MAMA
Ein kleiner, feiner Beitrag zum Subgenre des Geister-Films
Nachdem er mitverantwortlich ist für die Pleite einer Bank, kommt Jeffrey (Nikolaj Coster-Waldau) eines Tages heim, erschießt seine Ehefrau, nimmt die beiden Kinder Victoria (Megan Charpentier) und Lilly (Isabelle Nélisse) und fährt mit ihnen in die tief verschneiten Berge. Es kommt auf den glatten Straßen zu einem Unfall, den alle drei überleben. So gehen sie in den Wald hinein, bis sie auf eine Hütte stoßen, in der Jeffrey sich auszukennen scheint. Er zündet ein Feuer im Kamin an und bricht dann weinend zusammen. Schließlich beschließt er, sich und die Kinder zu töten. Victoria hat derweil im Garten eine „Frau, die den Boden nicht berührt“ gesehen. Als ihr Vater sie mit einen Kopfschuß töten will, wird er von einem Wesen angefallen, das ihn tötet. Victoria sieht sie Szene zwar, kann aber nichts erkennen, da beim Unfall ihre Brille beschädigt wurde und sie stark kurzsichtig ist.
Nachts sitzen die beiden Kinder allein in der Dunkelheit vor dem langsam verglimmenden Feuer. Da kommt aus der Dunkelheit eine reife Kirsche auf sie zugerollt. Im Düstern verbirgt sich eine Wesenheit, die Lilly sofort „Mama“ nennt.
Fünf Jahre sind vergangen, seit sein Zwillingsbruder und dessen Kinder verschwunden sind, was Lucas (Nikolaj Coster-Waldau) immer noch zu schaffen macht. Er hat die Suche nach ihnen nie aufgegeben und bezahlt befreundete Jäger, jede Spur zu verfolgen, die sich ihnen bietet. So stoßen diese eines Tages auf die Hütte im Wald. Die Kinder werden befreit und in die Stadt gebracht. Dort nimmt sie der Psychiater und Kinderpsychologe Dr. Dreyfuss (Daniel Kash) unter seine Fittiche. Er befragt vor allem Victoria und kann einiges darüber in Erfahrung bringen, wie die Kinder all die Zeit in der Hütte und im Wald überlebt haben. Dabei erzählen sie auch immer wieder von „Mama“, die sich um sie gesorgt und gekümmert habe.
Es entbrennt ein Sorgerechtsstreit zwischen Lucas und der Tante der Kinder. Diese Jean Podolski (Jane Moffat), die der Meinung ist, sie sei weitaus besser geeignet, die Kinder zu sich zu nehmen und zu betreuen, da sie eine bürgerliche Existenz führt, während Lucas als Zeichner eher von der Hand in den Mund lebt und zudem seine Freundin Annabel (Jessica Chastain) ihr Geld als Rockmusikerin verdient. Dr. Dreyfuss schlägt den beiden folgendes vor: Da er weiterhin Zugang zu den Kindern haben wolle, da er fasziniert ist von ihrer Geschichte, vor allem aber von den sehr detailreichen Bildern, die sie zeichnen und auf denen immer wieder „Mama“ vorkommt, mit der sie auch im Spielzimmer der Klinik, wo sie vorübergehend untergebracht wurden, reden und interagieren, werde er das Sorgerecht für Lucas und Annabel befürworten, wenn diese sich bereit erklärten, in ein der Klinik gehörendes Haus zu ziehen, wo der Doktor die Kinder immer wieder besuchen und auch beobachten könne. Nach einigem Überlegen erklären Lucas und Annabel sich dazu bereit.
Annabel, die gerade erst erleichtert festgestellt hatte, nicht schwanger zu sein, wollte nie Kinder und steht der ganzen Angelegenheit eher skeptisch gegenüber. Zumal da sie sieht, daß vor allem Lilly nachhaltig gestört zu sein scheint und es eine wirkliche Aufgabe ist, den Kindern gerecht zu werden. Lucas besteht aber darauf, da ihm alles an den Kindern liege und er sich seinem toten Bruder gegenüber verantwortlich fühle. So ist Annabel schließlich bereit, sich auf das Experiment einzulassen, was abwehrende und erstaunte Reaktionen bei den Mitgliedern ihrer Band, in der sie den Bass spielt, hervorruft.
