DIE ERBIN/THE HEIRESS

William Wylers Adaption von Henry James WASHINGTON SQUARE

New York, Mitte  des 19. Jahrhunderts: Am vornehmen Washington Square lebt der angesehene Doktor Sloper (Ralph Richardson) mit seiner Tochter Catherine (Olivia de Havilland) und seiner Schwester Lavinia Penniman (Miriam Hopkins), die selbst in Trauer ist, jedoch keine Gelegenheit zu einem Tanz oder Flirt auslässt. Sloper selbst ist Witwer, er verehrt seine tote Gemahlin zutiefst und misst Catherine bei jeglicher sich bietenden  Gelegenheit an der verstorbenen Mutter. Diesen Vergleich kann die extrem schüchterne, weltabgewandte und sozial unbeholfene Catherine nur verlieren. Wann immer sie angesprochen wird oder selber interagieren muß, verfällt sie fast in Schockstarre, bringt kein Wort heraus und ist froh, wenn sie der Situation entfliehen kann. Was sie nicht merkt, nicht merken will, ist die Verachtung, die ihr Vater für sie empfindet. Langsam gibt er die Hoffnung auf, daß es ihm oder seiner Schwester gelingen könnte, Catherine den gesellschaftlichen Schliff zu verpassen, den es braucht, um in New Yorks Upper Class zu reüssieren und einen angemessenen Gatten zu ergattern.

Bei der Verlobungsfeier einer Freundin des Hauses, die Catherine neue Demütigungen und Niederlagen beschert, geschieht das Unerwartete: In Gestalt von Morris Townsend (Montgomery Clift) tritt ein Mann in ihr Leben, der ernsthafte Absichten zu hegen scheint. Doktor Sloper meint den jungen Galan jedoch schnell zu durchschauen: Von der Mittelmäßigkeit der eigenen Tochter, ihrer mangelnden Schönheit und Anmut zutiefst überzeugt, kann es nur Catherines zu erwartendes Vermögen sein, daß einen Schönling wie Townsend anzieht. Zumal der auch noch arm ist, nichts geschafft hat im Leben und offen zugibt, ein eigenes Erbe in Europa durchgebracht zu haben. Es kommt zu einer demütigenden Auseinandersetzung zwischen Dr. Sloper und dem jungen Mann. Catherine stürzt hinzu und verteidigt den armen Kerl gegen den süffisant seine Überlegenheit ausspielenden Vater. Townsend verlässt das Haus. Doch er und Catherine können nicht voneinander lassen. Als er dies merkt, schlägt Sloper vor, daß er und seine Tochter eine längere Europareise unternehmen und die beiden Liebenden in den Monaten der Trennung  noch einmal in sich gehen und ihre Gefühle überprüfen sollten. Doch Catherine erklärt ihrem Vater unterwegs immer wieder, daß sie Morris zu heiraten gedenke. Schließlich, zurück in New York, eröffnet ihr der Vater, daß sie zwar über den Erbanteil ihrer Mutter, nicht jedoch über den seinigen verfügen könne, wenn er einst tot sei. Sein Anteil fiele an die Klinik, der er sich verbunden fühlt, wenn er seine Einstimmung zur Hochzeit verweigere. Catherine weigert sich dennoch, einzulenken.

