DIE LEUCHTTURMWÄRTER/THE LAMPLIGHTERS

Emma Stonex erzählt die spannende und psychologisch sehr genau lonstruierte Geschichte eines mysteriösen Verschwindens

Ja, denkt man noch auf den ersten Seiten von Emma Stonex´ Roman DIE LEUCHTTURMWÄRTER (THE LAMPLIGHTERS; Original 2021; Dt: 2021)), was für ein herrliches Seemannsgarn da doch gesponnen wurde! Und hat natürlich keine Ahnung, was da noch mit welcher Wucht auf einen zukommen mag. Denn so anschaulich und eindringlich Stonex auf diesen ersten Seiten ihres 430 Seiten starken Werks die See und die Anfahrt auf die Maiden, jenen Leuchtturm, der für seine Besatzung zum Schicksal werden wird, auch beschreiben mag – und es ist wahrlich eine prächtige Beschreibung, man schmeckt die Gischt und spürt den Wind, der die See peitscht, im Gesicht – , was sich hier an stillen menschlichen, für den Leser kaum erträglichen Dramen entwickelt im Laufe der Lektüre, das ist schon mit allerfeinstem psychologischen Gespür und sprachlicher Finesse geschrieben.

Stonex lehnt ihre Geschichte, die auf zwei Zeitebenen angesiedelt ist – 1972 und 1992 – , an einen wahren Fall an. Im Jahr 1900 verschwanden drei Leuchtturmwärter auf den Flannan Islands, an den äußeren Hebriden gelegen, bis heute konnte ihr Verschwinden nicht aufgeklärt werden. So ergeht es in Stonex´ Roman Arthur, Bill und Vince im Jahr 1972. Als sie nach ihrem Turnus von mehreren Wochen auf dem Turm abgeholt werden sollen, sind sie verschwunden, der Turm selbst ist von innen verriegelt, auf dem Tisch stehen zwei statt drei Gedecke und die Zeiger der beiden Uhren sind auf exakt derselben Uhrzeit stehengeblieben. Zudem berichtet Arthurs Logbuch – er ist der OW, der Oberwärter – von einem verheerenden Sturm, der die Maiden tagelang umtost habe, der aber von keiner der Wetterstationen entlang der Küste wahrgenommen oder gar aufgezeichnet wurde. Und was hat es damit auf sich, daß Arthur einige Tage vor dem Verschwinden der drei Männer einem Bootskapitän mitgeteilt hatte, die angeforderte Hilfe für die Generatoren sei nicht mehr erforderlich, es hätte sich bereits jemand eingefunden und die Reparaturen erledigt?

Stonex springt in den Zeitebenen – alles sehr übersichtlich und nachvollziehbar – und lässt alle Beteiligten erzählen. Im Jahr 1972 sind es mal Aufzeichnungen, mal innere Monologe der Männer auf der Maiden; im Jahr 1992 sind es Helen, Jennifer und Michelle, die Frauen der Verschwundenen, die einem Schriftsteller, der den alten Geschichten nachgehen und sie aufklären will, Rede und Antwort stehen. Und nach und nach gibt ein jeder ein wenig mehr von seinen Geheimnissen preis – manche tiefgreifend, andere eher profan – und dem Leser offenbart sich nach und nach ein Panorama aus großen und kleinen Lebenstragödien und Lebenslügen. Zunächst muß hier einiges selbst kombiniert werden, ab einem gewissen Punkt der Erzählung ist man den Protagonisten jedoch voraus, was einen sehr eigenen Reiz der Lektüre ausmacht und ihr Spannung verleiht.

