DIE FOTOGRAFIN/LEE
Die Fotografin Lee Miller (Kate Winslet) empfängt in ihrem Cottage den jungen Journalisten Tony (Josh O´Connor), der sie zu ihrem Leben befragen will. Sie ist eher abweisend, verlangt von ihrem Besucher ein Quid pro Quo: Wenn sie von sich erzähle, müsse er auch etwas preisgeben. Tony stimmt dem zu.
So breitet Miller während des Gesprächs nicht nur ihr Leben vor dem Jüngeren aus, sondern auch ihre Fotos, anhand derer sie die Stationen ihres Lebens abhandeln.
Im Frühjahr 1939 ist Miller mit Freunden, darunter der surrealistischen Lyriker Paul Éluard (Vincent Colombe) und dessen Frau Nusch (Noémie Merlant) sowie Solange D´Ayen (Marion Cotillard), im Urlaub. Man gibt sich freigeistig und ungezwungen, ist sich aber der drohenden Gefahr durch Hitler-Deutschland durchaus bewusst. Der Künstler und Galerist Roland Penrose (Alexander Skarsgård) stößt zu der Freundesgruppe. Miller und er verlieben sich ineinander, sie begleitet ihn nach London, wo sie den Kriegsausbruch erleben.
In London gelingt es Miller, ihre Fotografien bei der englischen Vogue unterzubringen. Mit deren Herausgeberin Audrey Withers (Andrea Riseborough) freundet sie sich an, wodurch ihr in einer von Männern dominierten Szene Aufträge sicher sind.
Während des Luftkriegs beginnt Miller, die am liebsten allein arbeitet, das alltägliche Leben unter den Bedingungen des Kriegs zu fotografieren. Dabei lernt sie eines Tages David Scherman (Andy Samberg) kennen, der für das LIFE-Magazin arbeitet. Die beiden befreunden sich miteinander und arbeiten auch zusammen.
Da die britischen Truppen keine Frauen an der Front dulden, kann Miller, die darauf brennt, nach der Invasion in der Normandie im Juni 1944 auf den Kontinent zu gelangen, zunächst nicht als Kriegsfotografin arbeiten. Scherman erinnert sie daran, dass sie noch Amerikanerin sei und die Amerikaner andere Regeln hätten.
So gelangt Miller schließlich auf den europäischen Kriegsschauplatz, wo sie zunächst allerdings in der Etappe bleiben muss, später auch in Lazarette zugelassen wird. So sieht und dokumentiert sie die Schrecken des Kriegs hinter der Front.
Als sie nach St. Malo geschickt wird – im allgemeinen Glauben, die Stadt sei soweit befreit – gerät sie mit den amerikanischen Truppen erstmals unter Beschuss und erlebt den Krieg also unmittelbar.
Miller folgt den Truppen und dokumentiert immer wieder die Schrecken des Kriegs und dessen Folgen. So wird sie u.a. Zeugin, wie vermeintlichen Kollaborateurinnen die Haare abgeschnitten werden, im befreiten Paris kann sie eine junge Französin so eben davor bewahren, von einem amerikanischen Soldaten vergewaltigt zu werden.
In Paris trifft sie auch die alten Freunde wieder. Solange wirkt verstört und ist kaum mehr die Alte; die Éluards berichten davon, wie sie sich verstecken mussten und dass Solange, deren Freund verschwunden ist, ohne dass jemand wüsste, wohin, Wochen im Gefängnis saß und sich seither verändert habe. Miller versucht, den Berichten von massenhaft Verschwundenen nachzugehen, kann aber nichts dazu herausfinden.
Unterwegs trifft Miller auch Scherman wieder, der ebenfalls an den europäischen Kriegsschauplätzen eingesetzt wurde. Eines Nachmittags taucht auch Roland auf, er will Lee mit zurück nach London nehmen. Miller weigert sich. Etwas, so stellt Roland fest, habe sich in ihr verändert, während er derselbe geblieben sei. Sie widerspricht ihm nicht.
