A HISTORY OF VIOLENCE

David Cronenberg dekonstruiert amerikanische Mythen

Tom Stall (Viggo Mortensen) lebt ein beschauliches Leben in der amerikanischen Provinz. In der Kleinstadt Millbrook, Indiana, betreibt er ein Diner, seine Frau Edie (Maria Bello) arbeitet als Anwältin. Das Paar hat zwei Kinder, Jack (Ashton Holmes) und Sarah (Heidi Hayes). Jack hat in der Schule die üblichen Probleme: Der offenbar sehr intelligente und redegewandte Junge wird gemobbt und immer wieder als „Schwuchtel“ bezeichnet, setzt sich jedoch nur mit Worten zur Wehr. Sarah leidet gelegentlich unter Albträumen, die Tom und Jack gemeinsam vertreiben können.

Eines Tages tauchen zwei Killer in Toms Diner auf. Sie drohen nicht nur damit, die Kasse auszurauben, sondern wollen offenbar auch alle Anwesenden erschießen. Der an sich so friedliebende Tom erweist sich plötzlich als uunheimlich effizienter Kämpfer, er entwaffnet beide und tötet sie mit gezielten Schüssen. Obwohl man sich in Millbrook doch wundert, feiert man Tom aber auch als Helden, der sich nichts gefallen ließe. Sheriff Sam Carney (Peter MacNeill), der sich der Familie freundschaftlich verbunden fühlt, fragt Tom dennoch vorsichtig, ob dieser – immerhin ein Orsfremder, der einst in die Stadt kam und Edie heiratete – möglicherweise in einem Zeugenschutzprogramm sei. Tom verneint dies.

Die Geschichte um den wehrhaften Diner-Besitzer wird überregional durch die Medien bekannt. Eines Tages tauchen drei düstere Gestalten im Diner auf. Der Anführer, der sich später als Carl Fogarty (Ed Harris) entpuppt, spricht Tom konsequent als „Joey“ an. Dieser solle mit ihnen zurück nach Philadelphia kommen. Tom gibt sich ahnungslos und behauptet, es läge wohl eine Verwechslung vor. Sheriff Sam verweist die Männer der Stadt. Später teilt er Tom und Edie mit, daß Fogarty und seine Kumpane wirkliche Gangster seien, Mitglieder eines Verbrecherkartells aus Philadelphia, das von einem Richie Cusack geführt werde. Dies alles hätten seine Recherchen ergeben.

Während eines EInkaufsbummels in einer Mall trifft Edie mit Sarah auf Fogarty, der Andeutungen macht, daß Tom nicht sei, was er zu sein vorgebe. Er warnt Edie, daß ihr Leben bald nicht mehr dasselbe sein werde, wie bisher.

In der Schule kommt es erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen Jack und seinen Peinigern. Diesmal hält Jack sich nicht zurück und schlägt die drei brutal zusammen. Auch er zeigt dabei eine unheimliche Effizienz und Brutalität. Daheim wird er von Tom zur Rede gestellt. In dieser Familie, so Tom, würden Konflikte nicht mit Gewalt, sondern mit Worten gelöst. Jack antwortet sarkastisch: Oder mit der Waffe. Tom gibt ihm eine Ohrefeige. Jack haut ab.

Später taucht der Wagen mit den drei Männern vorm Haus auf.  Sie haben Jack enntführt und drohen, ihn zu töten, sollte Tom nicht endlich bereit sein, sich zu stellen und mit ihnen zu kommen. Fogarty behauptet, er wolle nur mit Tom über das sprechen, was dieser ihm einst angetan habe – sein linkes Auge ist fürchterlich entstellt, Richie Cusacks Bruder, Joey, habe es ihm mit Stacheldraht aus dem Kopf gezogen. Tom versucht zunächst, seine Tarnung aufrecht zu erhalten, doch er merkt, daß er gegen Fogarty und seine Männer keine Chance mehr hat. Plötzlich bricht erneut diese effiziente und unglaubliche Gewalt aus ihm hervor. Er tötet die beiden Begleiter von Fogarty, doch dann sieht er sich von diesem mit einer Waffe bedroht. Gerade, als Fogarty abdrücken will, wird er von hinten durch einen Schuß zur Strecke gebracht – Jack hat die Schrotflinte, die sein Vater im Haus aufbewahrt, gegen Fogarty gerichtet und diesen erschossen.

