THE HUNT

Eine ebenso drastische wie zutiefst ironische Anklage der amerikanischen Gesellschaft, wie sie sich momentan darstellt

In einer Chatgruppe unterhalten sich die Mitglieder darüber, mal wieder eine Jagd auf die Nichtsnutze der Gesellschaft zu machen. Als der Name „The Manor“ fällt, wo die Jagd angeblich stattfinden solle, weisen einzelne Chatteilnehmer darauf hin, daß der Name niemals genannt werden sollte.

In einem Privatflugzeug werden einige offenbar sehr vornehme und reiche Personen vom Personal bedient, als plötzlich ein Mann aus dem hinteren Teil der Maschine gewankt kommt. Es kommt zu einem Kampf zwischen den Passagieren und dem Mann, der damit endet, daß eine uns nicht erkennbare Frau, die Athena genannt wird, dem Kerl den Absatz ihrer High Heels durch ein Auge ins Hirn treibt. Die Leiche wird in einen Frachtraum verschafft, wo auch andere Menschen bewußtlos und gefesselt liegen.

Auf einer Wiese in einer ländlichen Gegend erwachen die Menschen, die wir zuvor im Frachtraum gesehen haben. Sie haben einen Knebel im Mund. Auf einer Lichtung steht eine Holzkiste, die von einem der Männer geöffnet wird. Im Inneren der Kiste befindet sich neben einem lebendigen Schwein ein ganzes Waffenarsenal. Als die Gruppe die Waffen begutachtet und eine junge Frau einen Schlüssel findet, mit dem die Knebel zu öffnen sind, wird plötzlich auf die Gruppe geschossen. Nach und nach wird einer nach dem andern aus der Gruppe niedergestreckt, von Minen zerfetzt oder stirbt in einer Falle.

Schließlich gelingt es drei Leuten aus der Gruppe, über einen Stacheldrahtzaun dem Gelände zu entkommen, auf das man sie verfrachtet hat. Der Wortführer der Gruppe meint, dies könne nur „The Manor“ sein. Die Gruppe gelangt an eine Tankstelle. Der Tankwart und seine Frau klären die drei darüber auf, daß sie in Arkansas seien. Es kommt zwischen den drei Menschen aus der Gruppe der Entführten und dem Tankwärterpärchen zu einem Streit, der damit endet, daß die beiden von der Tankstelle ihre Kunden kaltblütig erschießen. Dann wird ihnen über Funk mitgeteilt, daß „Schneeball“ unterwegs sei.

„Schneeball“ ist offenbar eine junge Frau. Es ist Crystal (Betty Gilpin), die ebenfalls dem Gelände entkommen konnte. Auch sie versteht die Zusammenhänge nicht, begreift aber schnell, daß weder die Tankstelle noch das Pärchen, das sie betreibt, echt sind. So tötet sie die beiden recht emotionslos, bemächtigt sich ihrer Waffen und versteckt sich in der Nähe der Tankstelle, nachdem sie an einem Wagen, den sie kurzschließen will, eine Sprengfalle entdeckt.

Crystal beobachtet eine Drohne, die das Gelände überfliegt. Plötzlich wird sie abgeschossen. Es ist Gary (Ethan Suplee), der sie mit einer Pump-Gun vom Himmel geholt hat. Crystal warnt den Mann vor dem Auto, wirft ihm aber auch vor, daß er mit seiner Aktion die Verfolger auch auf seinen – und damit ihren – Standort aufmerksam gemacht habe.

Die beiden finden ein Bahngleis und folgen diesem, bis sie auf einen vorbeirasenden Zug springen können. Crystal ist längst klar, daß sie nicht nur nicht in Arkansas sind, sondern nicht einmal in den USA. Sie tippt auf Kroatien oder einen anderen Balkanstaat. Im Zug treffen sie und Gary auf eine Gruppe illegaler Flüchtlinge. Deren Sprecher ist Crisis Mike (Usman Ally), den vor allem Gary allerdings schnell verdächtigt, zu ihren Verfolgern zu gehören.

Als die gesamte Gruppe von Soldaten aus dem Zug geholt und verhaftet wird, kommt es zwischen Gary und Mike zu einem Handgemenge, da Gary, ein Verschwörungstheoretiker, der Meinung ist, das diese Flüchtlingsdarsteller zur großen Inszenierung des Establishments gehörten. Er meint dasselbe Establishment, das auch hinter „The Manor“ stecke. Mike gibt sich zu erkennen und Gary tötet ihn mittels einer Handgranate. Dann läuft Gary in den Wald.

