THE MASTER

Paul Thomas Anderson erzählt von einem Abhängigkeitsverhältnis persönlicher, wie religiöser Natur

Ende des 2. Weltkriegs wird der Matrose Freddie Quell (Joaquin Phoenix) ausgemustert und direkt in ein Erholungsheim überstellt, da er offenbar unter den Erfahrungen während des Krieges leidet.

Schließlich wird er entlassen und verdingt sich in verschiedenen Jobs. Er fotografiert in einem vornehmen Kaufhaus, wo er auch eine Beziehung zu einer anderen Angestellten unterhält. Da Freddie starker Trinker ist und zu Gewaltausbrüchen neigt, kann er den Job nicht lange halten. So zieht er weiter, schuftet auf Feldern und in der Ölindustrie.

Eines nachts – wieder einmal ist Freddie betrunken – zieht es ihn in den Hafen von San Francisco, wo er gestrandet ist. Er geht an Bord einer Yacht, sucht sich einen stillen Ort und schläft seinen Rausch aus.

Am nächsten Morgen wacht Freddie auf und findet sich auf hoher See wieder. Er ist an Bord eines Schiffes, das Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) gemietet hat, seine Tochter wird hier getraut. Dodd lässt Freddie zu sich bringen und stellt ihn zur Rede. Freddie, der zu betrunken war, um sich an irgendetwas zu erinnern, kann nicht erklären, wie und warum er an Bord kam.

Da Freddie sich gern aus allerlei Zutaten harte alkoholische Getränke mixt und Dodd eines davon getrunken und es ihm gefallen hat, lässt der deutlich ältere, sehr charmante und witzige Mann Freddie an Bord bleiben und an der Hochzeitsfeier teilnehmen.

Während der Schiffsreise kommt es zu mehreren Aussprachen zwischen Dodd und Freddie, bei denen Dodd Freddie Arbeit anbietet. Dodd, der sich „Meister“ nennen lässt, hat eine sektenartige Gruppe gegründet, die sich „The Cause“ nennt. Er glaubt an Reinkarnation und an uraltes Wissen, das einzelne Individuen besitzen, weil sie schon oft ge- und verschiedene Zeitalter durchlebt haben. Dodd lässt Freddie für sich arbeiten, was hauptsächlich in der Abschrift von Gesprächsprotokollen besteht, nutzt ihn aber auch selbst als Versuchskaninchen für Gesprächstechniken, die er zusehends verfeinern will.

Die Reise geht nach New York, wo Dodd und seine Entourage – er wird von seiner Frau Peggy (Amy Adams), seiner Tochter Elizabeth (Ambyr Childers), deren frisch angetrauten Gatten Clark (Rami Malek) und seinem Sohn Val (Jesse Plemons) und diversen Angestellten begleitet – Gäste in einem vornehmen bürgerlichen Haus sind. Hier findet Dodd neue Anhänger und reüssiert mit einer Hypnosetechnik, die seinen Klienten helfen soll, in frühere Leben einzutauchen. Als ein anderer Gast einer Party Dodds Methoden in Frage stellt, bewirft Freddie den Mann mit einem Gegenstand, sucht ihn nachts in seinem Hotel auf und verprügelt ihn.

Anders, als von Freddie erwartet, dankt Dodd ihm die Aktion nicht. Er weiß um Freddies Alkoholsucht und erklärt Freddie, der sei „ein Tier“. Er müsse mit seinen Problemen fertig werden. Vor allem Peggy steht Freddie sehr skeptisch gegenüber. Auch Clark verdächtigt Freddie, möglicherweise sogar der Spion einer Konkurrenzorganisation zu sein. Elizabeth ihrerseits fühlt sich von Freddie angezogen, was dieser jedoch nicht erwidert.

Die ganze Gruppe fährt nach Philadelphia, wo sie in Helen Sullivan (Laura Dern) eine begeisterte Unterstützerin findet, in deren weitläufigen Haus sie alle unterkommen. Hier lässt Dodd Freddie in endlosen Sitzungen durch das Haus laufen, immer wieder gegen Wände und Fenster stoßen, beschreiben, wie sich die Stellen, die er berührt, anfühlen, setzt ihn seinen therapeutischen Sitzungen aus und unterzieht ihn einer Art Gehirnwäsche.

