HELLRAISER – DAS TOR ZUR HÖLLE/HELLRAISER
Clive Barkers epochemachender Splatterfilm von 1987
Frank Cotton (Sean Chapman) ersteht auf einem orientalischen Basar eine würfelartige Box, die er mit in sein Londoner Haus nimmt. Dort experimentiert er mit den Möglichkeiten der Box, bis diese sich auseinanderfaltet und neu anordnet und damit eine Tür in eine andere Dimension öffnet. Dort herrschen die Zenobiten, Wesenheiten, die sich als Forscher von Grenzerfahrungen begreifen. Bei seinem Versuch, in diese Dimensionen vorzustossen, zerreisst es Frank geradezu.
Larry Cotton (Andrew Robinson) und seine Frau Julia (Clare Higgins) ziehen in Franks altes Haus. Während des Einzugs verletzt Larry sich an einem Nagel. Er sucht seine Frau, die sich derweil im Dachgeschoß ihren Erinnerungen hingibt, hatte sie doch einst eine tiefgehende Liebesaffäre mit Frank, den sie fürchterlich vermisst. Als Larry mit seiner verletzten Hand den Speicher betritt, tropft das Blut auf dessen Boden, wo es den hier vollkommen vernichteten Frank zu neuem Leben erweckt. Er offenbart sich bei erstbester Gelegenheit Julia und überzeugt sie davon, daß er Blut und Fleisch von Lebenden braucht, um sich, seinen Körper und seine Seele zu regenerieren.
Julia, ganz in Franks Bann, beginnt, in Bars Männer anzusprechen, die sie mitnimmt und dann auf dem Dachboden mit einem Hammer tötet. Frank, der zunächst buchstäblich nur aus Knochen und einigen Organen besteht, labt sich an den sterbenden und toten Körpern und kann sich so nach und nach wieder zu einem menschlich anmutenden Wesen materialisieren. Er weiß, daß die Zenobiten, jene Wesen, denen er den Würfel mehr oder weniger geklaut hat, sich seiner Seele bemächtigen und seines Körper für weitere „Experimente“ habhaft werden wollen. Er muß also soweit regenerieren, daß er unauffällig das Haus verlassen und entkommen kann. Er glaubt, sich den Mächten der Finsternis entgegenstellen oder entziehen zu können.
Larrys Tochter Kirsty (Ashley Laurence), die ihrer Stiefmutter ablehnend gegenübersteht und deshalb nicht mit in das alte Haus gezogen ist, wird zusehends von Albträumen geplagt, die ihren Vater betreffen. Sie arbeitet in einem Laden für Kleintiere und Zoobedarf, wo sie eines Tages Zeugin wird, wie die Vögel extrem verängstigt auf einen Obdachlosen (Frank Baker) reagieren, der beginnt, Insekten aus ihren Behausungen zu befreien und zu essen. Als er geht, wirft er Kirsty einen langen und bedeutungsschweren Blick zu, den auch Steve (Robert Hines), Kirstys Freund, bemerkt.
Kirsty will ihren Vater besuchen und wird dabei Zeugin, wie Julia einen fremden Mann ins Haus bringt. Sie verschafft sich zutritt und entdeckt nicht nur Julias tödliches Treiben, sondern auch den mittlerweile recht fortgeschritten wieder hergestellten Frank. Dieser will sich Kirstys bemächtigen, die sich jedoch gegen ihn wehrt. Als sie merkt, daß ihm die Würfelbox wichtig ist, wirft sie den Gegenstand durch en Fenster, rennt aus dem Haus und nimmt ihn mit. Schließlich bricht sie zusammen.
Sie kommt in einem Krankenhaus zu sich, wo Arzt und Schwester ihr verwehren, das Bett zu verlassen. Im Gegenteil wird sie eingeschlossen und der Arzt gibt ihr die Box, sie solle sich bis zum Eintreffen der Polizei überlegen, was es damit auf sich habe und wie sie ihren Zustand erklären wolle. Kirsty beginnt, mit der Box zu spielen, bis diese ihre Gestalt wandelt und damit einen „geheimen“ Gang hinter der Wand ihres Zimmers offenbart, aus dem das Wimmern eines Gefolterten dringt. Kirsty folgt dem Gang, bis sie auf ein furchteinflößendes Wesen trifft, das sie zu vefolgen beginnt. In letzter Sekunde gelingt es ihr, in ihr Zimmer zurück zu fliehen. Doch nicht genug des Schreckens, dringen nun Gestalten durch die Wände, deren Anführer (Doug Bradley) einen mit Nägeln gespickten Kopf aufweist – und damit noch am menschlichsten wirkt.
