DARKMAN

Sam Raimis Reminiszenz an die alten Universal-Horrorfilm-Klassiker

Dr. Peyton Westlake (Liam Neeson) arbeitet an einem Projekt, das Entstellungen und Vebrennungen, starkes Narbengewebe und schwere Verletzungen zwecks künstlicher Haut verdecken soll. Leider gelingt es ihm nicht, seine Erfolge zu konservieren: Die von ihm gezüchtete synthetische Haut zerfällt  nach ca. einer Stunde.

Seine Freundin Julie Hastings (Frances McDormand) arbeitet in der Rechtsabteilung eines Bauunternehmers, Louis Strack Jr. (Colin Friels), der sich ein enormes Projekt durch, wie er Julie gegenüber freizügig einräumt, Bestechung gesichert hat. Eines Tages, Welstlake und sein Assistent stehen kruz vor einem Durchbruch, wird das Labor, in dem der WIssenschaftler auch lebt und oftmals seine Verloibte empfängt, von dem Mobster Robert Durant (Larry Drake) überfallen, der hier wichtige Unterlagen vermutet, die seinen Chef in arge Bedrängnis bringen könnten. Durant und seine Helfer foltern Westlake und töten seinen Mitarbeiter, dann führen sie eine Explosion herbei, die das gesamte Gebäude zerstört. Westlake gilt als verstorben. Strack Jr. umwirbt die trauernde Julie und die Dinge gehen ihren Weg. Allerdings wurde Westlake – schwer verbrannt – aufgefunden und in einer Spezialklinik gerettet und stabilisiert. Er haut aus der Klinik ab und sucht sich nach und nach aus den Resten seines Labors zusammen, was er braucht, um seine Forschungen an einem abgelegenen Ort, in einer Industriebrache, wieder aufzunehmen. Und um einen Rachefeldzug gegen seine Peiniger anzustreben.

Es gelingt Westlake, sich mit Hilfe moderner Computergrafiken diverse Gesichtsmasken zu gestalten, die es ihm ermöglichen, sich in Durants Truppe einzuschleusen und dessen Männer nach und nach auf mehr oder weniger grausige Art und Weise zum Tode zu befördern. Zugleich versucht er, sein eigenes Gesicht zu rekonstruieren, damit er sich Julie wieder nähern kann. Es gelingt ihm, sein Gesicht für so lange Zeit wieder herzustellen, daß er seine Ex-Verlobte treffen und sie davon überzeugen kann, daß er noch lebt und sich bei ihr melden werde, sich wieder voll zu ihr gesellen werde, sobald seine Rekonvaleszensz in einer ominösen Klinik vorbei sei. In Wirklichkeit will er seinen Rachefeldzug gegen Durant zuende bringen. Allerdings hat dieser mittlerweile erkannt, daß Westlake noch lebt. Er wendet sich an seinen Auftraggeber, für den er die belastenden Dokumente aus dem Labor geholt hatte – niemand geringeren als Louis Strack Jr. selbst! Dieser fordert, daß Westlake endlich erledigt werden müsse. In einer spektakulären Verfolgungsjagd tötet Westlake Durant und dessen verbleibene Kumpane. Julie, die inzwischen ebenfalls herausgefunden hat, wer ihr neuer Verehrer wirklich ist, wird von Strack auf eine Plattform hoch über der Stadt entführt. Hier, auf einer seiner Baustellen, will er die finale Konfrontation mit Westlake herbeiführen und diesen töten. Westlake ist bereit…

Neun Jahre, nachdem Sam Raimi furios mit EVIL DEAD (1981) in die Szene der Hardcorehorror- und Splatterfans eingebrochen war und ein neues Referenzwerk vorgelegt hatte, zwölf Jahre, bevor er schließlich mit dem ersten SPIDER-MAN (2002) in die Riege der Großverdiener und Meisterregisseure in Hollywood vordrang, legte der Künstler mit DARKMAN (1990) eine herrliche Schnittstelle zwischen Horror- und Superheldenfilm vor, die sowohl den dunkleren Helden des MARVEL-Universums zur Ehre gereicht, als auch alle Ingredienzien aufweist, um als echte Hommage an die alten, klassischen Horrorfilme der 1930er Jahre zu gelten, die vor allem die Universal-Studios berühmt machten.