Zwischen Edie und Tom kommt es nun zu mehrfachen Auseinandersetzung. Schon zuvor, als Tom mit Verletzungen nach dem Angriff im Diner im Krankenhaus lag, wolte sie von ihm wissen, wer er eigentlich sei, denn diese gewalttätige Seite an ihm kenne sie nicht. Da hatte Tom ihr wiederholt versichert, daß er wirklich sei, wer er sei. Nun werden beide erneut von Sheriff Carney aufgesucht, der Tom mitteilt, daß er ihm nicht mehr glaube. Doch Edie schützt Tom, indem sie Carney eine Szene macht, was man ihr und ihrer Familie noch alles zumuten wolle, ob die Angriffe nicht schon genug Unheil über die Familie gebracht hätten. Carney zieht sich eingeschüchtert zurück.

Nachdem er weg ist, kommt es zwiscchen den Eheleuten zu einer heftigen Auseinandersetzung, die damit endet, daß Tom Edie mehr oder weniger vergewaltigt. Sie geht auf seine brztale Annäherung ein und gibt sich ihm hin. Wie zwei wildgewordene Tiere treiben sie es auf der Treppe, doch anschließend stößt Edie ihren Mann von sich weg und geht allein ins Schlafzimmer. Tom bleibt stöhnend auf der Treppe liegen.

Als schließlich Richie Cusack (William Hurt) im Haus anruft, begreift Tom, daß er sich seiner Vergangenheit stellen muß und verlässt die Familie, um nach Philadelphia zu fahren. Hier sucht er das Anwesen seines Bruders auf, und stellt diesen zur Rede. Schnell wird klar, daß Richie Tom/Joey nicht verzeihen hat, was dieser ihm bald zwanzig Jahre zuvor angetan hatte: Durch den Angriff auf Fogarty, der diesen das Auge kostete, wurde Richie innerhalb des Syndikats zurückgestellt und konnte nie die Position einnehmen, die er angestrebt hatte. Er erklärt Tom, daß dieser ihn immer schon gestört habe, schon als Kind. Er, Richie, habe das neugeborene Baby seinerzeit sogar töten wollen und verweist lachend auf die „Probleme der Erstgeborenen“. Tom/Joey fragt ihn, was er für ihn tun könne, damit er sein friedliches Leben wieder aufnehmen könne? „Sterben“ antwortet sein Bruder. Tom wird von den im Raum verteilten Männern angegriffen, kann sie jedoch nach und nach alle ausschalten. Keiner überlebt. Es kommt zu einer finalen Auseinandersetzung zwischen Richie und Tom/Joey, bei der letzterer den Älteren ebenso eiskalt tötet, wie er dies bereits bei dessen Männern praktiziert hatte.

Die Familie Stall sitzt zu Tisch, als Tom wieder heim kommt. Weder Edie noch Jack machen Anstalten, ihn willkommen zu heißen. Nur Sarah steht auf und stellt einen allerdings schon bereitstehenden Teller für ihren Vater auf den Tisch. Sie setzt sich wieder. Tom setzt sich zur Familie und blickt sie an. Ende.

In einem seiner kommerzielleren Filme bringt David Cronenberg eine seiner Obsessionen – die Verwandlung des Menschen, das hervorbrechen einer anderen, dunkleren Seite – und zwei amerikanische Gründungsmythen zusammen und wirft einen fast dekonstruktiven Blick darauf. A HISTORY OF VIOLENCE (2005) erzählt genau von dem, was der Titel verspricht – Gewalt und wie sie entsteht, und von der Familie als Keimzelle der amerikanischen Gesellschaft. Und wie das eine das andere bedingt.