Gemeinsam mit Scherman reist Miller fürderhin der Front hinterher und so dringen sie also auch immer tiefer nach Deutschland vor. Die beiden gelangen in ein soeben befreites Konzentrationslager und sind dabei, als amerikanische Soldaten einen Zug öffnen, dessen Waggons mit Leichen vollgestopft sind. Die Fotos, die Miller dabei schießt, werden einst in die Bildgeschichte des Kriegs eingehen, sie brennen sich ihr allerdings auch für immer ein. Um sie zu bannen, trinkt Miller zusehends immer mehr.
In München angelangt, suchen Miller und Sherman den Prinzregentplatz auf, Hitlers Privatadresse in der Stadt. Amerikanische Soldaten lungern in der Wohnung herum und haben Besitz von ihr genommen. Als Miller das Badezimmer betritt, entschließt sie sich, ein Foto von sich selbst in der Wanne zu schießen, das Bild des „Führers“ im Hintergrund. Scherman hilft ihr, das Bild zu machen, das ebenfalls in den Bild-Kanon des 20. Jahrhunderts eingehen sollte.
Als Miller nach London zurückkehrt, steht zunächst die Versöhnung mit Roland an. Sie findet auch wieder Anstellung bei der Vogue, doch kommt es zwischen ihr und Withers zu einem echten Zerwürfnis, als die Herausgeberin sich weigert, Millers Bilder aus dem Lagern zu veröffentlichen. Man müsse, so ihr Argument, nun nach vorn schauen, nicht auf die zurückliegenden Schrecken. In ihrem Zorn beginnt Miller, die Negative zu zerschneiden. Später erfährt sie, dass die amerikanische Vogue die Bilder veröffentlicht hat.
Immer wieder kehrt der Film in Millers Wohnzimmer und zu dem Interview zurück, in welchem die ganze Geschichte erzählt wird. Zwischendurch fragt sie ihren Besucher, was er preisgeben würde, er solle von seiner Mutter sprechen. Er erzählt, dass er sich sein Leben lang als eine Belastung für seine Mutter empfunden, immer den Eindruck gehabt habe, sie mache seine Existenz für all das verantwortlich, was in ihrem Leben schief gegangen wäre. Das sei traurig, sagt Miller zu ihm.
In der letzten Szene, wieder in ihrem Wohnzimmer – mittlerweile sind Tisch und Boden mit etlichen ihrer Aufnahmen bedeckt – händigt Miller ihm einen Karton aus und sagt, dies seien ganz persönliche Dinge: Seine erste Haarlocke; das erste Bild, das er gemalt, die erste Aufnahme, die sie von ihm, ihrem Sohn, gemacht habe. Sie sei, so sagt sie ihm, sicher keine gute Mutter gewesen, habe aber immer ihr Bestes gegeben.
Als Tony sich ihr zuwendet, ist Miller verschwunden. Wir begreifen, dass er ein Zwiegespräch mit seiner verstorbenen Mutter geführt hat, nachdem er beim Ausräumen ihres Hauses auf die im Dachboden verstauten Fotografien aus dem Krieg gefunden hatte. Bilder, von denen er nichts ahnte.
Biopics – immer eine schwierige Angelegenheit. Wie will man ein Leben erzählen? Von der Wiege bis zum Grab? Oder lediglich wesentliche Begebenheiten aus dem Dasein der betreffenden, zumeist ja berühmten Person? Die besseren Biopics konzentrieren sich auf eine bestimmte Episode oder Ära im Leben ihres Objekts. So hielt es Sacha Gervasi bei HITCHCOCK (2012), so hielt es Jay Roach bei TRUMBO (2015), so hält es im Grunde auch Ellen Kuras in LEE (2023). Und wie es ebenfalls viele Biopics halten, greift Kuras auf das Mittel der Rückblende, der Erzählung zurück, um auf jene Jahre im Leben der Lee Miller einzugehen, die sie zu einer historischen Figur gemacht haben.
