DER FALSCHE GRUSS

Maxim Biller spielt sein Spiel mit dem deutschen Kulturbetrieb

Erck Dessauer, Spross einer Leipziger Bürgerfamilie, der es gelungen ist, sich durch die Jahre der SED-Diktatur zu lavieren und dabei sogar an den völkischen Idealen festzuhalten, die die Großelterngeneration mit Begeisterung teilte, hat seinen ersten großen Buchvertrag in der Tasche. Um den Erfolg zu feiern, bestellt er sich im Trois Minutes seinen ersten Wein, als er des Schriftstellers Hans Ulrich Barsilay ansichtig wird. Der Mann ist Erck eine Art Menetekel, verfolgt er ihn doch seit seiner Jugend in verschiedenen Formen – mal als Autor eines Artikels, der sich nicht gerade freundlich über Ostdeutsche auslässt, mal als arroganter Älterer, der ihn einst dazu brachte, seine Magisterarbeit nicht fertig zu schreiben. Und nun befürchtet Erck, daß der Mann möglicherweise denselben Stoff bearbeitet wie er. Mit steigendem Alkoholpegel steigert er sich in seine Abneigung gegen Barsilay hinein, bis er sich auf dem Rückweg von den Toiletten dazu hinreißen lässt, vor dessen Tisch stehen zu bleiben und mit dem „deutschen Gruß“ – also dem hochgereckten rechten Arm – zu salutieren. Zumindest denkt er das…

Wenn man sich an einen Text Maxim Billers wagt – egal ob Roman, Essay, Kolumne oder Artikel – weiß man, daß man sich auf hintergründige Bosheit gefasst machen darf. Mit Spitzfindigkeit, vor allem aber äußerster intellektueller Schärfe, deckt Biller wieder und wieder Lebenslügen kollektiver wie individueller Art auf, legt gedankliche Widersprüche frei, lässt gerade den deutschen Leser immer wieder mit der Vergangenheit dieses Landes und ihrer Unvergänglichkeit kollidieren. Manche lieben ihn dafür, viele hassen ihn aber auch deshalb. Biller hält es aus und macht unverdrossen weiter. Und wird – gleichsam ein Racheakt an seinen zahlreichen Kritikern – immer besser.

In DER FALSCHE GRUSS (2021) nun treibt er ein Vexierspiel bis zum Äußersten. Aus der Sicht des Erck Dessauer, der sich in dauernder Opposition zu seiner Umwelt wähnt, die ihn grundlegend falsch einzuschätzen scheint, erleben und erlesen wir einen Charakter, der – lediglich skizziert, oft mit einem Satz ganze Familien- und Freundschaftsverhältnisse umreißend – ebenso von Neid wie Hass und vor allem einem tiefsitzenden Opportunismus geprägt ist. Dessauer muß Barsilay, von dessen Urteil er doch auch so abhängig ist, vernichten, um selbst glänzen zu können. Er, der ostdeutsche Autor, der erst am Beginn einer, wie er annimmt, glänzenden Karriere steht, muß den Mann, den er wie seine Nemesis wahrnimmt, überwinden und sich über ihn erheben, um seinen Triumph voll genießen zu können.

