A SERBIAN FILM
Film als Grenzerfahrung
Der ehemalige Pornodarsteller Miloš (Srđan Todorović ), glücklich verheiratet mit Marija (Jelena Gravrilović), wird von einer ehemaligen Kollegin angefragt, ob er bereit sei, für eine exorbitante Summe noch einmal vor der Kamera zu agieren. Er war seinerzeit dafür bekannt, nicht nur mit einem enorm großen Geschlechtsteil ausgestattet, sondern –wichtiger – unter allen Umständen und in jeder Situation, also auch ohne jede Stimulanz, einsatzbereit zu sein. Es ist der Kunstfilmer Vukmir (Sergej Trifunović), der ihn engagiert. Miloš besucht ihn in dessen Villa, um die Bedingungen für den Film auszuhandeln. Am Tor zum Grundstück begegnet ihm ein glatzköpfiger Mann, der zwei Leibwächter bei sich hat. Dieser grüßt ihn flüchtig. Vukmirs einzige Bedingung: Miloš wird kein Drehbuch bekommen, nicht einmal einen groben Überblick über Handlung oder Verlauf des Films. Er wird an den jeweiligen Drehtagen an einen Drehort gebracht und dort seine Instruktionen per Kopfhörer erhalten. Da sowohl Miloš als auch Marija wenig Rücklagen besitzen, sie allerdings beide gern ein „besseres“ Leben wollen (obwohl es ihnen nicht schlecht zu gehen scheint, sie leben in einem zumindest nicht kleinen und recht gut ausgestatteten Haus) und einen Sohn haben, der ebenfalls einmal eine gute Ausbildung erhalten soll, nimmt Miloš das Angebot schließlich an. Allerdings bittet er seinen Bruder Marko (Slobodan Bestić), den Regisseur des ominösen Films zu überprüfen. Schon am ersten Drehtag wird Miloš klar, daß er es hier mit keinem herkömmlichen Pornofilm zu tun hat, sondern mit etwas Speziellem. Eine zuvor geprügelte Frau soll ihn vor den Augen eines minderjährigen Mädchens oral befriedigen. Währenddessen betrachtet Miloš zwei Bildschirme, die das Mädchen einmal eisschleckend, einmal lasziv die Lippen schminkend zeigen. Als Miloš Vukmir aufsucht, um ihm mitzuteilen, daß ihm ganz und gar nicht gefällt, was er erlebt hat und er keine Minderjährigen im Film will, erklärt ihm Vukmir den künstlerischen Ansatz des Films: Es gehe um die serbische Gegenwart, die serbische Familie und das serbische Leid, das dem land ebenso zugefügt wurde, wie es sich dies selbst zugefügt habe. Und um Opfer. Er könne ihm zeigen, wozu Opfer fähig seinen: Dazu führt er ihm einen sogenannten „newborn porn“ vor, ein Film, auf dem man sieht, wie eine Frau ein Kind gebärt, das unmittelbar nach der Entbindung vergewaltigt wird. Miloš haut ab, tappt aber bald in eine Falle. Er erwacht – verletzt blutend – in seinem Haus und kann sich nicht erinnern, wie er dorthin gekommen ist, wo er war, wieviel Zeit vergangen ist. Frau und Kind sind nicht aufzufinden, seinen Bruder kann er nicht erreichen. Er fährt zu Vukmirs Villa, die jedoch ausgeräumt wurde. Lediglich einige Bänder und eine Videokamera sind noch aufzufinden. Die Bilder zeigen ihn, Miloš, wie er eine Frau vergewaltigt und ihr dabei den Kopf mit einer Machete in Stücke hackt, sie zeigen, wie einer von Vukmirs Leibwächtern ihn, Miloš, vergewaltigt und schließlich, wie seiner ehemaligen Kollegin, die sich zuvor in einer Szene mit Vukmir gegen die Behandlung Miloš‘ ausgesprochen hatte, erst die Zähne gezogen werden, sie dann während einer Oralvergewaltigung erstickt wird. Weitere Szenen offenbaren weitere Gräuel, an denen er beteiligt war. Nach und nach kehren die Erinnerungen zurück. Miloš macht sich auf, die Schauplätze der Verbrechen aufzusuchen. Schließlich findet er sich wieder an einem Drehort ein, wo er die Szene „Eine serbische Familie“ drehen soll. Er wird einmal mehr unter Drogen gesetzt, wehrt sich jedoch gegen die Ärztin, die ihm die Injektion verabreichen will, indem er ihr eine Spritze in den Hals rammt. Als er in die Halle, wo die Szene gedreht werden soll, kommt, findet