REVENGE

Coralie Fargeat führt ihr Publikum an den Rand des Erträglichen...und darüber hinaus

Richard (Kevin Janssens) bringt seine Freundin Jen (Matilda Lutz) in eine in der Wüste gelegene psotmoderne Villa, wo er zwei Nächte mit ihr verbringen will, bevor am folgenden Tag seine Kompagnons Sten (Vincente Colombe) und Dimitri (Guillaume Bouchède) eintreffen, mit denen gemeinsam er den jährlichen Jagdausflug begehen will.

Am kommenden Morgen stehen die beiden weit vor der Zeit vor der Tür und sind sofort sehr angetan von Jen. Sten zieht Richard damit auf, ob denn dessen Frau von seiner Freundin wisse? Obwohl Richard sich durch die Anwesenheit seiner Kumpel gestört fühlt, feiern die Vier abends eine Party am Pool, bei der Richard, dem der Helikopterpilot, der ihn und Jen zum Haus gebracht hat, etwas Peyote zugesteckt hatte, die Einnahme der Drogen verbietet, da er Peyote und Waffen als ungute Mischung ansieht. Er erzählt von einem Polen, der sich im Rausch einst ein Bein abgesäbelt habe, da er durch die Droge vollkommen schmerzfrei gewesen sei. Jen tanzt für die Freunde und biedert sich ihnen verführerisch an. Als die Situation zu aufreizend wird, packt Richard sie und trägt sie ins Schlafzimmer.

Morgens wacht Jen auf und erfährt von Sten, daß Richard in die Stadt gefahren sei, er habe etwas zu erledigen. Nach dem gemeinsamen Frühstück zieht Jen sich zurück, um ihre Sachen zu packen. Sten folgt ihr und wird aufdringlich. Jen wehrt sich verbal und bittet ihn, sie in Ruhe zu lassen. Sten begreift dies aber als Aufforderung, noch eindringlicher zu werden. Kurz bevor es zu der Vergewaltigung kommt, taucht Dimiri auf. Sten fordert ihn auf, mitzumachen oder abzuhauen. Dimitri geht, schließt die Tür, dreht den Fernseher auf volle Lautstärke und geht zum Pool. Sten vergewaltigt Jen.

Als Richard zurückkommt, erfährt er schnell, was passiert ist. Er staucht Sten zusammen, dann bietet er Jen an, ihr Geld und ein Flugticket zu geben, sie solle nach Kanada abhauen. Als Jen dies zurückweist und sagt, sie wolle heim, sonst würde sie Richards Frau anrufen und der alles erzählen, schlägt Richard sie zusammen. Jen kann fliehen, wird aber von den drei Männern bis an einen Felssturz in der Wüste verfolgt. Dort beruhigt Richard sie zunächst und gibt vor, den Helikopter zu rufen, dann aber schubst er Jen, die abstürzt und am Fuß der Klippe von einem abgestorbenen Baum aufgespießt wird.

Richard fordert seine Kumpel auf, ihm zu helfen, die Leiche wegzuschaffen. Auf Stens Einwände, man solle sich stellen und somit das schlimmste verhindern, entgegnet Richard, er sei nicht bereit, die damit einhergehenden Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen und schließlich sei Sten für die Situation verantwortlich.

Während die Männer zum Haus zurückkehren, um sich für den Abstieg zurecht zu machen, wacht Jen auf. Sie kann sich befreien und flieht in die Wüste, nun verfolgt von den zu allem entschlossenen Männern. Mittlerweile ist es Nacht geworden und Richard, Sten und Dimitri teilen sich auf. Jen trifft auf Dimitri, dem sie zwar eine Jagdwaffe entwenden kann, der sie aber täuscht, da diese nicht geladen ist. Dimitri fängt an, Jen in einem Wüstensee zu ertränken, immer wieder reißt er sie hoch und brüllt sie an, für wie dumm sie ihn eigentlich halte? Es gelingt Jen, Dimitri ein Messer aus dem Gürtel zu ziehen, und sticht es ihm erst in das eine, dann ins andere Auge. Geblendet  grapscht Dimitri nach ihr, bis er stirbt und im Wasser versinkt.

