HOSTILE

Ein ebenso gelungenes wie bedenkenswertes Debut von Matthieu Turi

Die Apokalypse hat offenbar stattgefunden und die Städte sterben lassen, die Oberfläche der Erde in eine Wüste verwandelt.

Die junge Juliet (Brittany Ashworth) fährt mit ihrem zu einem Kampfwagen umgebauten Van eine Patrouille. Unterwegs entdeckt sie an Masten und Autowracks abgenagte Leichen. Sie checkt u.a. eine Tankstelle und merkt, daß etwas in der Zwischendecke vor sich  geht. Per Funk nimmt sie Kontakt zu ihrer Basis auf, um mitzuteilen, daß sie eines „der Dinger“ entdeckt habe. Sie kündigt an, jetzt heimzukehren.

Sie trifft auf einen Camper. Ein Mann (Jay Benedict) liegt schwer verletzt an dem verschlossenen Wagen. Er sagt, er habe eins dieser „Dinger“ da drin. Er bittet Juliet, ihn zu töten, da er zu schwer verletzt sei. Sie antwortet, sie könne keine Kugel an ihn verschwenden, wenn er sterben wolle, solle er einfach die Hände von der Wunde nehmen. Sie dringt in den Camper ein und tötet, was dort drin ist. Wieder bei dem Mann, ist dieser verstorben. Seine Hände liegen weit abgespreizt links und rechts von ihm.

Juliet fährt weiter, unterwegs erfasst eine Windbö den Wagen, wodurch ein Polaroidfoto, das hinter der Sichtbende klemmt, verweht. Sie will danach greifen, der Wagen gerät ins Schlingern und überschlägt sich.

Als Juliet zu sich kommt, liegt der Wagen kopfüber unterhalb der Böschung. Ihr Bein ist gebrochen und sie ist zwischen Steuer und Sitz eingeklemmt. Die Nacht dämmert heran und Juliet, die Kontakt mit ihrer Basis aufnehmen konnte, nachdem sie sich unter Schmerzen befreit hat, muß sich darauf einstellen, daß sie erst am Morgen gerettet werden kann. Mit „diesen Dingern“ da draußen, so sagt ihr die Stimme von Harry (David Gassman), könne der Hubschrauber nicht landen.

Eins der „Dinger“ (Javier Botet) nähert sich dem Wagen. Juliet gelingt es, dessen Angriffe abzuwehren und es zu vertreiben.

Die Nacht wird immer länger und erneut nähert sich etwas dem Wagen. Es ist ein Motorrad, das offenbar von zwei Rockern gefahren wird. Einer dringt in den Wagen ein dun versucht, Juliet zu töten. Er wird von einem der „Dinger“ gepackt, sein Kopf zermalmt und das Hirn gefressen. Juliet gelingt es erneut, sich zur Wehr zu setzen.

Die ganze Nacht hindurch wird sie von Erinnerungen an die Zeit vor der Katastrophe gequält. Wie sie in Neww York Jack (Grégory Fitoussi), einen wohlhabenden Galeriebesitzer, kennenlernte. Wie dieser ihr nach hause folgte und herausfand, daß sie eine Drogenaabhängige war; wie er ihr geholfen hat, die Sucht zu überwinden und ein neues Leben zu beginnen. Die beiden wurden ein Paar, auch, weil Jack sich von der taffen Juliet nicht abschrecken ließ. Er streicht ihr übers Gesicht und sie muß lächeln – eine Geste, die er von seiner Mutter übernommen hat.

Schließlich wurde Juliet schwanger, verlor aber das Kind. Die Beziehung mit Jack drohte daran zu zerbrechen. Als er sie verließ, wurde er Opfer eines Chemikalienanschlags auf die New Yorker U-Bahn. Juliet eilte ins Krankenhaus, wo sie den schwer verletzten Jack fand. Er schrieb ihr auf ein Tafel, daß er sie liebe und daß sie ihm versprechen müsse, niemals aufzugeben. Am nächsten Tag war er aus dem Krankenhaus verschwunden, vermeintlich tot.

Juliet denkt an diese letzten Momente mit ihm und nimmt die Waffe, die sie sich an den Kopf hält, wieder herunter. Sie baut eine Falle aus einem Benzinkanister und einer Fackel und setzt diese in Brand, um einen weiteren Angriff abzuwehren. Die Explosion vertreibt das Wesen, jedoch hat sie Juliet umgehauen, die das Bewusstsein verliert. Als sie zu sich kommt, wird sie erneut dem „Ding“ konfrontiert. Sie schießt auf das Wesen und verletzt es schwer. Doch es kommt wieder zu sich und kriecht auf Juliet drauf. Dann streicht es der jungen Frau übers Gesicht.