Crystal, die eine der Mütter, die mit ihren Kindern in der Flüchtlingsgruppe war, und ihr Kind vor der Explosion zu schützen versucht, wird von den Soldaten in ein Camp gebracht. Hier wird ihr bestätigt, daß sie wirklich in Kroatien ist. Sie kann sich dahingehend verständlich machen, daß sie Amerikanerin ist. Sie wird gemeinsam mit einem gewissen Don (Wayne Duvall), ebenfalls von dem Gelände geflohen, einem Botschaftsmitarbeiter überstellt, der sich um die Rückreise der beiden kümmern soll.

Während der Mann sie in seinem Botschaftswagen über die Landstraßen des Landes kutschiert, fragt er sie aus, unterstellt Don dabei aber, daß niemand einfach so eingefangen werde, sondern schon irgendetwas vorliegen müsse. Crystal greift den Mann ohne Skrupel an, wirft ihn aus dem Wagen und überfährt ihn dann. Don ist entsetzt, doch Crystal macht ihm klar, daß sie dem Mann nicht abgenommen habe, ein Botschaftsangehöriger zu sein. Ihr Verdacht bestätigt sich, als sie im Kofferraum des Wagens Gary finden – mit einem Messer im Kopf.

Crystal und Don machen sich nun gemeinsam auf den Weg. Als es Abend wird, suchen sie Schutz. Crystal erzählt Don eine Geschichte, die ihre Mutter ihr erzählt habe. Es ist die Fabel vom Hasen und der Schildkröte, nur daß sie anders endet: Nachdem der natürlich überlegene Hase aus Eitelkeit den Sieg verpasst hat, geht er hin und tötet die Schildkröte und deren ganze Familie. Es mache keinen Unterschied, ob man kämpfe oder nicht, so Crystals Fazit, weil immer die gleichen gewinnen und immer die gleichen verlieren würden.

Dank einer Karte, die sie neben Gary im Kofferraum des Wagens gefunden haben, wissen sie, wo ihre Verfolger ihr Camp haben. Crystal schleicht sich hinein und tötet alle Anwesenden bis auf einen Militärberater, Sergeant Dale (Steve Mokate), den sie allerdings schwer verletzt. Die beiden unterhalten sich und Crystal erfährt, daß Dale zur Nationalgarde gehört – also nie in kriegerischen Einsätzen war – und der Gruppe, die die Jagd veranstaltet hat, lediglich beratend zur Seite gestanden habe. Crystal ihrerseits erzählt ihm, daß sie bei den Spezialeinheiten des Militärs unter anderem in Afghanistan gedient habe. Sie weiß also sehr wohl, was es bedeutet, im Krieg zu stehen und um das eigene Leben zu kämpfen.

Nachdem sie ihm mit Folter droht, gibt Dale Preis, wo die Anführerin, eben jene Frau namens Athena (Hilary Swank) ihr Hauptquartier hat. Nachdem er ihr dies verraten hat, tötet Crystal Dale, den sie als Verräter betrachtet.

Crystal und Don wollen sich gerade aufmachen, als durch das Funkgerät eine weibliche Stimme Don auffordert, sich zu melden. Sofort legt Crystal auf ihren vermeintlichen Waffenbruder an, der auch auf sie zielt. Don beteuert, nicht zu den Jägern zu gehören, doch Athena, die offenbar am anderen Ende des Funks sitzt, spricht ihn immer wieder vertraut an. Crystal fackelt nicht lang und erschießt Don. Dann macht sie sich auf zu Athenas Haus. Dem „Manor“.

RÜCKBLENDE: Ein Jahr vor den bisher geschilderten Ereignissen wird Athena, die offenbar einen verantwortungsvollen und wahrscheinlich hochdotierten Posten in einem Unternehmen bekleidet, von ihren Vorgesetzten zur Rede gestellt. Ein Chat zwischen ihr und ihren Freunden und Kollegen – eben jener Chat, den der Zuschauer anfangs verfolgen konnte – wurde geleakt und ist viral gegangen. Als „ManorGate“ dient der Chat in einschlägigen Foren, auf Blogs, in Podcasts und Video-Blogs als letzter Beweis, daß all die viel beschworenen Verschwörungsnarrative stimmten; „die Elite“ wolle die Unterschicht, die von den Küstenbewohnern aus den großen Metropolen, den „Woken“, Wohlhabenden, Liberalen, verachtet würde, töten und austauschen. Athena beteuert, daß das Ganze doch lediglich ein Witz gewesen sei. Ihr Chef glaubt ihr das, doch spielt es keine Rolle – das Image der Firma ist gefährdet. So dürfe man halt nicht über die Abgehängten reden. Athena verliert ihren Job, so, wie ihre Freunde und Kollegen zuvor.