Die Zenobiten, wie sich die Wesen selber nennen, erklären Kirsty, daß sie einer anderen Dimension entstammen und Botschafter einer Erfahrung aus Lust und Schmerz seien, die sich ein Normalsterblicher kaum vorstellen könne. Sie seien gern bereit, auch sie mitzunehmen, da sie sie gerufen habe. Doch Kirsty schlägt vor, den Zenobiten Frank auszuliefern, von dem sie weiß, daß er genau diesen Wesen entkommen ist und weiterhin entfliehen will. Der Anführer zeigt sich bereit, diesen Tauschhandel einzugehen, wenn er auch nicht sonderlich erfreut ist, daß ein menschliches Wesen meint, man könne ihnen, den Zenobiten, überhaupt entkommen.
So betritt Kirsty, nachdem sie das Krankenhaus wieder verlassen durfte, erneut das Haus, in dem Frank und Julia ihr dunkles Geheimnis teilen. Doch entgegen tritt ihr unerwartet Larry, ihr Vater, der sich allerdings seltsam benimmt und schließlich, mit einem Messer bewaffnet, zugibt, Frank zu sein, der seinen Bruder getötet und ihn sich einverleibt hat. Bei einem Gerangel sticht Frank auf Julia ein und erklärt der sterbenden Frau, daß er auch ihr Blut brauche. Er verfolgt Kirsty durch die Zimmer des Hauses, bis es schließlich auf dem Dachboden zu einer finalen Begegnung kommt. Gerade als Frank seine Nichte töten will, erscheinen die Zenobiten mit ihrer Knochenmühle. Ketten bohren sich in Franks Fleisch und mit den Worten „Jesus weinte!“ auf den Lippen wird er in Hunderte Teile zerrissen.
Kirsty versucht durch das Haus zu fliehen, doch nun sind die Zenobiten entfesselt und wollen auch ihrer habhaft werden. Sie entreißt den Würfel den toten Händen der auf einem Bett aufgebahrten Julia und kann, während Steve versucht, sie aus dem Haus zu retten und dieses nach und nach in sich zusammenbricht, die Zenobiten einen nach dem andern in deren Dimension zurückschicken.
Schließlich stehen Kirsty und Steve vor den brennenden Resten des Hauses und Kirsty schmeißt den Würfel in eins der lodernden Feuer. Da nähert sich der Obdachlose aus der Zoohandlung, greift in das Feuer, nimmt den Würfel, entflammt und verwandelt sich in ein knocherndes Untier, das in den Nachthimmel entschwindet.
Auf einem orientalischen Basar bietet ein Händler einem Fremden eine Würfelbox an…
Der Horrorfilm der 1980er Jahre hatte neben den Zombies italienischer Provenienz vor allem die Serienmörder vom Schlage eines Jason Vorhees, Michael Myers oder Freddy Kruger[1] gesehen und war bei aller Gewalt, die diese Protagonisten verbreiteten, doch immer weiter in den Comic-Bereich abgedriftet, teils durchaus mit Comedy-Anteilen. Es waren Überwältigungsfilme, die sich in Widerwärtigkeiten und oft ekelerregenden Tötungen überboten, explizit und graphisch, denen es jedoch nur selten gelang, wirkliches Entsetzen auszulösen, seltener noch, wirklich verstörend zu wirken. Dies blieb Meistern wie David Lynch (BLUE VELVET/1986) oder dem König des Body-Horror David Cronenberg (THE FLY/1986) überlassen, die für sich aber in Anspruch nahmen, auf einem schmalen Grat zwischen Genre- und Autorenfilm zu wandeln und über den reinen Schrecken weit hinauszuweisen. Umso erstaunlicher, als 1987 ein britischer Horrorfilm Aufsehen erregte, der zwar eindeutig ein Genrebeitrag war, zugleich jedoch mit Themen aufwartete, die eher ungewöhnlich waren für die Dekade des Eskapismus. Und dem es gelang, sein Publikum damit zutiefst zu verstören.