er dort zwei vermummte Opfer: eine Frau und ein Kind. Er vergewaltigt die Frau, dann das Kind, während ein weiterer Maskierter erneut die Frau mißbraucht. Vukmir enthüllt die Gesichter der Opfer: Es sind Miloš Frau und sein Sohn, der zweite Täter ist sein Bruder, der immer eifersüchtig war, fühlte er sich doch zu Marija hingezogen. Als die sterbende Ärztin in die Halle gestolpert kommt, ergreift Miloš die Gelegenheit und tötet Vukmir auf grausige Weise, währenddessen fällt Marija Marko an und tötet diesen. Nachdem die beiden sich auch der Leibwächter ihrer Peiniger entledigt haben, kehren sie heim. Doch sie sehen ein, daß das Leben nach dem Erlebten kaum mehr Sinn macht. Miloš tötet sie alle drei mit einem Schuß. Die Haustür öffnet sich und der glatzköpfige Mann, der Miloš bei seinem ersten Besuch in Vukmirs Villa begegnet war, betritt mit zwei Untergebenen das Zimmer und fordert den jüngeren Mann auf, mit dem Jungen anzufangen. Der Mann öffnet seine Hose. Abblende.
Will man über A SERBIAN FILM sprechen, wird es wohl weder dem Rezipienten, noch dem Rezensenten, noch dem Kunden erspart bleiben, über Gewalt zu sprechen, bzw. über die Darstellung von Gewalt. Man wird die Frage stellen müssen, ob und wie Gewalt auf der Leinwand darzustellen sei und ob es eine künstlerische Grenze gibt? Das es eine legalistische Grenze gibt, sollte klar sein: Da, wo das Gezeigte offensichtlich nicht gestellt, sondern echt ist und die Teilnehmenden dies offensichtlich nicht freiwillig tun, ist die absolute Grenze erreicht. Dahinter beginnt das berühmt-berüchtigte Reich der sogenannten Snuff-Movies, also jener Filme, die echte Gewalt an echten Opfern darstellen, oft bis zum Tode derselben. Gibt es Snuff-Filme? Es steht zu befürchten, daß es sie gibt und sie keineswegs nur dem Reich der Legende entstammen. Es wird – wie eben für jede Art von Pornographie – auch für Gewaltpornographie einen Markt geben, einen Schwarz-Markt.
A SERBIAN FILM verbindet nun genau dieses Reich – das des Snuff – mit einer Analyse modernen Geschäftsgebarens, bei dem nahezu alles zur Ware werden kann: Der Mensch, das Leben, der Tod. Und selbst über den Tod hinaus besitzt alles und jeder noch den Wert der Vermarktbarkeit. Am Ende dieses Films schließt sich der Kreis: alles geht weiter und weiter, die, die immer schon verdient haben, verdienen auch weiterhin an allem und jedem, die, die immer schon verloren haben, werden auch weiterhin die Verlierer bleiben. Nichts Neues unter der Sonne. A SERBIAN FILM hat ein Anliegen, das merkt man praktisch von der ersten Einstellung an. Darin unterscheidet er sich schon einmal von all den reaktionären und rückwärtsgewandten Horrorfilmen a la SAW (2004) oder HOSTEL (2005), den sogenannten „torture porn movies“. A SERBIAN FILM ist kein Horrorfilm – wenn man einmal davon absieht, daß die Wirklichkeit meist den größten Horror bereithält, weit über alle Monster oder Serienkiller oder Außerirdische hinaus. A SERBIAN FILM ist aber im Grunde auch kein Thriller, dafür fehlt es ihm einerseits schlicht an der dafür nötigen Spannung, andererseits aber auch an allen Elementen, die ein Thriller irgendwie braucht. Es gibt nicht mal ein eigentliches Geheimnis. Daß der Regisseur nicht bereit ist, das Drehbuch preiszugeben, wird mit künstlerischen Belangen erklärt und hingenommen. Daß die ganze Geschichte auf ein böses Ende zuläuft, ahnen wir früh. Womit hat man es dann eigentlich zu tun? An der Basis der Geschichte hat man es schlicht mit einem Drama zu tun. Das Drama eines Menschen, der seiner Profession nachgeht, der sich benachteiligt wähnt, der mehr will, der mehr geboten bekommt und zugreift. Ein Mensch, der käuflich ist – wenn auch aus vermeintlich guten Gründen, schließlich soll es seiner Familie einmal besser gehen.