Miller, im Film von einer brillant aufspielenden Kate Winslet dargestellt, wurde für ihre Aufnahmen aus dem 2. Weltkrieg berühmt, die zu den wesentlichen Dokumenten gehören, die die Folgen des Holocaust sehr unmittelbar abbilden. Miller folgte im Auftrag der britischen Ausgabe des Vogue-Magazins mit ihrem Freund Dave Scherman, der seinerseits für das amerikanische Magazin Life arbeitete, der Front, immer recht dicht hinter den Kampfhandlungen, die sie teils sogar direkt erleben musste. Ikonographisch wurde die Aufnahme, wie Miller in Hitlers privater Wohnung ein Bad in dessen Wanne nimmt. Natürlich zeigt der Film, wie dieses Bild zustande kam. Wie er sich redlich Mühe gibt, authentisch und wahrheitsgetreu Millers Weg durch den Krieg nachzuzeichnen. Eingerahmt wird das Geschehen von einem Interview, das ein junger Mann, den Miller zu kennen scheint, am Ende ihres Lebens mit ihr in ihrem Cottage in England führt. Erst am Ende des Films stellt sich heraus, dass es sich bei dem jungen Mann um Tony – Antony Penrose – , ihren Sohn, handelt, der nach dem Tod der Mutter Zwiesprache mit der Verstorbenen hält. Eben erst hat er im Nachlass all die Bilder gefunden, die seine Mutter einst aufgenommen und den Rest ihres Lebens in ihrem Kopf mit sich herumgetragen hatte. Auch das ist verbürgt: Tatsächlich wusste der heutige Leiter des Lee-Miller-Archivs nicht, was seine Mutter während des Kriegs geleistet hatte.
Das Projekt war nach ihrer eigenen Aussage ein Herzensanliegen der Hauptdarstellerin. Winslet erklärt in einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 13. September 2024, dass sie nahezu zehn Jahre an dem Film gearbeitet habe, an welchem sie – wohl erstmals – auch als Produzentin mitgewirkt hat. Man merkt es der Interpretation, wie sie die Figur gibt an, dass Winslet sich eingehend mit Miller, ihrem Leben und auch ihrer Persönlichkeit beschäftigt hat. Es gelingt ihr, ein ausgesprochen differenziertes Portrait einer in ihrer Zeit – auch schon vor dem Krieg – ungewöhnlichen Frau zu zeichnen. Miller ist eigen, sie lässt sich nichts vormachen, geht Konflikten nicht aus dem Weg. Sie ist sexuell freizügig. Und im Laufe des Films, wenn sie 1944 mit den Alliierten auf den Kontinent wechselt und nach und nach der Schrecken gewahr wird, die der Krieg tatsächlich bedeutet, verändert sie sich. Erst unmerklich, was Winslet darzustellen grandios gelingt, spürt man die Veränderung doch mehr, als dass man sie sieht; dann immer deutlicher. Miller beginnt, immer mehr zu trinken, bis man sie in den späteren Szenen im Krieg fast nur noch mit einem Glas, einem Flachmann oder einer Flasche zu Gesicht bekommt. Ihr Gesicht verhärmt zusehends, ihr ist die Bitternis über das, was sie mit ansehen muss – natürlich die Konzentrationslager, doch zuvor wird sie auch Zeugin des Sterbens an der Front; sie macht Bilder in Lazaretten, wo sie junge Männer aufnimmt, deren Leben durch fürchterliche Verstümmelungen für immer geprägt sein werden; in Frankreich beobachtet sie den Umgang der Zivilbevölkerung mit vermeintlichen Kollaborateurinnen, die mit Deutschen geschlafen haben – immer stärker anzumerken und sie wird im Umgang mit anderen noch schroffer und gelegentlich abweisender, als sie es so oder so schon immer gewesen war.