So beginnt das gemeinsame Leben mit dem Einzug der Kinder ins Haus. Hier kommt es bald schon zu ersten seltsamen und Annabel verstörenden Vorkommnissen. Sie bittet Lucas, der Sache auf den Grund zu gehen. Der wird nach einer Begebenheit, bei der Annabel während einer intimen Situation eine Gestalt im Türrahmen gesehen zu haben meint, fündig: Ein Geflecht aus Rissen tut sich in einer der Wände des Hauses auf und heraus kommt eine entstellte Hand, die Lucas so stark schubst, daß er die Treppe hinunterfällt und bewußtlos liegen bleibt. Im Krankenhaus stellen die Ärzte ein Koma fest.
Annabel ist nun mit den Mädchen alleine. Victoria fasst ein wenig zutrauen zu ihr und warnt sie eines Tages, vorsichtig zu sein, vor allem, was Lilly angehe, denn „Mama“ sei eifersüchtig. Zudem wird Annabel nun auch von Albträumen geplagt. Sie wendet sich an Dr. Dreyfuss. Der besucht die Kinder, führt auch seine Hypnosesitzungen mit Victoria, die er per Video aufzeichnet, fort und ist sich immer sicherer, daß „Mama“ wohl eine Zweitpersönlichkeit von Victoria sei, die diese sich in den Jahren zugelegt habe, als sie für Lilly eine Mutterrolle übernehmen und diese womöglich auch beschützen und versorgen musste.
Victoria hingegen behauptet, daß Mama aus einem Krankenhaus für „traurige Menschen“ entwichen sei und man ihr ihr Kind weggenommen habe. Sie wisse das, weil „Mama“ es ihr gezeigt habe. Dr. Dreyfuss unternimmt alle möglichen Anstrengungen, hinter das Geheimnis dieser Geschichte zu kommen und wird schließlich mit Hilfe einer älteren Archivarin fündig. Allerdings bezieht sich die Geschichte, die er ermittelt, auf den Fall einer Edith Brennan, die am Ende des 19. Jahrhunderts aus einer Nervenheilanstalt entflohen sei, die damals in der Nähe der Waldhütte gelegen habe. Im Archiv findet Dr. Dreyfuss schließlich die Unterlagen zu dem Fall, vor allem aber eine Schachtel mit den sterblichen Überresten eines Säuglings.
Annabel ihrerseits wird von einem Albtraum heimgesucht, in dem sie miterlebt, wie einer jungen Frau von einigen Nonnen ihr Kind entrissen wird, woraufhin sie die Mutter Oberin ersticht, das Kind an sich nimmt und flieht. Auf einer Klippe über einem See endet ihre Flucht und ihre Häscher umstellen sie. Da springt die Frau mit dem Kind im Arm in die Tiefe, prallt allerdings auf einen aus dem Felsen wachsenden Baum, der ihr das Kind entreißt. Die Frau aber stürzt in den See.
Annabel überlegt sich, daß „Mama“ wohl eine Geisterscheinung sei, die seit den damaligen Vorkommnissen ihr Unwesen in und um den See getrieben habe und möglicherweise Victoria und Lilly anstatt ihres eigenen Kindes unter ihren Schutz genommen habe.
Anderntags steht plötzlich Jean Podolski vor der Tür. Sie hat an einen bestimmten Tag in der Woche das Besuchsrecht für die Kinder. Im Haus, wo sie Annabel eher feindselig begegnet, nimmt sie wahr, daß Lilly eine Menge blaue Flecken hat. Sie unterstellt Annabel, die Kinder zu schlagen, verlässt das Haus und setzt sich sofort mit ihrem Anwalt in Verbindung, um das Sorgerecht für Lucas und Annabel anzufechten.
