GEKRÄNKTE FREIHEIT. ASPEKTE DES LIBERTÄREN AUTORITARISMUS

Das rechte Buch zur rechten Zeit: Wo Teile dieser Gesellschaft hintreiben...

„Wutbürger“, „Querdenker“, „Reichsbürger“, „Corona-Leugner“, „Rechtsradikale“ – die Bezeichnungen für jene, die die Demokratie, wie sie sich in Deutschland darstellt, ablehnen, sind Legion. Doch es ist komplizierter, als so mancher Leitartikler es sich wünschen würde. Nicht alle Corona-Leugner sind Rechte, nicht alle Reichsbürger schließen sich rechtsextremen Gruppierungen an. An der Basis des Problems scheint es lediglich die Sicherheit zu geben, daß sich in Deutschland 2022 etwas zusammenbraut, das für die Demokratie in diesem Land gefährlich werden kann. Die Entwicklung ist nicht aus dem Nichts gekommen, kündigt sich seit geraumer Zeit an – einige meinen, seit 2013, also seit der Gründung der Alternative für Deutschland, kurz AfD, andere machen die Massenmigration des Jahres 2015 verantwortlich – und kulminiert seit geraumer Zeit in immer wieder aufgedeckten konspirativen Zirkeln, die von Umsturz und Staatsstreich träumen. Und oft genug – es sind immer häufiger auch Angehörige der Exekutive, namentlich der Polizei, der Spezialeinheiten der Polizei und der Armee, die an diesen Zirkeln beteiligt sind – sind viele derer, die sich da zusammentun, zumindest in der Lage, sich zu bewaffnen, wenn sie nicht längst bewaffnet sind. So oder so ein bedrohliches Szenario.

Seit geraumer Zeit gibt es auch ein ganz eigenes Genre der Sach- und Fachliteratur, welches sich im weitesten Sinne mit diesen Aspekten der spätmodernen Demokratie beschäftigt. Da werden kluge Bücher über Verschwörungstheorien geschrieben, es wird die ostdeutsche Seele durchleuchtet, da dort – gemessen am Bevölkerungsanteil – rechtsgerichtete Parteien und Gruppen überdurchschnittlich viel Zulauf und Unterstützung genießen, es wird „der Riss“ genauer untersucht, der vermeintlich durch dieses Land und seine Gesellschaft festzustellen sei, es werden einzelne Aspekte herausgegriffen – Sprachgewohnheiten, Social-Media-Blasen, Begriffe wie „alternative Fakten“ oder „Fake News“ – und analysiert. Es wird die AfD genauer unter die Lupe genommen und betrachtet, wie man den Faschismus heutzutage zu bewerten habe, es werden einzelne Vertreter gerade dieser Partei beschrieben, sei es Herr Gauland, sei es Herr Höcke, und es wird immer wieder darauf verwiesen, daß wir es letztlich mit einem Phänomen zu tun haben, welches nicht mehr an den gängigen Rechts-links-Schemata entlang zu behandeln sei.

Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey legen mit GEKRÄNKTE FREIHEIT. ASPEKTE DES LIBERTÄREN AUTORITARISMUS (2022) eine weitestgehend wissenschaftlich basierte Studie vor, die sich bemüht, Charaktermerkmale jener Menschen zu durchleuchten, die sich diesen Bewegungen, Parteien, Gruppierungen anschließen. Sie haben dafür mit einer ganzen Reihe von Parteigängern der Corona-Leugner und anderer Gruppen gesprochen, räumen allerdings selbst ein, daß sie sicherlich nicht mit denen sprechen konnten, die dem System, das sie ja bekämpfen, bereits gänzlich verloren gegangen sind. Denn die würden auch Vertreter der Wissenschaft – Nachtwey ist Soziologe an der Universität Basel, Amlinger Literatursoziologin, ebenfalls in Basel – als systemimmanent betrachten und schon aus Gründen der Voreingenommenheit nicht mit ihnen sprechen. So ist es wahrscheinlich interessanter, auf welcher Basis die Autoren ihre Untersuchung betreiben, denn ihre Feldforschung, die letztlich wohl Stückwerk bleiben musste.