Sie und Morris verabreden sich für die kommende Nacht, um durchzubrennen. Morris, dessen einzige Verbündete die etwas naive Lavinia ist, die in der Abwesenheit von Vater und Tochter deren Haus gehütet und derweil mit Morris eine Art Freundschaft geschlossen hat, hatte einen Plan ausgeheckt, nach dem er und Catherine in der Nacht darauf fliehen sollten, vorbereitet, nicht Hals über Kopf. Lavinia wartet nun nachts mit Catherine auf die Ankunft der Kutsche, mit der Morris Townsend seine Angebetete entführen will, doch nachdem mehrfach Hufgeklapper sich nähert und wieder entfernt hat, versteht Catherine langsam, daß ihr Geliebter nicht auftauchen wird. Es kommt zu einem neuen Streit zwischen ihr und ihrem Vater, in welchem dieser sie fragt, ob sie Morris erklärt habe, daß sie den väterlichen Erbanteil einbüße, wenn der nicht mit der Wahl des Gemahls einverstanden sei. Als Catherine dies bejaht, sieht Dr. Sloper sich bestätigt in seiner Annahme, daß Townsend es lediglich auf Catherines Erbe abgesehen habe. Zur Unterstreichung seiner Argumente beleidigt er die eigene Tochter und sagt ihr „die Wahrheit“: Daß sie hässlich sei, unbedarft und tollpatschig. Daraufhin erklärt Catehrine ihrem Vater, daß dieser sie nie geliebt, weder geachtet noch geehrt habe. Sloper, getroffen, blafft sie an, nun auf einmal sei es an ihr, zu reden, auf einmal kämen all die Worte, die sie sonst nie rausbrächte – nur, um ihn zu beleidigen! Catherine nutzt diese Auseinandersetzung, um sich erstmals bewusst und klar von der toten Mutter abzusetzen.

Die Dinge beruhigen sich, da erkrankt Dr. Sloper. Als Profi versteht er, daß sein Leben sich dem Ende zuneigt. Er will seine Dinge ordnen, doch bei einer weiteren Auseinandersetzung mit Catherine, verweigert diese ihm erneut die Zusage, Morris weder zu suchen, noch gar zu heiraten. Als er wieder von Enterbung spricht, bietet Catehrine ihm an, sofort sein Testament neu für ihn zu schreiben, in welchem er sein ganzes Vermögen der Klinik oder sonst einer karitativen Einrichtung vermachen soll. Sloper zerreißt jedoch das Dokument.

Sieben Jahre vergehen. Dr. Sloper ist längst verstorben, Catehrine Sloper lebt mit ihrer Tante Lavinia immer noch am Washington Square. Eines Tages erzählt Lavinia ihrer Nichte, sie habe Morris Townsend getroffen, er habe sich nach Catherine erkundigt. Kaum hat Catehrine dies vernommen, klopft es. Townsend steht vor der Tür. Er versichert Catehrine seine Liebe – nie habe er aufgehört, sie zu lieben, er habe sie damals verlassen müssen, damit sie sich nicht unglücklich mache, indem sie ihr Erbe aufs Spiel setze. Catherine hört sich all das an, Townsend nähert sich ihr, sie weicht zwar zurück, doch mag sie sich noch nicht abwenden. Schließlich willigt sie ein, sich mit ihm nachts zu treffen und die damalige Reise nun zu unternehmen. Doch als Townsend nachts am Washington Square ankommt, wird ihm nicht geöffnet – im Gegenteil kann er anhand des Schattens im Oberlicht erkennen, daß Catherine in ihre Gemächer geht. Er ruft, schlägt gegen die Tür, schreit seine Verzweiflung hinaus – aber Catherine erbarmt sich seiner nicht. Sie müsse, so sagt sie zu der wie erstarrten Lavinia am Treppenaufgang, sie müsse sicher stellen, daß Morris, der das erste Mal nur ihr Geld, beim zweiten Mal auch ihre Liebe gewollt habe, kein drittes Mal wiederkomme…

1949 drehte William Wyler THE HEIRESS, basierend auf dem gleichnamigen Stück, welches Ruth und Augustus Goetz nach Henry James´ Vorlage WASHINGTON SQUARE für die Bühne adaptiert und für die Leinwand zu einem Drehbuch umgeschrieben hatten. Olivia de Havilland und Montgomery Clift waren die nominellen Stars; Ralph Richardson, der eine Nominierung als bester Nebendarsteller für die Oscars erhielt, ist aber zweifellos der heimliche Star des Films. Es war der Beginn von William Wylers mittleren Jahren als Regisseur. Nachdem er eine ganze Reihe brillanter Melodramen mit Bette Davis u.a. vorgelegt und sich damit einen Ruf als Schauspieler-Regisseur in Hollywood errungen hatte, stellte THE HEIRESS als anspruchsvolle Literaturverfilmung eine neue Herausforderung dar. Ein Erfolg bei Zeiten war dem Film nicht beschieden, erst die Dekaden ließen ihn in den Augen der Kritiker zu dem Meisterwerk reifen, als welches er heute angesehen ist.