Nun beschließt das Grüppchen, zurückzuschlagen. Wenn man sie so oder so dieser ungeheuerlichen Taten verdächtige, wenn sich niemand überzeugen ließe, daß es sich lediglich um einen sehr schlechten Scherz gehandelt habe, dann, so Athenas Haltung, könne man den Spieß auch umdrehen. Die Gruppe – alles offenbar recht wohlhabende Großstädter, die entweder im Finanzwesen oder aber im kulturellen Bereich arbeiten, darunter auch das Paar, das die Tankwärter mimt und auch jener Flüchtling, mit dem Gary sich anlegt – wählt zwölf „Probanden“ aus, die entführt, auf ein Gelände verschafft und dort von ihnen gejagt werden sollen. Die Opfer sind ihnen alle irgendwo im Netz aufgefallen – mit eigenen Blogs und Vlogs, mit Einträgen, Kommentaren und Bildern, die sie auf rechtsradikalen Demonstrationen zeigen etc. Sie alle sind rassistisch, antisemitisch oder homophob, alle verbreiten Verschwörungsnarrative. Crystal wird zum „Schneeball“ – womit auf eine Figur in Orwells ANIMAL FARM angespielt wird – erkoren. Athena will sie zur Rede stellen, da sie am deutlichsten ausgesprochen hatte, was in der Netzgemeinde allgemein angenommen wird: Die Bestätigung, daß „die Eliten“ andere töten oder austauschen wollten. ENDE DER RÜCKBLENDE.

Als Crystal am Haus ankommt, fordert Athena sie ultimativ auf, ihre Waffen abzulegen, sonst würde eine Sprengfalle aktiviert. Crystal folgt den Anweisungen und darf das Haus betreten. Dort erwartet Athena sie, kochend. Während sie Crystal allerlei kulinarische Besonderheiten – warum sie bspw. Gruyère-Käse für ihre Sandwiches bevorzuge – erklärt und damit ununterbrochen ihre Kultiviertheit, also ihre vermeintliche Überlegenheit, unterstreicht und betont, berichtet sie wie nebenbei von Crystals Leben: Früh Vater und Mutter verloren, Junkie-Karriere, Kind ans Jugendamt verloren – also nahezu das prototypische Leben eines amerikanischen deplorables, wie jemand wie Athena es sich vorstellt.

Crystal hört sich das alles an und folgt Athena, die ihren Furor nach und nach steigert und ihr vorwirft, für ihre Entlassung verantwortlich zu sein, weil sie, ungebildet und humorbefreit, die Ironie des Chats nicht erkannt, ihn für bare Münze gehalten und dies so im Netz verbreitet habe. Dann aber teilt Crystal Athena mit, daß sie sie durchaus verstehen könne, die ganze Sache nur einen Haken habe: Sie sei nicht die Crystal, von der Athena spräche. Die wohne aber in ihrer Nähe und sie nehme häufiger Pakete für sie an. Das ist für Athena ein Schock. Zunächst streitet sie einen möglichen Fehler auf ihrer Seite einfach ab.

Crystal hat genug und greift Athena an. Die beiden liefern sich einen fürchterlichen Kampf, den sie immer mal wieder unterbrechen, um Luft zu schnappen und ein paar Worte miteinander zu wechseln. So begreift Athena nach und nach, daß sie womöglich wirklich die falsche Crystal entführt hat. Schließlich sind beide Frauen so stark verwundet, daß an einen Kampf nicht mehr zu denken ist. Sterbend liegen die beiden nebeneinander. Crystal fragt Athena, weshalb sie „Schneeball“ sei. Athena erklärt ihr den Zusammenhang, doch Crystal macht klar, daß sie das alles wisse, nur würde die Figur, auf die Athena anspiele, nicht zu ihr, Crystal, passen, sondern viel besser zu Athena selbst. Athena ist zutiefst erstaunt, daß Crystal das Buch kennt und offenbar auch besser verstanden hat als sie selbst. Sie fragt Crystal, ob es stimme, sie wirklich nicht die „richtige“ Crystal sei? Crystal bestätigt dies noch einmal. Mit einem „Oops!“ haucht Athena ihr Leben aus.

Crystal hingegen erhebt sich und beginnt, sich zu waschen, ihre Wunden zu versorgen und durchstreift das Haus, das laut Athena nur für das Spiel von ihr angemietet wurde. Dann kleidet sie sich in Athenas elegante Kleider, nimmt deren Koffer und fährt zum Flugplatz, wo der Learjet steht, den Athena gemietet und genutzt hatte, um ihre Gruppe und die Entführten nach Kroatien zu bringen. Während das Flugzeug startet, lässt Crystal sich Champagner und Kaviar bringen, fordert dann aber die Stewardess auf, sich zu bedienen. Die lässt sich nicht zweimal bitten…

Einmal ein eher ungewöhnlicher Beginn einer Film-Besprechung: Liest man den Wikipedia-Eintrag zu THE HUNT (2020), einem Film von Craig Zobel, wird man geradezu erschlagen von einem ellenlangen Text – länger als zu manchem weitaus wesentlicheren Werk – , der den Film in seinen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Aspekten analysiert, der auf die Kontroverse eingeht, die er in Amerika ausgelöst hat und allerlei Kritik zusammenträgt, die für und gegen den Film spricht. Es entsteht der Eindruck, man habe es mit einem tiefgreifend gesellschaftskritischen Werk zu tun, das sich intensiv mit aktuellen Krisen beschäftigt.