Amlinger und Nachtwey stützen sich auf einige der wesentlichen Werke des 20. Jahrhunderts, wenn es um die Frage nach dem autoritären Charakter und die Entwicklung der europäischen Faschismen geht, Adorno/Horkheimers Untersuchungen zum Autoritären Charakter und ihre Negative Dialektik. Doch geht es ihnen weniger um jene Figuren und Typen, die den beiden Meisterdenkern wichtig waren, sondern eher um jene, die im ursprünglichen Text eher Nebenrollen spielten, laut Amlinger und Nachtwey heute aber viel mehr im Fokus stehen und bedeutender den modernen Typus dessen verkörpern, womit die Gesellschaft es zu tun hat. Da ist zum einen der „Rebell“, zum andern der „Spinner“.

Der Rebell ist ein oft von links nach rechts gewanderter Skeptiker gegenüber jedem politischen System. Er entstammt oftmals einem eher alternativen Milieu, gelegentlich esoterischen Zirkeln, neigt oftmals dazu, das politische, vor allem aber das institutionelle System in Frage zu stellen. Viele dieses Typus´ entwickelten vor allem während der Corona-Jahre eine Abneigung gegen staatliche Institutionen, die zuvor möglicherweise latent vorhanden war und nun, in einer akuten Krise, aktiviert wurde und zu immer radikaleren Positionen führte. Der Rebell, wie Amlinger und Nachtwey ihn  verstehen, ist die für ihre Untersuchungen wesentliche Figur, der sie das Adjektiv „regressiv“ voranstellen, womit beschrieben wird, daß seine charakteristischen Merkmale – vor allem die Abneigung allen Autoritäten gegenüber – zu immer stärkerer Feindschaft und schließlich auch zu Projektionen auf Gruppen, meist Ausländer, „Fremde“, führt, die schließlich zu einer kompletten Ablehnung des politischen Systems führt. Allerdings ohne eine Vorstellung von einer Alternative. Dies steht unmittelbar mit dem Freiheitsbegriff des „regressiven Rebellen“ in Zusammenhang. Ihm zur Seite gestellt wird der „autoritäre Innovator“, in welchem durchaus xenophobe und letztlich autoritäre Ressentiments schlummern; doch will der Innovator Änderungen und Reformen (in seinem Sinne) innerhalb des herrschenden Systems bewirken.

Anders ist dies beim „Spinner“. Der scheint auch in den Augen der Autoren für das System verloren. Es ist der klassische Verschwörungsmystiker. Dieser Typus lehnt das System nicht nur ab, sondern ist im Zweifelsfall auch bereit, mit Gewalt und vor allem konspirativ – also mit eben jenen Mitteln, die er eigentlich ablehnt – gegen die bestehende Ordnung vorzugehen. Vielleicht ist er der in der heutigen Zeit gefährlichere Typus, allerdings ist der eine ohne die anderen nicht zu denken. Die gefährliche Melange, die da entsteht und nicht zuletzt durch Pläne sogenannter „Reichsbürger“ – eher dem „Spinner“ zuzuordnen – , einen gewaltsamen Staatsstreich zu begehen, um die Rechtsordnung in diesem Land zu stürzen (so wurde im Herbst/Winter 2022 eine solche Verschwörung durch den Verfassungsschutz aufgedeckt und mit einer groß angelegten Razzia unterbunden), einmal mehr bewiesen werden konnte, braucht all diese unterschiedlichen Typen, die oft wie eine bunt zusammengewürfelte Truppe wirken, die inhaltlich – oder gar ideologisch – kaum zusammen zu passen scheint, um wirklich Gefahr für den Rechtsstaat und die Rechtsordnung darzustellen.

Was aber ist es, was all diese unterschiedlichen Typen des Autoritären zusammenbringt? Wie können die Autoren das scheinbare Oxymoron des libertären Autoritarismus nutzen? Wo ist die Schnittmenge all dieser scheinbar so unterschiedlichen Typen?