Clive Barkers albtraumhaftes, nahezu surreales Werk HELLRAISER (1987), so Hans Schifferle, sei ein erwachsener Horrorfilm[2]. Ein Urteil, dem nicht nur zuzustimmen ist, sondern das man auch erweitern sollte um die Bemerkung, es hier mit einem sehr europäischen Horrorfilm zu tun zu haben, mit sehr europäischen Film-Themen, von der S/M-Thematik einmal abgesehen, auf die Schifferles Aussage abzielt. Im Kern legt Barker nämlich ein Ehe- und Familiendrama vor, dessen Auswirkungen lediglich etwas weitgreifender und extremer sind als in französischen Gesellschaftsfilmen und Beziehungsdramen à la Claude Sautet. Barker präsentiert die klassische Geschichte des gehörnten Ehemanns, der nicht ahnt, was seine Gattin hinter seinem Rücken treibt – und mit wem. Und wie so oft in europäischen Dramen, sind die Zuordnungen, wer gut, wer schlecht ist, sehr ambivalent. Es ist, wie so oft, der eigene Bruder, der die Frau begehrt und verführt, sie sich gefügig macht mit einer seltsamen Anziehung aus Brutalität und sexueller Gier. Es ist der „böse“ Bruder Frank, der, anders als der brave Gatte Larry, einen Hang zum Abenteuer, zum Okkulten hat, der Erfahrungen der Lust, des Sexuellen machen will, die über das Bekannte hinausgehen und Grenzbereiche streifen, einem Drogentrip gleich, und der dabei verbrennt, schier zerrissen wird vor Lust. Dieser Frank hatte – natürlich – schon zu Lebzeiten eine Affäre mit Larrys Gattin, die ihm nun, da er zurückkehrt aus Sphären, die sich Normalsterbliche kaum vorzustellen wagen, mit denen aber sowohl Julia, die Gattin, als auch deren Stieftochter, Kirsty, Larrys leibliche Nachkommende, Bekanntschaft machen werden, den Lebenssaft zuführen soll, dem seit allen Zeiten schon ebenso erotische, wie lebensspendende Eigenschaften zugesprochen werden: warmes, frisches Blut, das aus Lebenden pulsierend herausströmt und gierig aufgenommen, aufgesaugt wird. Das Blut, der Lebenssaft des andern, des Fremden, ist Franks Elixier, um wieder ein menschliches Wesen zu werden, zumindest dem Äußeren nach. Das Blut gibt Frank eine menschliche Gestalt zurück, regeneriert sein Fleisch, seine Nerven, die Muskeln und schließlich, nachdem er sich sogar Larry einverleibt hat, die Haut. Und somit nimmt er, in seiner äußerlichen Gestalt, Larrys Stelle ein, übernimmt den Bruder, indem er ihn verinnerlicht. Identitätsklau und äußerste Verunsicherung für Kirsty.
Clive Barker versteht es, geradezu genial die vollkommen alltägliche Geschichte eines Ehebruchs und Familiendramas (in dem die alten Märchen anklingen – die böse Steifmutter, der nichtsahnende leibliche Vater) mit mythischen Formeln und Topoi des Genres zu kreuzen – zum Einen ist es das Blut und seine (monströsen) Wirkung. Es evoziert all jene mythischen Figuren, die sich von ihm nähren, uns schaudern machen und doch so fern scheinen in unserem banalen Kosmos: Der Vampir, der Guhl oder Wiedergänger, sie alle werden hier in jenem Raum wesentlich, wo eigentlich der Alltag, das Herkömmliche herrschen. Frank ist dieser Wiedergänger, er scheint zu wissen, was nötig ist, um zu regenerieren, er nutzt Julia, um an seine Opfer zu gelangen und wird schließlich auch sie opfern, kennt er in seiner Lebens-Gier doch weder Freund noch Feind. Frank ist ein Süchtiger, ein Junkie jener Box, die es ihm ermöglicht, in andere, weitere, tiefere Dimensionen vorzudringen, wo er auf Erfüllung hoffen kann, Erfüllung einer tiefen Sehnsucht nach Lust. Auch die Box entspricht – wie das Blut – einem Topos des Phantastischen, ist sie doch einer jener klassischen magischen Gegenstände, denen geheime Kräfte innewohnen und die, richtig genutzt, Tore aufzustoßen vermögen. Was jenseits dieser Tore lauert, entspricht – vor allem der Nachfolger HELLBOUND – HELLRAISER II (1988) verdeutlicht das auf ebenso drastische wie originelle Art und Weise – düsteren, psychedelischen Welten lustvoller Pein und süßen Schmerzes. Wer diesen einmal verfallen ist, der wird immer ein Sklave des dort Erlebten bleiben, daran lässt der Film keine Zweifel, auch wenn er sich geschickt unserem Wunsch verweigert, diese Dimensionen allzu deutlich auszumalen. Und so ist Julia zwar ein williger Helfer, wie es Renfield einst für den Grafen aus Transylvanien gewesen ist, auf das Mitleid, die Nachsicht, gar die Liebe ihres Herren kann sie wie ihr literarischer Verwandter allerdings nicht hoffen. Im passenden Moment wird Frank, der zu diesem Zeitpunkt längst das Aussehen seines Bruders angenommen hat, auch sie töten und sich ihres Blutes bemächtigen.