Jen nimmt Dimitris Fahrzeug und Ausrüstung und rast so lange durch die nächtliche Wüste, bis ihr der Sprit ausgeht. Sie zieht sich in eine Höhle zurück. Immer noch steckt der Rest des Astes in ihrem Körper. Jen nimmt das Peyote, dann beginnt sie, sich die Bauchdecke aufzuschhneiden, bis sie das Holz aus sich herausziehen kann. Mit einer aufgeschnittenen und erhitzten Bierdose brennt sie die Wunde aus.

Am nächsten Tag steht sie immer noch unter dem EInfluß der Droge und wird Opffer teils fürchterlicher und ekelerregender Halluzinationen. Doch schließlich lässt die Wirkung nach und sie macht sich erneut auf den Weg.

Derweil haben Richard und Sten Dimitris Leiche gefunden und, mit Steinen beschwert, erneut im See versenkt. Ausgesprochen zynisch enwirft Richard ein Szenario, in dem der dicke und unbewegliche Dimitri, der zu Alleingängen neigte, sich bei der Jagd selbst durch einen Unfall getötet habe. Sten wendet erneut ein, man könne sich immer noch stellen. Richard bricht ihm mit einem gezielten Schlag die Nase. Die beiden machen sich auf, Jen zu finden. Dazu trennen sie sich erneut und verabreden, sich einige Stunden später an Dimitris in der Wüste abgestellten Fahrzeug zu treffen. Richard ist mit einer Enduro unterwegs, Sten mit einem Geländewagen.

Sten trifft auf Jen, als sein Wagen Benzin braucht und er ihn befüllt. Jen schießt ihm in den Arm. Dann folgt sie seiner Blutspur. Sten hat einen Hinterhalt gelegt und kann Jen mit einem gezielten Schuß verletzen. Nun verfolgt er Jen. Die zerschlägt eine Taschenlampe, die sie aus Dimitris Beständen mitgenommen hat. Sten tritt in die Scherben und zieht sich eine klaffende Wunde an der Fußsohle zu. Nachdem er, fast ohnmächtig vor Schmerz, den Fremdkörper herausgepult hat, holt er den Wagen und verfolgt Jen nun mit diesem. Sie hört den Wagen auf der schmalen Bergstraße näherkommen, positiert sich und schießt so lange auf Sten im heranrasenden Wagen, bis sie ihm den Kopf wegschießt.

Richard, der bei dem Fahrzeug auf Sten wartet, kehrt schließlich  zum Haus zurück, wo er den Piloten anruft, ihn abzuholen. Doch als er aus der Dusche kommt, merkt er, daß  er nicht mehr allein ist. Jen ist mit dem Wagen ebenfalls zum Haus zurückgekehrt. Sie schießt Richard an, dem aus einer Bauchwunde nicht nur massig Blut, sondern auch die Innereien hervorquellen. Es kommt zu einer wahnwitzigen Verfolgunsgjagd durch das labyrinthisch angelegte Haus, an deren Ende Richard Jen zwar entwaffnen kann, aber, während er sie anbrüllt, immer müssten Frauen die Dinge auf die Spitze treiben, den Halt verliert. Nach einem erneuten Kampf gelingt es Jen, die Waffe an sich zu reißen und Richard in die Brust zu schießen. Sie verlässt das vollkommen in Blut getränkte Haus und tritt an den Pool.

Ein Haus, wie von Frank Lloyd Wright entworfen, wie von Edward Hopper als Ort der Entfremdung gemalt, wie von David Hockney in seinen Bildern als Ort der Freiheit und der Leichtigkeit des Lebens verherrlicht: Klare Kanten, offene Räume, viel Glas und damit viel Licht, welches die dahinter liegende Wüstenlandschaft in ihren Konturen klar und überdeutlich vor dem azurblauen Himmel hervorstechen lässt. Ein Ort, der die zunächst klaren Zuordnungen, die Stereotype, die grundlegende Ordnung, die Coralie Fargeat für die wenigen Protagonisten ihres ersten Langfilms REVENGE (2017) wählt, widerspiegelt. Aber auch ein Ort, dessen Inneres bei aller Offenheit labyrinthisch und eng angelegt ist und damit die Entwicklung dieser Figuren, den Bruch der Ordnung, ja, die Unordnung selbst, ebenfalls perfekt symbolisiert.

