AM SCHEIDEWEG. GEFÄHRDEN VERDROSSENHEIT UND (RECHTER) POPULISMUS UNSERE DEMOKRATIE?

Ein ruhiger, sachlicher, sehr genauer und bitter nötiger Beitrag zu einer der momentan herrschenden Debatten

So langsam, sollte man meinen, ist alles zum Thema von allen mindestens einmal gesagt. Populismus und Hass gehen eine gefährliche Melange ein, wirken zersetzend und stellen eine Gefahr für die Demokratie dar. Spätestens mit der Wahl des Multimillionärs Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika – errungen durch schamloses Lügen, Umdeutung von Wahrheiten und Tatsachen, ständiger Hetze gegen politisch Andersdenkende und in tiefer Verachtung des gewachsenen politischen Systems, inklusive der Medien, letztlich der Demokratie selbst – wurde klar, daß die Zeiten vorbei sind, in denen man glaubte, die Sphäre der Weltpolitik zumindest sei geschützt vor diesen Einflüssen. Bereits der Brexit hatte bewiesen, wie weit man es mit eindeutigen Lügen und populistischen Parolen bringen kann, wie man ein Land dazu ermuntert, gegen die eigenen Interessen zu stimmen und in eine lediglich für jene global denkenden (und lebenden) Herrschaften, die sich als die konservativen Verteidiger eines nationalen Stolzes geben, positiv sich entwickelnde Zukunft zu steuern.

Wie er funktioniert, der Populismus, das haben in den vergangenen Jahren ganz unterschiedliche Spezialisten und Fachkräfte zu erklären versucht. Ob metapolitisch oder soziologisch, ob politisch oder kulturell bedingt – ein jeder konnte sicherlich Aspekte beitragen, das Phänomen als solches, als Ganzes, als die Menschen überzeugendes zu erklären. Es als Ganzes wirklich erfasst zu haben, kann eigentlich niemand für sich in Anspruch nehmen. Auch Oliver Jauernig, Bezirksgeschäftsführer der SPD in Oberfranken und Dozent in der Jugend- und Erwachsenenarbeit, kann letztlich nicht erklären, wie es in Zeiten immer höherer Komplexität zum Aufstieg immer einfacherer Lösungsvorschläge gekommen ist. Doch erhellt er in seinem selbstverlegten Band AM SCHEIDEWEG. GEFÄHRDEN VERDROSSENHEIT UND (RECHTER) POPULISMUS UNSERE DEMOKRATIE? (2021) einige Teilaspekte, die oft wenig Beachtung finden. Denn hier wird vor allem auch aus der Erfahrungswelt jener politisch Tätigen berichtet, die nicht um 20 Uhr ihre eine Minute dreißig in der Tagesschau zugestanden bekommen, die nicht in gepanzerten Fahrzeugen, umgeben von Leibwächtern, vorfahren, um auf dem glatten Parkett der internationalen Diplomatie und Politik zu glänzen. Vielmehr ist es seine eigene Erfahrungswelt als Bezirkspolitiker, als Ehrenamtlicher, in der Lokal-, Kommunal- und Regionalpolitik, die er hier (auch) verarbeitet, von der er berichtet und die die Grundlage seiner Überlegungen bietet.

Nach einer recht kurzen Einführung und einem Einleitungskapitel, in dem er der Frage nach der sogenannten „Politikverdrossenheit“ – oder, vielleicht richtiger, „Politikerverdrossenheit“ – nachgeht, widmet sich Jauernig in einem langen Kapitel den Umständen, unter denen Politik heute stattfindet. Danach erst widmet er sich den im Titel angegebenen Themen des Populismus und der Frage, wie gesellschafts- und demokratiegefährdend er wirklich ist. Es ist dieser lange Abschnitt, der zugleich viel Bekanntes enthält – Jauernig widmet sich hier u.a. noch einmal dem kleinen Einmaleins der politischen Grundordnung – aber auch noch einmal den Blick eben auf jene richtet und schärft, die sich, mal ehrenamtlich, mal zu vergleichsweise niedrigen Bezügen politischer Ämter annehmen, sie bekleiden und ausfüllen, oft mit viel Improvisationstalent und Mut zur Lücke.