Die Handlung setzt ein, als sie sich mit Freunden in der Sommerfrische vergnügt, wo sie ihren späteren Mann, Roland Penrose, kennenlernt. Die Gruppe wird äußerst freigeistig gezeigt, man sonnt sich nackt, spricht offen über alles, was einen bewegt – Kunst, das Leben, die Liebe und die Zukunft – und obwohl es Pärchen gibt, scheint jede mit jedem schlafen zu können. Miller, die in ihrem frühen Erwachsenenleben als Model arbeitete, hat ihre Mittelformatkamera dabei und macht ihre ersten Versuche als Fotografin. In einem den Film die gesamte Laufzeit hindurch begleitenden Voiceover erklärt sie dem Publikum, dass sie das immer gut gekonnt habe: Trinken, Sex und Bilder machen. Die Kriegsjahre durchlebt sie an der Seite ihres den Frontdienst verweigernden Mannes in London, wo sie – ebenfalls ikonische – Bilder der Zivilgesellschaft im Bombenkrieg macht, erst als die Alliierten in der Normandie gelandet sind, erzwingt sie sich einen Auftrag von ihrer Arbeitgeberin und wechselt auf den Kontinent.
Man merkt dem Film seine Ambitionen an. Hier soll nicht der Krieg gezeigt werden, hier soll nicht einfach das Portrait einer mutigen und eigenständigen Frau gezeichnet werden, es soll vielmehr dargestellt werden, wie schwer es für eine ehrgeizige Frau in einer Männerdomäne gewesen ist sich durchzusetzen. Die Briten lassen Frauen nicht an die Front, ein ehernes Gesetz. So muss Miller, die lange schon in England lebt, tricksen und auf ihre amerikanische Staatsbürgerschaft zurückgreifen, um auf den Kontinent zu gelangen. Dort muss sie sich wiederum mit männlichen Ressentiments auseinandersetzen, was eine Frau ertragen kann, was ihr zugemutet werden darf.
Darüber hinaus, sozusagen auf der Metaebene, erzählt LEE aber auch davon, wie Frauen, vor allem: wie Frauenkörper, auf der Leinwand gezeigt werden (dürfen). In mehreren Szenen, darunter jene in Hitlers Badezimmer, zieht Winslet sich aus und sie tut dies mit einer Nonchalance und Beiläufigkeit, die wirklich von Mut zeugt, denn sie zeigt den Körper einer mittelalten Frau mit all seinen Falten, mit seinen Muttermalen, einem Bauchansatz, mit Striemen, Kratzern und offenen Stellen. Es ist, im Kontext der Rolle, vor allem der Körper eines Menschen, der im Einsatz ist, sich tage-, manchmal wochenlang nicht waschen konnte, der nicht geschont, sondern strapaziert wurde. Es ist, um es kurz zu sagen, kein schöner Körper, sondern ein völlig normaler Körper unter Stressbedingungen. Es ist aber auch der Körper der Star-Schauspielerin Kate Winslet, die hier ein Statement setzt in einer Branche, die nach wie vor ein gewisses Schönheitsideal vergöttert. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung weist Winslet explizit auch darauf hin, dass sie dafür kämpft, dass Frauen ihre Körper zeigen dürfen, auch wenn sie nicht perfekt im Sinne derer sind, die meinen, darüber die Deutungshoheit zu besitzen. Die Heidi Klums und ähnliche Kunstfiguren, die immer noch die herrschenden Körper- und vermeintlichen Schönheitsideale prägen. Dieser Kampf ist bitter nötig und aller Ehren wert.
Ob ein Biopic über Lee Miller das richtige Umfeld ist, ihn auszufechten, sei dahingestellt. Denn hier bekommt Körperhaftigkeit, bekommt der Wert und auch das Erscheinungsbild des Körpers doch noch eine vollkommen andere Konnotation, eine andere Dimension. Denn allerspätestens, wenn Miller und Scherman zu einem Zug voller Leichen geführt werden – die dabei entstandenen Fotografien gehören auch heute noch zu den eindringlichsten Dokumenten dessen, was in Nazi-Deutschland geschah – und zuvor schon ein Konzentrationslager aufgesucht haben, werden sie, werden die Zuschauer*innen dieses Films mit Körpern konfrontiert, wie man sie sich kaum hat vorstellen können. Vor dem Hintergrund des Holocaust verblasst jedwede Frage nach Schönheit und Schönheitsidealen und der Frage danach, wie Frauen gezeigt werden sollten. Und zugleich muss die Frage gestellt werden, ob die Körper der überlebenden KZ-Insassinnen, derer Miller ansichtig wird, nicht viel zu „normal“, zu wohlgenährt, letztlich eben zu schön sind? Darf man sie so zeigen? Darf man sie überhaupt zeigen?
