ZONE ONE

Colson Whitehead versucht, die Zombieapokalypse, Gesellschaftskritik und eine Betrachtung New Yorks zusammenzubringen...und scheitert

Der Zombie – eigentlich eine Figur, die dem Voodoo-Mythos entstammt und dort einen willenlosen, durch Zauber (oder „magische“ Mittel) seines Geistes beraubten Menschen bezeichnet, der einem Magier zu Diensten sein muß – wurde durch den Regisseur George A. Romero zu jenem Wesen, das – von den Toten auferstanden – nichts mehr begehrt, als das Fleisch der Lebenden zu fressen. In seiner modernen, popkulturellen Erscheinung ist der Zombie damit vor allem eine Erscheinung des Kinos und sollte in dessen Kontext verortet werden.

Nachdem Romeros Kultklassiker NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) und DAWN OF THE DEAD (1978) eine gewaltige Welle extrem harter, vor allem an der Darstellung von Gewalt und ekelerregenden Details interessierter Zombie-Filme meist italienischer Provenience losgetreten hatten, wurde das kulturkritische Potential, das schon Romero der Zombie-Figur vor allem im zweiten Teil seiner schließlich auf sechs Filme angewachsenen Serie abgewinnen konnte, erst wieder in den Zombie-Revivals der späten 1990er- und der frühen 2000er-Jahre aufgegriffen. Allerdings nutzten Filme wie 28 DAYS LATER (2002) oder die deutsche Produktion RAMMBOCK (2010) die Figur eher zur Reflexion auf gegenwärtige gesellschaftliche Zustände; Produktionen wie SHAUN OF THE DEAD (2004) oder ZOMBIELAND (2009) nutzten das satirische Potential dumpfer Wesen, die man moralisch einwandfrei über den Haufen schießen darf, und verstanden sich vornehmlich als komödiantische Parodien, konnten dem Genre jedoch eigene Qualitäten hinzufügen, die auch bei Aficionados Anklang fanden; daneben gab es etliche Werke wie RESIDENT EVIL (2002), die neben einer Reihe anderer mythologischer Wesen, wie den Werwolf, auch Zombies in ihr Arsenal zu bekriegender Figuren aufnahmen. Doch letztere Filme nutzten, wie eine unüberschaubare Zahl zweit- und drittklassiger direct-to-video-Produktionen und extrem billiger Exploitation-Filme, Zombies so, wie es ihre Vorgänger in den 1980er Jahren getan hatten: Sie zeigten eine endlose Abfolge von Brutalitäten und Widerwärtigkeiten, waren im Kern aber mehr Action-, denn Horror- oder Zombiefilme.

Für Romero war der Zombie der willenlose Konsument, den es nach seiner Auferstehung zwingend in die Tempel seiner lebenslangen Obsession zieht: Die Märkte, die Malls, jene riesigen Einkaufszentren, die in den 1960er und 70er Jahren an den Rändern der Städte entstanden und die Zentren aussterben ließen. Die Welt als Supermarkt, als Konsumhölle, der man nicht einmal durch Ausscheiden aus dem Leben entgehen kann. Daß seine Zombies zumindest in DAWN OF THE DEAD Alltagskleidung, bzw. Arbeitskleidung tragen, sie also, von einigen bewusst schockierenden Großaufnahmen abgesehen, die die Künste des Maskenbildners und Spezialeffekte-Gurus Tom Savini zur Geltung brachten, durchaus dem Publikum in Stil und Aussehen entsprachen, stellte den satirischen Effekt von Romeros Films umso greller heraus. Rundum ein Werk der Pop-Art, korrespondiert diese Darstellung des Zombies als Alltagstypen wie du und ich mit der comichaft überspitzten, extrem expliziten Gewalt des Films, aber auch mit seinen fast blassen Farben, die in den Gore-Szenen eher an Godards Filmblut in WEEK END (1967) erinnern (das bewusst als Farbe zu erkennen war), und auch mit der allgemeinen Hysterie, die der Film in den ersten 40 Minuten verbreitet und die zum Standard wurden in fast allen folgenden Darstellungen der beginnenden „Zombie-Apokalypse“. Ein Titel, der symbolisiert, wofür der Zombie ab nun ebenfalls stand: profanen Weltuntergang oder die mythologisch-religiös konnotierte Apokalypse.

