ROSE ROYAL

In einem kurzen Text versucht Nicolas Mathieu, die Geschlechterverhältnisse zu beleuchten - und scheitert an den Klischees

Am Ende dieser gerade einmal knapp 95 Seiten langen Novelle bleibt der Leser mit einem sehr großen Fragezeichen im Kopf zurück: Hat man da gerade einen „feministischen“ Text gelesen, wenn auch von einem Mann geschrieben? Darüber, daß Männern auch in der Postmoderne letzten Endes immer nur Gewalt als Kommunikationsmittel zur Verfügung steht und sie immer und jederzeit in atavistische Reflexe verfallen. Oder hat man sich den auf perfide Art und Weise jedes Vorurteil bestätigenden Text eines Frauenhassers zu Gemüte geführt? Einen Kurzroman, der dem – männlichen – Leser noch einmal klar vor Augen führt, daß all die Klischees über Frauen – reden zu viel, erwarten dauernd Liebesbekundungen, stellen Ansprüche, hegen geheime Erwartungen – schlicht genau so zu stimmen scheinen.

Nicolas Mathieu erzählt in ROSE ROYAL (2019; Dt. 2020) von einer ca. Fünfzigjährigen, die mit einem Revolver bewaffnet durch ihren Alltag geht, da sie sich nicht mehr männlicher Gewalt beugen will. Wie viel und wie oft sie männliche Gewalt erlebt hat, erfährt der Leser nicht, es wird allerdings angedeutet, daß es immer mal wieder vorgekommen ist und dies ihr reicht, zu drastischen Maßnahmen zu greifen. Rose arbeitet in einem Büro, nach Feierabend geht sie gern ins Royal, einem Café in der Stadt (wahrscheinlich spielt die Story in Nancy, woher Autor Mathieu selbst stammt), wo sie mit ihrer Freundin gern einen über den Durst trinkt. Hier lernt sie eines Abends Luc kennen, der seinen schwer verletzten Hund hereinträgt, den Rose schließlich mit einem beherzten Schuß aus ihrer Waffe von seinem Elend erlöst. Rose und Luc werden ein Paar, der ältere Mann ist reich, elegant, an ähnlichen Themen wie Rose interessiert – hauptsächlich Verbrechen – und leider nicht sehr redegewandt. Rose gibt schnell ihre Arbeit auf, vernachlässigt ihre wenigen Freundschaften und zieht zu Luc aufs Land, gut zwanzig Kilometer außerhalb der Stadt gelegen, wo der ein fast herrschaftliches Anwesen besitzt.

Der Auftakt, bei welchem Rose Lucs Hund erschießt, könnte direkt einem der Romane von Philippe Djian entnommen sein, der ja bekanntlich dem Motto folgt stark, mit einem gewaltigen Knall, anzufangen und die Spannung und Katastrophen dann langsam zu steigern. Allerdings verfügt Mathieu nicht über Djians sonstige Fähigkeiten, dessen Stil, auf den der Altmeister immer sehr viel Wert legt, wie er in etlichen Interviews und Essays dargelegt hat, und auch nicht über die subtile Art, Klischees zu unterlaufen und dadurch ad absurdum zu führen. Auch Djian musste oft dem Vorwurf begegnen, trotz seines Romans BETTY BLUE (1985/86) nicht gerade ein Meister der ausgefeilten Frauenfiguren zu sein, was sich allerdings in den vergangenen Jahren doch deutlich geändert hat. Mathieu, geboren 1978, erzählt nun vor allem von einer Frau, die deutlich älter ist als er. Vorsicht!, schellt da eine Warnglocke im Kopf des Rezipienten.

Kann das gehen? Ein 42jähriger schreibt über eine Fünfzigjährige? Ein Mann schreibt aus der weiblichen Perspektive – allein das ist schon immer ein gewagtes Unterfangen und gelingt meist nur den Meistern. Doch aus der spezifischen Sicht einer Frau, die ein Leben gelebt, die Kinder erzogen, eine Ehe hinter sich hat und nun in die schwierigen mittleren Jahre driftet, zwar durchaus noch zufrieden mit sich, dennoch aber den Zahn der Zeit deutlich spürend? Kann das gut gehen?