Wyler hatte sich in seinen Melos an einer ganzen Reihe stilistischer Übungen abgearbeitet, hier nun bringt er einige davon zu voller Blüte: Die Nutzung der Spiegel und der daraus resultierenden Doppelungen, die Tiefenschärfe, die die Räume als reelle Lebensräume erfahrbar macht, die perfekte Balance, mit der er seine Darsteller erfasste und ins Bild nahm, die Ausgewogenheit und die für ihn so charakteristische Länge und Bedachtsamkeit einzelner Einstellungen. Wie meist ließ er seine weibliche Hauptdarstellerin gern leiden: Wenn Catherine Sloper schließlich begreift, daß ihr Geliebter, der von Montgomery Clift nach dessen eigener Aussage extrem schlecht verkörperte Morris Townsend, nicht mehr auftauchen wird und sie wirklich und wahrhaftig sitzen gelassen wurde und ihr Vater mit seinen Anwürfen hinsichtlich der Ehrlichkeit des jungen Mannes scheinbar recht behält, schleppt sie sich Schritt für Schritt die Treppe hinauf, ihr schweres Gepäck mit sich ziehend. Wyler hatte die Koffer ohne de Havillands Wissen mit Büchern füllen lassen, wodurch deren Niedergeschlagenheit umso überzeugender wirkte. Zudem ließ er sie ca. 40 mal die Treppe rauf und runter marschieren, bis ihre Erschöpfung keineswegs mehr gespielt war. Generell, darauf weist Norbert Grob unter Verweis auf Karel Reisz hin[1], gilt diese Szene, in der de Havilland und Miriam Hopkins als Nichte und Tante auf die Ankunft des Liebhabers warten und Catherine in ihrem schwarzen Kleid vor des Vaters weißem Haus steht, zu den Schlüsselmomenten in Wylers Werk, verdichten sich hier doch einige seiner filmischen Methoden und Herangehensweisen. Es gelingen Wyler immer wieder Szenen wie diese: Ohne Pathos seine Figuren in ihrer Verlorenheit und Angst, bzw. ihrem Schmerz zu zeigen, abgetrennt vom Rest ihrer Umgebung, isoliert.

Wie auch Davis, war de Havilland bereit, sehr weit für Wyler zu gehen. In der Rolle der Catherine Sloper ist sie alles andere als schön, nicht einmal hübsch zu nennen ist sie. Sie spielt ein graues Mauerblümchen, dem Vater ergeben, von der Tante erzogen und ein wenig auf den Arm genommen. Sie lehnt sich spät – zu spät, wie es scheint – gegen des Vaters Arroganz, Gehässigkeit und Selbstgerechtigkeit auf, beginnt, für ihre Liebe zu kämpfen und begreift dabei nicht , daß diese Liebe von allem Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Wylers Regie und dem Buch gelingt es, vergleichsweise lange offen zu halten, ob Morris Townsend nun der Hochstapler ist oder doch ein Liebender, der dem Argwohn eines betuchten, wenn nicht reichen, Herrn der besseren Gesellschaft ausgeliefert ist. James literarische Vorlage lässt sich sehr viel mehr Zeit, bis Townsends wirkliche Absichten zu Tage treten, dafür ist sie eindeutiger, wenn es soweit ist.Allerdings legt James es auf eine moralische Allgorie an – um integer zu bleiben (wobei die 20 Jahre, die es im Buch bis zu Townsends Rückkehr dauert, braucht, um dem Leser Catherine Slopers Wandel zu einer zwar altjüngferlichen, dafür aber umso angeseheneren Wohltäterin in diversen kulturellen und sozialen Komiteen und Vereinen glaubwürdig zu vermitteln), muß sich Catherine nicht nur von des Vaters Dünkel lossagen, sondern ebenso den Versuchungen eines Morris Townsend widerstehen. So wird sie zu einer Frau, die wirklich eigenes Recht vertritt. Theaterstück und damit auch Wylers Film geht es eher um die emanzipatorische Seite, um eine zwar verlorene, aber im Grunde sie, Catherine, erst „erweckende“ Liebe, die sie unbedingt verteidigen will. Es geht um Emanzipation von einem übermächtigen Vater, Townsend wird da mehr zu einem Instrument. So wirkt die Schlußszene auch aufgesetzt, dem Roman und einer adäquaten Umsetzung geschuldet.

