PHILADELPHIA

Jomathan Demmes ebenso mutiger wie geschickt als Melo erzählter Film zum Thema AIDS aus den 90er Jahren

Andrew Beckett (Tom Hanks) ist ein aufstrebender, sehr erfolgreicher junger Anwalt, der in einer vornehmen Kanzlei in Philadelphia arbeitet. In einem Prozeß erreicht er einen Vergleich gegen den schwarzen Anwalt Joe Miller (Denzel Washington), der um jeden Klienten kämpfen muß und fast jeden vertritt, der in sein Büro kommt. Um sich bekannt zu machen, schaltet er regelmäßige Werbung in lokalen TV-Sendern.

Beckett wird von seinen Vorgesetzten – allen voran dem Chef der Kanzlei, Sam Wheeler (Jason Robards) – so sehr geschätzt, daß sie ihn nicht nur mit einem großen, für die Sozietät äußerst wichtigen Fall beauftragen, sondern ihm auch anbieten, Teilhaber zu werden. Für einen Mann wie Beckett ist dies ein enormer Karriereschritt, der Traum aller Jurastudenten.

Seine Kollegen wissen allerdings nicht, daß Beckett homosexuell ist. Er lebt mit seinem Freund Miguel Alvarez (Antonio Banderas) in einem großen Loft, die beiden sind fest in die Gay-Community eingebunden, geben Parties, sind mit Künstlern und Musikern befreundet. Allerdings ist Beckett auch mit dem HI-Virus infiziert und die Krankheit AIDS ist bereits bei ihm ausgebrochen. Er befindet sich in Behandlung und es werden auch experimentelle Medikamente an ihm ausprobiert.

Bei einer Feier im Büro fällt einem seiner Vorgesetzten ein Hautausschlag bei ihm auf, den dieser von seiner früheren Arbeitsstelle von einer Kollegin kennt. Da man allgemein AIDS mit Homosexualität gleichsetzt, was in einer konservativen Kanzlei undenkbar ist, fingiert man in der Firma eine Schludrigkeit Becketts. Angeblich hat er einen wichtigen Prozeßantrag, anstatt ihn einzureichen, versehentlich ins Archiv gegeben. In letzter Minute konnte er dort aufgetrieben und vor Gericht gebracht werden.

Aufgrund dieser angeblichen Nachlässigkeit, wird Beckett entlassen. Nun heißt es plötzlich, er sei schon länger bemüht, käme aber seiner Arbeit nicht mehr mit dem alten Elan nach. Beckett ist schockiert und entschließt sich, seinen alten Arbeitgeber wegen Diskriminierung zu verklagen. Zudem will er seine Reputation als Anwalt wiederherstellen. Glücklicherweise steht Becketts recht große Familie voll hinter ihm. Doch findet er keinen Anwalt in Philadelphia, der bereit ist, sich seiner Sache anzunehmen.

So landet er schließlich bei Joe Miller. Er gibt gegenüber dem Kollegen, der sich kaum mehr an ihn erinnert, offen zu, daß dieser nicht seine erste Wahl gewesen sei. Miller weist Beckett aber zurück. Auch ihm ist der Fall zu heiß, zudem mag er Homosexuelle nicht. Erst, als Miller zufällig Zeuge wird, wie man Beckett in der Bibliothek der juristischen Fakultät der Universität, wo er für seinen Fall recherchiert, diskriminiert, setzt bei Miller ein Umdenken ein. Er bespricht sich mit seiner Frau. Gerade ist ihr gemeinsames Kind zur Welt gekommen und Millers Ressentiments gegen AIDS-Kranke machen sich bemerkbar. Ob er die Krankheit nicht vielleicht nachhause brächte?, so lautet eines seiner Argumente, Doch seine viel liberaler eingestellte Frau Lisa (Lisa Summerour) kann ihn schließlich überzeugen, daß sie keineswegs Angst vor möglicher Ansteckung habe. Sie teilt auch Joes Abneigung gegen Schwule nicht.