Eines Tages taucht die Polizei auf. Sie haben einen Haftbefehl für Dodd, der eine Klinik ohne Zulassung betreibe und zudem Gelder veruntreut habe. Freddie legt sich mit der Polizei an und es kommt zu einem Kampf. Sowohl Dodd als auch Freddie werden in den Arrest gebracht. Dort kommt es zum Ausbruch des lange schwelenden Zwists zwischen den beiden. Dodd wirft Freddie vor, sich nicht unter Kontrolle zu haben und ihm zu schaden, nicht zu helfen; Freddie brüllt seinen Mentor an, daß dessen Lehren nichts als ausgedachter Schund seien. Eine Haltung, die Dodds Sohn Val schon lange einnimmt, der aber gut von des Vaters Erfolgen als Religionsstifter lebt und es deshalb hinnimmt.

Als Dodd und Freddie wieder aus dem Gefängnis entlassen werden, versuchen Clark und Peggy Dodd davon zu überzeugen, daß er sich von Freddie trennen müsse. Doch Dodd weigert sich und erklärt, Freddie selbst habe zu entscheiden, ob er bleiben oder gehen wolle.

Bei einer Buchvorstellung von Dodds neuestem Werk kommt es erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen Freddie und einem Hörer, der Dodds Thesen und Lehren für Schwachsinn hält. Doch Freddie spürt eine deutliche Entfremdung von Dodd. Auch ihn überzeugen dessen Ansichten nicht mehr.

Als Dodd Clark, Elizabeth und Freddie in die Wüste führt, wo sie mit einem Motorrad auf einen Zielpunkt zufahren sollen, ohne sich beirren zu lassen, nutzt Freddie die Gelegenheit und haut mit der Maschine ab.

Er fährt zurück an die Ostküste, wo er in einem Küstenstädtchen in Massachusetts aufgewachsen ist und seine große Liebe, Doris (Madisen Beaty), zurückgelassen hatte, bevor er in den Krieg zog. Doch Doris lebt schon lange nicht mehr in ihrem Elternhaus, wie ihre Mutter Freddie mitteilt. Mittlerweile ist es 1953 und Doris ist bereits seit Jahren verheiratet und hat Kinder. Freddie, den die Neuigkeit schwer trifft, versucht, sich nichts anmerken zu lassen und empfiehlt sich.

Er verfällt in eine Depression und fängt wieder mit dem Trinken an. Eines Tages sitzt er in einem Kino, als ihm ein Angestellter ein Telefon bringt. Dodd ist dran. Freddie wundert sich, wie der ihn gefunden habe, aber Dodd will das nicht erklären, sondern behauptet, sich nun erinnern zu können, woher die beiden sich kennen – nämlich aus einem früheren Leben – und daß sie miteinander verbunden seien. Dodd lebt mit seiner Familie mittlerweile in England, wo er eine Dependance seiner Kirche aufbaut. Er bittet Freddie, zu kommen, er brauche seine Hilfe.

Freddie macht sich schließlich auf den Weg nach England, wo Dodd eine Schule betreibt. Er empfängt Freddie, der von einem „Traum“ erzählt, den er gehabt habe und in dem Dodd ihn angerufen habe. Peggy, die weiterhin skeptisch gegenüber der Verbindung ihres Mannes zu Freddie ist, betrachtet ihn und erklärt ihm dann, daß sie weder Verwendung für ihn hätten, noch ihm helfen könnten. Sie weiß, daß Freddie weiterhin säuft.

Als Peggy den Raum verlassen hat, bietet Dodd Freddie an, wieder für ihn in der Sekte zu arbeiten. Freddie lächelt und sagt, daß er das vielleicht in einem anderen Leben täte – womit er sich über Dodds Lehre lustig macht und ihm zugleich signalisiert, daß er ihm keinen Glauben mehr schenkt. Dodd beginnt zu singen und erklärt dann, daß sie geschiedene Leute seien, wenn Freddie nun ginge.

Irgendwo in den Südstaaten sitzt Freddie in einer Bar, wo er eine Frau kennenlernt. Die beiden gehen miteinander ins Bett und Freddie stellt ihr eben jene Fragen, mit denen einst Dodd ihn malträtiert hatte. Doch die Frau lacht ihn aus und fordert ihn auf, sie weiter zu lieben.