Verankert in einem kalten, herbstlichen, fast unkenntlichen London, einer urbanen Landschaft, von der wir wenig sehen – und was wir sehen, entspricht Millionen anderer urbanen Landschaften – einem London, das einer Familie Heimat werden soll, die, in sich dysfunktional, hier offensichtlich fremd und auch niemandem bekannt zu sein scheint, baut der Film eine Atmosphäre auf, die ebenso kalt anmutet und die Figuren entfremdet, distanziert und dadurch kaum sympathisch wirken lässt. Im Gegensatz dazu ist das zentrale Thema des Films jedoch die Lust – Lust als Grenzerfahrung, als etwas, das sich letztgültig in Verbindung mit Schmerz erfüllt und so perfekt in diese kalte Welt passt, die der Film konstatiert. Es ist die Lust am Verbotenen, am Ehebruch, am Seitensprung, die Lust am Tabubruch schlechthin, der in (psychische) Regionen führt und sie ausweitet, die herkömmliche Sexualität nicht mehr erreichen zu können scheint. Ja, es ist eine Lust, die nicht erfüllt werden kann und gerade daraus einen Großteil ihrer Versuchung, ihrer Verführungskraft bezieht. Zweimal werden wir Zeuge, wie Julia mit Larry schläft – einmal IST es Larry und die Erfahrung ist offensichtlich nicht schön für sie, das zweite Mal ist es der regenerierte Frank in Larrys Körper, bzw. in Larrys äußerer Hülle, und diesmal empfindet sie offenbar Lust: Die Doppelung der Lust und die Unerreichbarkeit des Begehrten/das unerreichbare Begehren in der Entfremdung dessen, mit dem man schläft – auch auf dieser Ebene versteht Barker sein Spiel mit Tabubrüchen, Perversionen und der modernen Psychoanalyse.
Frank sucht die Grenzerfahrungen und der Ort, wo er sie macht, wird bevölkert von Wesen, die sich als „Botschafter in den weiteren Grenzen der Erfahrung“ bezeichnen, den Zenobiten, „den einen Engel, den anderen Dämonen“, wie sie von sich selber sagen. Ohne Mitleid, aber auch ohne Groll oder Hass, werden sie in diesem ersten Teil der Serie gezeichnet, die aus HELLRAISER entstehen sollte und bis heute insgesamt neun Fortsetzungen generiert hat. Meister des Schmerzes und Meister der Lust, sind sie Boten, Ikonen und Symbole eines sadomasochistischen Subtextes, der den Film erst zu dem macht, was er wirklich ist, was ihn ausmacht, was ihm trotz seiner Logiklöcher, trotz teils wirklich schlechter Schauspielerleistungen und trotz der letzten Endes rudimentären Handlung, seinen enormen Kultstatus beschert hat. Das Grauen schläft eben nicht darin, daß wir des Bösen ansichtig oder von Dämonen heimgesucht werden, die uns nach dem Leben trachten, unsere Seelen stehlen und unsere Körper zerstören wollen, sondern daß es genau diese Dinge sind, die wir geradezu herbei sehnen, die wir wollen, die uns letzte und letztgültige Erfahrungen bescheren sollen, die der durchschnittliche Mensch, der durchschnittliche „Larry“, sich nicht einmal erträumen mag. Und hinter der reinen Lusterfahrung verbirgt sich eine weitere: Die Erfahrung des Tötens, des vergossenen Blutes, die – so die Lehre jener Wesen aus einer anderen Dimension – zwingend an die Erfahrung sexueller Erfüllung gekoppelt scheint als eine von Macht und Allmacht. Wo Julia die ersten Erlebnisse als Lockvogel für Franks Opfer mit sichtlicher Abscheu erfüllen, findet sie mehr und mehr Gefallen am gemeinsamen Treiben – bis sie begreift, daß sie nichts anderes als ein Werkzeug ist in den Händen ihres höllischen Liebhabers.