Miller übernimmt also das Mandat und ist bereit, für Beckett gegen dessen ehemaligen Arbeitgeber vor Gericht zu ziehen. Zunächst hält er sich gegenüber Becketts Welt noch zurück. Sie ist ihm fremd, auch die Leute, mit denen er durch Beckett und dessen Freund Miguel in Berührung kommt, sind ihm fremd. Doch immer häufiger muß er erleben, wie Beckett als Kranker und als Homosexueller diskriminiert wird. Und dies setzt sich schließlich vor Gericht fort. Miller entschuldigt sich schließlich bei Beckett für seine eigenen Vorurteile.

Miller hat es auf der Gegenseite mit der Anwältin Belinda Conine (Mary Steenburgen) zu tun, die sich nicht scheut, auch mit unfairen und teils geschmacklosen Mitteln gegen Andrew Beckett vorzugehen. Sie ruft eine mit AIDS infizierte Frau in den Zeugenstand, die mit Becketts ehemaligem Vorgesetzten zusammengearbeitet hat und von der dieser den typischen Ausschlag kannte. Es wird mehrfach darauf hingewiesen, daß sie sich nicht durch sexuelle Kontakte, sondern durch eine Bluttransfusion angesteckt habe. Ihre Einlassung, daß sie sich in nichts von Andrew unterscheide, lässt Conine nicht gelten und aus dem Protokoll streichen. Bei der Befragung von Wheeler, darf dieser unwidersprochen Beckett als jemanden darstellen, in dem man sich getäuscht habe, der die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt habe, den man habe loswerden müssen, da seine Schludrigkeit eine Gefahr für die Kanzlei gewesen sei. Besonders eklig wird es, als Conine Beckett selbst zu seinem sexuellen Vorleben ausfragt und ihn zwingt, Kontakte in für die 80er Jahre typischen Treffpunkten von Homosexuellen – bspw. einem Kino – zuzugeben. Diese Aussagen reißen auch bei Miguel, der nicht infiziert ist, noch einmal alte Wunden auf. Zudem stellt Conine Beckett als jemanden dar, der leichtfertig auch das Leben seines Freundes gefährdet habe.

Miller gelingt es, einige der Anwürfe zu entschärfen. Vor allem den Vorwurf von Wheeler, Beckett habe schludrig gearbeitet und man habe durch ihn einen wichtigen Auftrag fast verloren, kann Miller in Frage stellen. Denn, so seine Argumentation, wieso gibt man einem Angestellten, in dessen Arbeit man angeblich schon zuvor kein Vertrauen mehr gehabt habe, ein solches Mandat? Als Miller eines Abends in einem Supermarkt angesprochen wird und zunächst den Eindruck hat, daß der Mann, der sich an ihn wendet, ihn und seine Arbeit unterstützen wolle, dann aber merkt, daß dies eine Falle ist, um ihn, Miller, zu diskreditieren, ändert er anderntags seine Strategie vor Gericht. Er fragt Wheeler, ob dieser schwul sei. Die gleiche Frage richtet er an den Richter Garnett (Charles Napier). Gegen den wieder und wieder von Conine geforderten Einspruch, beharrt Miller darauf, daß es hier im Kern überhaupt nicht um einen Arbeitsvertrag, nicht einmal um AIDS ginge, sondern um das Thema Homosexualität. Es drehe sich alles um die Frage von Vorurteilen und Diskriminierung. Und er gibt auch zu, daß er selber bisher ebenso voller Ressentiments gegen Homosexuelle gewesen sei.

Beckett zollt ihm Anerkennung für diesen Auftritt vor Gericht. Als die beiden sich bei ihm nach einer Party, auf der auch Lisa dabei war, treffen, um seine Aussage vor Gericht durchzugehen, kann sich Beckett allerdings nicht auf die Arbeit konzentrieren. Stattdessen legt er eine Arie aus einer seiner geliebten Opern auf und singt laut mit. Miller, der ihn beobachtet, ist zunehmend ergriffen von Becketts unbedingtem Lebenswillen und seiner Liebe zur Kunst, zur Musik und der Vitalität, die sich darin ausdrückt. Als er später geht, erklärt Beckett ihm, daß er das Ende des Prozesses womöglich nicht mehr erleben wird. Miller antwortet, daß ihm dieser Gedanke auch schon gekommen sei.