Seit der filmische Autodidakt Paul Thomas Anderson mit LAST EXIT RENO (1996) die öffentliche Bühne betrat, galt er als Supertalent, als das große Versprechen in Hollywood. Und er löste es schon ein Jahr später mit seinem Bericht aus den goldenen Tagen der kalifornischen Pornographie, BOOGIE NIGHTS (1997), ein. Seitdem legt er alle paar Jahre einen Film vor, einige gelten heute schon als moderne Klassiker, andere sind kleine, feine Studien menschlicher Wirrnis und Abwege.

THE MASTER (2012) liegt irgendwo dazwischen. Folgt man der englischen Wikipedia, bezieht sich Anderson, der auch das Buch schrieb, auf etliche Quellen, unter anderem auf Thomas Pynchons Debutroman V. (1963), auf Erzählungen des Schauspielers Jason Robards, der an Andersons Film MAGNOLIA (1999) mitwirkte, auf die Lebensgeschichte John Steinbecks und die Entwicklung der pseudoreligiösen Sekte Scientology, die von dem Autoren L. Ron Hubbard in den frühen 50er Jahren etabliert wurde und seitdem eine ebenso kontroverse, wie erfolgreiche Entwicklung genommen hat. Zudem sollen frühe Studien zu dem Vorgängerfilm THERE WILL BE BLOOD (2007) in die Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Hauptfiguren eingeflossen sein.

All das mag sein. Da Anderson als erster Regisseur überhaupt sich an die Verfilmung eines Romans von Thomas Pynchon wagte – INHERENT VICE (2014) war der direkte Nachfolger von THE MASTER – kann es also durchaus sein, daß er sich unter anderem von dem Storygerüst von V. beeinflussen ließ, doch käme man wahrscheinlich kaum darauf, wenn man es nicht irgendwo gelesen hätte. Einige surreale Momente zu Beginn des Films mögen die traumartige Atmosphäre des Buchs aufgreifen; ganz sicher kann man in der Figur des Freddie Quell auch ein Echo des Benny Profane aus Pynchons Roman erkennen. Andererseits gibt es endlos viele Geschichten über Drifter und Bohemiens, die gerade nach dem 2. Weltkrieg den Weg zurück in die Gesellschaft nicht fanden und in den Küsten-Metropolen vergammelten. Unter anderem hat eben auch Steinbeck davon berichtet. Er driftete in jungen Jahren ebenfalls zwischen den Küsten hin und her, verdingte sich in allerlei Aushilfsjobs und fand erst später zu seiner Bestimmung als Autor und Journalist. So bleibt also vor allem der Bezug zu Hubbard, seiner Dianetics-Lehre und Scientology.

Die Figur des Lancaster Dodd kann durchaus als Abwandlung des Gründers der Sekte betrachtet werden, auch seine Familienverhältnisse ähneln denen Hubbards, der von seiner gestrengen Frau Mary Sue Hubbard unterstützt wurde. Gelegentlich wird ihr sogar nachgesagt, der eigentliche Motor hinter Hubbards Thesen der Dianetics – jenem Programm zur Selbstoptimierung, das den Kern von Scientology ausmacht – gewesen zu sein. In THE MASTER spielt die Lehre des „Meisters“ allerdings eine eher untergeordnete Rolle. Der Zuschauer erfährt nie ein kohärentes Konzept, das seinem Programm zugrunde liegt, eher werden Auszüge und Anrisse geboten. Der Film kapriziert sich vielmehr auf das Verhältnis zwischen Freddie Quell und Dodd. Es ist ein Herr-Knecht-Verhältnis, aber es schwingt auch eine Vater-Sohn-Beziehung darin mit, was die Annahme, daß Anderson auf Ideen für THERE WILL BE BLOOD zurückgegriffen habe, nahelegt. Auch dort geht es um die Beziehung eines älteren Mannes zu einem jüngeren, auch dort spielen religiöse Verzückung und Verblendung eine Rolle.