Cronenberg suchte nach dem Mißerfolg, den er mit SPIDER (2002) erlitten hatte, auch deshalb einen kommerziellen Stoff, weil er nach eigener Aussage nicht dauernd wegen der Finanzierung seiner Filme Schwierigkeiten haben wollte. So nahm er das Angebot an, ein bereits vorgefertigtes Drehbuch zu verfilmen, das der Autor Josh Olsen nach der Vorlage einer Graphic Novel von John Wagner und Vince Locke geschrieben hatte. Für Cronenberg, der in seiner Arbeitsweise eher einem europäischen Auteur entspricht und vom Drehbuch, über die Produktion bis eben hin zur Regie, die wesentlichen Arbeiten eines Films selbst ausführt, war es eine der seltenen Gelegenheiten, nach Vorlage zu drehen. Es muß ihn gereizt haben, da er hier den Weg, den er schon mit CRASH (1996) und SPIDER eingeschlagen hatten, konsequent fortführen konnte: Er, der Meister des sogenannten Body Horror, dessen Interesse immer in der graphisch explizit dargestellten Transformation des Individuums in etwas anders, Fremdes, gelegen hatte, begann mit den genannten Filmen, sich eher an der psychischen Disposition solcher Verwandlungen abzuarbeiten. Schon DEAD RINGERS (1988) und auch M. BUTTERFLY (1993) hatten die blutigen Exzesse der früheren Filme weitestgehend hinter sich gelassen, SPIDER konzentrierte sich gänzlich auf die verstörende Welt seines Protagonisten, die weder für diesen, noch für den Zuschauer, trennbar war zwischen Innen und Außen, A HISTORY OF VIOLENCE stellt ein mutiges Bindeglied zwischen der sichtbaren Zerstörung des Körpers und der inneren Verwandlung her, die später, in einem Werk wie dem strengen A DANGEROUS METHOD (2011), vollends durchdekliniert und ausgespielt wurde.

Der Hauptprotagonist in A HISTORY OF VIOLENCE, Tom Stall, trägt tief in sich verborgen seine frühere Identität Joey Cusack mit sich herum, ein eiskalter Killer, der einst für ein Verbrechersyndikat in Philadelphia mordete, das unter der Leitung seines Bruders steht. Es ist eine darstellerische Meisterleistung, wie Viggo Mortensen, der hier erstmals mit Cronenberg zusammenarbeitete, diese beiden Wesen in einem Körper vermittelt, ohne dabei zu chargieren, lediglich mit minimalen Effekten – einem Blick, einer Versteinerung der Mimik, kleinen Gesten – zeigt, wie das alte Ich dieses doch scheinbar so liebevollen Familienvaters aus der Provinz hervortritt. Sicher, die markantesten Signale, daß da jemand immer noch, tief verborgen in Tom Stall, virulent ist, sind die Methoden, die Schnelligkeit und Effizienz, mit der es Tom gelingt, zwei Killer außer Gefecht zu setzen, die sein Diner in einer  Kleinstadt irgendwo in Indiana überfallen wollen. Dasselbe sehen wir – und Toms schockierte Familie – als die Gangster, die durch die Fernsehberichte über den „Helden von Millbrock“ landesweit zu sehen sind, auf ihren alten Kumpel Joey aufmerksam werden, vor dessen Haus auftauchen und seinen Sohn zu erschießen drohen. Auch hier setzt der biedere Familienvater sich massiv zur Wehr, tötet zwei seiner Widersacher mit gezielten Schlägen gegen Nasenbein und Kehlkopf, bzw. exakten Schüssen ins Herz. Und wird schließlich, als der letzte verbliebene Gangster auf ihn zielt, von seinem Sohn gerettet, der kurzerhand die familieneigene Schrotflinte an sich nimmt und den Mann hinterrücks erschießt.

Dieser Sohn, Jack Stahl, wird als ein ruhiger, wortgewandter Junge in den Film eingeführt, der sich gegen zwei Schulschläger zur Wehr setzen muß, die ihn als homosexuell outen wollen, was er sichtlich nicht ist, und ihn massiv mobben. Gelingt es ihm zunächst, sich verbal zur Wehr zu setzen, erleben wir ihn erstmals gewaltbereit, als es in einem Schulkorridor vor etlichen Zuschauern zu einer Auseinandersetzung kommt, bei der eine enorme Gewaltbereitschaft aus Jack hervorbricht. Er schlägt gleich drei seiner Peiniger derart brutal zusammen, daß diese sich nicht mehr rühren können. Dies und die Reaktion, mit der er seinem Vater zur Hilfe kommt, könnte im Kontext eines herkömmlichen Hollywood-Films durchaus als jene beherzte Art gelesen werden, mit der dort unterdrückte Jugendliche sich schließlich zur Wehr setzen und die amerikanische Familie als Hort der Sicherheit gefeiert wird, die schlußendlich auch mit Waffengewalt zu verteidigen ist.

