DER DIEB VON BAGDAD/THE THIEF OF BAGDAD
Das leider nicht allzu gut gealterte Meisterwerk aus dem Jahr 1940
Ein Blinder bettelt auf den Straßen Bagdads. Als eine Prozession aus dem Palast vorbeizieht, werden er und sein ihm treu ergebener Hund mitgenommen. Im Palast wird er von den Frauen dort angehalten seine Geschichte zu erzählen: Einst war er ein mächtiger Prinz – Prinz Ahmad (John Justin). Doch durch eine Intrige seines Großwezirs Jaffar (Conrad Veidt) wird er verraten und in den Kerker geworfen. Dort trifft er auf Abu (Sabu), einen äußerst geschickten und bodenständigen Jungen, der sich als Dieb in den Straßen der Stadt verdingt. Die beiden schließen Freundschaft und durch Abus gewitzte Art können sie dem über sie verhängten Urteil – der Todesstrafe – entgehen. Sie fliehen in die Stadt Basra.
In Basra regiert ein kindlicher Sultan (Miles Malleson), der eine riesige Spielzeugsammlung sein Eigen nennt. Nichts geht ihm über diese, nicht einmal seine Tochter, die Prinzessin (June Dupraz). Eines Tages wird Ahmad der Prinzessin ansichtig – obwohl der Sultan über jeden einen Bann verhängt hat, der seine Tochter erblicken sollte. Erneut mit Abus Hilfe gelingt es Ahmad, die Prinzessin zu treffen und sie kennenzulernen. Die beiden verlieben sich sofort ineinander.
Jaffar, mittlerweile selbst ernannter Kalif von Bagdad, trifft in Basra ein. Auch er liebt die Prinzessin. Um ihrer habhaft zu werden, bringt er ein fliegendes Pferd als Geschenk an den Sultan in den Palast. Nach einem Ritt durch die Lüfte über der Stadt, ist dieser sofort einverstanden, Jaffar die Hand seine Tochter anzuvertrauen. Doch verabscheut die Prinzessin Jaffar. Mit Hilfe ihrer Zofen flieht sie aus dem Palast und reitet davon.
Ahmad und Abu werden im Garten des Palasts gefangen genommen, wo der Prinz die Prinzessin erwartet hatte. Sie werden dem Sultan vorgeführt. Jaffar, der ebenfalls zugegen ist, fühlt sich durch Ahmad bedroht, da er in ihm den Nebenbuhler erkennt, und nimmt ihm mit einem Fluch das Augenlicht, Abu verwandelt er in einen Hund.
Die Prinzessin ihrerseits fällt einem Sklavenhändler in die Hände. Dieser verkauft sie an Jaffar. Doch kann der seine Liebe nicht genießen, da die Prinzessin in einen Schlaf gefallen ist, aus dem sie nur noch die wahre Liebe – die Liebe Ahmads – erwecken kann.
Ahmads Geschichte endet hier. Eine der Damen, die ihm lauschen, ist eine Agentin Jaffars. Sie erklärt ihm, die Prinzessin sei hier, im Palast. Jaffar hatte den Blinden erkannt und mitnehmen lassen, da er sich durch Ahmads Anwesenheit erhofft, die Prinzessin erwecken zu können. Als Ahmad zu ihr geführt wird, geschieht genau das: Die Prinzessin erwacht. Entsetzt muss sie jedoch feststellen, dass ihr Geliebter ohne Augenlicht ist, doch versichert Ahmad ihr, dass ihre pure Anwesenheit sein Glück sei.
Dieses Glück währt nicht lang, da Jaffar die Prinzessin an Bord eines seiner Schiffe entführt und in See sticht. Abu, immer noch in der Gestalt eines Hundes, schleicht sich an Bord, wird dort aber entdeckt und über Bord geworfen. Jaffar erklärt der Prinzessin, dass der Fluch, der auf Ahmad und seinem Freund liegt nur aufgelöst werden kann, wenn sie sich in seine Arme begebe. Also ergibt sie sich. Ahmad, am Hafen zurückgeblieben, erhält plötzlich sein Augenlicht wieder, Abu, der gerade aus dem Hafenbecken steigt, seine menschliche Gestalt.