Zugegeben – auch auf den Seiten dieses Blogs wird viel und gern über soziologische, historische und andere gesellschaftliche Hintergründe auch von Filmen nachgedacht, die vordergründig wirklich nicht nach Tiefsinn oder reflektierter Analyse ausschauen. Es sind oftmals Werke aus dem Genrekino – Western, Horrorfilme, Science-Fiction – die immer auch Spiegel ihrer Zeit sind usw. Allerdings ist es in den seltensten Fällen so, daß diese Werke ihre Botschaften, so sie denn vorhanden sind, vor sich hertragen. Oft sind sie ihnen eingeschrieben, ohne betont zu werden, oft sind sie nicht einmal den Machern selbst wirklich bewusst. Da, wo es anders ist – gerade im Bereich des Genrekinos – wird es dann oft prätentiös. Oft tragen diese Filme ihre Weisheiten wie eine Monstranz vor sich her, sind aufdringlich und bevormunden ihr Publikum. Und sie sind hochmanipulativ in einem eher unguten Sinne. Sie überzeichnen und untertreiben, je nachdem, wie man es im Sinne der eigenen Haltung braucht.

Und THE HUNT? Zobels Film, basierend auf einem Drehbuch von Nick Cuse und Damon Lindelof, gelingt eine Gratwanderung, es ist ein Film des Dazwischen. Definitiv nimmt er direkten Bezug auf gesellschaftliche Mißstände und aktuelle Zustände in der amerikanischen Gesellschaft, überspitzt und übertreibt hingegen so sehr, daß ihm jedwede Ernsthaftigkeit abgesprochen werden muß – und abgesprochen werden soll, denn es ist eine Position, aus der heraus sich manche Zumutung besser artikulieren oder zeigen lässt. Eine Strategie, die sich die Macher des Films bei postmodernen Autoren wie Thomas Pynchon et al. abgeschaut haben dürften. Auch in jener Spielart der Literatur wurde gern und viel mit Polemik, Übertreibung, mit dem Abkippen ins bewusst Unseriöse gearbeitet, um dahinter manch schmerzhafte Wahrheit zu verstecken – zum Beispiel über die Verstrickung des eigenen Landes in Menschheitsverbrechen etc.

Thematisch geht in THE HUNT recht eindeutig um eben jene Kluft in der amerikanischen Gesellschaft, die in den vergangenen Jahren oft beklagt wurde und wird. Es ist die Kluft zwischen denen, die gern als „White Trash“ oder als MAGA-Leute bezeichnet werden (MAGA = Make America Great Again, der Slogan unter dem Donald Trump 2016 zur Präsidentschaft segelte), als Rednecks, Waffennarren und Verschwörungstheoretiker, und denen, die „woke“ genannt werden. Woke, das sind „erwachte“, Städter, gebildet, wohlhabend, political correct, liberal, gesundheits- und umweltbewußt, ausgestattet mit einem „wachen“ (woke) Bewußtsein für gesellschaftliche Ungerechtigkeit, für Rassismus und Antisemitismus. Das Narrativ will es, daß diese Liberalen das „Heartland“ verachten – also die ländlichen Regionen des Mittelwestens, aber auch jene „verlorenen“ Regionen einstiger Wirtschaftsmacht, die heute, als „rust belt“ bezeichnet, verrotten, keine Arbeitsplätze mehr bieten und von den reichen Küstenregionen vergessen wurden. So stehen sich angeblich zwei gesellschaftliche Gruppen unversöhnlich gegenüber. Hier der einfache Arbeiter, der „wahre“ Amerikaner, der seine Waffen liebt, gern ein Steak auf den Grill schmeißt und in Gott vertraut, dort der liberale Großstadtmensch, elitär und immer in Sorge um Minderheiten, die es zu schützen gilt – und sei es, indem man den anderen, den „einfachen Menschen“, den „deplorables“, den Kläglichen, den Nichtsnutzen, wie Hillary Clinton sie einst nannte, vorschreibt, wie sie zu leben, wie sie zu reden und vor allem, wie sie nicht zu reden haben.