Es kann, wenn man als Leser an einer gut, das heißt in diesem Fall flüssig erzählten Geschichte Interesse hat, die geschickt von einem im Grunde ganz normalen Kennenlernprozeß, der daraus entstehenden Beziehung und dem langsamen Abebben der Liebe, zumindest des Interesses aneinander, berichtet. Geschickt, weil Mathieu die Fähigkeit besitzt, den Leser auf eine Reise mitzunehmen, sowohl eine emotionale, als auch eine zeitliche, Entwicklungen auf den Punkt zu bringen, und dabei Spannung zu erzeugen, obwohl eigentlich nichts Außergewöhnliches geschieht. Diese Fähigkeit teilt er dann wiederum mit Djian, einem Autor, der problemlos aus dem Kochen eines Chilis, dem Öffnen einer Bierflasche am Abend ein Abenteuer generieren kann.

Weniger gut gelingt Mathieus Herangehensweise, wenn der Leser dann doch gern etwas mehr hätte, gerade in einer Novelle, in der das Innenleben der Figuren sehr fein und mit wenigen Strichen gezeichnet werden muß, dabei aber umso präziser, damit wir an die Charaktere glauben, sie für authentisch halten. Oder wenigstens für interessant genug, um dem allen zu folgen. Diesem Leser fallen eben – wie ja auch dieser Text zeigt – schnell die Klischees und Stereotype auf, auf die Mathieu zurückgreift und die durchaus etwas mit seinem Alter – und seinem Geschlecht – zu tun haben könnten. Und für die er eben offensichtlich auf erfahrenere Kollegen oder medial verbreitete Bilder zurückgreift.

So könnte das Paar Rose und Luc einer Short Story, einem Roman oder einem der Gedichte von Charles Bukowski entstammen. Passionierte Trinker, die sie sind, verbringen sie ihre Tage gern in einem leicht trüben Nebel aus Alkoholika, wodurch die Gleichförmigkeit und damit auch die Langeweile eben dieser Tage weniger auffällt. Der Reichtum ihres neuen Partners veranlasst Rose schnell dazu, dem reinen Müßiggang zu frönen, doch merkt sie ebenso schnell, daß da etwas fehlt in ihrem Leben. Da Luc entweder arbeitsbedingt außer Haus weilt, oder aber, weil er gerade einer sich anbahnenden Konfrontation mit Rose aus dem Wege gehen will und dazu gern einige Tage abtaucht, muß sich Rose ihren Erkenntnissen allein stellen. Als sie dann schließlich die Erfahrung macht, daß auch Luc eben nur einer dieser Männer ist…oder einfach ein Mann, folgt man der Logik des Buchs…bringt sie es zwar nicht über sich, zur Waffe zu greifen und ihren Plan, sich nichts mehr gefallen zu lassen, umzusetzen, doch will sie die Trennung.

Da Luc aber eben auch zu den großen Schweigern gehört, ist eine konstruktive Kommunikation zum Thema kaum möglich. Auch verfügt Luc lediglich über die vermeintlich typischen Möglichkeiten der Männer, sich zu entschuldigen: Teure Geschenke, ein Urlaub im Süden, ein Abendessen im 3-Sterne-Restaurant. Kennt man? Kennt man. So sindse halt, die Kerle. Kennste einen, kennste alle. Und so weiter. Klischees halt. Und da schleicht sich dann schon der Gedanke ein, daß ein deutlich jüngerer Mann eben auf solche Klischees zurückgreifen muß, denn aus eigenem Erleben wird er nicht erzählen können. Bestenfalls aus der Beobachterposition heraus – dafür aber wirkt diese Story zu durchtränkt mit literarischen, filmischen und dem Fernsehen entlehnten Versatzstücken des Erzählens und der Figurenzeichnung.

Daß es dann in einem kurzen Schlußabsatz zum großen Knall kommt, löst beim Leser zwar die anfangs erwähnten Überlegungen hinsichtlich der Frage nach Feminismus oder Frauenhass aus, aber auch die können nicht überdecken, daß dieses Ende aufgesetzt wirkt. Angeklatscht an eine Story, die nirgendwohin zu führen schien und die der Autor gern an ein Ende, irgendein Ende, bringen wollte.

Nicolas Mathieu kann es besser, hat er doch mit dem Vorgänger zu ROSE ROYAL den Prix Goncourt gewonnen. Hier aber wird der Leser den Eindruck nicht los, daß ein Autor eine Fingerübung hinlegen wollte – oder aber richtig sauer war und seinem Ärger Ausdruck verschaffen musste. Doch in Wut und Rage entstehen vielleicht beeindruckende Gemälde oder auch mal ein Gitarrensolo für die Ewigkeit, für die Literatur gilt das eher nicht. Die braucht Weile und genaues Überlegen – und das bedeutet eben auch, daß man Klischees erkennt und sie entweder umgeht, oder mit ihnen zu spielen versteht. Vielleicht wollte Mathieu genau das mit dem Ende seines Romans bezwecken, doch wenn, dann ist es schlicht zu wenig.

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