Sofort nehmen die beiden in einem kleinen Boot die Verfolgung auf. Als sie das Schiff beinahe eingeholt haben, entdeckt Jaffar sie und entfesselt einen Sturm in welchem ihr Boot kentert, Abu und Ahmad werden getrennt.
Abu kommt zu sich und liegt an einem endlos wirkenden, einsamen Strand. Hier befreit er zunächst aus Versehen einen Dschinn (Rex Ingram) aus einer Flasche. Es gelingt Abu, den Dschinn, der ihn gleich zerquetschen will, mit einer Liste dazu zu bringen, freiwillig wieder in die Flasche zurückzukehren. Nun erzwingt Abu sich drei Wünsche von dem Dschinn, sollte er ihn erneut aus der Flasche entlassen. Der Dschinn willigt ein.
Abus erster Wunsch ist eine Bratpfanne voller Bratwürste, wie sie einst seine Mutter gemacht hat. Nachdem er seinen Hunger stillen konnte, will Abu wissen, wo sein Freund Ahmad ist. Dazu, erklärt der Dschinn, müsse er das allsehende Auge in seinen Besitz bringen, welches sich in einem Tempel auf dem Gipfel des höchsten Berges der Welt befinde. So lautet Abus zweiter Wunsch, dass der Dschinn ihm helfe, seinen Freund zu finden, wozu er ihn zunächst dort hinbringen muss.
Auf dem Gipfel angelangt, muss Abu eine gewaltige Tempelstatue erklimmen, verfolgt wird er von seltsam anmutenden Wesen, welche den Tempel zu bewachen scheinen. Abu wird mit einer riesigen Spinne konfrontiert, die er bezwingen kann. Dann gelangt er in den Besitz jenes Kristalls, der das allsehende Auge genannt wird. In ihm kann er Ahmad entdecken, der irgendwo durch ein zerklüftetes Gebirge klettert. Der Dschinn bringt Abu zu seinem Freund und erfüllt damit Abus zweiten Wunsch.
Währenddessen bemüht sich die Prinzessin, ihren Vater von Jaffars bösen Absichten zu überzeugen. Doch Jaffar überwältigt die Prinzessin zunächst mit dem Duft einer blauen Blume, die ihr die Erinnerung an Ahmad, ja sogar an sich selbst nimmt, dann besticht er den Sultan mit einem neuen Spielzeug: Es ist eine mehrarmige Statuette, die einen verführerischen Tanz aufführt. Der kindliche Sultan will sie umarmen und küssen, doch erdolcht die Statuette ihn.
Das sehen Ahmad und Abu im Kristall. Ahmad verflucht sein Leben und behauptet lieber nichts mehr sehen zu wollen, als gegen das, was er sehe, nichts ausrichten zu können. Abu, dem die Liebe seines Freundes zur Prinzessin nie ganz geheuer war, hatte er doch gehofft, dass sie gemeinsam Abenteuer erleben würden, ärgert sich und wünscht sich Ahmad fort, am besten nach Bagdad. Der Dschinn nimmt dies als Abus dritten Wunsch, versetzt Ahmad in die Stadt und fliegt dann lachend davon. Abu bleibt allein in der Einöde des Gebirges zurück.
Abu in seiner Wut zerschlägt den Kristall des allsehenden Auges, wodurch die Berge ins Wanken kommen und das ganze Gebirge schließlich zusammenbricht. Abu wird in einen taumelnden Sog hineingezogen und findet sich schließlich in einer völlig veränderten Landschaft wieder.