Regisseur Srdjan Spasojević hat in Interviews öfters betont, daß er mit A SERBIAN FILM eine politische Parabel habe abliefern wollen: Ein geschundenes Land, vergewaltigt von einigen Wenigen (schlechten/korrupten Politikern und dem Militär), ausgenommen, geschändet und weggeschmissen. Eine brutalisierte Gesellschaft, die einfach weitermacht, auch, wenn der Krieg längst als beendet gilt. Eigentlich, so zieht der Film ein Fazit, eigentlich ist diese Art der Gewaltanwendung weitaus rentabler, als sich in schrecklichen Bruderkriegen zu zerfleischen. Der Markt für die Art von Filmen, die in A SERBIAN FILM hergestellt werden, ist global, es ist der Kapitalismus in Reinkultur und er wirft unglaublich hohe Gewinne ab.
Sollte dies das Anliegen des Films gewesen sein, so wäre er zwar ehrlich in seiner Drastik, doch grundlegend gescheitert. Denn das, was der Zuschauer hier zu sehen bekommt – neben den Folter- und Tötungssequenzen vor allem die Vergewaltigung eines Neugeborenen – ist derart schrecklich und erschreckend, daß jede Message, die der Film möglicherweise bereit hält, verblasst, ja, wahrscheinlich nicht einmal wahrgenommen wird. Dann aber wäre alles, was man hier „geboten“ bekommt vergebliche Liebesmüh und die Macher müssten sich fragen lassen, ob sie nicht eben doch einfach niedere Gelüste hätten befriedigen wollen? Zumal die Szenen teils derart gestaltet sind, daß man bei erstem Betrachten durchaus der Meinung sein könnte, genau das zu sehen zu bekommen, was der Film darstellt: Ein Snuff-Movie. Erst bei genauerem Hinschauen kann man erkennen, daß die Tricks hier zwar effektiv, aber auch nicht unbedingt neu sind, daß es eben doch Puppenköpfe und Kunstblut sind, die hier zerschmettert und literweise vergossen werden.
Nein, wenn wir es hier mit einer politischen Parabel zu tun haben, dann ist diese zu dünn, um wirklich ernst genommen zu werden. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, daß der Film es sich eben nicht ganz so einfach macht. Wenn wir das Haus sehen, in dem die Familie lebt, dann können wir nicht unbedingt behaupten, daß sie arm ist oder verwahrlost. Sie leben in einem Haus, keiner Wohnung, dieses Heim wird großzügig gezeigt, es bietet Annehmlichkeiten und Komfort. Wir müssen also annehmen, daß der Film durchaus unterschwellig auch jene angreift und an den Pranger stellt, die mehr und mehr haben wollen. Da schwingt durchaus im Subtext eine Kritik auch an jenen mit, die man „die einfachen Leute“ nennen könnte, jene Serben, die Vieles hatten, denen es durchaus nicht schlecht ging und die dennoch mehr und mehr haben wollten (Land, Wohlstand, Macht). Und da wird die Kritik des Films universell: Es ist der Mensch, der eben bereit ist, dies alles zu tun, der bereit ist, dies alles zu ertragen und der bereit ist, dies alles hinzunehmen, solange es nicht ihn selbst unmittelbar betrifft. Betrifft es andere – eine Frau, ein Kind, die wir nicht kennen – mag es uns Unwohlsein bereiten, aufhalten wird es uns nicht. Und so werden wir mitschuldig. Alle. Eben auch die, die sich einen Film wie A SERBIAN FILM überhaupt anschauen. Denn es sind nun mal wirklich die ekelerregendsten Grausamkeiten, die man seit vielen, vielen Jahren auf der Leinwand geboten bekommen hat.
