DER CLAN DER SIZILIANER/LE CLAN DES SICILIENS

Ein Juwel des europäischen 'Heist'-Films

Alain Delon spielt Roger Sartet, der mit Hilfe des Manalese-Clans, dessen Kopf und Patriarch der alte Vittorio (Jean Gabin) ist, aus dem Gefängnis entkommen kann. Von dort hat er die Pläne für die Sicherungsanlagen einer Schmuckausstellung in Rom mitgebracht. Doch die Alten – Vittorio und sein New Yorker Kontakt Tony Nicosia (Amedeo Nazzari) beschließen, es anders zu machen. So wird der Schmuck mit einer enorm aufwendigen Aktion geraubt. Man kapert ganz einfach das Flugzeug, das die Ware von Rom nach New York bringen soll. Nachdem dieser Coup gelungen ist, verteilen sich die Entführer und fliehen. Sartet bleibt in Amerika, da er in Europa mittlerweile international gesucht wird. Doch hat Sartet in Paris ein Geheimnis hinterlassen, dessen Aufdeckung gerade in einer sizilianischen Familie im Exil besonders schwer wiegt: Er hat Ehebruch betrieben mit der Frau von einem der Söhne des Alten. Und das nimmt DER noch weitaus persönlicher als der Gehörnte selbst. So laufen nach einem äußerst gekonnten und professionellen Verbrechen einmal mehr die persönlichen Drähte heiß und drohen, alles zu vernichten, was man sich aufgebaut hat. Denn all dies beschriebene Treiben findet unter dem wachsamen Blick und der immer wieder eingreifenden Hand des Inspector Le Goff (Lino Ventura) statt, der ein persönliches Interesse daran hat, Sartet wieder hinter Gittern oder gar tot zu sehen.

Was das französische Kino so interessant macht – früher vielleicht noch mehr als heute – ist das gleichberechtigte Nebeneinander des Kunst- und des Unterhaltungskinos. In seinen besten Momenten überschneiden sich diese Bereiche und gehen eine Symbiose ein, wie sie vielleicht das italienische Kino in seinen besten Momenten erreicht hat, das amerikanische Kino nur momentweise. Henri Verneuil und Jean-Pierre Melville sind beide typische Vertreter des Spannungs- und Unterhaltungskinos, denen in ihrer Karriere immer wieder intensive Berührungen mit dem Kunstkino gelungen sind. Melvilles existenzialistische Gangster- und Killerballaden gehören ebenso dazu, wie Verneuils Politthriller I…COMME ICARE (1979). Hier aber, in LE CLAN DES SICILIENS (1969), wollte Verneuil dick auftragen, er wollte große Stars, nervenzerfetzende Spannung, Spektakel und Action und genau das hat er dann auch geliefert. Fast zwei Stunden lang erzählt er uns davon, wie sich drei der damaligen männlichen Superstars des französischen Kinos belauern, umkreisen, abtasten, um dann im richtigen Moment ihren Zug zu machen.

Es war das Jahr 1969, vielleicht musste dem Film deswegen unbedingt nachgesagt werden, er sei subversiv. Einen Gefallen tut man ihm damit keinesfalls. Wenn man ihm überhaupt einen ideologisch gewollten Unterbau unterstellen wollte, dann wäre es doch eher ein reaktionärer, so deutlich hier in einem so wichtigen Jahr wie 69 und ein Jahr nach dem Pariser Mai die Alten über die Jungen obsiegen. Mit Lust zelebrieren Gabin und Nazzari ihre Rollen als Gangster-Opas, bis hin zu jenem Moment, in dem sie einem Jungen mit Wasserpistole Nachhilfe erteilen, wie er die Waffe zu halten habe, wenn er wen bedroht und dann nahtlos Plastikflugzeuge und Rennbahnen für ihre Enkel kaufen, während sie sich dabei ununterbrochen über die Möglichkeiten eines Raubes im Museum unterhalten. Momente, in denen man sich wieder daran erinnert, daß Kino eben immer auch einfach ein Staunen ist. Ein Staunen über Bilder ebenso, wie über Bauten oder aber schauspielerische Leistungen. Und von letzteren bietet dieser Film eine Menge. Überhaupt ist er voller solcher Szenen, liebevoll gestalteter Attribute, kleinen Geschehnissen, die oft wie nebenbei passieren, Blicke, Gesten, die uns aber gerade Großvater Manalese nahebringen, der ständig Land in Sizilien kauft, wohin er demnächst zurückkehren will. Gabin liefert hier sicherlich eine der besten Leistungen seiner späten Laufbahn ab. Wie er diesen Grandseigneur gibt – lässig, fast cool, melancholisch und doch auch verschmitzt, wenn es drauf ankommt – das ist eine Klasse für sich und verdeutlicht, welch einen Stellenwert gerade er im französischen Kino einnahm.