Juliet hält das tödlich verwundete Wesen in den Armen und sagt ihm, daß sie es liebt. Das hatte sie Jack nie sagen können, obwohl der es sich immer gewünscht hatte. Wange an Wange sitzen die beiden da, Juliet setzt den Revolver an den Kopf des Wesens.

Über der Wüste geht die Sonne auf. Es dröhnt ein Schuß durch die Stille.

Das zeitgenössische französische Kino mag nicht mehr die die intellektuelle Strahlkraft haben, die es in den 50er, 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehabt hat, es mag wohl keine Regie-Giganten wie Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Claude Chabrol oder Jacques Rivette und etliche andere hervorbringen, es gelingen ihm aber seit geraumer Zeit erstaunliche Beiträge zum Genrekino. Die französische Komödie bleibt außerhalb Frankreichs wohl immer speziell, aber ob Thriller, Dramen oder im Horrorfach bringen französische Filmemacher gleichbleibend hochwertige Werke hervor. Vor allem im Horror-, heute würde man eher vom Genre des Terrorfilms sprechen, wissen die Franzosen zu überzeugen. Unter anderem Xavier Gens lieferte mit FRONTIÈRE(S) (2006) einen wesentlichen Beitrag dazu.

Es war eben dieser Xavier Gens, der Mathieu Turis Debut HOSTILE (2017) als ausführender Produzent zur Verfügung stand und damit einem Newcomer die Chance gab, die er selbst einst durch die Fürsprache Luc Bessons erhalten hatte. Turi erzählt in seinem gerade einmal 84 Minuten langen Erstling aus einer postapokalyptischen Welt, die uns nie näher erklärt wird, auch, wie es zur scheinbaren Ver-Wüstung der Welt kam, wird nicht berichtet. Die Handlung spielt sich in einer einzigen Nacht ab, in der Juliet, die offenbar auf einer Patrouille war und mit ihrem vergitterten Wagen liegen geblieben ist, sich einer Kreatur erwehren muß, die um das Autowrack schleicht. Dabei wird sie von dem offenen Bruch ihres Schienbeins ebenso gequält, wie von ihren Erinnerungen an Jack, den sie in der „alten Welt“, in ihrer Heimatstadt New York, kennengelernt und in den sie sich verliebt hatte. Turi gelingt ein seltsamer Hybrid aus wahrem Endzeitthriller und einer berührenden, wenn nicht gar kitschigen, Liebesgeschichte, deren allegorischer Charakter sich dem Zuschauer erst in allerletzter (Film)Minute erschließt.

Die sich im auf dem Kopf liegenden Van verbarrikadierende junge Frau ist der sie umgebenden Dunkelheit gnadenlos ausgeliefert. Die Wüste – schon in Coralie Fargeats REVENGE (2018) Sinnbild für Entfremdung, Verlassenheit und eine feindliche Welt, in der sich eine junge Frau behaupten muß – wird hier zur tödlichen Bedrohung, weniger durch ihre schiere Weite, die sengende Sonne oder andere darin lauernde Gefahren, sondern eher durch  die Undurchdringlichkeit ihrer Düsternis bei Nacht. Was da auf Juliet lauert – ein Vertreter jener Wesen, die scheinbar nach der Apokalypse entstanden sind, seltsam geschlechtslose Humanoiden mit schrecklichen Verwachsungen und hungrig nach Menschenfleisch – ist eben kein Wüstenbewohner, scheut es doch grelles Licht. Da die Welt, wie HOSTILE sie präsentiert, nur noch aus Wüste zu bestehen scheint, ist sie nicht nur für die Frau, sondern auch ihren Widersacher feindlich – hostile.

Der wirkliche Twist dieses Films besteht in seiner Anti-Klimax. Während der Nachtstunden taucht ein Motorrad am Wagen auf, ein wilder Kerl, aber eindeutig als Mensch gezeichnet, versucht, Juliet zu töten. Das fremde Wesen erwischt ihn, tötet und frisst ihn. Erstmals dämmert dem Zuschauer, daß auch hinter der vermeintlichen Bedrohung ein bedauernswertes Wesen stecken könnte. Und genau so inszeniert Turi es. Es ist hungrig, es ist ebenso verloren wie die taffe Juliet, es bewegt sich mitleiderregend schwerfällig und gibt zwar ekelerregende Geräusche von sich, verrät sich dadurch aber auch sofort. Dies ist kein Zombie im herkömmlichen Sinne. Es ist die Ausgeburt einer wohl menschgemachten Hölle, die ebenso mit den sie umgebenden Bedingungen klar zu kommen versucht, wie die wenigen überlebenden Menschen.