Es bleibt allerdings die Frage, wer das merkt? Schaut man sich die einschlägigen Foren an, wird man schnell feststellen, daß der Film eben durchaus als harter Thriller oder Horrorfilm wahrgenommen oder aber dem relativ jungen Subgenre des „Body Horror“ zugerechnet wird, einer Gattung, die seit einigen Jahren vor allem aus Asien nach Europa und in die USA schwappt und v.a. im französischen Horror/Terrorfilm aufgegriffen wurde. Doch dürfte es den Machern des Films eigentlich keineswegs gefallen, in diesen Bereichen beliebt zu sein, wenn sie ihre eigene Message ernst nehmen. Was allerdings auch auf jemanden wie Pier Paolo Pasolini gelten würde, dessen SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA (SALÒ – DIE 120 TAGE VON SODOM; 1975) in genau denselben Foren als „hardcore“ angepriesen wird und ganz sicher vieles ist, aber KEIN Horror- oder Terrorfilm.
Kann man nun A SERBIAN FILM mit Pasolinis Meisterwerk vergleichen? Nein. Dazu fehlt ihm die Tiefe, die Analyse, der entsprechende Metatext und auch schlicht die Kraft der Bilder. Allerdings ist es natürlich auch ein wenig vermessen, das Metawerk, den Abschluß eines künstlerischen Lebens, der eine Kreuzung aus Film, Analyse, Lebensbeichte und -verneinung sowie die tiefere Auseinandersetzung mit dem Glaube an die Utopien/Dystopien des 20. Jahrhunderts darstellt, mit dem Erstlingswerk eines jungen Regisseurs zu vergleichen oder gar gleichzustellen. Würde man es auf diesen Vergleich ankommen lassen, wäre A SERBIAN FILM nicht einfach gescheitert, er wäre schlicht ein übles Machwerk, Kolportage, ein verlogener Film, reaktionär und dumm. Deswegen soll genau dieser Vergleich (der gezogen wird und der angesprochen werden muß, galt SALÒ bisher doch im Bereich des „ernsthaften“ Kinos als so ziemlich der härteste Film, den es gibt) nicht angestellt werden. Denn A SERBIAN FILM ist das alles nicht. Er ist nicht dumm, keine Kolportage, weder reaktionär, noch ein Machwerk – genau DAS macht es ja so schwierig, mit diesem Film klarzukommen.
Kehren wir also an den Anfang zurück: Will man über A SERBIAN FILM sprechen, wird man über Gewaltdarstellung im Film reden müssen. Die wiederum eine lange Geschichte hat, ebenso das Reden darüber. Als Sam Peckinpah – und damit der Mainstream – in seinem THE WILD BUNCH von 1969 in einer schier endlosen Szene recht genau und in Zeitlupe vorführte, was ein außer Kontrolle geratenes Maschinengewehr so anzurichten in der Lage ist, hatte er damit an einer Spirale gedreht, die einige Jahre zuvor Arthur Penn mit BONNIE & CLYDE (1967) in Gang gesetzt hatte, und die sich im Grunde seitdem immer weiterdreht, alle paar Jahre durch einen Aufschrei aus den hinteren Spalten der Feuilletons wieder hervorgekramt, wenn ein Jonathan Demme (SILENCE OF THE LAMBS – 1991) oder David Lynch (WILD AT HEART – 1990) den Mainstream mit Splatter füttern. Denn in den 70er und den frühen 80er Jahren waren es die sogenannten Splatterfilme, die Gewalt vollkommen direkt und ungeschönt und oft sogar mit Lust und Freude zeigten. Sei es die Zombiefilmwelle, die George A. Romero eigentlich bereits 1968 mit NIGHT OF THE LIVING DEAD losgetreten hatte, seien es die teils unerträglichen „Rape and Revenge“-Filme in Folge von Wes Cravens THE LAST HOUSE ON THE LEFT (1972) oder aber all jene postmodernen Nachfolger wie RE-ANIMATOR (1985), HELLRAISER (1987) oder die NIGHTMARE ON ELM STREET –Reihe (1984 ff) um den Kindermörder Freddy Kruger : sie alle hatten die Grenzen des Zeigbaren immer weiter verschoben. In den 80er und frühen 90er Jahren schließlich drangen Splatterelemente in das Mainstreamkino ein.
