POLITIK MIT DER ANGST. DIE SCHAMLOSE NORMALISIERUNG RECHTSPOPULISTISCHER UND RECHTSEXTREMER DISKURSE

Riúth Wodak bietet eine gute Übersicht über den Forschungsstand und zudem eine genaue Analyse sprachlicher, textlicher Muster des Rechtspopulismus

Frauke Petry – der eine oder andere mag sich noch erinnern, die Dame war einst Vorsitzende der Alternative für Deutschland, kurz AfD – gab im November 2016 der Welt am Sonntag ein Interview, in welchem sie davon sprach, den Begriff „völkisch“ gern wieder positiv konnotiert zu sehen. Naturgemäß war der Aufschrei groß, sowohl die Politik-, als auch die Kulturteile der großen Tages- und Wochenblätter rauschten ob dieser Ungeheuerlichkeit, war und ist der Begriff doch aufgrund seiner Geschichte – vor allem durch den Gebrauch der Nationalsozialisten – scheinbar auf ewig diffamiert, weil toxisch. Petry hatte die Aufmerksamkeit, obwohl schon im Interview deutlich wurde, daß sie selbst nicht wirklich viel mit dem Begriff anzufangen wusste. Sie stellte sich eher als eine Art Hobby-Linguistin dar, die gar nicht verstehen könne, weshalb ein Begriff derart diffamiert werde.

Liest man Ruth Wodaks Studie POLITIK MIT DER ANGST. DIE SCHAMLOSE NORMALISIERUNG RECHTSPOPULISTISCHER UND RECHTSEXTREMER DISKURSE (hier 2020 in einer komplett überarbeiteten Fassung), begreift man schnell, daß dies eines der passendsten Beispiele ist, um ihre Thesen zu belegen. Denn während sich all die Feuilletonisten und Redakteure im Ressort Innenpolitik am Begriff abarbeiteten, wahlweise den politischen Standpunkt der Aussagenden oder aber ihre Naivität im Umgang mit Sprache und Geschichte ausstellten, hatte Petry – neben der bereits erwähnten medialen Aufmerksamkeit – etwas ganz anderes geleistet (wenn auch, in diesem Fall, mit eher überschaubarem Erfolg): Sie hatte einen Rahmen gesetzt, einen Begriff in den Diskurs gespeist, der unter Demokraten nahezu 70 Jahre verpönt war und somit ein explizit rechtes Narrativ nicht nur in den Mainstream-Diskurs eingespeist, sondern auch dafür gesorgt, daß in den vielen, vielen Repliken auf ihre Aussagen natürlich auch der Begriff selbst wieder und wieder genannt wurde. Eine Normalisierung trat ein und plötzlich war eine Diskussion entstanden, in der der Allgemeinheit ein Thema aufgedrückt wurde, welches sonst wahrscheinlich niemanden umgetrieben hätte. Petrys Erfolg lag also keinesfalls darin, was sie genau sagte oder wie sie es sagte, sondern schlicht in der Tatsache, daß sie sagte, was sie sagte.

Wodak, Professorin für Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Wien, untersucht naturgemäß eher österreichische und osteuropäische Beispiele für rechtes Frame-Setting, doch sind ihre Ausführungen immer wieder gut auf deutsche Verhältnisse übertragbar. Ihr Buch legt sein Hauptaugenmerk also auf die Sprache – wobei „Sprache“ hier in einem erweiterten, eher postmodernen Kontext aufgefasst werden muß. Denn Wodak untersucht auch Bilder und das Zusammenspiel aus Bildern und Sprache (und Sprachbildern) sehr genau und führt anhand einer Vielzahl von zitierten und zu Rate gezogenen Studien, Untersuchungen und Analysen den Beweis, wie in den Jahren seit der Jahrtausendwende rechte Diskurse mehr und mehr in den Mainstream der „liberalen“ Demokratien – also vor allem jener westlicher Prägung – eindringen und sich dort festsetzen, ja normalisieren konnten.

Anhand von Textbeispielen kann Wodak ihre Beweisführung verdeutlichen, nimmt dabei allerdings vor allem österreichische Vorkommnisse rund um die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und deren langjährigen Vorsitzenden Heinz-Christian Strache als Vorlagen. Einige dieser Beispiele – allen voran jenes um das Ibiza-Video, in welchem Strache einer angeblich russischen Oligarchin quasi Österreich verkauft, wenn sie ihm hilft, an die Macht zu kommen – dürften auch dem deutschen Publikum in Erinnerung sein, anderes – ein Strache-Comic bspw., der den Vorsitzenden als eine Art Superheld darstellt und vermarktet – sind in Deutschland wahrscheinlich eher unbekannt.

