INSIDE/À L’INTÉRIEUR

Ein weiteres Kleinod aus der französischen postmodernen Terrorschmiede

Die Kamera fährt durch Nebelschwaden auf eine Unfallstelle zu: Zwei Wagen haben sich ineinander verkeilt, am Steuer des einen die schwangere Sarah (Alysson Paradis), auf dem Nebensitz ihr Ehemann, der den Unfall nicht überlebt hat. Vier Monate später steht die Geburt des Kindes unmittelbar bevor. Es ist Heiligabend, doch Sarah weist die diversen Angebote ihrer Mutter und auch die ihres Chefs Jean Pierre (François-Régis Marchasson) – sie ist Fotografin bei einem Magazin – mit ihr zu feiern brüsk zurück. Doch verpflichtet sie ihn, sie am Morgen abzuholen und in die Klinik zu fahren. Abends jedoch will sie allein sein. Der Abend dämmert herauf und Sarah sitzt allein in ihrem recht großen Haus. Es schellt an der Tür und eine Frauenstimme bittet um Einlaß. Sarah weigert sich, doch die Frau (Béatrice Dalle) lässt nicht locker und steht schließlich vor der Terrassentür. Die Frau scheint erstaunlich viel über Sarah zu wissen. Sarah schießt ein Foto und ruft die Polizei, doch bei deren Eintreffen ist die Frau bereits verschwunden. Die Polizisten versichern Sarah, daß jemand im Laufe der Nacht vorbeischauen und nach dem Rechten sehen werde. Sarah entwickelt Fotos, die sie bereits am Nachmittag in einem Park geschossen hatte und stellt fest, daß die Frau sie bereits da beobachtete. Sarah legt sich ins Bett und erwacht, als die Frau, die sich Zugang zum Haus verschafft hat, auf ihr hockt und ihr eine desinfizierte Schere in den Bauchnabel treibt. Es gelingt Sarah, die Frau von sich zu stoßen und ins Badezimmer zu fliehen, wo sie sich einschließt. Die Frau ist außer sich, tritt wie irre gegen die Tür und schreit ihre Wut und offensichtliche Verzweiflung heraus. Sarahs Chef klingelt an der Tür, will er doch noch kurz schauen, ob er ihr gut geht. Die Frau lässt ihn ein und gibt sich als Sarahs Mutter aus. Während die beiden freundlich miteinander plaudern, trifft Sarahs wirkliche Mutter Louise (Nathalie Roussel) ein. Während sie hoch zum Bad geht, aus dem Sarah sich gerade befreien konnte, tötet die Frau Jean-Pierre. Die vollkommen aufgelöste Sarah tötet versehentlich ihre Mutter und kann sich gerade noch ins Badezimmer zurückziehen. Die Frau versucht weiterhin, zu Sarah ins Badezimmer vorzudringen. Die Polizei kommt vorbei und will schnell nach dem Rechten sehen. Sie haben einen gefangenen Jugendlichen dabei. Der Frau gelingt es, zunächst zwei der Polizisten zu töten, als der dritte mit dem Gefangenen ins Haus kommt, können die beiden die Frau zwar vertreiben, doch werden auch sie schließlich Opfer ihrer Gewalt. Sarah, die denkt, die Gefahr sei gebannt, liegt im Schlafzimmer auf ihrem Bett, als die Frau hereinkommt und versucht, sie zu küssen. Sarah beißt ihr die Zunge ab, flieht in die Küche und will sich und ihr Kind töten, als die Frau ihr einen Toaster auf den Kopf schlägt und sie massiv mit einer Schlinge würgt. Erneut kommt es zu einem Moment der Ruhe, die Frau zündet sich eine Zigarette an und Sarah ergreift die Gelegenheit und sprüht ihr etwas Entflammbares ins Gesicht. Die brennende Frau rennt schreiend fort und Sarah, die schwer verletzt ist, droht zu ersticken. Sie setzt sich selbst einen Luftröhrenschnitt. Dann bastelt sie sich eine Art Speer und geht durchs Haus, die Frau zu suchen und zu töten. Als sie sie findet, fragt diese, ob sie es erneut tun wolle – sie töten? Nun sehen wir den Unfall erneut und diesmal begreifen wir auch, wer in dem andren Wagen saß: Die Frau, die damals IHR Kind verlor. Nun will sie Sarahs haben. Sarah wurde jedoch mitgeteilt, daß die Fahrerin des anderen Wagens den Unfall nicht überlebt habe. Sarah geht verunsichert ins Wohnzimmer, wo sie den Polizisten trifft, der den Gefangenen bei sich hatte. Dieser ist vollkommen verwirrt und drischt mit einem Feuerhaken auf sie ein und erwischt dabei ihren Bauch derart, daß die Fruchtblase platzt. Er will sie töten, wird jedoch seinerseits von der Frau mit Sarahs selbstgebastelter Lanze erstochen. Die sterbende Sarah liegt auf der Treppe und teilt der Frau mit, daß sie das Kind nicht mehr gebären könne, sie habe keine Kraft mehr. Die Frau versucht, die Geburt einzuleiten, doch nutzt es nichts mehr. Sie schneidet der sterbenden Sarah das Kind schließlich aus dem Bauch heraus. Im letzten Bild sehen wir die Frau mit dem Baby auf dem Schoß in einem Stuhl sitzen und das leise krächzende Kind beruhigen.