Die nachfolgenden Kapitel zum Populismus selbst, zur AfD und der vermeintlichen Staatsgefährdung, die von ihr ausgeht, zur allgemeinen Gefährdung der Demokratie, wie wir sie kennen (und dem auch hier nicht fehlenden Verweis auf andere, für uns wenig vorstellbare „Demokratiemodelle“ wie das der „illiberalen“ Demokratie, wie es in Polen oder Ungarn herrscht und offensiv vertreten wird) und der sich selbstverständlich anschließenden Frage, was Demokraten tun können, um das von ihnen favorisierte Modell zu verteidigen, können im Detail immer mal etwas Neues beifügen, bieten allerdings hauptsächlich Bekanntes. Spätestens hier schleicht sich der eingangs dieses Textes benannte Gedanke ein, daß nun aber wirklich nahezu jeder seine Meinung zum Thema geäußert hat. Andererseits kann es nicht oft genug wiederholt und gesagt werden: Ja, eine Demokratie wie die unsere lebt von Beteiligung, vom mündigen, selbstdenkenden Bürger, vom Citoyen, der sich einbringt, nachhakt, kritisiert, dabei aber kundig ist. Wir müssen wissen, wie dieses System in seinem Grundsatz überhaupt funktioniert, um es verteidigen zu können.

Es gehört zu den Verdiensten von Jauernigs Buch, daß der Autor sich nicht scheut, auch jene Aspekte aufzugreifen, die gerade in populistischen Kreisen so gern aufgegriffen und, stark vereinfacht oder gar einfach verfälscht wiedergegeben, angegriffen und als Beispiel vorgetragen werden, warum wir angeblich in gar keiner Demokratie leben. So kann der Leser sich noch einmal vergewissern, was das eigentlich ist, die „repräsentative Demokratie“, worin sie sich von der „direkten Demokratie“, wie sie oft von (Rechts)Populisten favorisiert zu werden scheint, unterscheidet, warum Gerichte unabhängig sind, auch wenn ihre Zusammensetzung oft genug parteipolitisch motiviert ist, weshalb die Medien, gerade die Öffentlich-Rechtlichen, notwendig und nützlich sind, auch wenn nicht alles in den Gremien immer zur allgemeinen Zufriedenheit läuft. Gerade diese Aspekte – daß dies bei allen Fehlern oder aller Kritik eben immer noch eines der besten demokratischen Systeme ist, die es weltweit gibt – sind so wichtig. Denn auch darauf weist Jauernig hin: Wir dürfen uns bei aller Abgrenzung nicht die Narrative oder die Sprechweise von rechts aufzwingen lassen. Probleme müssen angesprochen werden können, auch wenn sich Rechte ihrer thematisch bemächtigt haben.

So führt Jauernig, der die Demokratie aktuell nicht bedroht sieht, vor allem auch vor, wie das funktioniert: Ein ruhiger, faktenbasierter, sachlicher Diskurs, der nicht leugnet, aber eben auch nicht in apokalyptisch dich aufgetragenen Farben ausmalt, was nicht einmal einem blassen Aquarell entspricht. Inklusive des Angebots, mit dem Autor in Kontakt und also in den Dialog zu treten, ist dies ein guter Beitrag zu eben diesem Diskurs. Es ist ein selbstbewußter, weil selbstkritischer, damit im besten Sinne republikanischer, von tiefer Sachkenntnis getragener Beitrag, der einmal mehr aus dem Innern des politischen Betriebs zu kommen scheint, denn aus den Höhen akademischer Beobachtung und Beurteilung. Und genau das macht dieses Buch zu einem wertvollen Beitrag zu einem der momentan vorherrschenden Diskurse.

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