Nach einem kurzen Ritt durch die Geschichte des europäischen und amerikanischen Liberalismus und seiner diversen Ausbildungen, einer Kurzgeschichte der Ausbildung der Freiheitsbegriffe in den unterschiedlichen Demokratisierungsbewegungen, widmen sich die Autoren etwas ausgiebiger den libertären Entwicklungen nach den Umbrüchen, die unter der Chiffre „1968“ zusammengefasst werden können. Nach dem vermeintlich gemeinsamen Aufbruch einer Genration, die sich in den USA den Bürgerechten und dem Widerstand gegen einen fürchterlichen Krieg in Südostasien zuwandte, in Europa die Reste der autoritären Vorkriegsgeneration angriff und – vor allem in Deutschland – eine Emanzipation von der Elterngeneration darstellte, die die Schrecken des 20. Jahrhunderts zugelassen oder gar forciert hatte, zersplitterte diese Bewegung, wenn man sie denn so nennen will, in zahlreiche Gruppen. Einige blieben politisch – und zogen sich in wiederum immer autoritärer regulierte und vor allem auch autoritär agierende Zirkel, u.a. die sogenannten K-Gruppen, zurück; andere begannen den „Marsch durch die Institutionen“ und fanden auf diesem Wege auch Frieden mit einem einst abgelehnten System, einige fanden sich bei den GRÜNEN wieder und drangen so auch ins politische System direkt ein, und einige lösten sich gänzlich aus dem politischen Umfeld und betraten den Weg in die „neue Innerlichkeit“, beschäftigten sich mit sich und dem eigenen Befinden. Daraus wiederum entstanden nicht nur dann wieder politisch motivierte und wirksame Untergruppen – genannt seien die Feministinnen oder auch die Schwul-lesbische Bewegung – sondern auch esoterische Zirkel, Aussteigerkommunen, letztlich aber auch das, was mittlerweile in eine Wellness- und Yoga-Freiheit führt. Man kümmerte sich um Ernährung (Vegetarismus und Veganismus), um den Körper (Yoga), natürlich auch den Geist (Anthroposophen) etc. Oft gab es auch Schnittmengen in diesen bis zur Unkenntlichkeit zersplitterten Untergruppen.

Die Freiheit, die in all diesen Gruppen noch gemeint war, war immer eine Freiheit zu. Hin zu einer besseren Zukunft – individuell wie gesellschaftlich betrachtet. Amlinger und Nachtwey stellen nun aber eine Entwicklung fest, die sie mit dem Begriff der „verdinglichten Freiheit“ belegen. Freiheit wird nun nicht mehr in den klassischen Bezugsrahmen betrachtet – eingebettet in einem Klassenbewusstsein bspw. – sondern als etwas zutiefst Subjektives und Individuelles. Freiheit bedeutet nun, daß das Ich sich nicht mehr eingeengt fühlen will, auch nicht durch die Zumutungen einer gemeinsam austarierte Realität. Diese Beobachtung zieht sich für die Autoren durch nahezu alle Schichten, ist bei Intellektuellen ebenso anzutreffen, wie bei Angestellten, bei Freiberuflern, unter Beamten oder Selbstständigen. Hier macht sich – die Autoren führen dies darauf zurück, daß jene Werte, die in den 70ern noch in kleinen Gruppen galten, mittlerweile in den Mainstream eingedrungen seien – das Gefühl breit, daß die höchstpersönliche Freiheit eingeschränkt sei. Es beginnt bei den ganz großen Themen – Meinungsfreiheit, Cancel Culture, vermeintlich diktatorische Zustände in den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie – und reicht bis in die ganz private Umgebung. Denn diese Kreise stören sich im Grunde an jeder Regel, die sie persönlich nicht mögen. So wird der Kampf um gendergerechte Sprache – soll der „Mohrenkopf“ noch so heißen, ist das „Zigeuner“-Schnitzel verwerflich, wie geht man mit dem generischen Maskulinum um? – zu einem Kulturkampf um persönliche Freiheit.