Spätestens an dieser Stelle werden die Probleme des Films offensichtlich. Probleme, die ihn vom ersten Moment an begleiten und zusehends beschweren. Aber hier, in dem Moment, da er sich anschickt, KZ-Bilder nachzustellen, kippt die Angelegenheit ins Ärgerliche, um das Mindeste zu sagen. Es ist die alte, vielleicht überholte Diskussion darüber, was man im Film zeigen darf oder zeigen sollte. Kann man eine KZ-Situation nachstellen? Steven Spielberg hat es in SCHINDLER´S LIST (1993) getan und wurde dafür nicht nur, aber vor allem von Claude Lanzmann angegriffen, Regisseur des Jahrhundertfilms SHOAH (1985). Wie viele andere, zumeist vor allem Betroffene, war Lanzmann der Meinung, dass das Menschheitsverbrechen der industriellen Vernichtung von Menschen, wie es in den Lagern der Nazis stattfand, schlicht nicht nach-, nicht abzubilden sei. Es gibt etliche Für und Wider in dieser Auseinandersetzung, man wird dabei zu keiner letztgültigen Meinung kommen. Was allerdings niemals geschehen darf: Dass die Konzentrationslager zu einem Hintergrund werden, um eine Geschichte zu erzählen. Schlimmstes Beispiel: John Boynes Schmachtroman DER JUNGE IM GESTREIFTEN PYJAMA, der später, natürlich, verfilmt wurde.
So weit sollte man im Falle von LEE nun nicht gehen, aber doch ist es so, dass die Bilder, die der Film präsentiert, allzu berechnet wirken. Berechnet auf die Zumutbarkeit gegenüber einem Publikum, das dem Mainstream zugerechnet werden muss. Denn wer schaut diesen Film? Wahrscheinlich ein gehobenes, überwiegend gebildetes Publikum, das sich in der Thematik bereist auskennt, welches die entsprechenden Bilder so oder so gegenwärtig hat. Dem man aber dennoch nicht zu viel zumuten will. Diese Haltung zieht sich durch den gesamten Film. Denn es gilt keineswegs nur für die KZ-Bilder, sondern ebenso für jene von den Kriegsschauplätzen oder dem Lazarett. Und auch das von Bomben heimgesuchte London ist erstaunlich sauber, vor allem frei von Leichen. Es sind dies leider nicht die einzigen Schwächen des Films. Im Gegenteil, zieht man diese und andere zusammen, bleibt schließlich nur wenig Gutes auf der Habenseite; neben Kate Winslets über jede Kritik erhabene schauspielerischer Leistung im Grunde nur noch die Szenenbilder und die Kostüme. Und es tut schon weh, das so sagen zu müssen, bedenkt man, wie sehr Winslet der Film am Herzen gelegen haben muss.