Eine Frau und drei Männer. Eine Geliebte und ihr Geliebter, der gelegentlich mit seiner Frau telefoniert, seine Freunde, die sich an diesem entlegenen und scheinbar nicht lokalisierbaren Ort mit ihm treffen, um ein Wochenende lang zu jagen. Alkohol, Verführung, Tanz und schließlich Sex. Aus der Verführung erwachsene Sehnsüchte und Ansprüche. Eine Vergewaltigung, Wegschauen, Gewalt. Die Versuchsanordnung, die Fargeat trifft, wirkt zunächst klischeehaft. Der schöne Richard und die schöne Jen, die sich hier miteinander vergnügen. Er der Macho, sie das verfügbare Girlie. Die Freunde, die zu früh auftauchen und sich durch die sich verfügbar gebende Frau angezogen und angemacht fühlen. Das Opfer, das „es“ schließlich doch auch will. Es sind die Zutaten des Subgenres des sogenannten „Rape & Revenge“-Movies. Seit seinem Erscheinen als harter Thriller oder gar Beitrag zum Horrorfilm, also seit Wes Cravens Debut THE LAST HOUSE ON THE LEFT (1972), läuft das Programm dieser Erzählungen nahezu immer gleich ab: Das Opfer stachelt seine Peiniger an, womit es zumindest eine Mitschuld trägt, und wird dann zur ultrabrutalen Rächerin in eigener Sache, womit dem Metier auch immer die Verherrlichung der Selbstjustiz anhaftet. Da die meisten Filme dieser Art von Männern gedreht wurden, wird meist eine männliche Perspektive geboten, die sich auch dann nicht wirklich verändert, wenn die Opfer anfangen, sich zu wehren. Eine der wenigen Ausnahmen stellt Virginie Despentes BAISE-MOI (2000) dar. Ein Film, der höchst umstritten war und vor allem bei Männern auf erbitterte Ablehnung stieß.

War Despentes Erzählung (der Film basierte auf ihrem eigenen Drehbuch, entstanden nach ihrem eigenen Roman) in erster Linie eine sehr genaue Beobachtung sozialer und kultureller Voraussetzungen und Bedingungen männlicher Gewalt, rekurriert Fargeat vor allem auf künstlerische Vorbilder und spielt mit Versatzstücken dessen, was das Genre ausmacht und wie gerade der Film sich mit weiblicher Gewalt auseinandersetzt. Obwohl sie selber den Verweis auf die „Rape & Revenge“-Filme ablehnt und sich – nicht zu Unrecht, wie gewisse Einstellungen und Entwicklungen nahelegen – auf Filme wie MAD MAX: FURY ROAD (2015) oder den ursprünglichen Rambo-Film FIRST BLOOD (1982) bezieht, bleibt die Analogie doch augenscheinlich. Allerdings gelingt es ihr, der herkömmlichen Lesart einen Twist zu geben, indem sie die „Revenge“, also die reine Rache, zunächst in ein Notwehrszenario wendet, beschließen die Männer doch, ihr Opfer zu verfolgen und zu töten, um ihre bürgerliche Existenz zu schützen. So gelingen ihr wie nebenbei trotz der äußerst spärlichen Figurenzeichnung sehr genaue Skizzen psychologischer Dispositionen gerade männlicher Psychologie und Sexualität. Und schließlich bietet sie eine atavistische Utopie, wenn sie eine Frau in einer Transformation zeigt, die dazu führt, eine neue, wilde, durchaus grausame und vor allem ungebundene Weiblichkeit in den Kosmos der kulturellen Icons einzuführen.

Fargeat scheut sich nicht, mit sublimen subkulturellen Kontexten zu spielen, die durchaus auch weiblicher Selbstbehauptung zunächst zuwiderlaufen. Gefragt, wovon sie träume, antwortet Jen, daß sie von L.A. träume, wo alles möglich sei. Dies bedeutet im popkulturellen Kontext Ruhm, Reichtum und Aufmerksamkeit. L.A. ist schließlich die Heimat der amerikanischen Filmindustrie, es ist der Ort, wo man es in den Himmel der Stars schaffen kann. Es ist aber auch, schließt man das San Fernando Valley mit ein, der Ort, an dem die größte weltweite Pornoindustrie beheimatet ist. Und so, wie Jen dann für, mit und vor allem an den Männern tanzt, könnte der Eindruck entstehen, daß sie eher in jener Industrie reüssieren wird, denn auf der großen Leinwand. Die Art, wie Fargeat die Kamera Jens Körper und ihre Bewegungen beobachten lässt, unterstreicht diese Annahme, ja, sie bevorzugt sie geradezu.