2007 legten die Regisseure Alexandre Bustillo und Julien Maury ihren extrem blutigen Schocker À L’INTÉRIEUR (Originaltitel) vor, hierzulande schnell verboten und ansonsten etwas untergegangen zwischen den lauteren Horrorvehikeln jener Jahre wie FRONTIER(S), ebenfalls von 2007, HIGH TENSION von 2003 oder auch dem philosophisch angehauchten MARTYRS aus dem Jahr 2008. Mit dem ihn weitaus mehr verbindet als mit den erstgenannten Filmen.

Es wäre ein Leichtes, den Film zu kritisieren, denn obwohl das Drehbuch manche Schwächen sonstiger Horrorfilme umgeht – so bleibt Sarah skeptisch, als die Frau an ihrer Tür schellt, was in den meisten Filmen solcher Machart nicht der Fall gewesen wäre – , baut es dann wiederum andere Fehler und Unlogiken ein – ein Polizist schleppt einen gefesselten, jugendlichen Straftäter mit in ein Haus, in dem zwei Kollegen möglicherweise Probleme haben und ruft zudem keine Verstärkung? – , die den Verlauf der Handlung durchaus unglaubwürdig machen. Doch bauen die Macher des Films von allem Anfang an eine derart surreale Atmosphäre auf – die fast liebevoll gefilmte Unfallstelle zu Beginn, die so auch in Godards WEEK END (1967) hätte auftauchen können; Sarahs extrem abweisende Haltung gegenüber Ärzten, ihrer Mutter und auch gegenüber ihrem Chef, der sich auf einer Parkbank zu ihr setzt, ohne das wir erahnen können, mit wem wir es da zu tun haben – , daß sich relativ schnell die Frage stellt, womit wir es hier eigentlich zu tun haben?