Die Erfüllung in der Entgrenzung – Barker spielt auch mit dem Topos des Horrorfilms, der einerseits von verbotenen Früchten raunt und andererseits davon berichtet, wie das Naschen an diesen Früchten Tod und Verderbnis bringt. Daß Frank Blut braucht, um zu regenerieren, macht ihn eben zu einem fernen Verwandten des Grafen Dracula, der seinerseits immer eine Metapher auf den verbotenen Verführer, den Latin Lover, die entgrenzte, die befreite Lust der Frau war. In Barkers postmoderner Variante ist die Lust viel umfänglicher, als es Bram Stokers und seiner filmischen Nachfolger verklemmt-puritanische Sicht je gewesen sein könnte. Frank will alles, er will die Höllenkreise durchlaufen, er will den Kräften der Ewigkeit entgegentreten und dafür will er menschliches Blut, das Fleisch seiner Artgenossen, denen er doch selbst längst entfremdet ist, denen er sich lange schon überlegen fühlt, ein Übermensch. Ja, er will das Fleisch und die Haut des eigenen Bruders, ihn sich einverleiben, wie eine letzte Trophäe. Und wie alle großen Frevler in Literatur und Film, wird auch er dafür in die Abgründe der Hölle geschickt werden und lernen, was Schmerz bedeutet – Schmerz jenseits aller Lust oder sexuell zu befriedigenden Gier.
So kalt die Stadt, so kalt die emotionale Bindung zwischen Julia und Larry, Julia und Kirsty, so kalt Frank in seiner Maßlosigkeit gegenüber seiner Liebhaberin und dem Leben generell, so kalt und distanziert sind seine Häscher, die Zenobiten. Sie wollen, was ihnen zusteht und sie lassen keinen Zweifel daran, daß sie bekommen werden, was ihnen zusteht – auf die eine oder andere Art und Weise. Doch lassen sie auch keinen Zweifel daran aufkommen, daß beispielsweise Kirsty gar nicht wird ermessen können, welcher Dimension sie entstammen und deshalb auch keinen Wert darauf legen, von ihr verstanden zu werden. Pinhead, wie der zum Kultwesen erkorene Anführer der Zenobiten ab dem zweiten Teil der Serie genannt werden wird, versteht, daß er und seine Begleiter auf ein durchschnittliches menschliches Wesen nur grauenerregend wirken können. Ein Effekt, den diese durchaus genießen, ist es doch Teil ihres grausamen, lustvollen Spiels. Keinen Moment vergeuden er und die Seinen darauf, etwaige Ängste zu zerstreuen oder gar sich zu erklären, im Gegenteil, sie bieten Kirsty an, auch ihr die Abgründe zu zeigen, in denen nur sie sich auskennen. Gleichsam entmenschlichte Hohepriester eines lustvoll ausgelebten Sado-Masochismus, erfreuen sie sich an ihrer Macht und der Macht dessen, wofür sie stehen, vollkommen sicher und in sich ruhend. In diesem Bewusstsein existieren sie als dem Menschen entäußerlichte Wesen immer schon in dessen Vorstellungswelt (Engel/Dämonen), scheinbar Wesen der reinen Fantasie, was ihnen noch zusätzliche Macht verleiht, nämlich die über unsere Albträume. Sie sind Monstren – für uns. Selbst sehen sie sich als zeitlos allen moralischen oder ethischen Regeln enthoben; Regeln, die so nur der Mensch sich selbst auferlegt hat, die aber im Angesicht der Ewigkeit ihre Bewandtnis verlieren. Die Zenobiten sind nicht fassbar als „gut“ oder „böse“ – eben mal Engel, mal Dämonen – sie sind jenseits fassbarer menschlicher Kategorien. Die einzig wirklich „böse“ Gestalt im engen Reigen des Films ist somit Frank, ein Hasardeur, ein Abenteurer, ein Freigeist, ein Schüler der École du mal, erlegen der Hybris, es den Göttern gleichtun zu dürfen, einer, der sich eine Größe sowohl in Bezug auf das Diesseits als auch auf ein Jenseits anmaßt, die ihm – auch daran lässt Pinhead keinen Zweifel aufkommen – nicht zusteht und niemals zugestanden werden wird. Frank stört die Kreise aller und – darin bleibt Barker dem Genre in seiner Ambivalenz und Doppeldeutigkeit vollkommen treu – wird dafür bestraft werden, aufs Grausamste.