Lucas erlebt in seinem Koma eine furchteinflößende Szene, in der ihm sein Bruder begegnet, der, offenbar tot, mit einem Finger in den Wald weist und Lucas mitteilt, er solle sich zur Hütte begeben und sich um die Kinder kümmern. Schließlich erwacht Lucas aus seinem Koma. Annabel und die Kinder besuchen ihn.
Dr. Dreyfuss ist seinerseits zur Hütte gefahren in der Hoffnung, dort weitere Beweise für seine Thesen zu finden. Und wirklich stößt er dort auf „Mama“, die sich ihm zuvor ein einziges Mal bei einer seiner Sitzungen mit Victoria gezeigt hatte. Doch die Begegnung verläuft für den Arzt tödlich.
Lucas, der mit Annabel telefoniert hatte und sie daran erinnert, die Tage, an denen Jean Podolski die Kinder sehen darf, nicht zu vergessen, will nun, da er sich deutlich besser fühlt, den „Auftrag“ seines Bruders erfüllen. Dafür entlässt er sich selbst aus der Klinik und fährt umgehend zur Hütte.
Annabel, die sich wegen des Streits mit Mrs. Podolski mit Dr. Dreyfuss beraten will, erfährt, daß der Arzt verschwunden sei. Sie stiehlt dessen Unterlagen aus seinem Büro und nimmt diese mit nachhause. So findet sie den skelettierten Säugling, die Unterlagen zu Edith Brennan und die Bänder mit den Aufzeichnungen der Sitzungen mit Victoria. So stößt sie auf Dr. Dreyfuss´ Rechercheergebnisse und Thesen.
Victoria nähert sich Anabel immer weiter an und erklärt gegenüber Lilly eines Nachts, als „Mama“ offenbar die Fenster des Kinderzimmers öffnet, sie wolle nicht raus, spielen, sondern bleiben. Am folgenden Morgen findet Annabel Lilly schlafend unter einem Baum im Garten. Sie trägt das frierende Kind ins Haus und muß die Kleine regelrecht niederringen, bis diese bereit ist, sich von Annabel wärmen zu lassen. Als Annabel ihr in die Hände pustet, spürt Lilly die Wärme eines lebenden Menschen und ist davon eingenommen. Doch ruft diese Annäherung „Mama“ auf den Plan, die voller Eifersucht Annabel und die Kinder angreift.
Währenddessen trifft Jean Podolski erneut am Haus ein, sie will die Kinder mitnehmen. „Mama“ greift nun auch Jean an und bemächtigt sich ihres Körpers. Dann treibt sie Annabel in die Bewußtlosigkeit und entführt die Kinder.
Als Annabel aufwacht, vermutet sie, daß „Mama“ mit den Kindern wieder in der Waldhütte ist. Sie schnappt sich Dr. Dreyfuss´ Unterlagen, vor allem die Schachtel mit den Überresten des Säuglings und fährt los. Unterwegs trifft sie auf Lucas, der seinerseits den „Anweisungen“ seines Bruders gefolgt war, in der Hütte aber nichts finden konnte.
Annabel klärt Lucas über die Zusammenhänge zu der lange verstorbenen Edith Brennan auf und die beiden schließen, daß „Mama“ mit den Kindern zur Klippe geflüchtet ist.
Dort angekommen, sehen Annabel und Lucas, wie „Mama“ die Kinder schmückt. Sie scheint sie für eine Reise vorzubereiten. Annabel ergreift das Wort und erklärt „Mama“, die sie mit „Edith“ anspricht, daß sie von dem an ihr begangenen Unrecht wisse und ihr Kind mitgebracht habe. „Mama“ nimmt das Skelett an sich und streichelt es liebevoll, wobei ihre ansonsten entstellten Gesichtszüge sich für Momente glätten und sie offenbar ihr ursprüngliches Aussehen annimmt. Als Lucas die Mädchen in die Arme schließt, entfacht dies aber erneut den Zorn des Geistes und „Mama“ greift Lucas an und schickt ihn in die Bewußtlosigkeit. Auch Annabel wird von ihr niedergeschlagen. Dann nimmt sie Lilly auf den Arm und erhebt sich mit ihr in die Lüfte, Victoria hat sie ebenfalls an einer Hand gepackt. Doch Annabel kämpft sich hinter den Dreien her und erwischt den Saum von Victorias Mantel. So zerren die tote und die lebende Frau an dem Kind, bis Victoria schreit und erklärt, sie wolle bleiben. Lilly bittet sie mehrfach inständig, sich ihr und „Mama“ anzuschließen, doch Victoria entscheidet sich für das Leben.