Der Auseinandersetzung, die die ganze Nacht hindurch dauert und ein ebenso überraschendes, wie erschreckendes Ende bereithält, setzt Turi Juliets Erinnerungen entgegen. Wie sie Jack durch Zufall traf, der ihr half, ihre Drogensucht zu überwinden, mit dem sie aus den Slums in ein Leben in Schönheit und Helligkeit eingetreten ist, ein Leben voller Kunst und Musik. Mit dem sie aber auch den Verlust eines totgeborenen Kindes erleiden musste und wie die Beziehung daran zu zerbrechen drohte. Es ist ein Angriff mit Chemikalien auf die New Yorker U-Bahn, die Jack schließlich töten wird – zumindest ist er am Tag nach dem Anschlag aus dem Krankenhaus verschwunden – und als einziger Hinweis auf das drohende Armageddon gelesen werden kann, das die Welt zu der gemacht hat, die sie im Film schließlich ist. Die gesamten Episoden aus der Vergangenheit – also der Gegenwart des Publikums – sind fast zu schön, um ernst genommen zu werden. Da taucht der edle Ritter auf, der die Holde errettet, die  unterzugehen droht. Er ist reich, er ist intelligent, er ist lieb, er ist alles, was frau sich wünschen kann. Und natürlich sofort entflammt. Er weiß mit einer simplen Geste die harte und im New Yorker Großstadtdschungel sich behauptende Juliet zum Lächeln zu bringen. Mit ihm ist ein Leben in Schönheit, Reichtum (nicht nur materiellem) und Glück möglich.

Erst wenn Juliet im heraufdämmernden Wüstenmorgen etwas von Jack im fremden Wesen zu erkennen glaubt, begreifen wir, daß wir die ganze Zeit einer Allegorie aufgesessen sind. Der Jack unserer Gegenwart erklärt ihr an einer Stelle, daß er in den Reichtum habe hinein wachsen müssen, den er geerbt hatt. Und daß sie das auch könne. Erst die letzten Bilder in Turis Film lassen uns begreifen, daß wir all den Reichtum, dessen wir ansichtig geworden sind, wozu auch die Schönheit der Wüste gehört, so wie Vincent Viellard-Barons Kamera sie einfängt und bei Tage keineswegs bedrohlich wirken lässt, ebenfalls allegorisch begreifen müssen. Wir sind Menschen und wir haben es in der Hand. Sie liegt da, die Welt in all ihrer Pracht. Es ist an uns, diese Schönheit zu bewahren und ihren Reichtum zu genießen. Doch es ist auch an uns, das dafür Notwendige zu tun. Wenn schließlich in einer Totalen der Wüste ein einsamer Schuß erschallt, und wir wissen, daß Juliet den Traum des Lebens beendet, begreifen wir, daß Turi eine Elegie gedreht hat. Es ist die tieftraurige Elegie auf den Menschen, der sich seiner eigene Möglichkeiten beraubt hat und dem nichts weiter bleibt, als in der Einöde dessen zu vegetieren, was er selber geschaffen hat. Fragt sich, ob solch ein Leben noch lebenswert ist…

Turi, der erstaunlich souverän inszeniert und den äußerst begrenzten Raum des Wagens, sowie dessen spärliches Licht in der Dunkelheit hervorragend einzusetzen versteht, ist deshalb ein erstaunlicher Beitrag gelungen, weil er mit seinem Film nicht einfach Horror, Schrecken und Terror erzeugen will, sondern vor allem einem bestimmten Gedanken nachhängt. Eben einem elegischen. So erzeugt er beim Publikum auch keinen Schocks, eher im Gegenteil ist der Schrecken, der zweifelsohne existiert, eher schleichend. Eher ist es die Gesamtsituation, die uns unwohl fühlen lässt, als die ein, zwei wirklich drastischen Momente, die es allerdings auch gibt. Die Turi aber wie nebenbei einbaut und auf deren Potenzial er verzichtet, indem er sie nicht eine Sekunde ausnutzt. Überhaupt versteht er es für einen Anfänger erstaunlich gut, seine Mittel ökonomisch einzusetzen. Das „Monster“ wird uns kaum und wenn, erst spät vollends präsentiert, das Timing des Films ist gut und auch die Sequenzen, die in Juliets Erinnerung entstehen, sind auf den Punkt und exakt in dem, was sie uns vermitteln sollen.

HOSTILE, der gelegentlich an berühmte Vorgänger wie MAD MAX (1979) erinnert und dennoch nie wie ein Abzug oder eine Hommage wirkt, weil er sein Setting perfekt  zu nutzen weiß, ohne es zu strapazieren, kann ebenso als gelungenes Debut betrachtet werden, wie auch als gültigen Beitrag zum Horror- und Terrorkino. Als ein Beitrag, der überrascht, weil er seinem Publikum etwas Bleibendes vermitteln will und kann.

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