Und doch gelingt es Dessauer nicht, den Leser nicht spüren zu lassen, wie sehr er sich von Barsilay und seiner Clique Berliner Künstler und Kunstschaffender eben auch angezogen und abgelehnt fühlt, wie sehr er sich wünscht, dazuzugehören, wie sehr er Eintritt in den Kulturbetrieb ersehnt. Und so muß er, um den eigenen Erfolg auskosten zu können, bei seiner Verlegerin – eine offensichtlich an Suhrkamp-Chefin Ulla Berkéwicz angelehnte Figur – intervenieren, um Barsilay zu diskreditieren. Was ihm gelingt, indem er dessen bedeutendsten Text als Fälschung entlarvt. Obwohl Barsilay sich mit allerhand postmodern angehauchten Theorien über Eigentlichkeit und das Uneigentliche etc. zu verteidigen hofft, wird er zum Paria und verlässt das Land. So ist es der eigentliche Triumph des Erck Dessauer, als Ostdeutscher Nichtjude den vermeintlichen Juden aus Westdeutschland besiegt zu haben. Daß er bei seiner eigenen Arbeit zudem auch noch der Missing Link gefunden hat, der Ernst Nolte und dessen Positionen im Historikerstreit der 80er Jahre – grob gesagt die Theorie, daß der deutsche Angriffskrieg gegen die Sowjetunion als eine präventive Notwehrmaßnahme anzusehen sei,, ein Zuvorkommen eines kurz bevorstehenden Angriffskriegs durch Stalin auf das Deutsche Reich – rechtgibt, gerät Dessauer zudem zu einem ganz privaten Erfolg, wäscht er damit doch u.a. den eigenen Großvater rein, der ein ergebener Diener des 3. Reichs war und immer des Führers Denken und Fühlen hoch gehalten hat.

Es könnte aber auch alles ganz anders gewesen sein. Vielleicht folgen wir auf diesen gerade einmal 120 dichten und äußerst genau und treffend komponierten und formulierten Seiten auch einfach nur der Phantasmagorie eines Betrunkenen, der sich seine zukünftigen Triumphe ausmalt, den Aufstieg im Literaturbetrieb, in dem er der Star wird, der Barsilay schon immer gewesen ist. Und vielleicht kommt Erck Dessauer einfach nur von der Toilette und denkt sich, daß er den andern einmal so richtig düpieren sollte – mit einem Hitlergruß, beispielsweise. Und es dann doch lieber sein lässt, weil er ein feiger Hund ist.

Hier sitzt wirklich jedes Wort, ist jeder Satz auf seine Genauigkeit geprüft und poliert und geschliffen. Und trifft. Jedes Wort, jeder Satz schlägt eine Kerbe beim Leser, der sich ertappt und wieder ertappt fühlt, muß er dem armen Erck doch eine gewisse Sympathie entgegenbringen. Denn dumm ist der ja nicht, lediglich ein bisschen weinerlich und selbstgerecht, denkt man. Und merkt erst sehr spät, welch einem ungeheuerlichen Blender man da aufsitzt. Biller spielt – einmal mehr – ein böses Spiel mit Erzählerposition und Lesererwartungen und dem erwartbar unguten Gefühl, sich bei den eigenen Beschwichtigungen und Als-Obs entdeckt zu fühlen. Man kommt aus der Schleife, die der Text bastelt, nur schwerlich wieder heraus. Da helfen auch die kleinen Spitzen gegen den deutschen Kulturbetrieb im Allgemeinen, den Literaturbetrieb im Besonderen nicht. Man mag sich an Seitenhieben auf jene Romane, die seit nunmehr bald zwanzig Jahren auch Apologie betreiben – erwähnt sei nur, da offenkundig, DER TURM von Uwe Tellkamp – ergötzen, Biller tut keinem Leser den Gefallen, ihn zu schonen.

Maxim Biller ist unter den deutschen Schriftstellern sicher ein Solitär, einer jener Autoren, die allein und für sich stehen und einen einsamen Kampf führen, der ihn nicht immer beliebt macht und oft Anfeindungen aussetzt. Ein Autor, der eine stete Zumutung für den Leser ist – und das wohl auch sein will. Was ein Glück also, einen solchen Autoren hier im Lande zu haben, der es weiterhin wagt, dem Publikum einen literarischen Spiegel, manchmal auch einen Zerrspeigel, vorzuhalten und wieder und wieder die Bastionen der Selbstgerechtigkeit zu bestürmen und sie zu schleifen. Koste es, was es wolle. Gerade die Konstruktion in DER FALSCHE GRUSS wird viele irritieren und ärgern. Soll sie auch.

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