Dodd ist ein Charismatiker, ein Freigeist, charmant, witzig und fesselnd. Er entwickelt seine Theorien oft erst in dem Augenblick, in dem er vor Bewunderern spricht, gibt offen zu, selbst nicht zu wissen, wohin das alles führe und glaubt grundlegend nur, daß das menschliche Individuum weitaus älter ist, als eine Lebensspanne es zulässt. Wobei der Begriff „Glauben“ eine zentrale Rolle einnimmt, da Dodd Kritikern gern mit der Relativierung dessen, was wir wissen oder zu wissen meinen, entgegentritt. So spielen Wiedergeburt, Erfahrungen früheren Daseins und Äonenwissen des einzelnen eine entscheidende Rolle in seinem Denken. Er bewegt sich – im Familienverbund, Frau, Tochter, Sohn und Enkel sind seine ständigen Begleiter – in besseren Kreisen, findet dort mit an Hypnose erinnernden Techniken, die helfen sollen, seinen Kunden Reisen in frühere Leben zu ermöglichen, Anhänger, entpuppt sich aber bei Gelegenheit auch als ganz profaner Betrüger, der Stiftungsgelder veruntreut.

Freddie seinerseits ist ein entlassener Navy-Matrose, der offenbar nicht mit den Erlebnissen im Pazifik während des Krieges zurechtkommt und dem Alkohol verfällt. Im zivilen Leben gelingt ihm nicht viel, Jobs kann er nicht halten, auch, weil er zu gewalttätigen Ausbrüchen neigt, unbeherrscht ist und die Menschen in seiner Umgebung vor den Kopf stößt. Er braut sich seine eigenen Drinks, die er durchaus auch einmal mit Farbverdünner oder Ethanol versetzt. Im Suff begibt er sich im Hafen von San Francisco an Bord einer Yacht und legt sich dort in eine Koje, um seinen Rausch auszuschlafen. Am folgenden Tag befindet er sich auf hoher See. Dodd hat die Yacht geliehen, weil an Bord die Hochzeit seiner Tochter gefeiert werden soll. Er zeigt sich an dem blinden Passagier interessiert, begreift schnell, daß Freddie ein labiler Charakter ist und bietet ihm an, bei ihm zu bleiben. So wird Freddie Quell Dodds rechte Hand, aber auch sein Versuchskaninchen für diverse Techniken und seine Gesprächsführung. Diese Aufnahme in Dodds Entourage hat selbst etwas Surreales, wirkt wie der Gang in den Kaninchenbau, den die junge Alice antritt. Quell findet sich in einem Experiment wieder, bei dem nie klar wird, ob er Betreuer oder Proband ist.

Anderson folgt Dodd und dessen Anhang durch die 50er Jahre, zeigt die ersten Erfolge der Bewegung, die im Film The Cause (Der Ursprung) benannt ist, erzählt von persönlichen Mißerfolgen sowohl Dodds als auch Quells und berichtet von der schleichenden Loslösung des jüngeren Mannes vom „Meister“. Dabei liegt sein Hauptaugenmerk deutlich auf dem Verhältnis der beiden Männer. Dodd ist manipulativ, er beherrscht Freddie nahezu. In einer endlosen und kaum erträglichen Szene lässt er ihn immer wieder mit geschlossenen Augen durch ein Haus laufen und beschreiben, was er fühlt, wenn er Wand oder Fenster berührt. Schnell hat Dodd begriffen, daß Freddie leicht steuerbar ist, daß der junge Mann nach Halt und Hilfe sucht. Das geht soweit, daß Freddie immer wieder Kritiker und Dodd skeptisch Begegnende angreift und sogar zusammenschlägt. Und doch zeigt Anderson, ohne daß er es dem Zuschauer explizit auftischt, wie sich gerade auch in diesen Situationen langsam Zweifel einschleichen. Freddie beginnt, Dodds Lehre und seine weit ausgreifenden Erklärungen zu hinterfragen. Und immer öfter wird er damit konfrontiert, daß sogar jene, die von Dodds Erfolgen profitieren – u.a. sein Sohn – nichts von dem ernst nehmen, was der Alte von sich gibt.

So wird Andersons Film zusehends zu einer Emanzipationsgeschichte. Doch anders, als es andere Autoren und Filmemacher vielleicht darstellen und erklären würden, gibt Anderson seinem Publikum weder Schlüsselszenen an die Hand, auch gibt es keine Katharsis, nicht den großen Knall zwischen den Männern. Im Gegenteil, der Zuschauer muß sich aus einzelnen Dialogen, oft kryptischen Inhalts, und aus Szenen, die sich oftmals nicht direkt erschließen oder entschlüsseln lassen, nach und nach erklären, wieso Quell sich von Dodd löst und weshalb Dodd seinen angenommenen Sohn gehen lässt – auch wenn er ihm in der letzten gemeinsamen Szene auf der Leinwand verdeutlicht, daß sie ab nun, da Freddie gehe, Feinde, wenn auch geistige Feinde, seien.