Garniert wird das Ganze in Zobels Film mit einem doppelten Twist hinsichtlich der sozialen Medien, der einerseits die ganze Story, wie wir in einer Rückschau sehen, in Gang gesetzt hat, der aber auch die Sinnlosigkeit beweist, die den sozialen Medien eben auch innewohnt, behaupten sie doch ununterbrochen, „Wahrheiten“ zu verbreiten und bedienen zumeist eben doch nur die jeweilige Blase des jeweiligen „Wahrheitssuchers“. So entstehen die mittlerweile vielzitierten „Echokammern“, in denen Nutzer immer nur in der eigenen Meinung bestätigt werden, nie Gegenrede ertragen, selten argumentieren oder gar überzeugen müssen. Es sind die Räume im Internet, wo Hass und Hetze nicht nur entstehen, sondern ununterbrochen befeuert und geschürt werden. Räume, in denen „wahr“ ist, was der eigenen Weltsicht entspricht. THE HUNT macht sich einen Spaß daraus, die Absurdität, die die Mißverständnisse im Internet mit sich bringen können, bis auf tödliche Level zu schrauben.

So wird eine sehr aktuelle Situation und ihr Hintergrund – man erinnere sich an den 6. Januar 2021, als ein auch durch Trump selbst aufgehetzter Mob das Kapitol in Washington stürmte, um die rechtmäßige Ernennung Joe Bidens zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten zu verhindern – zur konkreten Ausgangslage eines Films, der vom ersten Moment an verdeutlicht, daß er allegorisch wahrgenommen werden will, daß er als Farce oder Satire gedacht ist und daß er dies mit Mitteln darbietet, die höchst unseriös erscheinen, die aber das Anliegen angemessen rüde und eindeutig vermitteln. Denn THE HUNT ist in allererster Linie ein Actionfilm mit extremen Gewaltanteilen, ja, mit eindeutigen Anleihen beim Splatter- und Terrorfilm.

Gewalt als didaktisches Mittel, ihre Darstellung als Spiegel der, aber auch als Katalysator für die Gesellschaft oder einfach nur zum Spaß – die Diskussionen über Gewalt und explizite Darstellungen von Grausamkeiten und Brutalität auf der Leinwand dauert in gewisser Weise so lange an, wie es das Kino gibt; verstärkt geführt wird sie spätestens seit den 60ern, als mit Filmen wie BONNIE AND CLYDE (1967) oder THE WILD BUNCH (1969) und später im Exploitation-Film immer drastischere Gewalt geboten wurde. Einiges davon – Sam Peckinpah, Regisseur von THE WILD BUNCH, konnte darüber sehr eindringlich referieren – hatte und hat seine Berechtigung, da es als Spiegel einer gewalttätigen Gesellschaft dient, die dem Publikum vor Augen führt, was auch in dessen Namen geschieht. Das war vor allem eine gängige Erklärung für jene Gewaltdarstellungen, die Bezug auf aktuelle Kriege, vornehmlich den Vietnam-Krieg, nahmen. Allzu oft versteckten sich Filmemacher aber auch hinter vorgeschobenen Erklärungen solcher Art, um die reine Lust an Sadismus und roher Brutalität zu kaschieren.

THE HUNT operiert – durchaus bewußt, muß man konstatieren – genau an der Grenze zwischen kritischer Auseinandersetzung, übersteigerter, comic-artiger Darstellung auch äußerst extremer und expliziter Gewalt und reiner Kolportage und Exploitation. Die expliziten Szenen sind mit viel Schaulust und Spaß am Schock inszeniert und ihnen einen gewissen Selbstzweck abzusprechen, wäre verlogen. So kann THE HUNT immer eine Äquidistanz halten, kann sich immer hinter einer vorgeschobenen, gewollten Nicht-Seriosität verstecken und auf seine Verankerung im Genre verweisen.

Seine Ausgangslage beruht auf Richard Connells Short Story THE MOST DANGEROUS GAME (erstmals veröffentlicht 1924), die mehrfach verfilmt und deren Grundgerüst noch viel häufiger verwendet wurde. Ein einzelner oder eine Gruppe Menschen erwacht in einer ihr unbekannten Umgebung und findet sich schnell in einer ausweglosen Situation wieder: Es wird Jagd auf sie gemacht. Sie sind Freiwild. Häscher ist im Original ein Kosak namens Graf Zaroff, der das „gefährlichste Tier“ jagt – den Menschen. Im Original spielt der Titel mit der Doppelbedeutung des Begriffs „game“, der sowohl „Spiel“, als auch „Wild“ bedeuten kann.

