DAS LEBEN DES VERNON SUBUTEX/VERNON SUBUTEX

Vielleicht etwas zu groß angekündigt, kann Virginie Despentes´ GEsellschaftsroman nicht wirklich überzeugen

Drogen und Sex und Sex und Drogen und Drogen und Sex…nach ca. 150 Seiten dieses hochgelobten Werkes fragt man sich als geneigter Leser, ob das wirklich das Buch ist, über das angeblich ganz Frankreich diskutiert und das uns endlich alles erklärt über den Aufstieg des Front National und die gesellschaftliche Realität im Nachbarland. Und dann: Drogen und Sex.

Als habe es das noch nie gegeben, präsentiert Virginie Despentes in der ersten Hälfte ihres Romans ein Gemisch aus Zynikern und sich extrem hart gebenden Angehörigen der Pariser Szene zwischen Rock- und Popstars, Filmemachern und solchen, die es gern werden oder sein möchten, Drehbuchautoren und Pornosternchen. Mittendrin: Vernon Subutex, einst Besitzer eines Plattenladens, einst Mitglied einer in Insider-Kreisen angesehenen Punkrock-Band, einst Liebling der In-Crowd – wenn auch immer nur am Rande stehend – , jetzt eindeutig auf dem absteigenden Ast, seit er den Laden schließen musste und ihm so langsam die Ersparnisse ausgehen. Als sein alter Kumpel Alex stirbt – derjenige der alten Clique, der es schließlich zu Ruhm und Reichtum gebracht hat, wenn auch als „Schnulzensänger“ diffamiert – ist es auch dieses Ereignis, das Vernon abstürzen und vom Weg abkommen lässt. Er driftet durch Paris, von einem Freund zum nächsten, von einer verflossenen Affäre in eine weitere, doch hält es ihn nirgends lang. Schließlich landet er wirklich und wahrhaftig auf der Straße und macht dadurch die Bekanntschaft von Menschen, denen materiell alles abhanden gekommen ist, denen gar nichts anderes mehr übrigbleibt, als ihre Würde und ihren Stolz als letzte Währung einzusetzen. Und er macht schließlich die Erfahrung, daß selbst in der dicksten Krise noch Freundschaft zu finden und wieder zu entdecken ist.

Virginie Despentes hat ihre Erzählung vom Leben des Vernon Subutex auf drei Teile angelegt, man darf als Leser also davon ausgehen, daß ihr Antiheld noch durch manche Krise stolpern, in manches Loch fallen wird. Dieser erste Teil legt Spuren, führt Charaktere ein und lässt uns den Helden….ja was? Näher kennen lernen? Kaum. Eher lernen wir ein manchmal schwer zu entwirrendes Knäuel unterschiedlicher Stimmen und Personen kennen, die alle irgendwie in Bezug zu Vernon stehen. Alte Freunde, auch Feinde – manchmal ist das eine vom andern kaum zu unterscheiden – verflossene Lieben und neue Bekannte, aber auch eine ganze Reihe von Menschen, die grundlegend nur an anderen Interesse zeigen, wenn diese ihnen zu irgendetwas nützlich sind. Vernon Subutex bleibt dabei als eigenständige Figur seltsam blass, was sich schließlich aber mehr und mehr auch als sein Charakter entpuppt: Ein zwar von allen als cool angesehener Typ, aber eben ein Seitensteher, eher ein Beobachter denn ein Macher, eher ein Kommentator als der Kerl, der die Tanzfläche rockt. Leider macht ihn das dann eben auch zu keiner wirklich aufregenden oder auch nur tieferes Interesse weckenden Figur.

Auf den ersten 80 Seiten führt Vernon uns in seine Welt ein, eine Welt des Old School, analoger Musik (die in einem kaum abreißenden Strom des name droppings am Leser vorbeirauscht), krachender Gitarren, kühler Biere, knarrender Lederwesten, fetter Joints und einer unerschütterlichen antibürgerlichen Attitüde. Er teilt uns auch gleich mit, daß ihm vollkommen klar ist, wie retro er ist und daß Typen wie er eben eigentlich nicht mehr angesagt sind. Stimmt. Vor allem dann nicht, wenn sie in Tonfall und dem was sie zu erzählen haben den unendlich vielen bereits veröffentlichten Geschichten über genau diese Typen nichts hinzuzufügen haben.

Dafür ist Vernon aber umgeben von einer Vielzahl mehr oder weniger aufregender und interessanter Figuren. Leider dauert es, bis sich Text (und Autorin?) trauen, allzu ausgetretene Pfade zu verlassen und Eigenes zu wagen. So liest man sich in der ersten Hälfte des Buches durch eine zunehmend langweilende Aneinanderreihung von Drogen- und Sexexzessen. Und auch diese wirken weder stilistisch noch inhaltlich originell oder gar innovativ. Mal wähnt man sich in einem frühen Roman von Philippe Djian, dem Despentes in der Beschreibung eines leger-lässigen Lebensstils nacheifert, den Djian zu Beginn der 80er Jahre allerdings mit einer Post-Punk-Resignation zu kombinieren wusste, die etwas wirklich eigenes heraufbeschwor. Dann wieder erinnern die Monologe des zunehmend von einer erzählenden Person zur nächsten Erzählstimme springenden Textes mal an Michel Houellebecq, mal an Mathias Énard, mal an Jérôme Leroy, der 2011 in Frankreich großen Erfolg mit seiner Innenschau des Front National, LE BLOC (dt.: DER BLOCK. Hamburg, 2017), hatte. Die Einzelstimmen des Chors, der uns eine Menge über Paris, die französische Schickeria, deren Drogenkonsum und polygamen Sitten, wenig jedoch über das Leben des Vernon Subutex zu berichten weiß, verdichten sich immer mehr zu einem düsteren und wenig hoffnungsvollen Gesellschaftsbild.

Ein seltsamer Text, der lange mäandert, sich unsicher zu sein scheint, was er eigentlich will, worum es ihm geht, um wen es sich dreht. Erst im letzten Drittel festigt sich das, beginnt das, was da am Leser vorbeizieht, zu fesseln, will man plötzlich doch wissen, wie es mit diesen Figuren weitergeht. Und doch ist dies von allem zu viel: Zu viele Stimmen, zu viele Themen, zu viele Perspektiven – und der Fokus letztlich zu eng, der Horizont zu begrenzt, die behauptete „Gesellschaft“ zu einseitig beschrieben. Doch wenn man das Buch dann nach ziemlich genau 400 Seiten schließt, vibriert es doch leise nach und man ertappt sich dabei, nach dem Erscheinungsdatum des 2. Bandes zu schielen. Da will man dann doch wissen, wie es weitergeht mit Vernon Subutex, seinen Freunden, den Feinden und jenen, die eher an der Peripherie des Romans agieren und trotzdem Wesentliches zu diesem vielstimmigen Panoptikum der verrücktesten Figuren beitragen. Ein Roman, der als Einzelwerk durchwachsen in Erinnerung bleiben, aber vielleicht einmal als Auftakt eines umfassenderen Werks Meriten erringen wird.

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