Zunächst einmal ist dies ein Splatterfilm, daran gibt es keine Zweifel. Dem Zuschauer wird wenig bis gar nichts erspart, inklusive eines voll frontal gezeigten Kaiserschnitts, diverser ausführlich dargestellter Tötungen mit Scheren, Revolvern, Stricknadeln und anderen spitzen Gegenständen und – obwohl kein Splatter doch ein massiv zum Unwohlsein des Publikums beitragender Effekt – immer wiederkehrender Einstellungen auf das ungeborene Kind in der Gebärmutter, das hin und her geschüttelt und teils in Blutblasen getaucht wird. Doch wie in dem ein Jahr jüngeren MARTYRS gelingt es auch hier, dem Splatter ein Mehr abzugewinnen; ein Mehr an Mitgefühl, ein Mehr an Aussage, ein Mehr an Tiefe. Und ein Mehr an Verstörung. Wir ahnen früh, mit wem Sarah es da zu tun hat, war doch die Auslassung des anderen Wagens am Anfang schon auffällig. Auch die Kenntnisse der „bösen“ Frau über Sarah und deren toten Mann verweisen auf die Tragik des Unfalls. Stellt sich allerdings die Frage: Wieso wurde Sarah mitgeteilt, die Frau sei tot? Wollte man die junge Mutter vor schlechten Gefühlen, Schuldgefühlen, schützen? Wollte man sie schlicht nicht belasten vor der Geburt des eigenen Kindes? Oder…hat man ihr schlicht die Wahrheit gesagt? Dann nämlich hätten wir es hier nicht nur mit einem Splatter- sondern ebenso mit einem Geisterfilm zu tun. Dann wäre die Aussage der Frau, als Sarah sie, mit ihrer Lanze bewehrt, im Schrank aufstöbert, gar nicht metaphorisch zu verstehen? Dann ist sie wirklich tot? Und würde das nicht auch einige der eher schwer nachvollziehbaren Handlungen dieser Frau erklären? Ihre Kenntnisse über Sarah ebenso, wie ihr letztlich scheinbar problemloses Eindringen ins Haus? Und ihre manchmal widersprüchlich wirkende Haltung Sarah gegenüber: Sie will sie töten, zumindest will sie ihr das Baby aus dem Leib „klauen“, verhält sich ihr gegenüber aber dennoch inadäquat, wenn sie sie scheinbar liebkost, wenn sie ihr bei ihrem ersten Auftauchen im Haus zwar Schmerz zufügt, die Situation aber nicht direkt nutzt, wenn sie ihr später, nachdem sie die Polizisten getötet hat, eher liebevoll über Leib und Gesicht streicht? Würde dies nicht auch erklären, daß Sarah diese Frau nicht töten kann, obwohl sie ihr massiv zusetzt?

Andererseits: Erklärte eine Geistererscheinung das Fehlverhalten der Polizisten? Ein Drehbuch, das sich bis dahin solche Mühe gibt, eben nicht in all die typischen Logikfallen anderer Horrorfilme zu tappen, kippt dermaßen, daß es uns plötzlich Gesetzeshüter präsentiert, die dümmer sind, als die Polizei erlaubt? Was also böte sich dahingehend als Lösung an? Nimmt man die ebenfalls schon recht merkwürdig anmutenden Szenen am Tag vor jener „Horrornacht“, also jene im Krankenhaus, im Park usw., die uns eine scheinbar entfremdete Sarah zeigen, die weder besonders freundlich mit ihrem Arzt, noch mit der Mutter oder ihrem väterlichen Chef umgeht, drängen sich schnell Ideen auf, wie die, daß man es hier mit einer schwer verunsicherten, traumatisierten Frau zu tun hat am Vorabend der Geburt ihres ersten Kindes. Daß der Autounfall wohl stattgefunden hat, davon sollten wir ausgehen, da sie bei der Untersuchung die entsprechenden Narben aufweist. Doch dann gibt uns wiederum zu denken, daß sie nach dem ersten Angriff der „bösen“ Frau exakt an derselben Stelle ihres Gesichts einen tiefen Schnitt davonträgt, wo zuvor die Narbe vom Autounfall war. Hat hier vielleicht jemand eine Psychose? Ausgelöst durch eine pränatale Depression zum Beispiel? Erzählt INSIDE möglicherweise einfach auf ultradrastische Weise, wovon man immer wieder hört und liest: Daß eine anstehende Geburt durchaus imstande ist Ängste auszulösen, die enorme Kräfte entfalten? Daß man gar das Kind in sich ablehnt, es abstoßen will?

