem Publikum nicht zuzumuten seien; als sich in den späten 60ern eine Generation neuer Regisseure wie Arthur Penn oder Sam Peckinpah aufmachte, in Western und Gangsterfilmen zu zeigen, daß gewaltsames Sterben eben meist nicht so aussieht, wie in den allermeisten Western der 50er Jahre (und davor); von den Horrorfilmen eines George A. Romero, Wes Craven oder John Carpenter ganz zu schweigen – immer waren Gewalt oder generell drastische Darstellungen im Film von Debatten, teils von Zensurforderungen begleitet. Man kann sich dazu stellen, wie man will, Fakt ist, daß das Blut im Horrorfilm ein Topos ist, es muß fließen. Es fließt, wenn Dracula zubeißt, es fließt, wenn ein Werwolf sich seiner Opfer bemächtigt, es fließt, wenn Zombies ihre Nahrungsgrundlage zerreißen. Es fließt heute realistischer, als es das in den Hammerproduktionen der 50er und 60er Jahre tat, es fließt auch realistischer, als es die Schokoladensauce tat, die bei Hitchcock als Blut herhalten musste (PSYCHO; 1960). Es gibt Filme, die weiden sich an der reinen Tatsache, es fließend zu zeigen, das sind dann die Horrorsubgenres Splatter und Gore. Aja ist definitiv ein Afficionado des Splatterfilms und also fließt in HIGH TENSION eine Menge Blut und es spritzt uns stellenweise direkt ins Gesicht. Doch muß man sagen, daß Aja es nicht übertreibt (auch, weil seine Effekte allzu deutlich wie Effekte aussehen, das ist anders in seinen neueren Filmen, bei denen er das entsprechende Budget zur Verfügung hatte), er zeigt teils extrem drastische Tötungen, doch baut er auch hier auf sich steigernde Effekte – so werden wir in den ersten Szenen im Haus zunächst eher Ohren- denn Augenzeugen des Geschehens. Nach hinten raus allerdings weiß Aja, was er sich und seinem Publikum schuldig ist.

Was bleibt, ist eine gute Stilübung, die zu unterhalten, die streckenweise auch sehr viel Spannung zu erzeugen weiß, die Spaß macht, die aber als Gesamtpaket eben auch zu sehr als Stilübung zu erkennen ist. Da Aja später wahrlich Verstörendes vorgelegt hat, sei dieser Film all jenen ans Herz gelegt, die Horror/Terrorkino mögen und einen Film suchen, der eine lange Splatternacht atmosphärisch einzuläuten weiß.

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