Und so steht und fällt in diesem Film, der sich meistens in Innenräumen bewegt, der einem Kammerspiel gleicht, alles mit der Darstellung der Hauptprotagonisten durch die Schauspieler. Und es sind grandiose Leistungen, die Joaquin Phoenix als Freddie Quell und Philip Seymour Hoffman als Lancaster Dodd hier bieten. Wie in den Dialogen und gemeinsamen Szenen zwischen den Figuren, entstehen auch zwischen diesen beiden Großmeistern der Schauspielkunst atemberaubende, fesselnde Szenen, in denen eine Spannung herrscht, die sich nur aus ihrer Darstellung ableiten lässt, nicht aus dem, was gesagt wird. Es geht darum, wie es gesagt wird und wie die beiden sich dabei belauern, umeinanderkreisen, wie Dodd/Hoffman Quell/Phoenix umschmeichelt, anzieht und auch wieder abstößt und wie der labile Quell sich ebenso gegen diesen Mann zu behaupten versucht, als auch bereit ist, sich ihm hinzugeben, einem Propheten, der Freiheit und Geborgenheit zugleich zu versprechen scheint.

Phoenix, von dem man immer wieder annimmt, er habe eine Hasenscharte, macht sich diese wohl angeborene Narbe auf der Oberlippe hier zunutze und stattet Quell mit einem rauen Organ und undeutlicher, manchmal eher gebellter, denn gesprochener Ausdrucksweise aus. Oft scheint es, als knurre er sein Gegenüber an, als müsse er mit der undeutlichen Aussprache eine Distanz zwischen sich und die Welt legen. Quell bleibt uns fern, weil er von Anfang an ein Fremder ist – auch ein Fremder sich selbst. Er sucht Normalität, er sucht Liebe und ist doch zu beidem kaum fähig. Er ist eben ein Suchender, ein Drifter, wie bereits erwähnt, der nur zu gern eine Lehre annimmt, die ihm Bedeutung zuteilt, in der er Größeres, Überlebensgroßes, finden kann. Und doch gelingt es Joaquin Phoenix, diesen Mann mit Sensibilität auszustatten, ihn uns berühren zu lassen. In einer Szene, die vielleicht die einzige ist, die ergreifend wirkt, sucht er das Haus in seiner früheren Nachbarschaft auf, wo seine große Liebe Doris einst wohnte. Die aber, so ihre Mutter, lebt längst nicht mehr hier. Sie ist verheiratet und nach Alabama gezogen. Wie es Phoenix gelingt, die Verletztheit, den Schmerz in Quells Gesicht zu bringen, der zugleich versucht, Haltung zu bewahren, sich nichts anmerken zu lassen, cool zu bleiben, und dem doch so deutlich anzumerken ist, welch eine Enttäuschung er empfindet, das zeugt von der großen Könnerschaft dieses Schauspielers. Joaquin Phoenix hat es sich in seiner Karriere nie einfach gemacht, er hat oft schwierige, auch unangenehme Rollen angenommen – zuletzt die des Jokers, Batmans Gegenspieler, im gleichnamigen Film – und wird scheinbar immer besser. Zweifelsohne zählt er zu den Besten seiner Generation.

Und dann ist da natürlich Philip Seymour Hoffman. Der im Jahr 2014 viel zu früh gestorbene Schauspieler genießt mittlerweile einen ungeheuren Kultstatus. Zurecht. Immer wieder sind ihm große Leistungen in schwierigen Rollen gelungen. Er konnte komisch sein, lapidar, böse, ohne Bosheit auszudrücken, er war ein Tragiker, der sich vehement gegen die eigene Tragik stemmte und verlieh seinen Figuren, auch den historischen, wie bspw. Truman Capote, oft etwas Resignatives, das sich aber in hinnehmender Gelassenheit ausdrückte. Hier gelingt es dem damals nicht ganz 50jährigen, einen deutlich älteren Mann glaubwürdig darzustellen. Er erzeugt Spannung nur mit dem Schalk, der aus seinen blitzenden Augen hervorscheint, er ist charismatisch, es gelingen ihm unglaublich intensive Szenen, u.a. wenn Dodd die weiblichen Besucher einer Party dazu anstiftet, sich auszuziehen und dann zwischen den nackten Ladies tanzend und singend umherscharwenzelt. Ebenso verleiht Hoffman Dodd aber auch etwas Müdes, wenn der Mann nach einer Lesung allein dasitzt und still in sich hineinlauscht. Vom ersten Moment an, den er auf der Leinwand bekommt, ist Dodd/Hoffman vollkommen überzeugend, in jedem Moment nimmt man ihm die Überzeugung und Überzeugungskraft ab, die auf seine Umgebung so anziehend wirkt.