Doch Cronenberg macht daraus mehr. Die Effizienz, mit der Jack in der Lage ist, seine Gegner in der Schule außer Gefecht zu setzen, erinnert nicht von ungefähr an jene, die Tom im Diner an den Tag gelegt hatte. Und da Tom schließlich seine Familie verläßt, um sich als Joey seinem Bruder zu stellen, der ihn aufgrund all des Ärgers, den Joey ihm einst gemacht hat, welcher ihn eine leitende Funktion im Syndikat gekostet hatte und wegen derer Joey überhaupt erst die Stadt verlassen und eine andere, neue Identität annehmen musste, am liebsten unter der Erde sähe, müssen wir gewärtigen, daß die Familie, dieser heilige Hort der amerikanischen Gesellschaft, eben auch die Keimzelle der Gewalt ist. Sie ist zwischen den Brüdern virulent, sie ist aber auch in Toms Familie angelegt, wie Jacks Reaktionen eindrucksvoll beweisen.

Ohne, daß Cronenberg es explizit so zeigen, thematisieren oder erklären würde, deutet A HISTORY OF VIOLENCE an, daß die Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft gleichsam genetisch verankert ist, eine tiefsitzende kulturelle Kontinuität aufweist. Jack schlägt mit ungeheurer Durchschlagskraft und ebenso treffsicher in der Schule zu, er tötet Carl Fogarty ebenso eiskalt, wie es sein Vater mit den Kerlen im Diner getan hatte. Tom sucht seinen Bruder auf und stellt sich ihm und dieser lässt keinen Zweifel daran aufkommen, daß Tom sein Haus nicht lebend verlassen wird. Und wieder erweist sich Tom als der Killer, der er offenbar einen Großteil seines Lebens gewesen ist. Er tötet die Männer seines Bruders und schließlich diesen selbst – ohne mit der Wimper zu zucken. Es scheint, als wäre diese Gewaltbereitschaft und die Befähigung, sie jederzeit ausbrechen zu lassen, genetisch in diesen Männern angelegt, ja, mehr noch, eine Bedingung ihrer Existenz. Es scheint aber auch so, als sei diese Gewaltbereitschaft und die Befähigung, sie jederzeit zur Anwendung zu bringen, eine Disposition der amerikanischen Gesellschaft. Fast wie eine Kulturtechnik mutet sie hier an. Kaum hat Tom die Verbrecher im Diner getötet, ist er ein TV-Held und ein anonymes Publikum ergötzt sich an seinen Taten und feiert ihn als wehrhaften Mann, der sich nicht alles gefallen lässt. Darin schwingt ein wenig jene Verehrung mit, die einst Bernhard Goetz erfuhr, nachdem er 1984 vier Afroamerikaner in der New Yorker U-Bahn erschossen hatte, die ihn wohl ausrauben wollten. Amerika liebt sie, jene Menschen, die sich zur Wehr setzen, die sich nicht herum schubsen lassen. Die sogenannten „Helden des Alltags“, auch wenn diese zu Killermaschinen mutieren. Oder gerade dann.

Es wurde gelegentlich darauf verwiesen, daß A HISTORY OF VIOLENCE im Grunde die Topoi des Westerns nutzt und bedient. Und daran ist einiges wahr. Es sind genau die Mechanismen, die im klassischen Western greifen. Die miesen Typen kommen in die Stadt und der brave Familienvater setzt sich zur Wehr; ein Mann muß sich seiner Vergangenheit stellen und bemächtigt sich dafür gewaltsamer Mittel, die kathartisch wirken und ihn und symbolisch die Gesellschaft, die er vertritt, reinwaschen. Anthony Manns MAN OF THE WEST (1958) steht exemplarisch für letztere Wendung. Doch was der Western im Mythos verortet, in einer historischen Nicht-Zeit, zeigt Cronenberg als ausgesprochen realistische Haltung der zeitgenössischen Gesellschaft. Die Familie, so analysiert es Cronenberg, gebiert die Gewalt. Und es ist die Provinz, jenes Heartland, wo angeblich das „wahre“ Amerika zuhause ist, die dieser Familie eine Heimat ist. So holt David Cronenberg die gesellschaftlich akzeptierte Gewalt aus der Mythisierung zurück in die kalte Wirklichkeit, zurück in eine Gesellschaft, die sich an ihr ebenso ergötzt, wie sie sie goutiert, in jedweder Form. Laut A HISTORY OF VIOLENCE bedingen Familie und Gewalt einander.