In einem ausgesprochen interessanten Begleittext zur deutschen Hochglanzausgabe des Films (erschienen bei Koch Media), nimmt Sabrina Mikolajewski expliziten Bezug auf Laura Mulveys berühmten Essay VISUAL PLEASURE AND NARRATIVE CINEMA (1975), der sich mit dem männlichen Blick im Kino, dem männlichen Blick der Kamera auseinandersetzt. Heute in Kernthesen – nicht zuletzt von der Autorin selbst – zumindest korrigiert, stellt dieser Text einen zentralen feministischen Zugriff auf das Kino dar. Gekoppelt an die Arbeiten der Schauspielerin, Regisseurin und Filmtheoretikerin Julia Reifenberger, untersucht Mikolajewski explizit Fargeats Herangehensweise und ihren Zugriff auf den explizit männlichen und den explizit weiblichen Blick, bzw. sie konstatiert, daß es Fargeat gelingt, einen „neutralen“ Blick zu etablieren, der jedoch wertet, indem er eine den Figuren entpersonalisierte Distanz einnimmt, jedoch voller Entsetzen auf das Geschehen schaut. Man kann diesen Einlassungen durchaus folgen. Allerdings, und Mikolajewski weist schließlich selbst darauf hin, hält Fargeat diesen dekonstruktiven Ansatz nicht durch – und es scheint eine solche Metaanalyse auch nicht das vornehmliche Ziel des Films zu sein, dazu ist er in weiten Strecken doch zu konventionell inszeniert.

Wobei durchaus auf einige Momente hingewiesen sei, die Fargeats Ideenreichtum und ihre außergewöhnliche Sichtweise dokumentieren. So zeigt sie die Vergewaltigung eben nicht explizit, wie es ihr (männlicher) Kollege Gaspar Noé in IRREVERSIBEL (2002) auf so unerträgliche Art und Weise getan hatte – und worauf auch Virginie Despentes in BAISE-MOI nicht verzichtete. Hingegen findet Fargeat Bilder, die Gewalt veranschaulichen, geradezu symbolisieren und zugleich in ihrer Widerwärtigkeit verdeutlichen. Die Nahaufnahme eines einen Schokoriegel abbeißenden und geöffnet kauenden Mundes, der von fetten, unrasierten Wangen umrahmt wird; die uns so fremde Form einer Ameise, die über einen zusehends verfaulenden, angebissenen Apfel krabbelt; nicht zuletzt die Wüste selbst, die in ihrer Unnahbarkeit und abweisenden, lebensfeindlichen Form das Setting dieses Thrillers stellt. Sowohl die Ameise als auch die Inszenierung der Wüste in ihrer Hyperrealität, der klaren Luft, die jedes Detail, jeden Stein, jede Felskante überdeutlich hervortreten lässt, verweist auf einen anderen berühmten, dem Mainstream eher abholden Wüstenfilm, der eine Transformation ganz anderer Größenordnung zum Thema hatte: Saul Bass´ PHASE IV (1974).