Hier wird er eines riesigen Zeltlagers gewahr. Dort trifft er auf alte, offenbar sehr wiese Männer. Diese, so behaupten sie, hätten zweimal 2000 Jahre gewartet, bis dieser Junge, der Abu sei, erschiene. Ein Kind, das an die Wunder glaube und sie, die sich einst aus Verbitterung über die Schlechtigkeit des Menschen in Felsen verwandelt hätten, erwecken würde. Er, Abu, sei der Auserwählte. Alles, was er sehe, das Land, aller Reichtum, all das gehöre nun ihm. So erhält er eine magische Armbrust, deren Pfeile immer träfen, solange sie im Kampf gegen die Ungerechtigkeit abgeschossen würden. Einzig einen fliegenden Teppich behält der Anführer der Weisen für sich selbst vor, will er mit diesem dereinst doch ins Paradies hineinfliegen.
Abu, der Dieb von Bagdad, begeht einen letzten Diebstahl, für den er sofort Allah um Vergebung bittet, doch benötige er den Teppich um rechtzeitig nach Bagdad zu gelangen, wo sein Freund Hilfe brauche. Ohne Abus Wissen beobachtet der Weise ihn, wohlgefällig lächelnd, weil auch diese tat schon in der Prophezeiung vorhergesagt war und diese sich somit vollends erfüllt.
Ahmad konnte derweil mit der Kraft seiner Liebe die Prinzessin an sich erinnern, doch nun wurden beide von Jaffar zum Tode verurteilt. Ahmad soll der Kopf abgeschlagen werden und der Henker erhebt schon sein Beil, als Abu der Prophezeiung entsprechend auf einer „einem Teppich gleichenden Wolke“ aus dem Himmel hinunterkommt, er, der „Niedrigste der Niedrigen, ein Knabe“ und den Tyrannen mit dem Pfeil der Gerechtigkeit niederstreckt.
Es kommt zu einem Aufstand des Volkes, den Ahmad und Abu unterstützen. Als Jaffar auf dem fliegenden Pferd, das er einst dem Sultan geschenkt hatte, zu entkommen sucht, tötet Abu ihn mit dem Pfeil der Gerechtigkeit.
Ahmad und die Prinzessin heiraten und Ahmad, nun wieder Kalif, erklärt dem Volke, dass Abu sein neuer Großwezir werde, sobald seine Ausbildung abgeschlossen sei. Doch Abu erkennt darin keine ihn befriedigende Perspektive – er will lieber weitere Abenteuer erleben und fliegt auf dem Teppich davon.
Den heute Fünfundfünfzig- bis Sechzigjährigen (und natürlich auch Älteren, die den Film tatsächlich im Kino gesehen haben könnten) dürfte Alexander Kordas THE THIEF OF BAGDAD (1940) vor allem eine Erinnerung an Sonntagnachmittage ihrer Kindheit bedeuten, lief der Film seinerzeit, also in den frühen 70er Jahren, doch häufig im Fernsehen und verbreitete seinen Zauber so auch an und in eine(r) Generation, die erst Jahrzehnte nach seinem Erscheinen geboren wurde. Und so mag es sein, dass sich der Film auch heute noch seine immer schon hohe Reputation erhalten hat, obwohl eine erneute Betrachtung durchaus beweist, dass er nicht wirklich gut gealtert ist. Erst recht nicht im Vergleich zu ähnlichen Werken des Fantasy-Genres.
Doch first things first: Weshalb ist THE THIEF OF BAGDAD ein Alexander-Korda-Film, werden Filme doch meist mit ihren Regisseuren, weniger mit den dahinterstehenden Produzenten assoziiert? Korda allerdings, der schon früh aus dem heutigen Österreich gen Hollywood, später nach England emigriert war und dort ein eigenes Film-Studio aufgebaut hatte, war keineswegs nur ein Produzent, sondern durchaus auch ein renommierter Regisseur. Mit einem seiner größten Erfolge, THE PRIVATE LIFE OF HENRY VIII. (1933), den Korda sowohl produzierte als auch inszenierte, verhalf er dem großartigen Schauspieler Charles Laughton zu dessen endgültigen Durchbruch als internationaler Top-Star. Korda seinerseits ist jener Riege von Produzenten zuzurechnen, die sich immer auch als künstlerischer Mastermind hinter den von ihnen produzierten Werken verstanden haben. Der langjährige MGM-Produzent und von F. Scott Fitzgerald als „letzter Tycoon“ verewigte Irving Thalberg oder auch David O. Selznick, der für die Produktion von GONE WITH THE WIND (1939) verantwortlich zeichnete, sind vergleichbare Charaktere. Wie Selznick, legte auch Korda gern letzte Hand an die von ihm verantworteten Filme, auch wenn er nicht immer als Regisseur genannt wurde.