„Mama“ nimmt Lilly zärtlich in die Arme, streicht Victoria ebenso zärtlich über das Gesicht und stürzt dann mit Lilly in die Tiefe. Doch anstatt dort aufzuschlagen, verwandeln beide sich in Millionen von Motten und Schmetterlingen. Einer davon setzt sich auf Victorias Finger. Auf deren Frage nach Lilly kreist er einmal und entschwindet dann in die Nacht…
In der allgemeinen Renaissance des Horrorfilms seit der Jahrtausendwende kommt auch eine Spielart des Genres wieder zum Tragen, die es immer gab, die aber, bis auf gelegentliche Ausreißer, die dann meist auch sehr erfolgreich waren, immer ein gewisses Nischendasein fristete. Gemeint ist der Geister- und Gespensterfilm, der Spukfilm. Spukhäuser ihrerseits sind immer schon ein beliebtes Sujet gewesen, zumal man sie auch gut nutzen kann, um Psychothriller zu erzählen, die in ihrer Auflösung keineswegs übernatürliche Wendungen bieten. Gaslighting nennt man so etwas, beruhend auf dem Klassiker GASLIGHT (1944) von George Cukor.
Schwer zu sagen, wann und wo das Subgenre des Geisterfilms seine erneute Initiation erfuhr, möglicherweise mit M. Night Shyamalans THE SIXTH SENSE (1999), vielleicht auch in Kooperation mit Alejandro Amenábars THE OTHERS (2001)? Oder doch erst mit einem eindeutiger dem Horrorfilm zuzurechnenden Werk wie INSIDIOUS (2010)? Man kann auf jeden Fall feststellen, daß in den vergangene zehn, vielleicht fünfzehn Jahren Geister wieder mannigfach auf den Leinwänden der Kinosäle und auf DVD-Veröffentlichungen ihr Unwesen treiben. Manches davon ist ungenießbar und wenig originell, anderes weiß zumindest durch Atmosphäre und Effekte zu überzeugen, wenn schon nicht durch geschickte Wendungen der Handlung, einiges dessen, was wir da zu sehen bekamen, kann aber wirklich überzeugen, weil es originelle Ideen mit guten Effekten, gelungenen Schocks und der souveränen Handhabung genrespezifischer Kniffe und Tricks verbindet. Bis auf wenige Abstriche, vor allem, was das Ende betrifft, ist MAMA (2013) von Andrés Muschietti dazuzuzählen. Der Regisseur dürfte sich vor allem mit diesem Film die Meriten verdient haben, die es ihm später ermöglichten, die Kino-Neuverfilmung des Stephen King-Romans ES (erschienen 1986; Verfilmung durch Muschietti 2017/Teil II 2019).
Basierend auf einem Script, das er gemeinsam mit seiner Schwester, Barbara Muschietti, und Neil Cross geschrieben hatte, konnte Muschietti sein Projekt nicht zuletzt dadurch realisieren, daß er die Aufmerksamkeit von Guillermo del Toro erregte. Del Toro, Regisseur, Produzent und Schriftsteller, wurde einem breiteren Publikum durch seinen Film EL LABERINTO DEL FAUNO/PANS LABYRINTH (2006) bekannt, nachdem er zuvor mit einigen Werken schon in der Gemeinde der eingefleischten Horror- und Fantasy-Fans punkten konnte. Mit solch einem Schwergewicht im Rücken gelang es Muschietti, ein Budget von 15 Millionen Dollar aufzutreiben. Zudem konnte er die immer für aufreibende und interessante Rollen zu begeisternde Jessica Chastain für die weibliche Hauptrolle gewinnen.