DARKMAN funktioniert wie eine Mischung aus DIE SCHÖNE UND DAS BIEST, dem PHANTOM DER OPER und bietet mit dem von Liam Neeson fein gespielten Peyton Westlake einen angemessen verrückten Wissenschaftler, dessen Wahn wir nach allem, was wir sehen mussten, natürlich vollkommen verstehen. Das Mitgefühl, welches dieser „Mann im Monster“ uns abverlangt, gemahnt natürlich an den ELEPHANT MAN (1980), die ihm innewohnende Wut, der Zorn lassen an Seth Brundle aus David Cronenbergs THE FLY (1986) denken, daß Westlake nach seiner „Verwandlung“ über abnorme Kräfte verfügt, reiht ihn unter den ambivalenten Comic-Helden wie „The Thing“ von den Fantastic Four oder den Hulk ein. Angesiedelt im modernen Los Angeles, in dem man aber an allen Ecken und Enden Industreibrachen und Abbruchanlagen findet, die ein angemessenes Gothic-Setting bieten – staubige Kammern, rostige Steigen und Backsteinwände, von denen schon lang der Putz abblättert – , wirkt DARKMAN wie ein Anachronismus: Eine Geschichte aus dem ‚Grand Guignol‘ – Verrat, Illoyalität, Mord, gebrochene Herzen und ganz, ganz große Gefühle der Rache, des Hasses und der Niedertracht in unheimlichen, fast gestrigen Surroundings – , die in eine postmoderne Metropole verpflanzt wurde, welche sich allerdings immer im richtigen Moment in einen unheimlichen, scheinbar weltabgewandten Ort verwandeln kann. Regenschauer und Gewitter brechen los, um Darkmans Rachefeldzug angemessen zu unterlegen und Danny Elfmans Score ist ganz der Melodramatik klassischer Schauermusiken verbunden.

Raimi, dessen EVIL DEAD wirklich Maßstäbe setzte, was den Verbrauch an Kunstblut, Schaumstoff und Latex betrifft, hält sich in DARKMAN angenehm zurück. Zwar sind die ‚Baddies‘ wirklich ausgenommen ‚bad‘: Sadisten, die es sich angelegen sein lassen, ihre Opfer mittels Zigarrenguillotine zu foltern, bevor sie ihnen den Garaus machen; hinterhältige, schmierige Immobilienmakler, die erstaunlich an gegenwärtige amerikanische Präsidenten erinnern; eine ganze Phalanx von Zuarbeitern, denen die Brutalität ins Gesicht geschrieben steht – im Zweifelsfall per Tätowierung – doch treibt der Regisseur es selten auf die Spitze, wenn er seinem Publikum zeigt, wie weit diese Typen es treiben. Und er geht auch nicht zu weit, nicht in wirkliche Splatter-Bereiche, wenn er diverse, recht unterhaltsame Tötungsarten vorführt, die das tragische Monster seinen Peinigern zuteil werden lässt. Im Gegenteil ist Raimi bemüht, bei aller Tragik, allem Drama, allen großen Gefühlen, die sein Comic-Szenario durchaus hat, den Humor nicht zu kurz kommen zu lassen. Schon in EVIL DEAD ist der Sarkasmus, mit dem die Schlachtplatte daherkommt, ein wesentlicher Teil des Werkes: Ohne den Humor wären die manchmal arg offensichtlich mit einfachsten, wenn auch effektiven Mitteln hergestellten Spezialeffekte wahrscheinlich nur lächerlich. Erst in der Verbindung mit Raimis grimmiger Komik kann sich das Grauen erst vollkommen entfalten. So hält der Meister es auch hier. So schrecklich Westlakes erstes Opfer auch zu Tode kommt – durch einen Gullideckel wird er von unten auf eine befahrene Autostraße gestoßen – man kommt in dieser äußerst makabren Szene nicht umhin, herzhaft zu lachen. Horror und Komik liegen immer nah beieinander und die echten Meister des Fachs wissen das nur allzu genau. Weshalb man die ganz großen Werke des modernen Horrorfilms gut und gern auch als extrem schwarze Komödien lesen kann.