Während der Befragung Becketts vor dem Gericht, bei dem auch Conine ihm zusetzt, wird er spürbar schwächer und schwächer. Schließlich bricht er im Gerichtssaal zusammen und wird in ein Krankenhaus eingeliefert. Becketts Verfassung ist schlecht, sein Organismus nachhaltig angegriffen, sein Immunsystem bricht zusammen. Er wird die Klinik wahrscheinlich nicht mehr verlassen können. Seine Familie, die Freunde, Miguel finden sich ein und leisten ihm Gesellschaft, spenden Trost, sprechen ihm Mut zu.

Miller muß nun vor Gericht allein weitermachen. Bei der Zeugenaussage von Bob Seidman (Ron Vawter), einem der Teilhaber der Kanzlei, spürt Miller, daß der nicht mehr bereit ist, die Front gegen Beckett aufrecht zu halten. Er gibt zu, daß er lange schon die Vermutung gehabt habe, daß Beckett homosexuell sei und auch eine AIDS-Erkrankung habe er in Betracht gezogen. Doch habe er ihm nie eine Gelegenheit gegeben, sich auszusprechen. In der Kanzlei habe eine eindeutige Abneigung gegen Schwule geherrscht. Wie Beckett in seiner Aussage, bestätigt auch Seidman, daß es Gelegenheiten gegeben habe, in denen abwertende Witze über Schwule erzählt worden seien und es einem Homosexuellen wahrscheinlich nicht möglich gewesen sei, in diesem Klima offen mit seiner Haltung und sexuellen Orientierung umzugehen.

Schließlich kommen die Geschworenen zu einem Urteil: Sie erklären Andrew Beckett zum Sieger in diesem ungleichen Kampf und sprechen sich für eine hohe Entschädigungssumme im sechsstelligen Bereich aus. Obwohl die Kanzlei in Revision gehen will, haben Beckett und Miller erst einmal ein positives Urteil erhalten. Miller besucht Beckett abends im Krankenhaus und findet seinen Mandaten in sehr schwacher Kondition vor. Die beiden gratulieren sich und Miller spürt, wie sehr er diesen Mann mittlerweile mag.

In der darauffolgenden Nacht stirbt Beckett. Bei einer Trauerfeier in seinem Loft treffen die Freunde und die Familie ein und auch Miller kommt mit seiner Familie. Und sogar Bob Seidman findet sich ein, um Beckett seine Anerkennung und seinen Respekt zu zollen.

Mitte der 90er Jahre war AIDS eigentlich nicht mehr jene Krankheit, die als „Geißel Gottes“ für liederlichen Lebenswandel gebrandmarkt wurde, die angeblich nur Schwule und Prostituierte befiel. Vielmehr waren die Bevölkerungen westlicher Länder durch massive Aufklärung längst in der Breite darüber informiert, daß es sich hierbei um einen Virus handelte, der jeden treffen konnte, da er durch ungeschützten Sex übertragen wurde. Hinzu kamen Schludrigkeiten in den 80er Jahren, als sich viele Kranke durch verunreinigte Bluttransfusionen infiziert hatten. Intensive Forschung, die schon Ende der 80er Jahre eingesetzt hatte, zeitigte erste Erfolge, man wusste, daß man die Krankheit zwar nicht heilen, jedoch aufhalten konnte. Dennoch blieben Infizierte noch lange stigmatisiert. Man sprach ungern über die Krankheit und wer sie hatte, gab dies ungern zu.

Als Jonathan Demme sein Drama PHILADELPHIA (1993) auf die Leinwände brachte, sich dabei Unterstützung von Stars wie Tom Hanks und Denzel Washington, die die Hauptrollen spielten, aber auch von Neil Young und Bruce Springsteen sicherte, die damals sehr beliebte Songs beisteuerten, leistete er damit einen wichtigen Dienst zur Aufarbeitung und auch Aufklärung. Bis dato hatte sich gerade das amerikanische Kino – bis auf wenige Ausnahmen wie den sehr sehenswerten AND THE BAND PLAYED ON (1993), der von den Verheerungen der Krankheit in den 80ern handelte und davon, wie die ersten Forschungen anliefen – vom Thema eher ferngehalten. Zu diffizil, kommerziell nicht sonderlich erfolgversprechend und zudem immer noch mit einem gewissen Makel behaftet, wagte sich kaum ein Produzent an solch ein heikles Sujet.