Muschietti erzählt die Geschichte zweier Kinder, die fünf Jahre lang als tot oder verschollen galten, nachdem ihr Vater, Mitverantwortlicher bei einem Bankencrash, sie entführt hatte. Nun werden sie in einer abgelegenen Waldhütte gefunden, wo sie offenbar vollkommen verwildert gelebt haben. Niemand kann sich erklären, wie sie diese Zeit überstanden haben sollen, die Kinder selbst – die ältere der beiden Schwestern fungiert als Sprachrohr – erklären, sie seien von einer Frau, „die die Erde nicht berührt“ und die sie „Mama“ nennen, versorgt worden. Nun kommen sie in die Obhut ihres Onkels und dessen von Chastain gespielter Freundin, die sich nicht gerade um die Erziehung von Kindern reißt, wie ein negativer Schwangerschaftstest beweist, dessen Ergebnis sie in einer frühen Szene des Films geradezu erleichtert zur Kenntnis nimmt. Allerdings scheint mit den Kindern auch etwas anderes, Unheimliches, in das neue Haus des Paares eingezogen zu sein, das sich mehr und mehr bemerkbar macht.
Muschietti greift auf manchmal klassische, fast klischeehafte Effekte zurück, um sein Publikum zu ängstigen und von der Anwesenheit einer übernatürlichen Präsenz zu überzeugen. Da schieben sich Schatten im Bildhintergrund durch den Raum, werden kurz und fast unmerklich Schemen sichtbar, greift auch schon mal eine Hand aus dem Off in die Kadrierung und wird zurückgezogen, sobald sich die Regie sicher sein kann, daß auch der letzte im Zuschauerraum es bemerkt hat. Schauerbudeneffekte, möchte man meinen. Aber sie werden mit großem Können und vor allem der sehr gelungenen Kameraarbeit von Antonio Riestra in Szene gesetzt. Und wie zuvor INSIDIOUS, beweist auch MAMA, daß genau diese uralten Effekte immer noch zünden, wenn man sie richtig zu inszenieren versteht. Allerdings denken sich Muschietti und Riestra auch einige wirklich überzeugende Einstellungen aus, die den Zuschauer zugleich gruseln und in Erstaunen versetzen. In einer kameratechnisch brillant aufgelösten Szene sehen wir links im Bild einen Gang im Obergeschoss des von dieser Patchworkfamilie wider Willen bewohnten Hauses, der in die Raumtiefe führt, rechts die am Ende des von uns wegführenden Ganges liegende Tür zum Zimmer der Mädchen. Und während Annabel, jene von Jessica Chastain gespielte Rockmusikerin und widerwillige Mutter, im Gang werkelt, sehen wir durch die offene Tür den Schatten von etwas Großem, daß sich ausßerhalb unseres Blickfeldes im Zimmer der Kinder befindet. Und dann sehen wir, wie das jüngere Mädchen, Lilly, mit offensichtlichem Spaß an der Sache mit diesem Etwas eine Art Tauziehen mit einer Decke spielt. Eine in ihrer Anlage und Auflösung brillante Szene.
Muschietti bietet ähnliches an verschiedenen Stellen des Films. Mehrfach sehen wir Annabel, die in einem Zimmer, in dem auch wir eines der Mädchen vermuten, etwas erledigt, nur um dann in einem Umschnitt zu lernen, daß beide Mädchen sich in einem anderen Teil des Hauses befinden und Annabel sich ganz offensichtlich mit etwas anderem in einem Raum befindet. So ahnen wir schnell, daß man es hier mit etwas wirklich Bedrohlichen zu tun hat. Daß diese Präsenz real ist, daran lassen Buch und Regie den Zuschauer dann auch nicht allzu lange zweifeln. Was diese Präsenz hingegen will, bleibt uns unverständlich, bis in einem etwas melodramatischen Finale zwar kein Happyend, aber zumindest eine halbwegs versöhnliche Auflösung geboten wird.