Doch wäre ein Splatter- und Gore-Fest, wie es EVIL DEAD war, dem, was Raimi hier ganz offensichtlich beabsichtigt, nicht zuträglich gewesen: Dies ist überdeutlich eine Hommage an die Universal-Klassiker. Da schwingt eine Menge THE INVISIBLE MAN (1933) mit, da blitzen etliche – auch nicht der Universal zuzuschreibende wie DR. CYCLOPS (1940) – ’mad scientists‘ in diesem Dr. Westlake auf, da sind sämtliche tragischen Monster von Frankenstein, über den THE WOLF MAN (1941) und selbst THE MUMMY (1932) in diesem schrecklich entstellten Darkman vereint. Raimi kennt die Vorbilder, er weiß, wie eine Story aufgezogen werden muß, er versteht, daß dies alles ein wenig „bigger than life“ sein muß, also unglaubwürdig, damit wir es glauben können. Und genau so präsentiert er es seinem Publikum, auf dessen Kenntnis und Verständnis er voll vertraut. Daß ihm mit Liam Neeson und Frances McDormand zwei damals angehende Stars des gehobenen Hollywood-Kinos zur Verfügung standen, daß er eine Riege guter bis sehr guter Charakterdarsteller für die zweite Reihe anwerben konnte und daß sichtbar allen gefällt, was sie tun, trägt auf seine Weise zum Gelingen des Ganzen bei.

Die 1990er Jahre – die ironische, postmoderne Dekade par excellence, wenn man so will – waren keine gute Phase für den Horrorfilm. Da dieser immer schon ironisch  gebrochen daherkommt, wenn er sein Publikum ernst nehmen will, zumindest der moderne Horror- und Terrorfilm nach 1960, bekommt ihm eine zusätzliche Portion Ironie und Sarkasmus nicht sonderlich. Die besten, intelligentesten Horrorfilme der 90er waren dann auch jene der SCREAM-Serie (1996ff.), deren Erschaffer Wes Craven vielleicht wie kein Zweiter das Wesen des postmodernen Horrors begriffen und in diesen Filmen nahezu genial verarbeitet hat – zumindest im ersten der SCREAM-Filme. Sie funktionieren auch deshalb so perfekt, weil in ihrer Selbstreferenzialität gar nicht mehr unterscheidbar ist, ob man es hier mit einer Parodie oder noch mit einem „echten“ Horrorfilm zu tun hat. Doch ist dies genau der Tenor des Jahrzehnts: Parodie, Ironie, Pastiche. Kaum ein Horrorfilm der 90er Jahre hat dem Genre wirklich Neues hinzuzufügen, kaum einer traut sich etwas, bis zum Ende der Dekade schließlich mit RINGU (1998) und dem BLAIR WITCH PROJECT (1999) neue, erfrischende und in eine Zukunft des Genres weisende Wege eingeschlagen wurden.

So ist DARKMAN fast eine Wegmarke: Hier versichert sich einer der Meister des Eskapismus der Horrorfilme der 1980er Jahre seines Erbes, schafft eine Reminiszenz an jene fern und weit zurückliegenden Zeiten, als der Horrorfilm in seinen Kinderschuhen steckte und laufen lernte, als die Grammatik des Genres erkundet und belegt wurde und versichert sich noch einmal der Mittel und Instrumente, die es braucht, um diese ganz speziellen Mixturen anzurühren, die die Aficionados so reizt. Danach machte er sich auf in andere, ganz andere Gefilde.

 

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