Demme ging bewusst einen doppelten Umweg, was seinen Film auch für die breite Masse interessant machte. Anders, als Roger Spottiswoode bei AND THE BAND PLAYED ON, widmete sich Demme nicht vergleichsweise nüchtern der Erforschung und jenen Randgruppen, die in den 80ern vornehmlich betroffen waren, sondern er bot ein wahres Melodrama, große Gefühle, setzte auf Emotionalisierung und verpackte das Ganze in ein Gerichtsdrama – ein Genre, das in den USA sehr beliebt und meist erfolgreich ist. Und ebenfalls auf Umwegen schob er den Leuten auch eine Abhandlung und Verarbeitung des Themas der Stigmatisierung und Diskriminierung von Homosexuellen unter.

Tom Hanks, der damals bereits einige Erfolge aufzuweisen hatte, aber noch nicht der Star war, der er heute ist und der er vor allem mit FORREST GUMP (1993) werden sollte, ging ein recht hohes Risiko ein, als er die Rolle des schwulen Rechtsanwalts Andrew Beckett annahm. Der ist ein aufstrebender und, da er gleich zu Beginn des Films mit einem wesentlichen Fall seiner Kanzlei beauftragt wird, offensichtlich auch sehr guter Anwalt. Und er ist schwul, woraus er zwar kein Geheimnis macht, es aber auch nicht vor sich herträgt. Zudem ist er, wie der Zuschauer eher nebenbei erfährt, bereits mit dem HI-Virus infiziert. Die Vorstände der Kanzlei nehmen ihn in ihre Sozietät auf und seiner Zukunft als Star-Anwalt im Wirtschaftsrecht scheint nichts im Wege zu stehen. Bis einem der Teilhaber Ausschlagspuren in Becketts Gesicht auffallen, die ihn an seine Zeit in einem Ministerium erinnern, wo eine Kollegin arbeitete, die sich durch eine Bluttransfusion mit dem Virus angesteckt hatte. Nun wollen die Teilhaber Beckett schnell loswerden und inszenieren dafür das Verschwinden einer wichtigen Akte, die sich in letzter Sekunde im Archiv wiederfindet. Dies wird Beckett als Nachlässigkeit ausgelegt, die nicht durch die Symptome der Krankheit hervorgerufen werde, sondern eher seiner Persönlichkeit entspräche – man will sich eben nicht die Blöße geben, als diskriminierend dazustehen. So nimmt Beckett sich den von Denzel Washington gespielten Anwalt Joe Miller, ein Schwarzer, der sich unter anderem durch TV-Spots um Klienten bemüht und deshalb recht bekannt ist in Philadelphia, wo dies alles – titelgebend – spielt.

Auch Washington, der nach PHILADELPHIA zum Superstar in Hollywood aufstieg, zuvor aber schon einige sehr erfolgreiche Filme gedreht hatte, ging ein gewisses Risiko ein, als er für die Rolle des Joe Miller zusagte. Der ist ein ordentlicher Macho, gerade Vater geworden und voller Ressentiments gegen Homosexuelle. Wir sehen ihn zutiefst verunsichert, als Beckett in seinem Büro sitzt und Miller nicht weiß, ob er ihm die Hand geben kann, ohne sich anzustecken, jeden Gegenstand registriert, den Beckett auch nur berührt. Und wir sehen, wie er die Flächen abwischt, die ja vielleicht infiziert sein könnten. Demme bringt die damals noch allgemein verbreiteten Ansichten über AIDS und Infizierte hier auf den Punkt. In einer ausgefeilten Szene debattiert Miller mit seiner Frau, weshalb er Schwule nun mal nicht möge und macht sich auf ziemlich eindeutige Art und Weise über deren in seinen Augen „tuntige“ Art lustig. Demme geht also ein Risiko ein, indem er sowohl Fragen nach Homophobie, als auch solche hinsichtlich des in Amerika auch heute noch grassierenden Rassismus in seinen Film einfließen lässt. Denn unterschwellig schwingt hier natürlich mit, daß gerade ein Schwarzer doch wissen müsse, was Diskriminierung bedeutet.