Immer wieder gelingt es Wodak, die Widersprüchlichkeiten auszuarbeiten, vor allem kann sie nachweisen, daß der moderne Rechtspopulismus sich lange schon jenseits der herkömmlichen Links-rechts-Schemata bewegt, mehr noch, daß sich unterschiedliche rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in Ost, West, im Süden oder Norden eben auch häufig widersprechen oder gänzlich unterschiedliche Ziele verfolgen. Besonders deutlich wird dies anhand ihrer Ausführungen zur „illiberalen Demokratie“ ungarischer und polnischer Provenienz. Denn folgt man den Ausführungen von Victor Orbán, Vorsitzender der Fidesz-Partei und seit geraumer Zeit ungarischer Ministerpräsident, lässt sich gerade anhand dieser nachvollziehen, wie sich rechtspopulistische Argumentation oftmals selbst in Gehege kommt. Da will einer mit dezidiert nationalistischen, auch antisemitischen, auf jeden Fall meist fremdenfeindlichen Ansichten, die zum Parteiprogramm erhoben werden, ein Land in einer Gemeinschaft – der Europäischen Union – halten und verankern, die er im Grunde verachtet, mit der er sich aufgrund ihrer Liberalität und rechtsstaatlichen sowie pluralistischen Auffassung einer modernen Gesellschaft gar „im Krieg“ wähnt. Der blanke Zynismus an den Werken, wollte man meinen. Und doch ein geradezu typisches Beispiel, weshalb es so schwierig ist, rechtspopulistische und rechtsextremistische Propaganda zu identifizieren und, wie Wodak es nennt, zu dekonstruieren.

Viele Beispiele, die die Autorin gibt, sind interessierten LeserInnen mittlerweile bekannt. Der oft verklausulierte Antisemitismus bspw., der immer wieder im Bild des angeblichen „Internationalisten“ George Soros bemerkbar wird, der die westlichen Regierungen steuere und für den „großen Austausch“, also die Migrantenströme aus Afrika und dem Nahen Osten, sorge, wobei Soros mit jenen gern herbeizitierten „Globalisten“, „internationalen Eliten“ und ähnlichem gleichgesetzt wird, seit es nicht mehr en vogue ist, direkt vom „jüdischen Großkapital“ zu sprechen, das den Nazis noch als allgemein verständlicher Hetze so leicht von der Hand ging. Auch die Sprachbilder, die immer normaler und damit gängiger werden, sind mittlerweile weithin bekannt. Deshalb ist es interessant, wenn Wodak ein Augenmerk auf Aspekte richtet, die zwar auch immer wieder benannt und untersucht, oft aber als eher nebensächlich abgetan werden. Damit ist die Tabu- und Normverletzung durch schlichtweg schlechte Manieren gemeint. Es war vor allem der ehemalige Präsident der Vereinigtem Staaten, Donald Trump, der sich mit deutlichen Ausfällen jenseits aller Höflichkeitsregeln auszeichnete. Immer wieder beleidigte er Konkurrenten und Kritiker ad hominem, also persönlich, belegte sie mit Spitznamen („Sleepy Joe“ nannte er seinen damaligen demokratischen Herausforderer Joe Biden gern, um ihn als alten Mann zu diskreditieren, der nicht in der Lage sei, Diskussionen und Argumenten zu folgen; für einen Mann, der einerseits lediglich vier Jahre jünger als sein Kontrahent ist, andererseits von Freunden wie Gegnern immer wieder attestiert bekommt, über eine doch sehr verkürzte Aufmerksamkeitsspanne zu verfügen ein erstaunlicher Vorwurf), sprach ihnen ab, überhaupt Amerikaner zu sein (Barack Obama) oder aber fiel auf sexistische oder rassistische Art und Weise über von ihm verachtete Andersdenkende her (so empfahl er vier weiblichen Kongreßabgeordneten, von denen drei in den USA geboren wurden, zurück in die „Dreckslöcher“ zu gehen – womit Länder gemeint waren – aus denen sie stammten und dort für Ordnung zu sorgen).