Das Theaterstück und also Wylers Verfilmung weisen einige markante Abweichungen von der Vorlage auf. So sind es hier lediglich sieben Jahre, bis Townsend schließlich wieder im Haus am Washington Square vorstellig wird, auch hat Doktor Sloper seine Tochter nicht enterbt – arg zu gefühlskalt sollte dieser Mann dann vielleicht doch nicht wirken – obwohl sie auch hier das Versprechen, Morris nicht zu folgen oder zu heiraten, verweigert. De Havilland spielt diese Frau mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der frühen Hollywood-Diva. Sie ist bereit zur Hässlichkeit, es gibt Momente im Film, in denen man ein Fremdschämen verspürt, wenn man Catherines teils unmögliche Schritte in der Öffentlichkeit, bei einem Tanz zum Beispiel, verfolgt. Dabei sind es diese Szenen, in denen Wyler sein oft übersehenes komödiantisches Talent als Regisseur einsetzt. Gerade jene Szenen, in denen Catherine Townsend erstmals begegnet, auf jenem Tanzfest, bei dem ihr Vater seinen Freunden einmal mehr sein Leid mit der tollpatschigen, unbeholfenen und verschüchterten Tochter klagt, auf dem sie erneut soziale Niederlagen erleidet, wenn ein von ihrer Tante nahezu gezwungener Galan sie einfach irgendwo sitzen lässt, sind von teils grässlicher Komik.

Montgomery Clift betrachtete die eigene Darstellung als derart schrecklich, daß er wutschnaubend die Premierevorstellung verließ. Allerdings hatte er bereits am Set seinen Mitdarstellern zu verstehen gegeben, daß er wenig bis gar nichts von ihren Schauspielkünsten hielt, was der Stimmung nicht zuträglich gewesen sein dürfte. Clift stand für das damals vollkommen neue „Method Acting“, das in New York bei Lee Strasberg gelehrt wurde und spätestens in den späten 1950er Jahre durch Schauspieler wie Marlon Brando oder Paul Newman bekannt gemacht wurde und eine Art Siegeszug antrat. 1949 aber waren die Stars noch Stars, die vor allem sich selbst repräsentieren mussten. Sie spielten bestimmte ‚role models‘ wieder und wieder. De Havilland zählte sicherlich nie zur ersten Garde jener Stars, die den Himmel über Hollywood bevölkerten, doch hatte sie in den 30er und 40er Jahren einen angesehenen Status, als sie an der Seite von Errol Flynn eine ganze Reihe großer Erfolge vorweisen konnte. Zunächst hatte man bei THE HEIRESS auch daran gedacht, Townsend mit Flynn zu besetzen und damit marketingtechnisch an die alten Erfolge anzuknüpfen, indem man dies als Reunion verkaufte. Doch Wyler, den de Havilland mehr oder weniger selbst als Regisseur auserwählt hatte, wollte ein subtileres Spiel, weniger geprägt von Flynns Lausbubencharme, dem man zwar den Hochstapler abnehmen würde, der aber immer Kredit bei seinen Fans hätte, egal, wie er sich benimmt. Townsend aber muß sinister, muß hintergründig sein und er darf sich dabei nicht als Hallodri entpuppen, sonst wäre die Liebe dieser Frau, die nie zuvor geliebt hat und im Grunde glücklich gewesen wäre, an der Seite des sie verachtenden Vaters dahinzuleben, nicht glaubwürdig. So fiel die Wahl also auf Montgomery Clift, der hier eine seiner frühesten Rollen in Hollywood spielte. Zwischen ihm und de Havilland soll es am Set zu allerlei Gerangel gekommen sein.

