DIE HIMMLISCHE TAFEL/THE HEAVENLY TABLE

Donald Ray Pollocks dritter Roman wechselt ein wenig die Richtung...

Drei Brüder, die nach dem Tod ihres Vaters lieber in Banküberfällen machen, als weiter die Felder der Reichen zu bestellen, ein Vater, der seinen Sohn sucht und sich fragt, wie er seiner Frau klar machen soll, daß der Junior sich zur Armee gemeldet hat, ein Leutnant der Armee, der seinem Heldentod auf den Schlachtfeldern Europas entgegenträumt, während er in den Hurenhäusern von Meade, der Kleinstadt, die hier das Zentrum der Handlungen liegt, feststellt, daß seine Vorliebe Männern gilt, ein Schwarzer, der nach zehn Jahren im Norden die Familie wiedersehen will und erfährt, daß sich im Süden nichts geändert hat, ein Senkgrubeninspekteur, der zwar mit einem Organ von der Größe einer Riesengurke ausgestattet ist, davon aber niemals wird Gebrauch machen können, da er regelmäßig in Ohnmacht fällt, wenn eine Erektion sich auch nur andeutet, ein Serienmörder, der vergessen und unbemerkt sein Unwesen treibt, bis er sich mit dem Falschen einlässt – so in etwa könnte man das wesentliche Personal in Donald Ray Pollocks letztem Roman THE HEAVENLY TABLE beschreiben.

Anders als in den Vorgängern KNOCKEMSTIFF und THE DEVIL ALL THE TIME, denen ebenfalls schon schwarzer Humor bescheinigt wurde, der sich allerdings bestenfalls als ausgesprochen grimmiger Sarkasmus entpuppte, kann man hier wirklich davon sprechen, es mit einem schwarzhumorigen Werk zu tun zu haben. Pollock sucht sich bewusst die Zeit des Ersten Weltkriegs, um eine Welt im Umbruch, auf dem Weg in die Moderne, mit der ökonomisch wie sozial gnadenlos rückständigen Welt und Gesellschaft der Südstaaten zu konfrontieren. Während in Europa der Krieg tobt, herrschen in den Staaten des Südens und Mittleren Westens noch immer gesellschaftliche Zustände wie während der sogenannten „Reconstruction“ nach dem Sezessionskrieg in den 1860er und -70er Jahren: Ungezügelter Rassismus, Hass auf Gott und die Welt, am meisten auf sich selbst, eine permanente Gewaltbereitschaft bei bitterer Armut und gnadenloser Mitleidlosigkeit prägen, ja definieren diese Welt. Ein jeder muß schauen, wo er bleibt und darf nirgends und bei niemandem Mitgefühl erwarten, findet er es doch einmal, nutzt er es aus, bevor er selber erneut ausgenutzt wird.

Pollock bleibt sich sowohl in der Wahl seiner Mittel, seiner Erzähltechnik und auch seinem Sujet treu, traut sich hier allerdings eher, Figuren der Lächerlichkeit Preis zu geben oder aber Situationen in ihrer ganzen Skurrilität auszuspielen, eine Qualität, die den Vorgängern noch ein wenig abging. Doch an der Basis haben wir es auch hier mit einem hard-boiled Thriller, einem Werk des Noir zu tun, einem Gesang von einem Land, in dem der Mensch des Menschen Wolf, wo nichts Gutes zu erwarten und alles Schlechte wahrscheinlich ist. Wie in den Vorgängern baut sich Pollock ein Geflecht aus zunächst unabhängig voneinander wirkenden Figuren, die sich wie in einem präzis ablaufenden Uhrwerk aufeinander zu bewegen und schließlich in der Begegnung miteinander ihr Schicksal treffen, bzw. sich ihr Schicksal erfüllt. Daß Pollock dabei dem Schwächsten der hier Beschriebenen ein Happy End gönnt, macht den Roman schließlich erträglich. Denn so sehr Sujet, Mittel und Stil auch den Vorgängern gleichen, THE HEAVENLY TABLE ist doch anders.