Genau so ergeht es der von Betty Gilpin gespielten Crystal. Sie erwacht in einem Waldstück, um sie herum liegen einige weitere Leute, die nach und nach aus einer Ohnmacht oder Bewußtlosigkeit auftauchen. Sie haben Knebel im Mund, können sich ansonsten aber frei bewegen. Allerdings dauert es nicht lang, bis die ersten von ihnen von einem oder mehreren unbekannten Schützen niedergestreckt werden. Für Crystal beginnt ein Überlebenskampf, dem sie nicht zuletzt deshalb gewachsen ist, weil sie ehemalige Soldatin einer Spezialeinheit ist und unter realen Kampfbedingungen unter anderem in Afghanistan gedient hat. Dieser Überlebenskampf führt sie schließlich bis zum vermeintlichen Kopf hinter der Jagd: Der von Hilary Swank gespielten Athena, die ihrer Widersacherin erklärt, weshalb sie und die anderen Opfer dieses „Spiels“ wurden.

Spätestens hier klären sich die Fronten – und wird sowohl den Protagonisten als auch dem Zuschauer deutlich, daß fürchterliche Fehler gemacht und aus falschen Annahmen unumkehrbare Schlußfolgerungen gezogen wurden. Und verantwortlich dafür – und dies sei, laut der Drehbuchautoren und des Regisseurs, das eigentliche Anliegen des Films – sind die sozialen Medien, an denen hier der Riss der Gesellschaft, wenn auch stark vereinfacht, verdeutlicht wird. Denn Athena ist eine Vertreterin exakt jener „woken“ Schicht, die weiter oben beschrieben wurde. Sie und ihre Freunde haben – der Zuschauer sieht es zu Beginn des Films und wird später, in einer Rückblende darüber aufgeklärt, wie es sich genau damit verhält – eine Chatgruppe, in der sie darüber witzeln, mal wieder ein paar Rednecks abzuknallen. Geschmacklos, keine Frage, doch laut der offenbar an gehobener Stelle arbeitenden Athena eben nur ein Witz. Dummerweise wurde der Chat geleakt und ist viral gegangen. Und diejenigen, über die hier abgelästert wurde, die ebenfalls weiter oben beschriebenen Rednecks und MAGA-Typen, haben die Aussagen für bare Münze genommen. Zu ungebildet (?), um Ironie zu erkennen, glauben sie, endlich einen Beweis dafür gefunden zu haben, daß die „Elite“, das „Establishment“, genau so verkommen ist, wie sie das immer schon angenommen haben. Athena hat daraufhin – wie ihre Freunde – ihren Job verloren. Nun ist sie voller Hass und Wut auf jene, die sie tatsächlich für blöde, ungebildet und letztlich auch minderwertig hält, deren Lebensart sie tatsächlich verachtet und denen sie sich fraglos überlegen fühlt. Die sie aber nie gejagt oder gar getötet hat. Und um denen, die sie nun dafür verantwortlich macht, daß sie ihren gut dotierten Job verloren hat, eine Lektion zu erteilen, hat sie nun genau das Spiel initiiert, das ihr unterstellt wurde.

So gibt es hier ein herrliches Geflecht aus Unterstellung und Mißverständnis, das deutlich zeigt, wie aus zugegeben dummen Worten noch viel dümmere „Wahrheiten“ destilliert und in letztlich schwerwiegende Taten umgesetzt werden. Dabei spielt der Film aber auch mit den – angenommenen – Prämissen seiner Geschichte. Denn auch, wenn es am Ursprung all der Mißverständnisse nun mal nichts Verwertbares gab, wird die Verschwörungsinszenierung für die Eingefangenen und Verschleppten ja spätestens auf dem Gelände, auf dem sie sich wiederfinden, zur Realität. Tatsächlich wird Jagd auf sie gemacht, tatsächlich werden sie getötet. Tatsächlich entpuppt sich nahezu alles, was ihnen widerfährt, als Inszenierung, sei es die falsche Tankstelle mit dem falschen Tankstellenwärterpärchen, sei es der Flüchtling, der wirklich nur ein Darsteller ist, wie es die Vertreter der Theorie vom „Great Reset“ – dem großen Bevölkerungsaustausch, um die weiße Rasse auszulöschen und durch angeblich willfährige Moslems und anderes leicht zu manipulierendes Volk zu ersetzen – immer schon behauptet haben. So könnte man noch einiges aufzählen. Auch weiß THE HUNT auf der gleichen Ebene mit typischen Klischees zu spielen, die gern genommen werden, um Amerikaner wohlig zu gruseln. So ist das Bild des Balkans – Crystal findet schnell heraus, daß sie sich in Kroatien befindet – spätestens seit Eli Roths HOSTEL-Serie (2005/07/11) ist Osteuropa eine Terra Incognita, ein verbotenes Territorium, in dem alles (schlechte) möglich ist und nach wie vor höchst seltsame Menschen leben, unter denen sich der klassische Vampir, der ja aus Transsylvanien stammt, nach wie vor frei und ungehindert bewegen könnte. Ein Klischee, das allerdings wieder von der Realität eingeholt wurde, als man nach dem Irakkrieg erfuhr, daß die CIA in einigen osteuropäischen Ländern, darunter Polen, Geheimgefängnisse unterhielt, wo sie foltern konnte. Offenbar verließ man sich auf das Klischee, daß „im Osten“ immer ein bisschen mehr geht – und bestätigte damit die eigene Weltsicht.

