HUMBOLDTS VERMÄCHTNIS/HUMBOLDT`S GIFT

Ein großer amerikanischer Roman

Auch das muß ein Schriftsteller erstmal schaffen: Man hält ein Werk in Händen, satte 650 Seiten stark, und merkt nach ca. 40 Seiten, daß einem der Ich-Erzähler zutiefst unsympathisch ist – und liest dennoch weiter. Vielleicht ist es nur den ganz Großen der schreibenden Zunft vergönnt, genau diesen Trick hinzubekommen, diesen Kniff anzuwenden, den Leser mit Intelligenz, Witz und genug Hinweisen auf interessante Wendungen so anzufüttern, daß er auch dann weiterliest und sich in solch ein Werk hineinarbeitet. Unter den großen amerikanischen Erzählern des 20. Jahrhunderts ist Saul Bellow sicher einer der größten – und ihm ist es gegeben, genau dies zu erreichen.

HUMBOLDTS VERMÄCHTNIS (HUMBOLDT´S GIFT; erschienen 1976) gehört zu jenen Werken, die den Leser angehen, ihn herausfordern, ihn locken und zugleich gelegentlich abstoßen. Charlie Citrine heißt der egomane Erzähler, ein Schriftsteller, der am Ende seiner 50er von einer Phase in seinem Leben berichtet, in der er zugleich ausgesprochen weltlichen Dingen ausgeliefert ist – vor allem seiner Ex-Frau, die sich bemüht, sein Vermögen an sich zu bringen, amourösen Verwicklungen mit diversen Damen, aber auch allerhand Schwierigkeiten mit eher zwielichtigen Gestalten, für die er aber immer schon ein Faible hatte – und sich innerlich immer mehr spirituellen Fragen zuwendet. Angeregt durch die Beschäftigung mit Rudolf Steiner und der Anthroposophie, vor allem aber durch die Beschäftigung mit seinem alten Freund Von Humboldt Fleischer, stellt Citrine sich die Frage nach Wiedergeburt, Seelenwanderung und danach, wie das Handeln im Leben, die Fehler und Triumphe, die der einzelne feiert, sich auf seine spätere Daseinsform auswirken könnten, wenn der Körper vergeht und die Seele möglicherweise nach menschlichem Ermessen Jahrhunderte frei flottiert, bevor sie durch Reinkarnation in eine dann möglicherweise vollkommen veränderte Welt geboren wird. Das Nachleben.

Bellows Schreiben lebt von der Assoziation, von Gedankensprüngen und manchmal gleitenden, manchmal abrupten Wechseln vom Philosophischen, Religiösem ins Profane, allzu Weltliche. Wir folgen Citrine zunächst durch das Chicago der frühen 70er Jahre, wo er mit dem Gangster Cantabile konfrontiert wird, dem er Geld schuldet und der zu sehr eindeutigen Mitteln greift, um Schulden einzutreiben. Und schon hier kann man Bellows hohe Kunst bewundern. Wie sein Erzähler sich zugleich um die Reparatur seines geschrotteten Wagens, die Frage, wie er sich den Mobster vom Hals halten kann und die sich ihm durch die Vorkommnisse eröffnenden Metastrukturen des menschlichen Daseins kümmert, ist an Witz kaum zu überbieten. Und hält doch auch etliche kluge, manchmal bedrückende, oft vor allem sehr weitgreifende Gedanken parat. Als Leser muß man nicht nur bereit sein, diesem ausgreifenden Denken zu folgen, sondern zugleich auch all die kleinen, mal versteckten, mal nahezu plakativen Anspielungen zu verstehen und nachzuvollziehen, die der Autor auf die amerikanische Alltagswirklichkeit, die Politik und kulturellen Wandlungen der 50er, 60er und 70er Jahre in den Text einspeist. So wird der Roman eben auch zu einer „Great American Novel“, einem jener Werke, die das amerikanische Jahrhundert, als das das 20. Ja gern deklariert wurde, reflektiert, zugleich aber auch kritisch hinterfragt und gelegentlich desavouiert.

Gerade in der Auseinandersetzung mit seinem zu Beginn des Werks bereits toten Freundes Humboldt, wird ein Ringen um künstlerische, kreative Integrität und das Spannungsfeld zum kommerziellen Erfolg und Ruhm spürbar. Als der junge Citrine den da schon bekannten Humboldt Ende der 40er Jahre in New York besucht, nimmt der Ältere den jungen, aufstrebenden Autoren unter seine Fittiche. Humboldt – auch er ein Egomane sondergleichen, der seine Umwelt terrorisiert, sich gegenüber Frauen, vor allem seiner Gattin Katherine, unglaublich benimmt, Freund und Feind ausnutzt und immer wieder vor den Kopf stößt – vertritt eine gnadenlos ernsthafte und nicht korrumpierbare Haltung zur Kunst jedweder Art. Als Citrine dann einen Hit schreibt, ein Broadway-Stück, das in einem ausgesprochen erfolgreichen Film adaptiert wird, wirft Humboldt ihm den Ausverkauf seiner Fähigkeiten vor. Und er hat recht damit, denn Citrine gibt offen zu, daß in den Film kaum mehr Ideen von ihm eingegangen sind, es aber genau dieser Film ist, der seinen Wohlstand, wenn nicht Reichtum, begründet. Danach verlegt Citrine sich auf eher journalistische Arbeit, schreibt ein Buch über Roosevelts New Deal und eines über Harry Hopkins, jenen Mann, der für Roosevelt zum wesentlichen Berater und für die Konservativen zum Gottseibeiuns wurde, unterstellte man ihm doch gern sozialistische Tendenzen. Für Humboldt Fleischer, dessen Stern in diesen Jahren zu sinken beginnt, ist Citrine eine Art Verräter, der sein Talent auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten feilgeboten hat. Und Citrine bestätigt dies nicht nur durch seine Überlegungen, sondern auch durch den Text, den der Rezipient hier liest.