Bewusst in Anspielung auf die Groschenromane, ‚Pulps‘ genannt, die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkamen und sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreuten, weil sie den Menschen in den großen Städten wie Chicago, vor allem an der Ostküste – New York City, Boston, Washington – von der Eroberung des Westens, den Heldentaten der Siedler und Schurkentaten der faszinierenden Verbrecher wie Jesse James erzählten und damit gute Unterhaltung boten, entwickelt Pollock zunächst eine Räuberpistole um drei Brüder, die Jewetts, die sich nach dem Tod des Vaters aufmachen, als Bankräuber ihr Glück zu versuchen, angestachelt durch ein eben solches Pulp-Heftchen. Damit nimmt er sich durchaus Freiheiten, denn in Groschenromanen darf alles etwas größer, etwas gewagter, etwas brutaler und frivoler sein, als die Wirklichkeit es bereit hält. Pollock definiert also auch die Differenz zu eben dieser Wirklichkeit. Geschickt wechselt er den Ton, je nachdem, welchem Strang seiner Erzählung er sich zuwendet. Das wechselt dann durchaus von ernst gemeinten und manchmal tieftraurigen Passagen zu solchen, die mit einem ironischen, manchmal bereits tief sarkastischen Unterton erzählt werden. Doch ebenso, wie es Pollock gelingt, aus tieftraurigen Momenten Humor zu generieren, gelng tihm auch das Gegenteil: In Momenten, in denen wir lachen wollen, fällt uns im nächsten Moment ein, daß das Geschilderte keienswegs so lustig ist, wie es sich zu nächst ausnimmt. Vor allem in Hinsicht auf Jaspers rieseigen Schwengel gibt es da erstaunlich gelungene Momente.

Wir können also durchaus über einige der geschilderten Episoden lachen, doch oft genug bleibt das Lachen im Halse stecken, wenn man merkt, daß Pollock – ganz bewusst und bösartig – Witze bspw. auf Kosten der Un-Bildung seiner Protagonisten macht. Der Autor nutzt solche Momente auf zweierlei Weise: Einerseits, um den maximalen Abstand dieser Welt, im wahrsten Sinne eine „hinterwäldlerische“, zu der modernen Welt zu markieren, von der hier immer nur die Rede ist, die sich lediglich in für die Protagonisten des Buches vollkommen neuartige Errungenschaften wie dem Automobil bemerkbar macht, ihnen jedoch zumeist eher Furcht einflößt. Allerdings nutzt Pollock solche Momente auch, um den Leser gleich damit zu konfrontieren, daß er, also der Leser, nicht viel besser ist als bspw. Leutnant Bovard und sich mit der gleichen Nonchalance über Menschen wie die Jewetts, aber auch Jasper, den Sanitärinspekteur oder Sugar, einen leicht erregbaren Schwarzen, lustig macht.

Pollock erfasst mit unheimlicher Präzision die Gefühlslage von Menschen, die sich „abgehängt“ fühlen, abgehängt von einer sich ihnen rasend entfernenden Zukunft, die eben noch die Gegenwart war und Morgen bereits Vergangenheit sein wird, die aber zu schnell passiert, als daß Männer wie Cane, Chimney oder gar Cob Jewett die Möglichkeit haben, zu partizipieren. Die Gemeinheit und Bösartigkeit, die Armut, Rassenhass und Unbildung mit sich bringen, kann Pollock in seinen kleinen Miniaturen – und vieles hier mutet genau so an, einige Anekdoten und Stories, die der Autor zu nahezu jeder Figur zu erzählen weiß, fügt der Dramaturgie oder den Personenzeichnungen nichts hinzu, scheinbar blähen sie das Buch lediglich auf denn Umfang von 400 Seiten auf – überdeutlich ausstellen und brandmarken. Daß er dann momentweise auf fast märchenhafte Klischees zurückgreift – darunter das der „wahren“ Freundschaft, die er an anderer Stelle in seinen Romanen nun schon genug desavouiert hat; aber ebenso jenes von den Dummen, die zugleich unschuldig sind – mag dem Wunsch geschuldet gewesen sein, nicht auch sein drittes Buch in einer fürchterlichen Düsternis ausklingen zu lassen, wie es den Vorgängern widerfuhr. Allerdings waren die in gewisser Weise – vor allem KNOCKEMSTIFF – die ehrlicheren Bücher, die tiefere Wahrheiten für den Leser bereit hielten. Hier, in THE HEAVENLY TABLE, mag das Moment der Unterhaltung mindestens ebensolch eine Rolle gespielt haben, wie es die Analyse tat. Pulp eben.

Donald Ray Pollocks dritter Roman fügt sich in die düstere Noir-Welt seines Autors nahtlos ein, dennoch versteht er es hier, andere, in seinem Stil neue Akzente zu setzen. Der erwähnte Humor, ein distanzierterer Blick auf seine amerikanischen Mitbürger, denen er allerdings ein ähnliches Zeugnis ausstellt, wie in seinen früheren Werken, abgemilderte sexuelle und Gewaltdarstellungen (die es dennoch teils in sich haben – man sei gewarnt) und ein (halbes) Happy End lassen THE HEAVENLY TABLE eine andere Richtung einschlagen, allerdings brauchte Pollock das auch, denn wo hätte es nach der allerschwärzesten Schwärze von THE DEVIL ALL THE TIME noch hingehen sollen? Nun darf man gespannt sein, ob er demnächst eher altersmilde mit diesem hochironischen Blick auf Amerika blickt oder doch wieder zurückkehrt in den Dreck und die Düsternis, die bspw. KNOCKEMSTIFF ausgemacht haben.

Man darf gespannt sein…

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