Aber gibt es Gewaltdarstellungen im Film – extreme, explizite Gewaltdarstellungen – die „Sinn“ machen? Gewaltdarstellungen, die gerechtfertigt sind durch Handlung oder Aussage des Films? Der oben erwähnte Pasolinifilm erfüllt für diesen Rezensenten unbedingt diese Kriterien. Dieser Rezensent findet auch die Darstellungen in Horror/Terrorfilmen absolut in Ordnung und auch jene in Kriegsfilmen oder den Bastardfilmen Sam Peckinpahs. Doch ist er jederzeit bereit, dies in Frage stellen zu lassen und zu diskutieren. Anders sieht die Sache eben in einem Film wie SALÒ aus. Pasolini konfrontiert den Zuschauer in jenen berüchtigten Szenen zum Schluß des Films mit einer Darstellung, die mit der europäischen Kunst- und Kulturgeschichte korrespondiert (wie es der ganze Film sowieso tut) und vor allem den Zuschauer zwingt, über die eigene Rolle im Theater der Grausamkeiten zu reflektieren. Doch gibt es darüber hinaus nur sehr, sehr wenige Filme, die explizite Gewaltdarstellung rechtfertigen könnten. Einer der wenigen neueren Datums ist in meinen Augen der französische Thriller MARTYRS (2008) dem es gelingt, Gewalt zu reflektieren, weil er das Wesen des Schmerzes zum Thema hat – und zwar das Wesen des physischen Schmerzes.
A SERBIAN FILM will aber anderes. Weder ist es eine philosophische, noch eine sonderlich abstrakte Abhandlung zum Thema Gewalt oder Schmerz, noch ist es gar ein kulturhistorischer Beitrag zu den ideologischen Gräueln des vergangenen Jahrhunderts. Im Kern – wie bereits erwähnt – ein Familiendrama, kann er als politische Parabel auf eine brutalisierte Gesellschaft gelesen werden, die nach Bürgerkrieg und Systemwandel nirgendwo angekommen zu sein scheint und ihren Mitgliedern kaum Perspektiven zu bieten hat; weiter gefasst ist es eine extrem pessimistische Aussage zur menschlichen Verfasstheit in Zeiten des entfesselten Kapitalismus. Aber wenn man den Film dann so liest, versinkt jegliche Botschaft derart in der Drastik der Bilder, im Blut und dem reinen Ekel, den man hier empfindet, daß man dann einfach nur konstatieren muß, daß der Film im Angesicht der eigenen Ansprüche an der Wahl der Mittel scheitert. Ganz profan: Er geht dramaturgisch nicht auf. Wenn man den Zuschauer mit der eigene Abgestumpftheit konfrontieren will, müsste man sich schlicht anderer Mittel bedienen (wahrscheinlich weitaus humoristischeren Mitteln); wollte man eine Aussage über die politischen Belange des Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts treffen, müssten die Allegorien treffender sein, wollte man etwas über Gewalt erzählen in einer Gesellschaft, die Gewalt längst als etwas Alltägliches akzeptiert hat, dann…ja, was dann?
Filme wie SYRIANA (2005), CITY OF GOD (2002) oder CACHÉ (2005) erzählen genau von diesen Dingen: Von politischer, sozialer oder familiärer Gewalt. Und obwohl man allen dreien mit vollkommen unterschiedlichen Maßstäben begegnen müsste, haben sie alle dramaturgisch eines gemeinsam: Sie schockieren in gewissen Momenten nachhaltig. Mit explizit dargestellter Gewalt. Und diese funktioniert in allen drei Filmen perfekt, weil sie wirkt. Sicher, CITY OF GOD nutzt den Schock der expliziten Darstellung mehr als einmal, doch gemessen an seinem Thema (das Leben in den Favelas südamerikanischer Megacities) weitaus weniger, als man vermuten würde. Worauf es hier ankommt: Man kann A SERBIAN FILM die Gewaltdarstellungen vorwerfen, dann befindet man sich in einer Endlosschleife immer gleicher Argumente, die alle bereits hin und her gereicht wurden und in den letzten 40 Jahren zu keinem fruchtbaren Ergebnis geführt haben. An einer Diskussion über Zensur, gar Verbot, bin zumindest ich nicht bereit, mich zu beteiligen, das kommt nicht in Frage, aus vielerlei Gründen (die eine eigene Diskussion erfordern würden). Nein, man sollte einen Film wie diesen an seinen höchsteigenen Maßstäben messen, bereit sein, das Wagnis einzugehen, sich das anzutun (die Menschen um 