Im Falle von THE THIEF OF BAGDAD war es so, dass es zwischen Korda und dem nominellen, von ihm selbst engagierten Regisseur Ludwig Berger von Beginn der Dreharbeiten an künstlerische Differenzen gegeben hatte. Das führte schlussendlich dazu, dass nicht nur Berger und neben ihm der damals noch recht junge und unerfahrene Michael Powell (THE RED SHOES/1948; PEEPING TOM/1960) sowie Hollywood-Veteran Tim Whelan (THE MURDER MAN/1935) im Regiestuhl Platz nahmen, sondern auch – ungenannt – William Cameron Menzies (THINGS TO COME/1936) und eben Korda selbst. Betrachtet man das daraus entstandene Produkt heute, meint man, ihm die zwangsläufig daraus entstandenen Diskrepanzen und Disruptionen förmlich ansehen zu können. Denn so sehr der Film auch für seine, für damalige Zeiten tatsächlich bahnbrechenden Spezialeffekte[1] und vor allem auch für das Szenenbild, Ausstattung und Bauten, für welches ebenfalls Menzies verantwortlich zeichnete, gelobt wurde – man spürt eine Inkohärenz in der Inszenierung.
So ist es vor allem Korda und seinem unbändigen Willen zu verdanken, dass dieses Projekt überhaupt verwirklicht wurde, dass es aussieht, wie es aussieht – nämlich prächtig – und dass es all die Aufmerksamkeit seitens der Geldgeber bekam, die es brauchte, um dieses farbenfrohe und unterhaltsame Märchen auf die Leinwand zu bringen. Es wurden keine Kosten gescheut, der Film ist im Format und in seiner Technicolor-Farbenpracht deutlich als herausgehobene Produktion seiner Zeit zu erkennen. Der Ausbruch des 2. Weltkriegs erforderte massive Umplanungen in der Produktionsorganisation – statt an Schauplätzen in Nordafrika, was dem Film vielleicht etwas mehr Authentizität verliehen, ihm möglicherweise aber das Entrückte genommen hätte, musste in Nordamerika gedreht werden; teils musste das Team kurzfristig ersetzt werden usw. – und immer wieder kam es zu kriegsbedingten Produktionsstopps, die teils Monate dauerten.