Doch gänzlich dem Mythos entsagen will auch Cronenberg nicht. Und so liegt dem Duell Joey und Richie Cusack natürlich auch das Motiv des Brudermords, die Geschichte von Kain und Abel, zugrunde. Doch Cronenberg wäre nicht Cronenberg, würde er nicht auch diesen Mythos durchdringen, pathologisieren und somit dekonstruieren. Seinem Interesse an der Psychoanalyse entsprechend, lässt er den von William Hurt bedrohlich brillant gespielten Richie die Klage des Erstgeborenen anstimmen. Wie er vom symbolischen Thron gestürzt wurde und den kleinen Bruder töten wollte, schon als Kind. Doch ist es am Ende Joey/Abel, der kleine Bruder, der den Älteren tötet. Cronenberg bürstet also auch diesen Mythos gegen den Strich und macht sichtbar, was wir gern verdrängen. Mag Richie auch der Kopf einer Bande sein, mag er auch ein schloßartiges Anwesen sein Eigen nennen, mag er auch Macht, Reichtum und Einfluß gewonnen haben, der effizientere, der treffsicherere, der gewaltbereitere, der letztendlich brutalere der beiden Brüder, behält die Oberhand.

Die Gewalt in A HISTORY OF VIOLENCE kommt jedoch nicht nur in den expliziten Ausbrüchen zum Vorschein, sondern auch in subtiler Form. Da ist die Ohrfeige, die Tom seinem Sohn gibt, als dieser ihn sarkastisch darauf hinweist, daß der Vater, der darauf besteht, daß Konflikte mit Worten zu lösen seien, immerhin zwei Menschen getötet habe. Offensichtlich erschreckt nicht nur Jack über diesen Ausbruch, sondern auch Tom. Deutlicher und dennoch subtil, kommt die Gewalt in zwei anderen Szenen zum Vorschein. Tom und seine Frau Edie haben zweimal im Film Sex. Beim ersten Mal ist es in einem Motel, wo sie sich einem Rollenspiel hingeben, in welchem Edie die Position einer Cheerleaderin einnimmt, die sich dem starken Typen im Footballteam hingibt. Sie wolle, so ihre Erklärung, jene Jugendzeit nachholen, die sie und Tom nie gemeinsam hatten. Cronenberg zeigt diese Szene zwar als zärtliches Liebesspiel, dennoch bleibt ein seltsamer, unguter Beigeschmack. Der kulturell Interessierte weiß, wie häufig gerade in dieser im Film lediglich gespielten Rollenverteilung sexuelle Gewalt vorkommt, zudem ist das ganze Wesen des Cheerleadings sexuell aufgeladen. Die zweite Sexszene spielt sich nach der Entlarvung Toms als Killer ab. Sie ist von Anfang an aufgeladen und entspricht im Kern einer Vergewaltigung. Dennoch gibt sich Edie ihrem ihr entfremdeten Mann hin. Cronenberg bedient hier mitnichten jenes frauenverachtende Vorurteil, eine Vergewaltigung sei doch eigentlich gewollt. Viel mehr zeigt er hier die entfesselte Lust, die dieses Paar in jenem Moment entfacht, da die Masken fallen und keine Rollenspiele, keine Vortäuschungen mehr von Nöten sind. Dies korrespondiert damit, daß Edie Tom schützt, als der Sheriff diesen zur Rede stellen will, da er ihm den langweiligen Diner-Besitzer nicht mehr abnimmt. Als sei Tom befreit, sein wahres Ich zu zeigen, als sei jenes Tier in ihm entfesselt, das Joey einst war, und das er mit seiner Tom-Werdung hinter sich gelassen glaubte. Als der brutale Akt auf der Treppe des heimatlichen Zuhauses vollzogen ist, lässt Edie ihren Mann dort liegen und zieht sich zurück. Nicht gramgebeugt oder verletzt, sondern gewiß, nun den wirklichen Mann hinter all den Rollen und Masken entdeckt und kennen gelernt zu haben.