Die Gewalt selbst, die schließlich Formen und Ausmaß annimmt, daß man bei REVENGE durchaus von einem Gewalt-Porno sprechen kann, die allerdings auch Comic-hafte Züge aufweist in der Art und Weise, wie Fargeat sie übertreibt, bleibt Jens Leidensweg und ihrer Rache vorbehalten. Die Regisseurin scheut nicht vor deutlichen Gore- und Splatter-Effekten zurück. Jen wird zweimal penetriert: Einmal durch Richards Freund Sten während der Vergewaltigung, ein weiteres Mal von einem trockenen Ast, auf den sie aufgespießt wird, nachdem Richard sie die Schlucht hinabgestürzt hat. Sie selber penetriert die Körper ihrer Widersacher:  Dimitri sticht sie die Augen aus, er stirbt mit einem Messer im Kopf; Sten rennt sich eine Glasscherbe in den Fuß, die er sich in einer schier unerträglichen Szene aus der klaffenden Wunde pult, dabei Schmerz empfindend, der ihn schier an die Grenze des Wahnsinns und darüber hinaus treibt. Nach der anfänglichen Perfektion der Körper (Richard und Jen, die man beide mehrfach nackt sieht, in seinem Fall allerdings nicht zwingend sexualisiert) und der Umgebung (das Haus), bringt die Gewalt (die Vergewaltigung) Unordnung in den Ablauf der Dinge. Schließlich mündet diese Unordnung in die konsequente Zerstörung der Körper, der schönen, wie der weniger schönen (Sten und Dimitri), und des Hauses. Jen muß sich in einem selbst herbeigeführten Peyoterausch den immer noch in ihr steckenden Ast aus dem Bauch ziehen, wozu sie zunächst tiefe Schnitte rund um die Wunde anbringt, Sten muß die Scherbe entfernen, Dimitris Körper ist nicht nur zerschnitten und verstümmelt, sondern bis zur Unkenntlichkeit aufgequollen, nachdem Jen ihn in einem Wüstensee versenkt hat. Richard schließlich wird so in den Bauch geschossen, daß ihm nicht nur das Blut unablässig aus der Wunde quillt, sondern auch das Gedärm. Dieses Blut schließlich verändert das labyrinthische Innere der Villa, die mit moderner, psychedelisch anmutender Kunst bestückt ist. Richards Blut fügt dem zuvor so klaren Bild einen Jackson Pollock hinzu, sind doch Wände, der Boden und die Einrichtung über und über damit bespritzt, besudelt, verunreinigt. Maximale Unordnung, ja Chaos, herrscht am Ende dieses Wochenendes. Die erste Störung der Ordnung jedoch stellt das plötzliche, definitiv zu frühe Auftauchen von Sten und Dimitri dar, die Jen in Richards Planung nie begegnen sollten. Richard ist es auch, der die Einnahme des Peyote allen verweigert, da er „dieses Zeug und Waffen“ für eine äußerst gefährliche Paarung hält.

Fargeat gelingt es, männliches Verhalten aus stereotypen, manchmal klischeehaften Situationen heraus zu erklären und dabei erstaunlich genau zu sein. Männer sind Jäger – symbolisch wie auf der Handlungsebene wird dies überdeutlich. Mikolajewski sieht die Jagd als hypermännliche Handlung, wie sie auch in Fargeats Film zunächst eien Ausarbeitung hypermännlicher und hyperweiblicher Klischees erblicken will. Männer sehen in Frauen eine andere Form des Wildes und da Jen, die, kaum im Haus angekommen, Richard einen Blow-Job verpasst, durchweg in aufreizender Kleidung herumläuft, zunächst sowohl im Film als auch durch die Kamera dieses Klischee willfährig zu bedienen scheint, wundert es kaum, daß Sten sich anmaßt, ihr zu nahe zu treten. Die Momente vor der Vergewaltigung entsprechen jenem klassischen Muster, in welchem Männer ein „Nein“ nicht nur nicht akzeptieren, sondern vielmehr als eine zusätzliche Aufforderung begreifen. Daß der fette Dimitri trotz Stens Angebot, am Akt der Vergewaltigung teilzunehmen, sich lieber zurückzieht, seine Schokoriegel mampft und den Fernseher laut dreht, um Jens Schreie nicht hören zu müssen, deutet männliche Triebunlust ebenso an, wie auch männliche Feigheit. So wird neben dem Akt der Vergewaltigung das Wegschauen zu einem integralen und sogar konstituierenden Moment des Verbrechens. Man(n) deckt sich. Das gilt auch für Richard, der Sten zwar die Hölle heiß macht, als er ins Haus zurückkehrt und erfährt, was geschehen ist, der dann aber lediglich das Angebot macht, Jen bekäme Geld und ein Flugticket nach Kanada, wenn sie den Mund halte. Es gilt, sowohl die eigene bürgerliche Fassade vor der eigenen Gattin (die immer mal wieder anruft und sich mit Richard über Rezepte austauscht), wie auch den Männerbund zu schützen. Wie weit Richards Verachtung geht, zeigt sich dann schließlich in der finalen Auseinandersetzung mit Jen, wenn er ihr, bereits tödlich verwundet, entgegen brüllt, immer müssten Frauen es auf eine Auseinandersetzung ankommen lassen. Übersetzt könnte dies so viel bedeuten: Nehmt euren von uns zugewiesenen Platz ein und erduldet, was wir mit euch machen. Zuvor hat er Jen, als diese allzu aufreizend mit den anderen, weitaus weniger attraktiven Sten und Dimitri  tanzte, wie ein Stück erlegtes Wild über seine Schulter geworfen und ins Schlafzimmer getragen. Es wird deutlich, wer der König ist und das Recht auf die Nacht hat.