Es ist dem Drehbuch von Lajos Biró und Miles Malleson zu verdanken, dass der Film – trotz eines regelrechten Bruchs etwa in der Mitte, wenn Prinz Ahmad und sein treu ergebener Freund Abu, der titelgebende Dieb von Bagdad, getrennt werden und letzterer in jene Märchenwelt eintritt, deren Darstellung dem Film mit den hier auftretenden seltsamen Wesen und dem auf Spezialeffekten beruhenden Spektakel sein Renommee eingetragen hat. Doch gelingt es den Autoren, eine kohärente Erzählung zu kreieren, die von Erweckungen und Initiationsriten berichtet. Ahmad muss die geliebte Prinzessin aus jenem Schlaf reißen, in welchen sie nach der Trennung von ihm gefallen ist, Abu erweckt mit einer allerdings impulsiven und somit nicht gewollten Tat jene weisen Männer, die ihm schließlich die Werkzeuge in die Hand geben, um seine Mission zu erfüllen. Dass er, Abu, selbst einer Prophezeiung entspricht und gerecht wird, ist natürlich dem märchenhaften Charakter des Ganzen geschuldet. Darüber hinaus gelingt es Biró und Malleson aber auch, eine Reihe von Figuren zu entwerfen, die einerseits ihre einem Märchen entsprechende Funktion erfüllen – der Prinz, die Prinzessin, der „böse“ Großwezir, der kindliche Sultan usw. – die aber andererseits vielschichtig genug angelegt sind, um das Interesse des Publikums zu wecken. So nimmt man dem von Conrad Veidt gespielten Großwezir Jaffar zwar seine Boshaftigkeit ab, aber ebenso, die Prinzessin wirklich zu begehren (um von der Liebe nicht zu sprechen); der Sultan mit seiner Vorliebe für Spielzeug – von Ko-Autor Melleson mit liebevoller Verzücktheit gespielt -, sorgt für einen gewissen Humor in der Handlung, der zugleich aber etwas Bedrohliches hat, spürt man doch, dass dieser Mensch alles opfern würde, um seine Obsession zu befriedigen; zwischen Ahmad und Abu herrscht nicht nur sorgloses Einerlei, vielmehr spielen Eifersucht und unterschiedliche Motive in ihrer Freundschaft eine Rolle. Und Abu macht eine tatsächliche Entwicklung durch, bedenkt man die Verfolgungsjagd, die er zu Beginn des Films scheinbar um ihrer selbst willen initiiert im Vergleich zu seinem Kampf mit der riesigen Spinne, wenn es tatsächlich darum geht, seinem Freund zur Hilfe zu eilen. Dieser Junge hat gelernt, Verantwortung zu übernehmen – und ist, wie seine Reaktion auf das Angebot der weisen Männer in ihrer Welt ein Reich zu regieren zeigt, immer noch bodenständig geblieben. Es ist ein gutes Drehbuch, das den Film im Innern zusammenhält. Und doch kann es gewisse Schwächen nicht kaschieren; vielleicht sind es Schwächen, die schon in ihm angelegt sind.
Der erste Teil des Films besticht formal vor allem durch die bereits erwähnten Bauten und seine Ausstattung. Vor dem Hintergrund des während der ersten Produktionsphase beginnenden Krieges erstaunt es, wie überwältigend jene Ereignisse in Szene gesetzt wurden, die in Bagdad spielen und in denen die Geschichte des blinden Mannes erzählt wird; er eigentlich ein Prinz, sein Hund eigentlich ein Mensch, nämlich der besagte Dieb von Bagdad. Kamera und Inszenierung schwelgen geradezu darin, dem Publikum überwältigende Set Pieces zu bieten: Der Hafen mit einer ganzen Riege unterschiedlicher Schiffe, der quirlige Bazar, die belebte Stadt, der prächtige Palast und die dahinter liegenden Berge, die das Hintergrund-Panorama der Mise en Scene bieten.
Orientiert an den Erzählungen aus TAUSENDUNDEINER NACHT und der Erstverfilmung des Stoffes aus dem Jahr 1924 (mit welcher Kordas Version allerdings nur teilweise Übereinstimmungen aufweist) bietet der Film das Bild eines Fantasie-Orients, der unmittelbar einschlägigen Kinderbüchern des 19. Jahrhunderts entsprungen scheint. In sattem Technicolor explodieren die Farben geradezu und werden die Zuschauer*innen gleichsam in dieser Buntheit ertränkt. Und obwohl wir es noch lange nicht mit den erwarteten Mythen-Figuren zu tun bekommen, lässt die Inszenierung keinen Moment einen Zweifel daran aufkommen, dass man es hier mit allem möglichen, nur nicht mit einem Abbild irgendeiner Realität, weder einer gegenwärtigen, noch einer vergangenen, zu tun hat.