Freiheit, wie sie nun verstanden wird, ist also ein persönliches Besitztum, eben „verdinglichte Freiheit“. Allerdings ist oft durchschaubar, daß hier bisherige, gesellschaftlich privilegierte Gruppen um ihre Pfründe kämpfen. Einst liberale oder gar linke Intellektuelle machen interessante Entwicklungen durch, nicht zuletzt, weil sie ihre Vormachtstellung im Spektrum der Meinungsmacher bedroht sehen. Andere, die sozial und kulturell womöglich wirklich von Abstieg und Ausgrenzung betroffen sind, gleich ob durch Alter, Arbeitsmarkt oder einfach die eigene Sozialisation, fühlen sich generell bedroht durch eine „woke“, urbane Kultur, die sie zurückzulassen scheint usw.

Alminger und Nachtwey sind vorsichtig, all diese Menschen über einen Kamm zu scheren. Sie sind nicht alle rechtsradikal, sie sind nicht alle ideologisch gefestigte Feinde der Demokratie, sie sind auch nicht alle grundlegend gegen diesen Staat. Doch sie alle betrachten Freiheit als etwas Persönliches, das sie letztlich ermächtigt, sich gegen jede (gesellschaftliche) Regel zu erheben, die diese persönliche Freiheit einschränkt. Und diese Haltung ermöglicht es auch, ganz persönliche Kränkungen und Verletztheiten als Grund anzuführen, sich gegen die herrschende Ordnung aufzulehnen.

Wie bei vielen der Bücher, die sich mit den Entwicklungen beschäftigen, die hier beschrieben wurden, mühen auch Alminger und Nachtwey sich, Antworten und Handlungsanweisungen zu geben. Doch muß man ihnen zugutehalten, daß sie anders als etliche ihrer Vorgänger nicht zu glauben scheinen, Allheilmittel an der Hand zu haben. Sie sind Wissenschaftler und in dieser Position sind sie auch ehrlich genug, die Schwächen der eigenen Studien zu benennen (bspw. die Frage, wer mit ihnen zu sprechen bereit war). So bleibt am Ende dieser Lektüre vor allem der Eindruck, daß man endlich einmal Beobachtungen, die man durchaus auch selbst im Laufe der Zeit gemacht hatte, systematisiert und in einen größeren Zusammenhang (Kritische Theorie/Frankfurter Schule) wissenschaftlich, also mit eben jener Expertise behandelt findet, die ebenfalls so gern und umfassend von denen angegriffen wird, um die es hier geht.

Es ist eine manchmal schwierige, manchmal auch etwas dröge Lektüre, was in der Natur der Sache liegt, wenn man es mit einem wissenschaftlich standardisierten Werk zu tun hat. Doch lohnt es sich, weil dies auch ein Debattenbeitrag ist, der sich nicht aufplustert, sich nicht größer macht, als er ist, auch nicht behauptet, irgendwelche Lösungen zu bieten, sondern nüchtern und bestimmt seinen Gegenstand unter die Lupe nimmt und eine – vielleicht letztlich auch nur vorübergehende, momentan gültige – Analyse vornimmt. Die erschreckt, keine Frage, da sie vor allem die Perspektive auf weitergreifende Fragen eröffnet: Was, wenn sich das verfestigt? Was, wenn sich das, was im Rückgriff auf das Vokabular der Weimarer Republik gern als „Querfront“ bezeichnet wird, immer stärker ausbreitet? Und was geschieht, wenn sich wirklich immer mehr Menschen von der Demokratie abwenden, zumindest vom Modell der repräsentativen Demokratie, wie wir sie kennen? Wohin wird dieser Kulturkampf (und machen wir uns nichts vor, genau das ist es schlußendlich) führen? Unangenehme Fragen, unangenehme Aussichten und letztlich eine unangenehme Lektüre, wenn man sich damit beschäftigen will. Aber was bleibt uns übrig, wenn wir diese Staatsform nicht aufgeben, sondern verteidigen wollen, ohne den Kopf in den Sand zu stecken?

 

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