Es bleibt in der Familie? Es bleibt in der Familie – mit allen Konsequenzen, die das bedeutet. Die Familie – ob die Brüder Richie /Joey, oder die „gesunde“ amerikanische Kleinfamilie, die sich umeinander kümmert und sorgt – ist der Ort, wo Gewalt entsteht, wo sie sich ausbreitet und wo sie ihre Nahrung findet, um langsam in die Gesellschaft einzusickern. Und es ist die Provinz, die wie ein Katalysator für diese Gewalt wirkt. Fogarty und Richie wenden Gewalt institutionell an, sie sind nicht am Exzess interessiert, sondern an Effizienz. Sicher, Fogarty will Rache für das, was Joey ihm einst angetan hat, doch er will dafür nicht mehr Gewalt anwenden, als unbedingt nötig; Richie will seinen Bruder loswerden, weil der erneut seine Kreise zu stören droht. Rationale Begründungen, rationales Handeln zeichnet beide aus. Richie und Fogarty sind Ausgeburten der Großstadt. Die Killer, die zu Beginn des Films das Diner überfallen, und auch Tom, wenden Gewalt exzessiv an, fast lustvoll. Sie werden ausschließlich als Wesen der Provinz gezeigt.

So bringt David Cronenberg in A HISTORY OF VIOLENCE einige Themen zusammen, die ihn in seinen Filmen immer schon umgetrieben haben und doch gelingt ihm mehr. Der Kanadier Cronenberg wirft einen distanzierten Blick auf den südlichen Nachbarn, auf dessen Fixierungen, und unterzieht ihn einer gnadenlosen Analyse. So, wie in seinen frühen Filmen immer wieder Körper Transformationen und Mutationen unterzogen wurden, bei denen sich etwas anderes, tiefer Liegendes, Bahn brach, so bricht in Tom/Joey symbolisch jene Gewalt hervor, die in der U.S.-amerikanischen Gesellschaft immer schon am Werke war, die sie geprägt hat, die sie in ihren Filmen, ihrem Sport und der Politik verherrlicht und immer wieder anwendet, um durchzusetzen, was sie für Recht hält. Daß diese Verwandlung die Gesellschaft, die Protagonisten, bleibend verändern wird, verdeutlicht die Schlußszene des Films. Tom – oder doch Joey? – kehrt heim, Frau und Sohn sitzen reglos beim Essen, nur Tochter Sarah steht auf und gibt dem heimgekehrten Vater einen Teller. Niemand rührt sich, alles friert ein. Diese Familie kennt nun ihre Geheimnisse. Ob sie damit wird leben können, lässt der Film auf beunruhigende Art und Weise offen. Denn es ist der Blick des Killers, mit dem Tom seine Familie ansieht, der Blick, mit welchem er seinen Bruder tötete.

Es ist auch ein kühler, wenn nicht gar kalter Blick, den Cronenberg auf Amerika richtet und der nichts Gutes verheißt. Ob diese Gesellschaft Heilung erfährt, Katharsis durch Gewalt, wie sie sich immer wieder suggeriert, lässt der Regisseur ebenso offen, wie er stellvertretend die Regeneration dieser Familie offen lässt. Die Vermutung liegt nah, daß eine Familie, eine Gesellschaft, die die Gewalt in ihr Herz lässt, keinen Weg aus der Spirale, die das freisetzt, jemals wird finden können. So mag dieser Film zwar eine Auftragsarbeit gewesen sein, doch eignet sich der Regisseur – der das Drehbuch massiv be- und umgearbeitet haben soll – das Material an und macht es zu seinem ureigenen. A HISTORY OF VIOLENCE sticht unter den späten Filmen David Cronenbergs deshalb hervor, weil er kühl in der Analyse, weil er exakt, weil er kompromißlos und brutal effizient ist. Und sehr, sehr verstörend.

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