Buch und Regie gehen jedoch eine Umdrehung weiter. Denn während die meisten aus der Gruppe, die wir näher kennengelernt haben, nicht nur ihren schlimmsten Ängsten ausgesetzt sind, da sie sich in all ihren wirren Weltansichten bestätigt sehen, sondern selbst wirklich eben jener Internet-Meute angehören, die Schwule, Schwarze und Juden hasst, ungefiltert Verschwörungserzählungen verbreitet und jede noch so abgedrehte Behauptung – je angedrehter, desto mehr – für bare Münze hält und verbreitet, trifft dies auf Crystal nicht zu. In ihrem Fall liegt eine Verwechslung vor. Womit Athenas ganze Prämisse nicht mehr stimmt. Das kommentiert sie, bevor sie an den Folgen eines ultrabrutalen Kampfes mit Athena dahinsiecht, mit einem „Oops!“. Dann erlischt das Licht in ihren Augen.

Oops! – man könnte sagen, daß das der richtige Kommentar zu THE HUNT ist. Oops!, wie konnte das denn nur geschehen? Oops!, ist uns da ein Fehler unterlaufen? Oops!, shit happens. Denn THE HUNT gibt sich viel Mühe, beide Seiten zu zeigen – und dabei beide in gleich schlechtem Licht dastehen zu lassen. In seiner Maßlosigkeit in den Gewaltdarstellungen, in der übertrieben deutlichen Markierung der Figuren durch Kleidung und (im Original) ihrer Sprache und in den Dialogen, die er seinen Protagonisten – gleich, auf welcher Seite sie stehen – in den Mund legt und die diese Protagonisten zu Klischees und Stereotypen degradieren, macht der Film nie einen Hehl daraus, polemisch, übertrieben und vereinfachend zu sein. Unseriös halt. Er verbreitet seine Botschaft mit dem Holzhammer und hat dabei sichtlich Spaß. Ob dabei eine sinnhafte Analyse herauskommt, ob das, was hier stark vereinfacht – allein die Tatsache, wie hier sämtliche Regierungskritiker und Internetpropheten über einen Kamm geschert werden, weist auf diese Vereinfachungstaktik hin – gezeigt wird, in irgendeiner Weise diskursfähig ist, sei einmal dahingestellt.

Folgt man dem eingangs erwähnten Wikipedia-Eintrag, hat der Film eine enorme Kontroverse ausgelöst und wurde von beiden Seiten – will man es denn selbst so vereinfacht sagen – angegriffen. Natürlich wurde darüber hinaus kritisiert, wie derb und brutal der Film sein Anliegen vermittelt. Sonderlich beliebt war THE HUNT also nicht. Wie erfolgreich er letztlich ist, ist nur schwer einzuschätzen. Dem Film kamen zwei Attentate in die Quere. Aus gegebenem Anlaß zog der Verleih den Film nach den Schießereien in El Paso am 3. August und jener in Dayton am 4. August 2019 zurück und begründete dies damit, es sei nicht die Zeit für einen Film wie diesen.

Man kann THE HUNT relativ problemlos verreißen und den Machern vorwerfen, hier unter dem Deckmäntelchen der gesellschaftlichen Kritik lediglich ihrer Lust an sadistischen Darstellungen zu frönen. Ein Schicksal, daß sie dann mit solchen Meistern wie einem Pier Paolo Pasolini teilen würden, dessen sehr drastisches letztes Werk SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA (1975), posthum veröffentlicht, ähnlichen Anwürfen ausgesetzt war. Nun soll hier nicht behauptet werden, daß THE HUNT auch nur annähernd an Pasolinis Meisterwerk heranreichte, doch ist anhand dieses Films nachvollziehbar, wie Drastik und Analyse immer schon fein voneinander getrennt werden sollten und einem, drastische Mittel wählenden, Werk allzu gern die Diskursfähigkeit abgesprochen wird, womit sich die Kritik auch gern dagegen verschanzt, sich mit möglicherweise richtigen aber schmerzhaften Wahrheiten auseinandersetzen zu müssen.