Dem enorm agilen Delon hingegen gelingt es, seinen Sartet nicht nur verführerisch zu machen – so verführerisch wie eine Schlange – sondern dabei gehetzt und nervös erscheinen zu lassen. Man erinnert sich an Delon ununterbrochen in Bewegung, fordernd, voranstürmend. Er rennt, er springt, er tanzt. Sartet ist die nachrückende Generation, die alles anders machen will, schneller, dabei aber auf die Alten angewiesen ist. Sartet ist das absolute Individuum, ihm gegenüber steht die Familie. Verneuil macht nicht den Fehler, Gabin mit drei dem Klischee entsprungenen, unwürdigen Söhnen auszustatten. Keineswegs – er stellt die Familie lediglich als ein funktionierendes System dar. Solange alles auf Vittorio hört, wird nichts passieren. Man kann sich denken, daß dieser Vittorio Manalese seine Nachfolge kaum dem Zufall überlassen wird. LE CLAN DES SICILIENS ist ganz auf der Seite der Sizilianer und läßt schließlich das (konservative) Familiensystem über das (liberale?) Individualsystem Sartet’scher Prägung obsiegen. Doch gewinnen können diese Figuren schließlich alle nicht mehr. Eine Tatsache, die der enorm bekannte und beliebte Soundtrack von Ennio Morricone äußerst pointiert zu unterstreichen weiß. Selten, selbst im Schaffen dieses Filmkomponisten, kommentierte eine Filmmusik derart direkt das Geschehen auf der Leinwand. In ihrer Melancholie ebenso, wie im gelegentlich durchschimmernden Zynismus, deutet sich die Vergeblichkeit all der Träume an, die diese Männer träumen. Selbst der alte Vittorio kann nicht davon lassen. Es ist ein Mann wie der Inspector, der dieses Spiel durchschaut und überlebt, weil er – bar aller Träume – sich schlicht auf seine Aufgabe konzentriert. Ruhig, sachlich, unaufgeregt und hoch professionell.

Es ist Ventura, sein Le Goff – sicher die undankbarste Rolle in dieser Konstellation – die den Film zu mehr macht, als einem sehr guten „Heist“-Film; einem Capermovie, einem jener Filme, die einen gelungenen Diamanten/Juwelenklau dar- und dabei eine Welt ausstellen, in der diese Art des Verbrechens eher wie die Freizeitbeschäftigung gelangweilter Millionäre wirkt. Ventura bewegt sich durch den Film mit dem Wissen um die Brutalität Sartets und in der scheinbaren Gewißheit, nicht verlieren zu können. Er verkörpert ein Prinzip. Sartet findet seine Verachtung. Sartet ist in seinen Augen unberechenbar, seine Mittel sind vollkommen unangemessen. Direkt in der ersten Szene des Films wird dem Zuschauer mitgeteilt, was Sartet auf dem Kerbholz hat, man ahnt, dieser Mann ist tödlich gefährlich. Manalese hingegen wird von Le Goff akzeptiert als Autorität. Vittorio steht mindestens so für ein Prinzip, wie es Le Goff tut. Es sind widerstreitende Prinzipien, die sie vertreten, dennoch können sie einander respektieren. Die beiden haben im Film nur zwei kurze gemeinsame Szenen, aber in beiden meint man wahrzunehmen, wie sie sich nicht nur in ihren Rollen, sondern auch von Schauspieler zu Schauspieler Respekt zollen. Wenn in dieser Konstellation Vittorio die Patriarchengeneration und Sartet die rebellische, drängende Jugend vertreten, dann symbolisiert Ventura die mittlere Generation, ihrer Überzeugungen nicht so sicher, ihrer Ideale nicht so abhold wie vielleicht Vittorio (der ja aber immer noch träumt), aber auch nicht mehr so „idealistisch“ wie die Jungen, die meinen, alles mit Aktion sofort und schnell umsetzen zu können. Doch wirken solche Analysen ein wenig aufgesetzt. LE CLAN DES SICILIENS ist definitiv ein Gangsterfilm, ein „Rififi“-Verschnitt. Definitiv will der Film sich nicht zu mehr aufplustern, als er ist. Verneuil bietet Spektakel, er bietet große Stars, er bietet einen Soundtrack vom zeitgenössisch heißesten Filmkomponisten, er bietet aufregende Schauplätze, er bietet Spannung, er bietet Action und sogar ein für damalige Verhältnisse gerüttelt Maß an Gewalt. Denn so sehr Vittorio uns als netter, sicherlich autoritärer, patriarchalischer Mann begegnet, so extrem kalt und brutal geht er zu Werke, wenn es darum geht, die Familie zusammen und Eindringlinge – z.B. den Aufsteiger und Angeber Sartet – auf Distanz zu halten. Der Patriarch straft, wie selbst dessen Schwiegertochter wird erfahren müssen. Auch da scheint Verneuil und der Film eine klare Haltung einzunehmen, scheinen sich Regisseur und Werk klar zu positionieren: Es sind die Alten, die immer noch am besten wissen, was zu tun ist und – vielleicht wichtiger – wann und wie es zu tun ist. Doch sind all diese tiefergehenden Ideen und Themen wirklich nur Subtext, denn in allererster Linie will Verneuil unterhalten. Dies ist ein ungemein spannender Unterhaltungsfilm. Ein echter A-Film für die großen Leinwände, für den Samstagabend…

LE CLAN DES SICILIENS ist unter den Filmen Henri Verneuils sicherlich einer der besten, im europäischen Unterhaltungskino der 60er Jahre sowieso. Ein Klassiker, der in regelmäßigen Abständen gesehen wie ein alter Bekannter wirkt, dem man immer wieder gern begegnet. So, wie sich in der Schlußszene des Films Vittorio Manalese und der Inspector Le Goff gegenüberstehen, wie zwei alte Bekannte, die sich zwar selten sehen, sich aber immer wieder aneinander erfreuen. So sollte großes Kino sein.

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