Andeutungen, Hinweise, es liegt ein Raunen über diesem seltsam stillen Film, der bei all seiner Drastik filmisch doch ruhig gehalten ist. Selten, daß die Kamera sich wirklich nah ans Geschehen begibt; keine schnellen oder rasanten Schnitte, die uns verwirren oder gar die Orientierung verlieren lassen; keine wackelnde Handkamera, bzw. nur sehr selten und pointiert eingesetzt – meist betrachtet die Kamera die Handlungen eher mit Distanz, aus der Halbtotalen, die Entfernungen maximal nutzend, die die engen Räume des Hauses bieten, in denen sich 90 Prozent der Handlung abspielen. Sie verfolgt die Protagonisten manchmal fast elegant gleitend auf deren Wanderungen durchs Haus, nimmt manchmal extreme Winkel ein und präsentiert uns so die Enge des Flurs, die Höhe des Wohnzimmers oder des Treppenaufgangs. Und fast scheint es, als wolle sie den größtmöglichen Abstand zu all dem Schrecken einnehmen, das Grauen abhalten – und doch zugleich fasziniert hinschauen und allzu genau sehen wollen, was geschieht. Sehen wollen, wie die Struktur der Haut zerstört wird, wie der Körper sich unter der Gewalteinwirkung verändert, will wahrnehmen, wie das Blut, das einer Arterie entweicht, nicht nur die Färbung, sondern das Wesen eines Raumes verändern kann.

Was auffällt: Wir wundern uns über dieses Haus, wo diese junge Frau, Witwe, werdende Mutter allein lebt, wo nichts von einer Persönlichkeit, nichts von der Geschichte dieser Frau, dieser Familie erzählt. Weiße Wände, kaum Bücher, keine Bilder, nichts Persönliches – hier könnte jeder und niemand leben, das Haus wirkt wie eine Durchgangstation zwischen…hier und dort…Geburt und Leben…Leben und Tod? Das Blut scheint das Schmiermittel zu sein, um die Übergänge zu erleichtern, immer. Alles ist Gewalt: Ins Leben kommen ebenso, wie ihm entweichen. Am Ende dieser Nacht ist hier nichts mehr weiß, nichts mehr aseptisch oder steril, tiefes Rot wird die Szenerie bestimmen. Oft nimmt INSIDE von Struktur, Ablauf und auch im Grotesken das Wesen eines Traumes an. Befinden wir uns in dem Alptraum einer Sterbenden? Einer werdenden Mutter, die so die letzten Momente erlebt, nachdem sie einen schweren Autounfall verursacht hat?

Ähnlich wie der artverwandte MARTYRS, baut auch INSIDE recht wenig Spannung auf; wenn die „böse“ Frau einmal im Haus ist, befinden wir uns in diesem surrealen Setting, wo wir nur wenigen Schocks und Effekten ausgesetzt werden. Dafür aber umso mehr Drastik in der Darstellung der Gewalt. Eben traumhaft spult sich die Handlung ab und obwohl wir lange hoffen, daß die Sache für Sarah irgendwie noch positiv enden möge, ahnen wir früh, daß dem nicht so sein wird. Und langsam schleicht sich – eine großartige Qualität des Films, dies gekonnt so subtil auszuspielen – fast Mitleid mit dieser „bösen“ Frau ein. Wenn sie ob ihrer Unfähigkeit, die Badezimmertür aufzustemmen oder einzuschlagen, in unartikulierte Laute ausbricht und sich die Haare rauft, dann nehmen wir Béatrice Dalle die sich dahinter andeutende Verzweiflung vollkommen ab. Wir ahnen, daß hinter all dem, was hier passiert, ein ungeheurer Schmerz sich verbirgt. Natürlich rechtfertigt das nicht das gräßliche Morden, vielleicht aber erklärt es ein wenig, was dahinter stecken könnte. Zumindest, wenn wir es nicht mit einer Abspaltung Sarahs zu tun haben, einer Projektion, dem Versuch, etwas von sich zu weisen, dem man sich nicht stellen mag: Der Verantwortung für ein (werdendes) Kind…der Schuld…dem Leben selbst…

INSIDE ist ein recht verstörender Film, der sich qualitativ deutlich von den reinen Unterhaltungsslashern wie HIGH TENSION abhebt. Allerdings ist er – wie man sehen konnte – auf sehr wohlwollende Interpretation angewiesen, um nicht in seinen Logiklöchern zu versinken. Das schmälert seine Wirkung dann leider doch ein wenig. Es bleibt aber ein Terrorfilm der besseren Art, der sowohl formal als auch inhaltlich überzeugt, hängen bleibt und seinen Schrecken tief einpflanzt in den Betrachter. Nachhaltig.

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