All diese Handlungen sind „typisch“ und so in etlichen Filmen und Büchern bereits beschrieben worden, und doch sind sie in diesem bewusst spärlich gehaltenen Setting absolut stimmig, weil sie exakt definieren, wie sich Männer als Bund nach außen, aber auch, wie sie sich innerhalb ihrer Bünde verhalten. Richard, der Schöne, behandelt seine Mitstreiter von oben herab, er ist der unangefochtene Anführer; wenn er beschließt, Jen habe zu sterben, so wird dies von den andern fast widerspruchslos hingenommen. Lediglich Sten formuliert immer wieder Einwände, ausgerechnet er, der für die Eskalation der Situation verantwortlich ist. Auch hier ist Frageat genau: Der, der sich nicht beherrschen kann, ist auch der, der die Verantwortung zugleich ablehnt und doch bereit ist, sich ihr zur Aufrechterhaltung einer höheren Ordnung zähneknirschend zu stellen. So entsteht der Eindruck, daß Richard, der an der Vergewaltigung wirklich nicht beteiligt war, war er schließlich nicht einmal im Haus, weniger an einer Vertuschung des Verbrechens, als der des Ehebruchs gelegen ist. Die unsichtbare, nur als Stimme im Film vorhandene Frau stellt somit die letzte Grenze, den letzten Halt der herkömmlichen Ordnung dar. Dahinter lauert das Chaos aus der Spur geratener Leben. Daß Richard, der Jen entgegen der Absprache mit seinen Kompagnons überhaupt erst in die Villa gebracht hat, die Grundordnung als allererster durchbrochen hat, reflektiert er nicht. Niemand in diesem Film will Verantwortung für das eigene Tun übernehmen. Dimitri hält sich raus und erweist sich dann, wenn er Jens habhaft wird, als extrem brutal und seine unterdrückten Triebe statt sexuell als Gewaltakt auslebender Typus. Alle drei – Richard, Sten und Dimitri – werden im Film zu männlichen Archetypen.

Jen selbst entwickelt sich von einem geschändeten, todgeweihten Girl , also einem sich selbst so wahrnehmenden Objekt, im Lauf dieser Geschichte zu einer sich behauptenden Frau, also einem Subjekt, und von da zu einem Todesengel. Vielleicht gar wandelt sie sich zu einem Geist. Ihre Entwicklung ist jedweder realistischen Beschreibung enthoben. Zunächst überlebt sie den tiefen Sturz, der damit endet, daß  sie aufgespießt wird, dann entfernt sie sich unter Drogeneinfluß jenen Ast, brennt die Wunde aus und sich dabei unbeabsichtigt einen Adler mit ausgebreiteten Schwingen auf das geschundene Fleisch. Sie weiß  die Waffen zu bedienen, die ihr eigentlich fremd sein müssten, sie weiß sich trotz ihrer fürchterlichen Wunden zu helfen und bewegt sich trotz dieser Wunden erstaunlich behände, obwohl der Film ihre Schmerzen niemals leugnet. So kann man unterstellen, daß REVENGE trotz des hyperrealistischen Looks, an dem Punkt, an dem Jen erwacht und sich befreit, auf eine andere, eine Metaebene wechselt, in der die Figuren und ihre Handlungen einer realistischen Betrachtung entzogen sind. Am Ende des Films ist aus Jens makellosem Körper ein Schlachtfeld geworden: durchbohrt, verbrannt, verstümmelt, ähnelt sie mit ihrem knappen Top und dem Slip, den sie trägt, eher einer SHEENA, wie Will Eisner sie 1938 als Dschungel-Pin-Up entwarf, vielleicht einer der Figuren, die George Miller seine post-apokalyptischen Welten in den MAD MAX-Filmen (ab 1979) bevölkern ließ, als jenem von den Männern als verfügbares Spielzeug betrachteten Pornomädchens, das sich willig einem geforderten Rollenklischee ergibt. Das letzte Bild des Films zeigt uns Jen in einer amerikanischen Einstellung, in der sie sich, den Blick bisher in die Weite der Wüste gerichtet, uns, dem Publikum, zuwendet und uns unumwunden anblickt. Wir sollten Angst haben, denn hier ist eine Metamorphose abgeschlossen, die eine patriarchal geprägte Zivilisation hinter sich gelassen hat. Ein Wesen, aus Schmerz geboren.