Trump machte diese Art des Umgangs fast schon zu einer Kunstform. Dies gepaart mit seinen tagtäglichen Lügen, die er, wie auch seine Beleidigungen, am liebsten über Twitter verbreitete, sind ein prächtiges Beispiel für das, was Wodak schließlich die „Arroganz der Ignoranz“ nennt. Rechte, Autokraten, Populisten sind schlicht nicht an einem Dialog, einer Auseinandersetzung, somit also auch Lösungsvorschlägen und -ansätzen interessiert. Es geht darum, Staat und Gesellschaft zu zersetzen, demokratische Abläufe lächerlich zu machen, damit die Demokratie selbst zu unterlaufen und von innen auszuhöhlen. Es geht darum, rechte Diskurse in den Mainstream einzuspeisen und dort eine Sprachgrenze zu überwinden, die – aus guten Gründen – ca. 70 Jahre lang galt. Es geht darum, einen anderen, raueren Ton zu setzen, Beleidigungen und zumindest sprachliche Gewalt salonfähig zu machen und damit einen immer tieferen Keil in Gesellschaften zu treiben. Es geht darum, Feindbilder aufzubauen und Narrative der Bedrohung – und damit eben der Angst – zu setzen, in denen immer einfachere Lösungen („Die Migranten sind unser Unglück, sie sollen nachhause gehen“) für immer komplexere Probleme und Krisen interessant werden. Und letztlich – hier weist Wodak allerdings nur gelegentlich drauf hin, da es nicht im Fokus ihres Buches steht – geht es vor allem um eins: Machtsicherung. Deshalb sollte man sich auch die einzelnen Führungsfiguren der Rechten sehr genau ansehen. Nicht alle sind gleich.

Ein Mann wir Putin, der gerade einen Weltenbrand zu entzünden droht, oder auch Orbán, Trump ebenfalls, sind alle miteinander auch und vor allem an persönlicher Bereicherung interessiert. Sie als Kleptokraten – oder, in Trumps Fall, gleich als Mafia-Paten – zu bezeichnen ist daher nicht ganz falsch. Andere – bspw. Polens Jarosław Kaczyński – mögen wirklich aus einer Überzeugung (hier vor allem der katholische Glauben polnischer Art) heraus agieren. Im Kern bleiben sich aber die Ergebnisse gleich: Es werden die Justiz, die freien Medien und Bildungseinrichtungen angegriffen und unter die Fuchtel der herrschenden Partei gebracht. Nach und nach fällt die Gewaltenteilung weg, respektive wird sie ausgehöhlt, und wird die Machtfülle der herrschenden Organisation, bzw. ihrer Führer/ihres Führers, ausgebaut. Interessant ist, daß Anführer wie Kaczyński oder Orbán, aber auch Putin, immer offener über ihre Ziele reden und sie propagieren, ohne sie weiterhin zu kaschieren. Vielleicht ein Zeichen dafür, wie weit fortgeschritten die Versuche, rechte Diskurse in den Mainstream einzuspeisen, bereits vorangeschritten sind.

Man muß Ruth Wodak danken, daß sie es auf sich nimmt, in den mittlerweile unübersichtlichen Dschungel an Publikationen zum Thema eine Schneise zu schlagen und den Diskurs auch zu akademisieren. Denn so wichtig all die Bücher sind, die in den letzten zehn Jahren vor allem JournalistInnen und Politikwissenschaftler über das Phänomen „Rechts-„ geschrieben haben, tut eine klare akademische, also letztlich professionalisierte und wissenschaftlichen Standards genügende Einordnung doch gut. Denn einerseits wird so der Forschungsstand übersichtlicher (dank eines sehr ausführlichen Apparats am Ende des Buchs), andererseits wird auch etwas die Hysterie und das Alltägliche aus der Debatte genommen, wodurch sie genauer, differenzierter und besser einzuordnen wird. Sicher ist auch dies nicht der Weisheit letzter Schluß, sicher muß Wodaks Buch in absehbarer Zeit wieder erneuert und überarbeitet werden, doch ist es ein sehr gut lesbarer und vor allem sehr genauer, einige Aspekte sehr explizit untersuchender Beitrag zur Diskussion, wohin Europa driftet und wohin Europa und seine Gesellschaften driften wollen.

Wir alle sind aufgerufen, wenn uns denn etwas daran liegt, die liberale Demokratie zu verteidigen. Die Reaktion – und der historische Revisionismus – ist an den Werken und ist, keine Frage, stark. Doch sollte nicht vergessen werden, daß die Sehnsucht nach einem Retrotopia sich immer aus einem Geschichtsbild speist, das grundlegend verfälschende Aussagen zu einem Gestern tätigt, das es so eben nie gegeben hat. Es ist ein Backlash, eine Reaktion – vor allem jener Eliten, die bisher recht unangefochten ihre Macht ausüben konnten – auf eine sich seit gut 50 Jahren zusehends liberalisierende, immer diversere und offenere, also pluralistischere Gesellschaft, in der Minderheiten gleichberechtigt sind, in der Frauen gleichberechtigt sind, in der Fremde nicht direkt als Feinde gebrandmarkt werden. Es ist diese Gesellschaft, die die in- wie ausländischen Rechtspopulisten hassen, die ihnen Angst macht und die sie angreifen. Um sie zu zerstören.

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