1930, die mit Buñuels und Dalis A CHIEN ANDALOU (1929) konfrontiert wurden, haben so ziemlich genau dieselben Vorbehalte geäußert), sich das zuzumuten (Kunst mutet immer zu) und dann kühl urteilen. A SERBIAN FILM wird dann schlicht an genau den von ihm selbst gesteckten Zielen scheitern. Er wird dramaturgisch nicht rechtfertigen können, was er dem Zuschauer zumutet. Das hat natürlich mit der massiven Gewaltdarstellung zu tun. Doch nicht nur. Wie so oft bei Parabeln oder Allegorien, ist auch hier das ganze Konstrukt extrem bemüht. Kann Miloš für DEN Serben oder – darüber hinaus gedacht – den durchschnittlichen Mann im Europa des beginnenden 21. Jahrhunderts stehen? Wohl kaum. Allein die Konstruktion, uns jemanden vorzuführen, der über abnorme Potenz verfügt und das zusätzlich in allen Lebenslagen, grenzt ans Märchenhafte, an die reine Angeberei. Daß dieser Mann dann sogar in der Lage ist, sein Gemächt als Waffe zu nutzen, Gegner zu blenden, indem er ihnen sein bestes Stück ins Auge rammt, hätte sogar etwas grotesk Komisches, wenn die dazugehörige Szene zu dem Zeitpunkt, da wir dieses Kunststücks ansichtig werden, nicht bereits derart viel Ekliges, Widerliches und Abstoßendes geboten hätte, daß man es hier einfach mit dem Ticken „zuviel“ zu tun hat, der die Szene, ja, sogar den ganzen Film kippen lassen kann. A SERBIAN FILM hat einiges von diesem „Zuviel“, nicht nur in dieser Szene.
Ist A SERBIAN FILM ein schlechter Film? Nein, das ist er nicht. Es ist ein Film, der sehr offensichtlich von einem gerüttelt Maß an Zorn, Wut und auch Verzweiflung befeuert wurde, der sich müht, diese Gefühle auszudrücken und dies in einer Weise, die den Zuschauer schockiert und beeindruckt zurückläßt. Dies ist kein Film, der sich an Gewalt ergötzt, sie gar verherrlichen würde. Es ist ein radikaler Film, der eine Aussage trifft über den (post)modernen Menschen, der sich einem vollkommen entfesselten Kapitalismus ausgesetzt sieht (den er allerdings – das zeigt der Film ebenfalls deutlich – selbst gewollt hat) und schließlich in den Stürmen der (geheimen?) Märkte um kommt. Daß die Macher dieses Films nicht die Möglichkeiten, vielleicht auch nicht die künstlerischen Fähigkeiten besitzen, das alles wirklich adäquat umzusetzen, das steht auf einem anderen Blatt. Und dieses Blatt sollte künstlerisch beurteilt werden. Der Anlaß des Films steht vollkommen außer Zweifel. Es ist ein berechtigter Anlaß und es ist auch angemessen, ihm mit aller Drastik Ausdruck zu verleihen. Ob das dann gelingt, ob die Wahl der Mittel der Aussage gerecht wird – DAS sollte die Frage sein. Und gemessen an dieser Frage bekommt A SERBIAN FILM von mir 3 Sterne. Einer davon lediglich dafür, daß er sich etwas traut, daß er weit (zu weit?) geht und dabei scheitert, da er sein Anliegen unter all den Bildern der Geschändeten begräbt und erstickt. Das ist schade, denn es wäre allzu angemessen, sowohl zur Verfasstheit der serbischen Seele etwas zu sagen (umso mehr, da Serbien um Aufnahme in die EU bittet und die EU wiederum sich genau überlegen sollte, wie sie umgehen will mit zutiefst traumatisierten Gesellschaften), als auch mit den drastischsten Mitteln – nur eben richtig eingesetzt – Aussagen zu einer total durchökonomisierten Welt zu treffen. Eat the rich…
Es sei all jenen an dieser Stelle gedankt, die den Text unvoreingenommen gelesen haben, den Überlegungen gefolgt sind und bereit waren, sich sowohl mit dem Film als auch dieser Analyse zu beschäftigen. Ich möchte dennoch warnen: A SERBIAN FILM bietet extrem verstörende Bilder und Szenen. Er ist ganz gewiß nicht für jedermann oder gar jederfrau geeignet. Vielleicht sollte frau/man – sei sie oder er denn an der hier aufgegriffenen Diskussion interessiert – den Film schauen wie man ein wissenschaftliches Experiment durchführt: Mit distanziertem und kühl analytischem Blick. Und eines sei hier noch einmal ausdrücklich versichert: Dies ist KEIN Unterhaltungsfilm.