Es ist erstaunlich, wie die Ausstattung des Films, seine Kulissen, die ganze Mise en Scene, mit seiner Inszenierung kontrastieren. Wobei die Art und Weise, wie die formidable Ausstattung in Szene gesetzt wird – für die Kamera war der polnische Kameramann Paweł Edelman verantwortlich, der zuvor mit Größen wie Władysław Pasikowski, Andrzej Wajda und Roman Polanski gearbeitet hat – oftmals allzu glatt gerät. Ja, das sind hervorragende Bauten, das sind nachvollziehbar London im Krieg, Frankreich nach der Invasion, Lazarette und Lager und komplett zerstörte deutsche Städte – aber das alles ist viel zu sauber. Diese Bilder korrespondieren darin mit der Inszenierung von Ellen Kuras, die erstaunlich behäbig daherkommt. Der Film ist in einem eher gemächlichen Tempo gehalten, das kaum bis gar nicht variiert wird. So hat man irgendwann den Eindruck, die Geschichte plätschert eher dahin, als dass sie Rasanz aufnähme, was doch zumindest in den Kriegsszenen nahe läge. Doch selbst in den wenigen Momenten, in denen Miller tatsächlich erlebt, was es bedeutet, unter Beschuss zu liegen, behält der Film sein Tempo bei, gerade einmal, dass Edelman die Handkamera einsetzt, um ein wenig vom Chaos einzufangen, das entsteht, wenn man im Feuer versucht vorzurücken.
Das Gemächliche des Films greift immer dann und wird zu einer Stärke, wenn sich die Kamera – und damit auch die Inszenierung – ganz auf Winslet ein- und damit auch verlässt. Mehrfach wird ihr Gesicht in Großaufnahme gezeigt, muss die Schauspielerin ganz allein tragen, was die Zuschauer*innen zu sehen und zu spüren bekommen. Und das macht sie großartig. Wir können die Gefühlsregungen dieser Frau nachvollziehen, den Schmerz empfinden, den sie empfindet, auch die Abscheu, den Ekel, die Wut, die ihre Beobachtungen und Erlebnisse in ihr auslösen. Und gelegentlich können wir sogar Empfindungen wahrnehmen, die sich in ihr abspielen, die aber nicht offensichtlich thematisiert werden: So bspw. die Frage, ob das, was sie da tut, wirklich eine Berechtigung hat. Das sind die – leider viel zu wenigen – wirklich großartigen Momente dieses Films.
Doch dann verfällt er wieder einer gewissen Lethargie und erzählt seine Geschichte schlicht und konventionell. Als müssten die einzelnen Stationen der Lee Miller auf ihrem Weg nach Berlin abgehakt werden. So aber wird der Film vorhersehbar; auch die gelegentlichen Einschübe, die uns wieder in Millers Wohnzimmer und dort in die Auseinandersetzung mit dem jungen Mann führen, den wir zu diesen Zeitpunkten ja immer noch für einen Journalisten oder Biographen halten, ändern daran nichts. Die einzige echte Überraschung erwartet uns also am Ende des Films, wenn Miller ihm eine Schachtel mit sehr persönlichen Dingen übergibt und wir endgültig verstehen, dass sie seine Mutter ist. Als Tony sich umdreht, ist sie verschwunden und wir begreifen, dass das Gespräch ein imaginäres war. Und wir wünschten, der Film würde nun erst beginnen, denn eigentlich ist diese Wendung interessanter als alles, was wir in den nahezu zwei Stunden zuvor gesehen haben.
Das liegt einerseits daran, dass Millers Geschichte vielleicht im einzelnen nicht jedem bekannt ist, sich im Allgemeinen aber nicht von etlichen anderen Berichten von Korrespondenten unterscheidet, die an Kriegsschauplätzen weltweit und zu allen Zeiten im Einsatz waren oder sind. Zum andern liegt es aber auch an der Dramaturgie und damit letztlich am von Lem Dobbs, Liz Hannah, John Collee und Marion Hume verfassten Drehbuch (an dem nach ihrer Aussage auch Winslet und Kuras beteiligt gewesen sind), das seinen Blick allzu sehr auf Miller fokussiert. Sicher, man könnte nun insistieren und fragen, was ein Biopic denn anderes tun sollte? Doch es ist dramaturgisch schwach, wenn der Eindruck entsteht, der ganze Krieg sei die private Angelegenheit einer Frau, die um Anerkennung kämpft. Miller wird zu eindimensional gezeichnet; gleich was sie tut, sie steht moralisch immer auf der richtigen Seite; hat sich bei aller Härte, die sie sich zulegt und zeigt, natürlich immer genügend Menschlichkeit bewahrt, um in den richtigen Momenten das richtige zu tun oder zu sagen. Hier gibt es nur selten Zweifel und wenn, sind sie bald hinfort gewischt. Miller zweifelt am Menschen und seiner Bestimmung, das ja, aber nur selten an sich. Und sie macht weiter. Warum? An einer Stelle sagt sie: Ich hätte ja auch nachhause gehen können; aber so war ich schon immer, ich wollte die letzte auf der Party sein. Mit diesen Worten beginnt dann jener Abschnitt ihrer Reise ins Reich, der in den KZ und am Zug der Leichen enden wird.