Damit nicht genug, nahm sich Ralph Richardson, der die Rolle des Doktor Sloper schon in London auf der Bühne gespielt hatte, alle Freiheiten der Improvisation, womit er nicht nur de Havilland die Schau stahl, sondern auch Clift in dessen Rolle klein und unbedeutend wirken ließ. Interessanterweise bekommt das der Rolle des Doktor Sloper ausgesprochen gut. Er ist eines jener patriarchalen Monster, wie sie Hollywood immer wieder hervorgebracht hat. Ob Walter Brennan oder Burl Ives, Richardson fügt den bösen alten Männern der Traumfabrik ein Prachtexemplar hinzu. Richardson gibt Sloper, der seiner Tochter die größten Gemeinheiten mit äußerster Gelassenheit ins Gesicht sagt, eine durchaus charmante Note, man versteht sofort, daß dieser Mann in seiner Schicht, in der Upper Class New Yorks, großes Ansehen genießt. Erlebt man ihn mit seiner Tochter, die er offenbar nicht nur nicht liebt, sondern dafür, daß sie nicht seinen Vorstellungen von Schönheit, sozialem Betragen und Raffinesse entspricht, nahezu verachtet, dann spürt man die Verbitterung dieses Mannes, spürt, wie kalt er hinter seiner ruhigen, immer lächelnden und äußerst ironischen Maskerade wirklich ist. Richardson ist der heimliche Star des Films, sein Spiel brillant, seine Rolle füllt er mehr als aus – er macht sie aus.

Wyler nimmt den Schmerz dieser Frau – Catherine Sloper – sehr ernst. Es gibt mehrfach Dialogstellen, in denen genau die Fragen aufgeworfen werden, die auch Heutige sich immer wieder stellen: Wie kann sie funktionieren, die Liebe? Und wie erkennt man sie, die (große) Liebe? Und ist die große Liebe nur etwas wert, wenn sie gleichermaßen erwidert wird? Doktor Sloper nimmt für sich in Anspruch, seine Tochter „gerettet“ zu haben, indem er einen Heiratsschwindler bloß stellt. Aber sie, Catherine, hält dagegen: Es spiele doch gar keine Rolle, ob diese Liebe „echt“ sei, sie, Catherine, fühle sich geliebt, was ihr reiche. Zumal – und diese Wendung arbeitet das Script hervorragend heraus – anhand der Entwicklung gerade auf der Europareise, die Vater und Tochter gemeinsam unternehmen, die Lieblosigkeit des Vaters, der die verstorbene Frau nach wie vor verehrt und dauernd gegen die lebende Tochter ausspielt, so offensichtlich wird. Wie sich Catherine schließlich gegen ihn zur Wehr setzt und damit ein Leben besiegelt, daß wenn nicht in Armut, so doch mindestens in Einsamkeit zu führen sein wird, das hat darstellerische Klasse sowohl von de Havilland, der man den Ausbruch, in welchem sie dem Vater – endlich – all das vorwirft, was sich in all den Jahren in ihr angestaut hat, sofort abnimmt, als auch von Richardson, der schließlich einen geschlagenen, verbitterten alten Mann gibt, der einsehen muß, nicht nur die geliebte Frau an den Tod, sondern auch die lebende Tochter an die eigenen Idealvorstellungen und der aus der Diskrepanz zur Wirklichkeit entstehenden Bitternis verloren zu haben.