Umso mutiger, eben genau diesen Schwarzen einige der klischeehaftesten und trivialsten Vorurteile gegen AIDS und Schwule im Allgemeinen vortragen zu lassen. Der Rassismus wird allerdings wirklich nur am Rande gestreift, nie explizit ausgespielt. Nach und nach öffnet sich Miller dann auch für Becketts Lebensweise, beginnt sie zu akzeptieren, wird dabei aber nie als „geläutert“ dargestellt, wie es amerikanische Filme in solchen Fällen gern tun. Vielmehr bleibt bei ihm, anders als bei seiner Frau, eine gewisse Skepsis und Zurückhaltung gegenüber Beckett und dessen Leben zu spüren. Erst spät und anhand eigener Erfahrungen wird ihm klar, was es wirklich bedeutet, mit einer Krankheit wie AIDS leben zu müssen. Dann aber entwickelt er eine klar ausgeprägte Haltung hinsichtlich der Würde des Menschen, Diskriminierung und Vorverurteilungen aufgrund alternativer Lebenseinstellungen. Er plädiert im Gerichtssaal auch deutlich dafür, die Dinge beim Namen zu nennen und wirft der Gegenseite weniger diskriminierendes Verhalten hinsichtlich der Krankheit, als vielmehr klar diskriminierendes Verhalten hinsichtlich der Tatsache vor, daß Beckett ganz einfach schwul ist.

Demme weiß aber, daß er, will er sich fokussieren, nicht jeden Aspekt, den Homosexualität und AIDS aufwerfen, in seinen Film packen darf. So zeigt er Beckett in einer funktionierenden und liebevollen Beziehung zu einem langjährigen Partner und, was im Kontext des Films sicher noch wichtiger ist, eingebettet in eine ihn liebende Familie. Weder seine Eltern, noch seine Geschwister und deren Ehepartner zeigen Vorurteile oder Abneigungen gegen Andrew Beckett. Im Gegenteil – er ist beliebt, auch bei seinen Nichten und Neffen. Und auch sein Lebensumfeld – seine Freunde, etwas klischeehaft vor allem als Künstler und Musiker gezeichnet – wird positiv dargestellt.

Demme sucht und findet starke Szenen, um die zwischen Anwalt und Mandant bestehenden Konflikte und Spannungen zu visualisieren. In einem ergreifenden Moment sehen wir, wie Miller Beckett auf dessen bevorstehende Befragung vor Gericht vorbereiten will, der Klient aber stattdessen die Musik – einer seiner geliebten Opern – aufdreht und, während sich das Licht im Raum merklich verändert und die Handlung aus ihrer ansonsten sehr realistischen Darstellung heraustritt und wir uns auf einmal mitten in einer tief angespannten Emotionalität, in einem rein subjektiven Raum befinden, wo lediglich Becketts absolute Hingabe an die Musik – es ist eine Arie aus Umberto Giordanos Oper ANDREA CHÉNIER – und Millers nun langsam einsetzendes Verständnis für die Vorstellungs-, Lebens- und Krankheitswelt seines Klienten zählen. Es ist ein intimer Moment, in dem Beckett, der Miller gesagt hat, daß es sein könne, daß er das Ende des Prozesses gar nicht mehr erlebe, sich nicht nur in absoluter Verletzlichkeit zeigt, sondern auch ein vielleicht pathetisches, aber zugleich tief berührendes Bekenntnis zum Leben ablegt.