Fargeat unterstreicht die universale Aussage ihrer Story nicht zuletzt durch die Wahl ihres Settings.  Die Wüste ist der universale Ort. Hier kann alles entstehen und vergehen, hier ist der Mensch vollkommen auf sich selbst zurückgeworfen. Wenige Lebensräume sind lebensfeindlicher und bis heute ist es dem Menschen nicht gelungen, sich diese Weiten zu unterwerfen. So wirkt die hochmoderne Villa anachronistisch, ihre High-Tech-Ausstattung wir eine trotzige Behauptung gegen eine Umgebung, die alles auf sein Ursprüngliches reduziert. Die Wüste ist ein Nirgendwo, ein Nicht-Ort, ein Utopia. Nimmt man also die These ernst, daß Fargeats Film eine Utopie, die Utopie einer neuen, befreiten Weiblichkeit, konstatiert, ist sie als Ort dieses Geschehens exakt gewählt. Und so ist diese Wüste auch nicht zu ver-orten. Der Film gibt Hinweise, daß das alles in den USA spielt, laufen auf dem TV-Bildschirm doch abwechselnd Sportsendungen – vornehmlich brutales Wrestling und Autorennen, von  Mikolajewski ebenfalls als hypermännliche Interessen klassifiziert – oder englischsprachige Shoppingkanäle. Gedreht wurde in Marokko und die Kennzeichen an den Autos weisen auf europäischen Ursprung hin. Wo also spielt diese Nicht-Geschichte?

REVENGE ist also auch eine Referenz an den Niedergang der europäischen Zivilisation. In der französischen Literatur und im französischen Kino schon länger ein Topos, evoziert der Film bspw. auch die Erinnerung an einen frühen Roman des in Frankreich sehr beliebten Schriftstellers Philippe Djian. Auch dessen Romane sind oft un-verortet und gerade BLEUE COMME L´ENFER (1982) endet mit einem verstümmelten Mann, der irgendwo jenseits der Grenze (welcher Grenze?) in einem Niemandsland, einer Wüste, auf den Tod wartet. Dort ein nihilistisches Nirgendwo, in dem Männlichkeit ebenfalls an ihr (natürliches?) Ende gelangt, kann Fargeats Jen hier erst sie selbst werden. Ein weiterer (pop)kultureller Verweis, die REVENGE in einen größeren Zusammenhang und einen zivilisationskritischen Kosmos – zumindest einer Zivilisation nach patriarchaler Vorstellung – stellt. Hier versteckt sich in einem oberflächlich betrachtet reinen Exploitationfilm, der sich ausdrücklich mit Oberflächen und ihrer Zerstörung, ihrer Dekonstruktion, beschäftigt, eine tödlich exakt durchdachte Abrechnung mit Sicherheiten und Gewißheiten der westlichen, der männlichen  Kultur und Zivilisation.

Da Fargeat bei der Betrachtung männlicher Herrschaft und weiblicher Zustimmung dieser Herrschaft – die dann peu à peu sich wandelt in Aufbegehren und Vergeltung, um schließlich eine „neue“ Frau hervorzubringen – sehr weit geht, könnte man ihren Film leicht abtun und den Gewaltorgien des jungen französischen Kinos (À L`INTÉRIEUR/2007; FRONTIÈRE(S)/2007; MARTYRS/2008) zuschlagen, die allerdings (fast) alle ihre ureigenen subversiven Programme verfolgen. Doch täte man Fargeat damit Unrecht. REVENGE ist eine ebenfalls subversive Analyse hochaktueller Entwicklungen, die durchaus einem reaktionären Rollback Vorschub leisten und gar nicht klar und deutlich genug benannt und aufgezeigt werden können. Genau dazu leistet ihr Film einen ebenso schmerzhaften wie notwendigen Beitrag.

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