Eitel, selbstgerecht, sicherlich klug, manchmal gerissen, oft abwertend, arrogant und selbstverliebt führt uns Citrine durch seine Anschauungen, seine Erlebnisse und Reflektionen auf seine Freundschaft mit Humboldt. Wie der in den 50ern fest davon überzeugt war, daß mit der von ihm fest eingeplanten Präsidentschaft Adlai Stevensons ein goldenes Zeitalter für Intellektuelle und Künstler anbrechen würde, daß er, Humboldt Fleischer, als Ratgeber und Kulturbeauftragter reüssieren und dafür sorgen würde, daß Amerika doch noch die Kurve bekommt, sich aus seinen kapitalistischen Verflechtungen zu befreien und das Versprechen einlösen könne, das es der Welt einst gegeben hat. Zumindest der weißen Welt. Umso grausamer Citrines eigene Reflektionen auf dieses Amerika: „[…] daß die Geschichte in den USA etwas Neues geschaffen hatte, und zwar Gaunerei mit Selbstachtung oder Doppelspiel mit Ehre. Amerika war schon immer sehr rechtschaffen und moralisch gewesen, ein Vorbild für die ganze Welt, also hatte es schon den Gedanken an Heuchelei getilgt und zwang sich nun, mit diesem neuen Imperativ der Ehrlichkeit zu leben, und das machte es sehr eindrucksvoll.

Anhand solcher Passagen – und etlicher anderer, die von ähnlicher sarkastischer Klarsicht und ironischer Hinterhältigkeit sind – kann man erkennen, daß dies eben auch ein großer Roman über das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Bellow nimmt den Leser mit auf einen Ritt durch die Höhen der Kultur und die Niederungen des Populären, dabei macht er keinen Unterschied und stellt somit das eine durch das andere in Frage, lässt uns noch einmal an diese amerikanische Hegemonie anschließen und zurückdenken, die mit der Zeitenwende 1989 wohl zum Abschluß kam. Man muß sich einlassen auf diesen Roman, muß noch einmal bereit sein, sich auch die innerkulturellen Verwerfungen in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts in den USA zu vergegenwärtigen, sollte etwas bewandert sein in der Geschichte des Landes und der Entwicklungen nach dem Krieg. Belohnt wird man mit einem der herrlichsten, lustigsten und klügsten Romane, die die amerikanische Literatur hervorgebracht hat.

Und das Vermächtnis? Das Humboldt´sche? Es ist die dreiste und schon fast boshafte Pointe, daß das, was Humboldt seiner Exfrau, seinem einstmals besten Freund und durch sie der Welt hinterlassen hat, schließlich genau die Entwicklung unterstützt, die er selbst wahrscheinlich nie gewollt hätte. Und doch – auch davor schreckt Citrine als jüdischer Erzähler, was ihn neben anderem zum Alter Ego des Autors Saul Bellow macht, nicht zurück – ist auch dieser Von Humboldt Fleischer nicht davor gefeit, die Gratifikation des Geldes als Maßstab eigener, auch geistiger Leistung zu betrachten. Humboldt wollte auch immer den kommerziellen Erfolg, er wollte den Ruhm und es ist letztlich auch Neid, der ihn sich von Citrine abwenden lässt. Denn dem ist all das gelungen: Reichtum, EInfluß (zumindest während der kurzen Kennedy-Administration, bei denen er ein und ausging), das scheinbar geglückte Leben, ohne Depression, Verzagtheit und Verlust. Bellow spielt hier auch mit antisemitischen Klischees und unterläuft sie, er nutzt eine Sprache, gegenüber Schwarzen und Frauen, die heute nicht mehr angängig wäre, und stellt Amerika ein zutiefst befremdendes Zeugnis aus, in dem keine Grupp – keine Ethnie, kein Geschlecht, keine Religion, weder die Metropolen, noch das sogenannte Herzland des Mittleren Westens, in das Citrine sich aus den Intellektuellenhochburgen zurückgezogen hatte, um ein großes Werk über die Langeweile zu schreiben, weder Arbeiter noch Hochgebildete – wirklich gut wegkommt.

Mit viel Achtung vor dem menschlichen Leben und Demut vor einem Dasein, das sich niemand ausgesucht hat, mit scharfem Blick und spitzer Zunge, bzw. Feder, mit einem hohen Maß an Selbstreflektion bis hin zur Selbstzerfleischung tritt uns dieser Erzähler entgegen und bietet ein Sittengemälde, das einer Tour de Force gleicht und ein erschreckendes Bild eines Landes und seiner Gesellschaft malt, das vielleicht wirklich nur noch mit Humor, ja, einem homerischen Gelächter über die Weltläufte hinweg zu ertragen ist. Vor allem aber ist dies ein literarischer Hochgenuß, der sich auch über vierzig Jahre nach Erstveröffentlichung hervorragend liest, der intelligent unterhält und uns zugleich eine Menge darüber zu erklären versteht, wie es kam, wie es jetzt ist.

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