Inhaltlich ist der Film in diesen Szenen noch weit von den Märchen- oder Fantasy-Elementen der zweiten Hälfte entfernt. Geboten wird eher ein mit einer gewissen Komik durchsetztes romantisches Drama, das eher an herkömmliche Hollywood-Romanzen erinnert, weist es doch wenig bis keine originellen Einfälle auf, was bspw. das Verhältnis des Helden zum Objekt seiner Begierde betrifft. Lediglich die Auseinandersetzungen zwischen dem idealistischen, in Träumereien schwelgenden Prinzen und dem bodenständigen Abu, der die Härten des Lebens kennt, sorgen hier für Abwechslung vom Hollywood-Einerlei. Um dem Affen Zucker zu geben, wird das Ganze dann zu einer Hatz nach der Prinzessin und somit zu einem Abenteuer. Inszeniert ist dies in einem Mid-Tempo; die Bewegungen und das Verhältnis der Protagonisten zum und im Raum und zur ausgesprochen beweglichen Kamera von Georges Périnal erinnern allerdings an die Inszenierung klassischer Musicals im Stile der MGM-Studios oder auch eines Busby Berkeley. So unterstützen auch diese Elemente – und die unverfälschte Studio-Atmosphäre – den Märchencharakter der Erzählung.
Aufgrund all der Schauwerte, die der Film in dieser ersten Hälfte zu bieten hat, fällt wahrscheinlich die Umständlichkeit, mit der erzählt wird, weder sonderlich auf noch sonderlich ins Gewicht. Der Film beginnt mit im Grunde zu langen Einstellungen und Impressionen vom Hafen und dem Bazar, wechselt dann zu dem blinden Ahmad und seinem Hund, der von dem durch die Stadt defilierenden Jaffar erkannt und in den Palast verbracht wird, wo er in einer längeren Rückblende von den Geschehnissen erzählt, die sein Schicksal einst besiegelten, um dann in die eigentliche Geschichte einzusteigen. Zu dem Zeitpunkt sind allerdings bereits weit über zwanzig Minuten Laufzeit des Films vergangen. Schon hier, in der Inkohärenz der Erzähltechnik(en), derer der Film sich bedient, wird deutlich, dass da ganz unterschiedliche Regisseure mit unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Vorstellungen am Werk waren.
Jene Episoden und Szenen, für die der Film am ehesten noch heute berühmt ist und weshalb er bei der eingangs erwähnten Alterskohorte wohlige Erinnerungen evozieren dürfte, beginnen samt und sonders erst in der zweiten Hälfte. Die allerdings wirkt wie ein komplett eigenständiges, unabhängiges Werk, welches sich von der – immerhin noch eine gewisse Realität, wenn auch eine rein filmimmanente, behauptenden – ersten Hälfte entkoppelt. Trat dort zwar ein fliegendes Spielzeugpferd auf, wird die Fantastik der Geschichte aber doch noch weitestgehend zurückgedrängt. Nun, mit Abus Ankunft an einem fernen Strand, beginnt der vollkommen der Märchenwelt aus TAUSENDUNDEINER NACHT verpflichtete Fantasyfilm. Abu befreit einen Dschinn, der ihm dadurch drei Wünsche schuldig ist. So gelangt der jugendliche Dieb auf den höchsten Berg der Welt, das „Dach der Welt“, wie der Dschinn erklärt, wo er nach dem Kampf mit einer riesigen Spinne in den Besitz des allsehenden Auges gelangt, wodurch es ihm möglich ist, Ahmads Aufenthaltsort zu bestimmen. Mit Hilfe des Dschinns kann Abu seinen Freund retten und ihm helfen, seine Geliebte wiederzusehen.