Und doch gibt es etwas in uns, das mit Frank (und mehr noch mit Julia und ihrem verzweifelten Kampf um ihren Ex-Liebhaber) sympathisiert. Larry, den Andrew Robinson – einst „Scorpio“, der Gegenspieler von Clint Eastwood in DIRTY HARRY (1971) – etwas schmierig und überheblich gibt, ist ein uns nicht sympathischer, ein aalglatter, biederer Mann, ein arroganter und patriarchaler Spießer, bei dem wir durchaus verstehen, weshalb sich seine Gattin einst zu dem offensichtlich aufregenderen und sinnlicheren Frank hingezogen fühlte. So spielt HELLRAISER eben auch immer mit den unbefriedigten Wünschen und verborgenen Lüsten eines Publikums, das 1987 noch nicht die Pornographisierung des Alltags erlebt hatte, wie die 1990er Jahre sie mit sich bringen sollten. Barker konnte vergleichsweise problemlos unterstellen, heimliche Gelüste anzusprechen, ohne Gefahr zu laufen, von einer Realität ein- und überholt zu werden, in der im Nachmittagsprogramm der privaten TV-Anstalten bald ganz andere „Bekenntnisse“ zur Norm wurden.
Stilistisch nutzt Barker das Repertoire des europäischen Autorenkinos, um das Grauen seiner Geschichte spürbar werden zu lassen. Er verengt die Räume immer weiter, indem er Gesichter in Großaufnahmen, Treppenhäuser in Halbtotalen zeigt und die Bilder so kadriert, daß sie fast klaustrophobisch wirken. Aus diesen Räumen, diesen oft grobkörnigen und an den Rändern unscharfen Bildern, aus dieser Story gibt es kein Entrinnen, von allem Anfang an nicht. Enge ist das wesentliche Merkmal des Films – eng die Räume, außer dem Speicher, auf dem Julia ihrem untoten Liebhaber dessen Opfer zuführt und der Aufmarschplatz für allerlei höllisches Gezücht wird; eng die Flure des Hauses; eng die Zimmer und Korridore des Hospitals, in dem Kirsty sich nach ihrem Zusammenbruch wiederfindet; eng die Herzen, die kaum Empathie oder Mitgefühl selbst für die nächsten aufbringen mögen; eng eben auch die Bilder, die die Figuren nicht schützen, sondern in sich gefangen zu halten scheinen und damit immer auch Ausdruck der psychischen Zustände dieser Menschen als Gefangene ihrer Obsessionen, ihrer Keingeistigkeit und ihrer zerstörerischen Liebe sind.