Alles in Muschiettis Film entspricht herkömmlichen Mustern der Spukgeschichte und auch des klassischen Horrorfilms: das dunkle Haus im Wald, ein Geist mit einer unheimlichen und angemessen tragischen Geschichte, der Psychiater, der sich zunächst der rationalen Erkundung seltsamer Phänomene widmet, um dann, aufgrund eigener Recherche, dem Geheimnis nach und nach auf die Spur zu kommen, die zunächst ungläubigen Erwachsenen, die schmerzhaft und auf gar schreckliche Weise erkennen müssen, womit sie es zu tun haben, um dann umso entschlossener einer Lösung entgegen zu streben, selbst die „unheimlichen Kinder“ sind aus etlichen Geschichten wie THE INNOCENTS (1961) oder VILLAGE OF THE DAMNED (1960) schon hinlänglich bekannt. Daß diese Kinder vom Vater in den Wald gebracht werden, wo sie zwar keiner Hexe, aber immerhin einer toten Frau begegnen, erinnert nicht von ungefähr an Märchen wie HÄNSEL UND GRETEL. Es ist also Muschiettis Kunst, diese Topoi so miteinander zu verweben, zu kombinieren und in Szene zu setzen, daß dennoch etwas Neues, etwas Eigenes, etwas Originelles dabei entsteht. Und das gelingt ihm eben hervorragend. Mit einem manchmal monochronen Look, der aber sehr realistisch wirkt, verortet er seine Story in einer dem Publikum vertrauten Umgebung. Mit gelegentlichen selbstreferenziellen Hinweisen deutet er seine Kenntnisse des Genres und dessen Auslegung an und kann damit einige arg strapazierte Stränge seiner Geschichte zumindest halbironisch brechen oder in neue Zusammenhänge setzen.
So bleibt als einzige Schwäche des Drehbuchs und damit auch des Films letztlich ein Ende, das zwar eine gewisse emotionale Härte aufweist, wenn eines der Kinder den Verbleib bei „Mama“ dem Leben in der realen Welt vorzieht, zugleich aber mit aufbrausendem Crescendo etwas zu viel Pathos in diese Trennung der Geschwister legt. Zudem ist die Motivation des Geistes nicht mehr nachvollziehbar, den wir – soweit wir in der Lage waren, dies zu verfolgen – als die Kinder behütend und ihnen zugetan wahrgenommen haben, der nun aber plötzlich offenbar Rachegelüste gegen…ja wen eigentlich entwickelt? Denn Annabel und Lucas, der Onkel der Kinder, haben alles dafür getan, das an dem Geist begangene Unrecht zu sühnen. Wenn sich der Zorn nun gegen sie richtet, wirkt dies im Kontext unlogisch – als habe man zumindest im Ansatz unbedingt eine Konfrontation gebraucht, um das Finale spannender zu gestalten. Dabei ist es eine im Grunde schöne Idee, daß der Geist, die Präsenz, das Übernatürliche eben unheimlich ist, weil es uns fremd ist, es aber auch über die Grenze des Todes hinaus eine Verständigung geben kann, wenn man erst einmal die Angst überwindet. Eine schöne Idee, die dem Film gut zu Gesicht gestanden hätte. Und die es ja auch in gewissem Sinne tut, gibt der Film sie schließlich ja nicht vollends preis.
Muschietti ist da wirklich ein kleines Meisterstück gelungen, daß mit hoher Spannung unterhält, keine Minute zu lang ist, seine Geschichte sorgfältig entwickelt und den Charakteren – allen voran Annabel – den entsprechenden Raum gibt, in ihre Aufgaben hinein zu wachsen. Ein wahrlich gelungenes Beispiel für einen wirklich guten kleinen Horrorfilm aus dem Spukmilieu.