Doch nutzt Demme vor allem geschickt die Regeln des Gerichtsdramas, um seine Anliegen vorzubringen. Zeugen- und Kreuzverhöre, Beweisführung und Ansprachen an die Geschworenen, selbst dramatische Auf- und Abtritte im Gerichtssaal werden geboten. Miller, der zunächst vor allem den Ehrgeiz entwickelt, gegen eine solch angesehene Kanzlei, wie jene, gegen die Beckett klagt, zu gewinnen, setzt sich mehr und mehr und auch mit immer eindringlicheren Methoden für seinen Klienten ein. Als die Herren der Kanzlei behaupten, man habe die Ausschläge in Becketts Gesicht nicht sehen und somit gar nicht wissen können, daß dieser infiziert sei – sie wollen Beckett lediglich gefeuert haben, weil er schludrig gearbeitet habe und ihr Vertrauen erschüttert sei – fragt Miller Beckett, der deutlich gezeichnet im Zeugenstand sitzt, ob sein Körper Male vergleichbar jenen aufweise, die er damals, zur Zeit der Kündigung, im Gesicht gehabt habe. Beckett entblößt vor dem Gericht, den Zeugen, den Geschworenen und den Zuschauern, zu denen auch seine Familie gehört, seinen Oberkörper und gibt damit den Blick auf die teils sehr großen Ausschlagstellen frei.

Es sind diese Momente, die Demmes Film in die Richtung des Melos treiben. Doch ist dies eine hervorragende Strategie, um in den 90er Jahren ein Publikum abzuholen und mitzunehmen, welches es sich zwischen PRETTY WOMAN (1990) und SLEEPLESS IN SEATTLE (1993) gemütlich gemacht hatte. Es war nicht die Zeit der kritischen Filme, sondern, im Nachklapp der 80er Jahre, eine des Eskapismus und der Ablenkung. Romantische Komödien und eher unrealistische Thriller, Western wie DANCES WITH WOLVES (1990) oder bigger-than-life-Verschwörungstheorien wie Oliver Stones JFK (1991), der das Politische eher behauptete als daß er es bediente, beherrschten die Leinwand. Ein Thema wie AIDS konnte einem breiten Mainstreampublikum kaum angeboten werden. So setzt Demme auf genau die Zutaten, die eben auch all jene Filme aufweisen, die damals erfolgreich waren. Er setzt auf Emotionen und die Spannung eines Gerichtsthrillers, er lockt es mit der einfühlsamen Darstellung von Freundschaft und Liebe, er hält das Publikum emotional unter Spannung und bietet ihm ein angemessen trauriges Ende, um uns auch noch die letzten Zweifel an diesem Andrew Beckett und seinem Lebensstil auszutreiben. Und all das macht Demme nahezu perfekt. PHILADELPHIA ist ein hochmanipulativer Film, der das ganze Repertoire des Emotionskinos ausspielt – und tut dies für eine gute Sache.

Schließlich gewann der Film bei insgesamt fünf Nominierungen bei der Oscarverleihung 1994 die Preise für den besten Hauptdarsteller und den besten Song. Letzteren gewann Bruce Springsteen für das gleichnamige Lied, ersteren Tom Hanks für seine Darstellung. Und Hanks nutzte seine Dankesrede für eine sehr emotionale Ansprache, um das Anliegen des Films noch einmal der ganzen Welt zu verdeutlichen. Auch wenn man der manipulativen Machart des Films kritisch gegenübersteht, man kann ihm seine Wirkung und die Auswirkung, die er auf den Diskurs zumindest in den USA hatte, nicht absprechen.

Mittlerweile sind nicht nur die Europäer, sondern auch die Amerikaner ein gutes Stück weiter in Beurteilung und Umgang mit AIDS. Auch ist die Krankheit mittlerweile kein automatisches Todesurteil mehr, es werden sogar erste Heilungen vermeldet, auch wenn solchen Nachrichten immer skeptisch zu begegnen ist. So ist PHILADELPHIA thematisch eher überholt. Doch als Film, als Gerichtsfilm, als Melo- und auch ernsthaftes Drama, kann er immer noch erstaunlich gut mithalten. Jonathan Demme ist, wie so oft in seiner Karriere, ein Meisterstück gelungen, daß nicht jedem gefallen muß, dem sich aber nur wenige, die sich darauf einlassen, werden entziehen können.

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