Barker inszeniert das alles ruhig, selten nutzt er genretypische schnelle Schnitte oder fügt seinem Publikum wirklich traumatische Schocks zu. Er spielt die Tabubrüche, für die HELLRAISER 1987 allemal stand, in vielerlei Hinsicht aber auch immer noch steht, fast in Zeitlupe aus. Die Splatter-Effekte sind, gemessen an modernen Produktionen, offensichtlich handgemacht, was ihren Ekeleffekt möglicherweise sogar eher unterstützt. Die Wesenheiten, denen Ashley in den verborgenen Gängen des Krankenhauses begegnet und die sich ihr schließlich in Gestalt der Zenobiten auf dem Speicher des Hauses ihres Vaters offenbaren, sind überzeugend, ebenso die Gore-Faktoren von Franks sich langsam regenerierendem Körper. In der in Deutschland lange indizierten Uncut-Fassung des Films wird der Zuschauer mit allerdings grenzwertigen Momenten äußerster Brutalität, äußersten Ekels konfrontiert, die Barker aber ebenfalls provozierend langsam, geradezu genüsslich präsentiert, was der inneren Logik der Geschichte entspricht. Schmerz, Ekel, die Wut, die aus unerfülltem Begehren, aus Gier nach einem Leben, größer als alles Irdische, entsteht, der Körper als blutiges Schlachtfeld, als Ort tiefster Erniedrigung und darin der Lust des puren Schmerzes, aber auch der Identitätsverlust und damit einhergehend der Verlust von fundamentaler Sicherheit und fundamentalem Vertrauen – das sind die HELLRAISER zugrunde liegenden Themen, die Barker auf fürchterliche Weise verhandelt.
Zumindest zu 90% des Films. Leider verliert er sich in den letzten Minuten dann doch in einer Geisterbahn und gibt vieles auf, was bis dahin die Klasse des Films ausgemacht hatte. Typisch für die Horrorfilme der 80er Jahre, wird ein Showdown geboten, der weder tricktechnisch, noch inszenatorisch dem Film gerecht wird. Viel zu billig die Effekte, zu viel Gummi und Plaste, zu einfach die Wirkung von Kirstys Gegenmaßnahmen, um sich der Zenobiten zu erwehren, die mit einem Mal ihre Zurückhaltung, die viel von ihrer Bedrohlichkeit ausgemacht hatte, aufgeben und plötzlich doch zu den Schaumstoffmonstern werden, die sie bis dahin eben nicht gewesen sind.
Doch geschenkt – ein vermasseltes Finale kann in einem Fall wie HELLRAISER kaum zerstören, was zuvor in 90 Minuten aufgebaut wurde. Clive Barkers Film bleibt einer der innovativsten Beiträge zum Genre der vergangenen 30 Jahre. Wie es Hitchcocks PSYCHO (1960) für den modernen Horrorfilm generell, für den der 1960er aber im Besonderen gewesen ist, wie George A. Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) oder Tobe Hoopers THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) die maßgeblichen Neuerungen für die 1970er Jahre waren, Carpenters HALLOWEEN (1978) wegweisend für die 1980er Jahre wurde, so muß man Barkers HELLRAISER eine ähnliche Wirkung für den postmodernen Horrorfilm der 90er Jahre und der frühen 2000er Jahre attestieren. Neben den Werken David Cronenbergs ist dies der vielleicht wesentliche Beitrag zu dem, was man „Body Horror“ nennt. Und ohne diesen Film und seine Nachfolger sind sowohl das moderne Subgenre des „Torture Porn“-Movies wie auch eine Menge andere Entwicklungen des (post)modernen Horrorfilms kaum denkbar.
Unter den endlos vielen Monstern und Wesenheiten, die uns der Horrorfilm seit seinen Anfängen mit dem GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (1920) und NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922) geschenkt hat, den Untoten und Vampiren, den Werwölfen und Psychopathen, den verrückten Wissenschaftlern und rachsüchtigen Vätern und Müttern, sind die Zenobiten sicherlich mit die verstörendsten und geheimnisvollsten Wesen, scheinen sie doch allen Zuordnungen enthoben zu sein und damit die Definition dessen, was uns am Horrorfilm immer wieder so fasziniert: Daß er uns für kurze Zeit aller moralischen Kategorien enthebt und erlaubt, uns auf ganz andere, fürchterliche und fürchterlich beängstigende Kategorien einzulassen. Pinhead und seine Begleiter scheinen genau dieser Faszination Ausdruck und vor allem Gestalt zu verleihen. Sie holen uns ab und führen uns in einen Kosmos aus Grauen und Schmerz, den zu betreten wir kaum erwarten können. Wir gestehen uns das allerdings nicht gerne ein.
[1] Es sei Kruger und der NIGHTMARE ON ELM STREET-Serie (ab 1984) zugestanden, ein ähnlich ungewöhnliches Setting zu nutzen; ähnlich ungewöhnliche Qualität für einen Horrorfilm zu bieten.
[2] Schifferle, Hans: DIE 100 BESTEN HORRORFILME. München, 1994; S. 70.