Es treten hier nun all die mythischen Märchengestalten auf, werden die Zuschauer*innen in jene Welten entführt, die kindliche Betrachter*innen des Films erwartet haben. Abu muss sich des riesenhaften Dschinns erwehren, der ihn einem Insekt gleich zerquetschen will. Der Palast, in welchem Abu das Auge finden wird, erinnert an Shangri-La, jenes Land im Himalaya, dessen Bewohner ewiges Leben erlangen. Der Kampf mit der Spinne, die Art, wie Abu deren Netz erklimmen muss, ist aufregend und spannend inszeniert und wurde später mannigfach kopiert, sei es in Filmen wie TARANTULA (1955), THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (1957) oder gar in Peter Jacksons THE LORD OF THE RINGS-Trilogie (ab 2001), in deren drittem Teil THE RETURN OF THE KING (2003) die Helden Sam und Frodo sich mit der riesenhaften Spinne Kankra auseinandersetzen müssen – eine Szene, die trotz der tausendfach besseren Technik in ihrer Inszenierung erstaunlich an Kordas Film erinnert und bei der man getrost annehmen darf, dass der Film-Weirdo Jackson das auch genau so wollte. Eine Hommage. Abu trifft schließlich auf einen Wüsten-Stamm, dessen weise alten Männer ihm offenbaren, seit undenklichen Zeiten auf ihn gewartet zu haben. Durch sie gelangt Abu in den Besitz jener Waffen, die es ihm erlauben werden, Ahmad und die Prinzessin vor dem sicheren Tod zu bewahren – und er erhält den fliegenden Teppich, der ihn rechtzeitig zurück nach Bagdad bringt, um seine Rettungstat auch umzusetzen. All diese Begebenheiten sind reine, zutiefst orientalische Märchenerzählungen.
Diese zweite Hälfte des Films ist aufregend, temporeich, actiongeladen. Erneut sind es überwältigende Schauwerte, mit denen der Film zu überzeugen weiß. Sicher, verglichen mit den heutigen CGI-basierten Effekten ist dies alles kaum der Rede wert, doch wer noch eine wenig der alten Film-Magie in sich trägt – und da sind wir erneut bei der oben erwähnten Kohorte – wird den Zauber verstehen, der nach wie vor von all dem ausgeht. Man spürt die Liebe, die in die Ausgestaltung dieser Szenen investiert, man spürt die Hingabe, mit der hier jedes Bild, jede Einstellung entworfen und umgesetzt wurde. Und doch ist auch am Ende des Films erneut ein Bruch spürbar. Spätestens wenn Abu seinem Freund Ahmad zur Hilfe eilt und den Henker in eben jenem Moment mit einem seiner Pfeile niederstreckt, da dieser Ahmad den Kopf abzuhacken gedenkt, wenn die beiden dann den Palast stürmen, um die Prinzessin zu befreien und dabei Ahmad und Jaffar zum finalen Kampf aufeinandertreffen, bekommt der Film eine Härte, die er zuvor nicht hatte und die seinen märchenhaften Charakter unterläuft – auch, wenn diese Härte vielleicht der Vorstellung vom „grausamen Orient“, wie ihn das 19. Jahrhundert verbreitet haben mag, entsprechen dürfte. Da werden auf einmal klaffende Wunden gezeigt, wenn die Schwerter zuschlagen, Pfeile dringen in Körper ein und Jaffar wird gar von einem solchen direkt in die Stirn getroffen. Auch hier also ist erneut die Inkohärenz zu spüren, die den Film so uneinheitlich wirken lässt.
THE THIEF OF BAGDAD ist also – trotz all seines nicht zu leugnenden Charmes – nicht ganz so gut gealtert, wie man sich dies gewünscht hätte. Was den Film in Innern zusammenhält, sind ganz sicher die Schauspielerleistungen. Und da ist vor allem die Darstellung Conrad Veidts als Jaffar herauszuheben. Es gelingt ihm tatsächlich, dem Großwezir eine gewisse Tragik zu verleihen. Er ist ein Mann, der zwar Intrigen spinnt und grausam gegen seinen Herrn und Meister vorgeht, dennoch versteht man seine Sehnsucht nach der Liebe der Prinzessin. In mehreren Szenen, die die beiden – Jaffar und die Prinzessin – gemeinsam auf der Leinwand zeigen, nimmt man Jaffar sein Begehren ab. Und man versteht auch – sicher, eine etwas veraltete Sicht – seine Grausamkeit gegenüber den Liebenden, an denen er sich rächen will.