Wyler nimmt aber auch Morris Townsend bis zu einem hohen Grade ernst. Es gibt mehrere Situationen und zwei lange Dialogpassagen, in denen Townsends vermeintliche Armut thematisiert wird. In diesen wird aber auch deutlich, wie dünkelhaft ein Gentleman wie Dr. Sloper ist: Er verachtet Armut und unterstellt ihr unisono Betrug. Der Arme ist in seinen Augen kein Opfer, sondern ein ewig Verdächtiger, ein a-priori-Verbrecher. Doch auch Morris ergibt sich dem Dünkel: Wenn er von Catherine Manschettenknöpfe erhält, stellt er fest, nie habe er Wertvolleres besessen – was für die materiell immer in Sicherheit lebende Catehrine eine massive Verletzung ist, stellt es doch die Wertigkeit alles Materiellen in Morris Wahrnehmung noch einmal deutlich heraus. Nicht sie, die Frau, ist das Geschenk von Wert, es ist das Geschenk, dessen Wert taxiert wird. Buch und Regie haben uns  wissen lassen, daß Morris Townsend ein eigenes Erbe erhalten und dies verschleudert hat. Seine Armut ist also relativ, seine Gier hingegen nicht. Wyler versteht aber auch die Gier. Die personale Mixtur aus dünkelhaftem Reichtum, extremer Schüchternheit und Weltvergessenheit und Gier ergibt ein hochgefährliches Gebräu. Wyler stellt die Gier als Townsends markantes charakterliches Merkmal und damit Auslöser der dramatischen Ereignisse aus und folgt darin James´ Vorlage. Es ist diese Gier, die Dr. Sloper irritiert, die Catherines Gefühle vernichtet und für die bitteren Beziehungen der Protagonisten untereinander sorgt. Doch ist Wyler nicht bereit, dies unkommentiert zu lassen: Armut, auch gefühlte, relative Armut, ist keine Charaktereigenschaft, sie ist ein Zustand, eine Bedingung, daran lässt er keinen Zweifel. Armut erzeugt Gier, Gier zerstört Menschen – auch wenn Townsend letztlich nicht wirklich gut wegkommt, Wyler gibt nirgends ein wirklich objektives Zeichen für dessen Berechnung. Im Gegenteil erzeugt Wyler eine Atmosphäre, in der nicht mehr zu differenzieren ist. Liebe und Gier, Gier und Liebe – was bedingt was? Was war zuerst da? Sicher, als Sloper und Catherine von der Europareise zurückkehren, sehen wir einen Morris Townsend, der sich am Washington Square bewegt, als gehöre das Haus ihm. Das definiert ihn zu allererst jedoch als Ästheten, der ein Faible für die Schönheit hat. Sein Verhalten kann aber auch auf das Selbstbewusstsein eines jungen Mannes hindeuten, der sich seiner Geliebten und schließlich auch deren Mitgift sehr sicher ist. Auch wenn alles auf Townsends Verschlagenheit hindeutet – es könnte immer auch anders sein. Wyler wird diesen Diskurs als Diskurs über reich und arm, oben und unten, als Diskurs über ein Klassensystem, nicht umsonst so deutlich angelegt und ausgetragen haben.

So entstand ein Gesellschafts- und Sittengemälde, das sich sowohl inhaltlich wie auch in Optik und Mise-en-Scène durchaus noch an Wylers Südstaatendramen mit Bette Davis messen lassen konnte, in den schrecklichen Schlußminuten aber durchaus schon die Düsternis von Filmen wie DETECTIVE STORY (1951) oder THE DESPERATE HOURS (1955) antizipierte. Ausgewogen in Kamera und Schauspielerführung, brillant in der inhaltlichen wie der filmischen Balance, geprägt von Licht-Schatten- und Hell/Dunkel-Effekten, die das Drama nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar werden lassen und schließlich mehr Drama als Melo – was ebenfalls auf spätere Werke des Regisseurs hindeutet – konnte THE HEIRESS im Laufe der Jahre seine Stellung im Oeuvre des Regisseurs behaupten. Sicherlich sticht der Film nicht heraus, wie es die späten Meisterwerke taten, sicherlich hat er nicht die Klasse von JEZEBEL (1938) oder THE LITTLE FOXES (1941). Doch durch seine ruhigere, weniger spektakuläre Art kann man an THE HEIRESS sehr gut beobachten, wie Wylers Kino funktioniert und was ihn für Schauspieler so interessant machte. Lange Szenen, viel Dialog und ruhige Kamerabewegungen (wenn überhaupt) forderten großes darstellerisches Können und hohe Konzentration. Kein Wunder, daß es für Olivia de Havilland hier ihren zweiten – und letzten – Oscar für eine Einzeldarstellung gab. Sie konnte brillieren, dank eines Schauspielführers, wie es sie in Hollywood nur selten gab. William Wyler war ein Hollywoodregisseur par excellence, THE HEIRESS ist dafür ein Beweis, nicht der beste,  ganz sicher aber auch kein schlechter.

 

[1] Grob, Norbert: DREI MEISTER IN HOLLYWOOD. ERICH VON STROHEIM – WILLIAM WYLER – OTTO PREMINGER. Berlin 2015; S. 169.

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