So lohnt THE MASTER schon allein, um diesen beiden Giganten der darstellenden Künste zuzuschauen. Und sie retten in gewissem Sinne auch Andersons Film. Der Regisseur hatte mit Hoffman bereits mehrfach zusammengearbeitet, er wusste also, daß er sich auf dessen Ausstrahlung verlassen konnte. Phoenix seinerseits hatte sich bereits einige Meriten erworben, spätestens seit GLADIATOR (2000) war er auch einem breiten Publikum bekannt, in Filmen wie WALK THE LINE (2005) und WE OWN THE NIGHT (2007) hatte er bewiesen, daß er auch die schwierigen, anspruchsvollen Rollen beherrscht. So geben beide dem Film Glaubwürdigkeit und Relevanz, die er aus sich selbst heraus vielleicht nicht unbedingt entwickelt.

Es erschließt sich nicht wirklich, was Anderson eigentlich aussagen, was er erzählen will. Einiges in seinem Film – unter anderem das Ende, bei dem unklar bleibt, wieso Dodd Quell, nachdem der ihn verlassen hat, noch einmal zu sich ruft, vor allem aber unklar bleibt, weshalb er ihn dann behandelt, als sei Quell von sich aus zu ihm gekommen – bleibt unklar, scheint in einer Grauzone zwischen Traum und Realität angesiedelt. Daß Anderson Quell in einer Schlußszene eine Liebesnacht mit einer Frau zugesteht, in der Quell ihr eben jene Fragen stellt, die einst Dodd nutzte, um sich Quell gefügig zu machen, und daß beide – Quell und seine Gespielin – dann herzhaft darüber lachen, um schließlich im Liebesspiel fortzufahren, scheint ein Zugeständnis an herkömmliche Sehgewohnheiten und kohärente Erzählstruktur zu sein. Die Loslösung, die Emanzipation vom Übervater ist abgeschlossen, Dodd hat keine Macht mehr über Freddie, sein Einfluß versickert, wird zu einem Witz zwischen Liebenden. Doch auf die Gänze des Films betrachtet, wirkt dieses Ende unehrlich, Und betrachtet man die Entwicklung, die Scientology in den Jahren, die der Handlung des Films folgten, nahm, ist es auch unangemessen. Heute weiß man sehr viel besser, welche Macht die Sekte auf ihre Mitglieder ausübt, wie schwierig es ist, sich aus ihren Fängen zu lösen.

THE MASTER steht in Andersons eher schmalem Oeuvre – er hat in 21 Jahren bisher lediglich acht Filme gedreht – irgendwo zwischen den Meisterwerken, zu denen man sicher MAGNOLIA und THERE WILL BE BLOOD zählen muß, und den eher kleinen, beiläufigen Filmen, wie bspw. PUNCH-DRUNK LOVE (2002). In erster Linie ist es ein Schauspielerfilm, wie einige von Andersons Werken. Und genau als solchen sollte man sich THE MASTER anschauen: Als ein Meisterstück zweier Schauspieler, die hier großartige Leistungen bringen, die aus dem Zweikampf zweier Männer einen darstellerischen Zweikampf auf der Leinwand machen, ohne dabei einander je zu bekämpfen. Hier will niemand den andern ausstechen, niemand will sich beweisen. Hier lassen zwei großartige Schauspieler etwas entstehen, das dem Zuschauer eine Menge verrät über verborgene Wahrheiten des menschlichen Wesens, über heimliche Sehnsüchte und Gelüste, derer die Macht nur eines ist.

So wird aus THE MASTER, der vielleicht nur ein durchschnittliches Drehbuch hat, ein aufregender und großartiger Film, der allerdings die Mitarbeit des Zuschauers verlangt, um sich diesem zu erschließen.

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