Gemessen an den viel zu freundlichen Bildern der KZ-Insassen, die sie fotografiert und auf die eben genau das zutrifft, was weiter oben angemerkt wurde: Bloß nicht zu schockierend!, ist ein solcher Satz geradezu frivol. Und man weiß auch nicht, ob er auf die wirkliche Lee Miller zutrifft. Hat sie ihn so geäußert? Und würde sie ihn auch nach ihren Erfahrungen noch so äußern?
LEE ist ein Biopic, das ist richtig, und somit seiner Hauptfigur verpflichtet. Doch ist diese Hauptfigur nun einmal eine Figur, welche durch die Zeitgeschichte groß wurde, sie ist keine Figur, die auf die Zeitgeschichte eingewirkt hat. Sie wollte, als ehrgeizige Frau, ihren eigenen Blick auf das Geschehen an den Kriegsschauplätzen richten und diesen abbilden; sie wollte an einer welthistorischen Epoche teilhaben, nachdem sie in ihren frühen Jahren vor allem an den guten und schönen Seiten des Lebens partizipiert hatte. Doch wirkt es so, wie der Film es darstellt, nicht nur egozentrisch, sondern vor allem so, als sei diese Egozentrik durchaus berechtigt. Was hier fehlt, ist die reflexive Ebene. Auch in dem Gespräch mit dem jungen Mann, der sich als ihr Sohn erweist, wird diese Ebene nur angedeutet, gelegentlich angeschnitten, nie aber wird sie wirklich relevant. Die Blicke, die die alte Lee Miller aussendet, sind die einer gebrochenen Person, die in die Hölle geblickt hat und nun mit diesem Schmerz leben muss. Lee Miller war aber nicht die Leidtragende dieser Hölle. Sie war eine Augenzeugin und hat als solche Zeugnis abgelegt. Dafür ist ihr zu danken und Respekt zu zollen. Mit ihren Dämonen muss sie schon allein fertig werden. So wie Abertausende Opfer dieses Krieges und der Lager.
Dies alles wirkt zu sehr wie eine Heldinnen-Geschichte und es entsteht der Eindruck, dieser Krieg habe vor allem zum Missfallen der Lee Miller stattgefunden. Hinzu kommt der Eindruck, dass sie der einzige Mensch gewesen sei, der die Gräuel der Nazis wahrgenommen und bebildert hätte. Was natürlich nicht stimmt. Umso aufdringlicher jene Szenen zum Ende des Films, wenn sie in grellem Zorn die Redaktion der Vogue stürmt und die Negative ihrer Bilder zerschneidet, weil ihre Freundin und Vorgesetzte Audrey Withers sie nicht in der englischen Ausgabe abgedruckt hatte. Die amerikanische Vogue brachte die Bilder sehr wohl und sie sind heute Teil des kulturellen Erbes des 2. Weltkriegs. Die behauptete Tragik dieser Szene ist schlicht unangemessen.
Es ist schade, dass LEE nicht der große Wurf wurde, der in ihm steckt. Der Aufwand, der für diesen Film wohl betrieben wurde, wird durch das Ergebnis nicht gerechtfertigt. Zu bieder, zu konventionell, zu eindimensional ist dieser Film, der lediglich mit einer wirklich brillanten Kate Winslet überzeugen kann.