Stonex gelingt es – und dementsprechend sollte man hier keine außergewöhnlichen oder aufsehenerregende Auflösungen erwarten – sehr genau, in die Figuren einzudringen, ihre inneren Beweggründe offenzulegen und dabei menschliche Schwächen und Abgründe zu ergründen, die nicht einmal sonderlich ausgefallen sind, von denen aber mit großer Kraft und Wucht erzählt wird. Natürlich nutzt der Autorin die Naturbeschreibungen auch als Metapher. Und zugleich stehen sie ganz für sich, lassen den Leser spüren, wie diese Männer ein Verhältnis zum Meer entwickeln, ein ambivalentes Verhältnis: Es ist ihr Lebenselixier, da sie, wie die Fischer, vom Meer leben, seine Mystik spüren und sich in sie einfinden, sich mit ihr abfinden, mit den Ängsten und Gefahren, der untergründigen Bedrohung, die von den Wassermassen ausgeht, können sich aber auch – wie Arthur – in ihnen verlieren. Das Meer bietet auch Schutz vor den Untiefen der eigenen Seele. Und zugleich steht das Chaotische, das Unberechenbare des Meeres natürlich stellvertretend für die unberechenbaren Wege der eigenen Psyche und der eigenen Gefühle. Ohne ein Pathos bedienen zu wollen, dessen sich Stonex gänzlich enthält, kann man dennoch sagen, daß sich hier – literarisch betrachtet – die Stürme der Seele in jenen draußen auf dem Meer spiegeln und dies auch – literarisch betrachtet – hervorragend funktioniert.

Es sind die menschlichen Abgründe, die hier verhandelt werden. Verlust, Neid, sozialer Status, zu schnell geschlossene Ehen und zu schnell beschlossene Leben, die eigene Vergangenheit als Ballast für jedwede Zukunft – Vieles kommt hier zusammen, was die Conditio humana bestimmt und immer schon Stoff und Gegenstand von Literatur gewesen ist. Dem fügt die Autorin als Hintergrundrauschen die gesellschaftlichen Bedingungen hinzu, die das Leben dieser Menschen bestimmen. Die Arbeitsbedingungen auf einem Leuchtturm, die Enge, die ewige Feuchtigkeit, die Einsamkeit draußen, 12 Meilen vor dem Festland. Aber auch das voraussichtliche Ende des Berufsstandes der Leuchtturmwärter, der wegrationalisiert werden wird, den es 1992 so längst nicht mehr gibt, wird hier verhandelt. Eine Rationalisierungsmaßnahme, die die Feindschaft, die unter den zurückgebliebenen Frauen und Freundinnen seit dem Verschwinden ihrer Männer herrscht und vor allem tieferliegende Wahrheiten verdecken sollte, umso sinnloser wirken lässt. Die Betreibergesellschaft der Leuchttürme war seinerzeit froh, einfache Antworten auf die Fragen, die das Verschwinden der Männer aufwarfen, bieten zu können und sich mit Schweigegeld an die drei Frauen relative Ruhe erkauft zu haben. Welch würdelose Risse und Verheerungen dies in den Seelen dieser Frauen hinterlässt, interessiert außer diesem Schriftsteller, der die Recherchen aufnimmt. Und der damit auch allerhand aufwühlt, was viele lieber im Dunkeln und den Abgründen des Vergessens gelassen hätten, eigentlich niemanden. Nicht einmal die drei Frauen haben sich in den zwanzig Jahren, die seit den Ereignissen vergangen sind, sonderlich füreinander interessiert, geschweige denn Sorge umeinander getragen.

Stonex weiß um die Regeln und Konventionen des Metiers, dessen sie sich bedient. Seefahrergeschichten, Geschichten vom Meer, von Geheimnissen, von denen nur geraunt wird, haben immer auch einen Kern, der unheimlich, mysteriös bleibt. Es gibt hier Fäden, die ins Leere laufen, gibt es Andeutungen und Mutmaßungen, die zwanzig Jahre nach den Vorkommnissen nicht mehr zu eruieren sind und auch dem Leser ein Restgeheimnis lassen. Stonex lässt Raum für Spekulationen, für das eben jenes Mysterium. Und versteht es, all diese Ebenen – die Legende, die Psychologie und den sozialen Hintergrund – in einer geschlossenen, sprachlich dichten, in einer verdichteten Erzählung zusammenzuführen. Und das Konstrukt geht vollends auf. Der Leser hat mit DIE LEUCHTTURMWÄRTER einen Roman, der auf all den unterschiedlichsten Ebenen funktioniert und dabei vortrefflich unterhält, weil er gut und spannend zu lesen ist.

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