THE HUNT bietet diese durchaus schmerzhaften Wahrheiten und sicherlich wären seine Anliegen diskussionswürdig. Auch entspricht seine Drastik, bedenkt man, wie häufig Hassverbrechen in den USA aus sehr niedrigen Beweggründen begangen werden – man denke nur an den Überfall auf jene Pizzeria in Washington D.C., in deren Keller angeblich ein Kinderschänderring unter der Anleitung von Hillary Clinton seine Zentrale betrieb, was so in sozialen Netzwerken verbreitet und eben auch geglaubt wurde, obwohl der betreffende Laden nicht einmal einen Keller hat – durchaus der Realität in einem Land, das Waffenbesitz und das Tragen von Waffen nach wie vor erlaubt und teils auch verherrlicht. Und vielleicht ist es dann eben auch notwendig, diese Probleme drastisch anzusprechen und darzustellen. Waffengewalt ist schrecklich und tötet und die Ergebnisse sind meist nicht sonderlich schön anzusehen. THE HUNT stellt den Waffenfetischismus jener Amerikaner, die er auf der MAGA-Seite verortet, überdeutlich aus und beschreibt zugleich, wie eine Frau wie Athena sich erst einmal mit Waffen und Kampftechniken vertraut machen musste, um ihren Plan in die Realität umzusetzen.

Athena ist mehr oder weniger ein Opfer ihrer eigenen Klasse – sie ist erfolgreich, sie ist wohlhabend, sie ist offenbar auch beliebt unter ihresgleichen. Doch sie ist eben auch eine Vertreterin jener woken Mittel- und Oberschicht, die es sich manchmal allzu einfach macht. Und wird, das ist die erste Ironie dieses Films, zum Opfer der eigenen Haltung. Denn sie wird rausgeschmissen, weil sie sich eben nicht politisch korrekt verhalten hat und ihr geleakter Chat zu einem Imageproblem für das Unternehmen wird. Man kann schließlich nicht zulassen, daß die eigenen privilegierten Mitarbeiter sich abwertend über all jene Mitbürger äußern, die es eben nicht geschafft haben, am „amerikanischen Traum“ zu partizipieren. Ob Athenas Wut, ob ihr Rausschmiss und der daraus resultierende Furor als psychologisch überzeugendes Motiv für ihre Menschenjagd ausreicht, steht dann nicht mehr zur Debatte. Eben weil THE HUNT immer auf seinen übertriebenen, auf seinen Comic-Charakter verweist und nie behauptet, etwas Realistisches abzubilden – wobei er allerdings in seinen Spezialeffekten hyperrealistisch ist und die Gewalt eben genauso darstellt. Athena ist also das eigentliche Opfer dieser Geschichte. Sie wird, wie gesagt, zum Opfer der eigenen Ansprüche, dann zum Opfer einer Verwechslung und schlußendlich zu Crystals Opfer, die ihr im Kampf letztlich überlegen ist. Auch dies kann erneut als ein ironischer Twist des Films wahrgenommen werden, da gezeigt wird, daß man monate-, vielleicht auch jahrelang mit seinem persönlichen Trainer alle möglichen Kampfsportarten einüben kann – gegen einen wirklich kampferprobten Gegner, der weiß, was es bedeutet, sich einer reellen Lebensgefahr zu stellen, wird man nicht bestehen können. Das Geschehen wird noch einmal ironisch dadurch gebrochen, daß beide Frauen den Kampf immer wieder unterbrechen, um Luft zu schnappen (womit auch ein gewisser ironischer Kommentar auf Actionfilme als solches abgegeben wird, in denen die „Helden“ alle möglichen Schläge und Tritte einstecken und doch immer weiter machen, ohne je erschöpft zu sein) – und sich in diesen Kampfpausen andeutet, daß, wäre man sich unter anderen Umständen begegnet, vielleicht etwas anderes, etwas Positives, eine Freundschaft gar?, möglich gewesen wäre.

Man muß diesem Film attestieren, herrschende Probleme – Waffen, der Riss in der Gesellschaft, die sozialen Medien – aufzugreifen und anzuprangern. Und man muß ihm auch attestieren, erstaunlich unterhaltsam zu sein, wenn man denn Splatter- oder Terrorfilmen etwas abgewinnen kann. Er ist mit seinen gut 90 Minuten recht rasant und dynamisch, sein Witz funktioniert zumeist, allerdings müsste er, um eindeutig als Farce erkennbar zu sein, noch viel übertriebener sein und bspw. in Richtung eines Films wie CRANK (2006) gehen. Wie dem auch sei – THE HUNT ist gut zu schauen, er unterhält, man kann sich berieseln lassen oder aber den darin aufgeworfenen Fragen nachgehen. Beides lässt er problemlos zu.

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