Die andere grandiose darstellerische Leistung des Films ist die Sabus, der Abu, den Titelhelden des Films spielt. Man nimmt ihm den fröhlichen Kerl, der auf Macht, Reichtum und den Glanz des Palasts verzichtet, um neue Abenteuer zu erleben, sofort ab. Entdeckt wurde er einige Jahre zuvor für die Rudyard-Kipling-Verfilmung ELEPHANT BOY (1937), bei der u.a. Zoltan Korda Regie führte, einer der Brüder von Alexander Kordas, auch er an THE THIEF OF BAGDAD beteiligt. Sabu war bis zu seinem frühen Tod mit gerade einmal 39 Jahren eine zumindest bescheidene Hollywood-Karriere vergönnt, allerdings spielte er nie wieder in einem so relevanten Werk wie diesem mit. Allenfalls die Realverfilmung von Kiplings JUNGLE BOOK (1942) wäre vielleicht vergleichbar, diese unter der Regie von Zoltan Korda.
Natürlich kann man THE THIEF OF BAGDAD auch heute noch betrachten, solange man sich den Willen bewahrt hat, der Verzauberung durch Filme anheim zu fallen, auch wenn man nun, Dekaden, nachdem man das alles erstmals sah, sofort die Schwachstellen erkennt, welche der Film wie gezeigt zuhauf aufweist. Man wird seinem Charme vor allem dann erliegen, wenn er die weiter oben erwähnten Erinnerungen an Sonntagnachmittage der Kindheit heraufbeschwört, die man – vielleicht im Advent oder in den trüben Monaten zu Jahresbeginn – auf der Couch verbracht hat, sich an all den im Nachmittagsprogramm laufenden Klassikern ergötzend. Doch wird es nicht gelingen, über die dramaturgischen Schwachstellen hinwegzuschauen. Im Vergleich mit anderen Fantasy- oder Märchenfilmen, sei es ein Meisterwerk wie KING KONG (1933), seien es die Filme, an denen Ray Harryhausen maßgeblich beteiligt war wie THE 7TH VOYAGE OF SINDBAD (1958), oder ein weniger bekannter Beitrag wie JACK THE GIANT KILLER (1962) – beide unter der Regie von Nathan Juran entstanden – kann THE THIEF OF BAGDAD nur bedingt mithalten, wirkt seine Magie heute gezwungener als in all diesen doch weitaus weniger aufwendig produzierten Filmen.
Es ist schwierig in Zeiten von CGI und zukünftig der KI, die wahrscheinlich noch ganz andere, noch nicht einmal vollends erdachte bildgebende Verfahren generieren wird, noch mit Filmen wie den hier genannten zu punkten. Wahrscheinlich sind dies nur noch Beiträge für Liebhaber. Doch sollte man von Zeit zu Zeit einen Blick auf sie werfen, künden sie doch nicht nur von einer Zeit, als Filmemachen noch etwas gänzlich anderes gewesen ist als heutzutage, sondern sie zeigen auch eine enorme Liebe zum Detail und eine Hingabe an das, was der einzelne tat, als er an all diesen Stop-Motion und Blue-Screen-Verfahren bastelte. Und es sind, wenn man sich einmal darauf einlässt, immer noch wundervolle Märchenfilme, die aus anderen, weniger beschwerten Zeiten erzählen. Und die mit ihrem Willen zum Fantastischen auch ein Versprechen des Kinos erfüllen: Die Zuschauer*innen für die Dauer von zwei Stunden zu verführen und zu entführen – in magische Welten.
[1] Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es das erste Mal, dass die Bluescreen-Technik zum Einsatz kam, die für Jahrzehnte Standard werden sollte, um Hintergründe in Filmen (und auch im Fernsehen) auszutauschen und es somit zu ermöglichen, dem Publikum Einstellungen und Sequenzen vorzugaukeln, die so nicht möglich sind: Superman, der durch die Häuserschluchten seiner Heimatstadt fliegt. Oder eben ein riesenhafter Dschinn, der mit Abu die halbe Welt umkreist.