Diesen Standard wählt auch Colson Whitehead in seiner literarischen Zombie-Abhandlung ZONE ONE. 2011 veröffentlicht, ist es eigentlich ein Nachzügler einer unübersichtlichen Flut von Zombie- und Infektionsgeschichten, die seit den 2000er Jahren den Buchmarkt überschwemmte. Wenn nicht losgetreten, so doch maßgeblich von der Fernsehserie THE WALKING DEAD (seit 2010) – die ihrerseits auf einer zumindest in Sammlerkreisen sehr beliebten Comicreihe fußt – verstärkt, fand die Grundgeschichte des Weltuntergangs, bei dem uns entweder unsere verblichenen Ahnen oder wahlweise Massen von an unbekannten Viren Infizierten überrennen und auffressen, auch in der Literatur ihren Resonanzraum. War Romeros Ansatz ein konsum- und zivilisationskritischer und damit ganz auf der Höhe SEINER Zeit, wurde die Zombiefigur nach der Jahrtausendwende eher zum Symbol einer immer unübersichtlicheren Welt, in der unbekannte Kräfte walten und in der sich vor allem die Ängste westlicher Bevölkerungen vor unkontrollierten Migrationsströmen spiegeln. So evozieren, bzw. stellen, sowohl ein Roman wie PLAGUE OF THE DEAD (2006) oder auch ein Film wie WORLD WAR Z (2013) recht unangenehme Bilder von Massen Infizierter aus Afrika, die gegen Wälle anrennen, die an neuralgischen Stellen, wie dem Suez-Kanal, errichtet wurden. Manchmal wirken diese Stories wie eine Vorbereitung auf kommende Kriege. Diesen Ansatz allerdings wählt Whitehead nicht, im Gegenteil. Mehr wie ein Zombie-Roman, wirkt dies wie ein Beitrag zu dem unbegründeten Genre des New York-Romans, das sich von John Dos Passos´ MANHATTAN TRANSFER aus dem Jahr 1925, über etliche distinguierte Gesellschaftsromane und ‚hard boiled‘-Thriller der 30er, 40er und 50er Jahre zu den ebenfalls schon apokalyptisch anmutenden Werken der 1980er und 90er Jahre, wie Tom Wolfes THE BONFIRE OF THE VANITIES oder Bret Easton Ellis´ AMERICAN PSYCHO, bis zu den modernen Wunderkind-Romanen wie Rachel Kushners THE FLAMETHROWERS (2013) oder Garth Risk Hallbergs CITY ON FIRE (2015) erstreckt.

New York als der Ort, der, vor Energie sprühend, jene anzieht, die „es“ schaffen wollen – als Künstler am Broadway, als Broker an der Börse, als Banker an der Wall Street oder Immobilienhai in den Schluchten von Manhattan – und dabei entweder als Stern am Himmel aufgehen oder verglühen und in dunklen Nebenstraßen enden. Die besseren Stories bieten ihrem Publikum Letzteres, weil realistischer. New Yorker haben einen Ruf als rau, aber ehrlich, sie sind praktisch und haben es eilig, immer. New York, die Stadt der Eck-Diners und Juke Joints, der Clubs in Kellern und der großen Shows, die Stadt der Verrückten und der Lebenskünstler und vieler, vieler, die sich übernehmen und an der schieren Gewalt, der Größe, Höhe, der Überwältigung scheitern, die die Stadt auch bietet. Sie ist ein Wahrzeichen – wenn nicht das Wahrzeichen – der Moderne und mit dem immensen Reichtum und der bodenlosen Armut in ihren Straßen und der symbolischen Konfrontation durch jene still schweigende Dame, die seit 1886 die Einfahrt zum New Yorker Hafen ziert und den Armen und Geknechteten eine Heimat anbietet. ZONE ONE – im Roman die Gegend um den Battery Park, hinauf zur Canal Street, also die Südspitze von Manhattan – ist eher eine Meditation über dieses New York und darüber, wie es trotz seiner scheinbaren Lebensfeindlichkeit physische wie geistige Heimat sein konnte.

Über ein Wochenende hinweg begleitet der Leser Mark Spitz, einen jungen oder mittelalten Mann, der sich in einem ‚Sweeper‘-Team wiederfindet, das damit beschäftigt ist, in von Marines und Sondereinheiten bereits gesäuberten Gebieten letzte zurückgebliebene Skels in den Gebäuden aufzutreiben und zu eliminieren. Es handelt sich um Untote, Zombies, Opfer einer nicht näher klassifizierten Epidemie, die sich mit ihrer Mutation in reißende Bestien verwandelt haben. Die Stadt, das Land, die Welt wurden wahrscheinlich überrannt und arbeiten sich nun Stück für Stück zurück in eine zivilisatorische Ordnung. Wer jung, gesund und fähig ist, eine Waffe zu bedienen, wird in den unzähligen Teams eingesetzt, die die Untoten bekämpfen. Doch auch eine ebenfalls nie näher beschriebene Basis oder Regierung, Chiffre „Buffalo“, was auf den Sitz dieser Regierung hindeutet, arbeitet wieder und so findet neben der Säuberung der letzten Gebäude der ‚ZONE ONE‘ auch eine Begehung zur Unterbringung einer Delegation statt, die die Fortschritte an diesem so symbolischen Ort begutachten soll. Denn man muß wieder Politik machen und man muß der Stadt, dem Land, der Welt Optimismus vermitteln und zeigen, daß die Krise überwunden ist. So begleiten Spitz und einige seiner engeren Bekannten eine PR-Managerin, die einen Kongreß vorbereitet. Spitz, der sich im Angesicht der Katastrophe als einen vollkommen durchschnittlichen Menschen, Mann, reflektiert hat, grübelt über die Zufälligkeit des Seins vor und nach der Katastrophe nach, darüber, wie es ihm erstaunlich schnell gelungen ist, sich der Situation anzupassen, wie er durch diese Anpassungsfähigkeit überlebt hat, wie er unterwegs andere getroffen und wieder verloren hat und wie zufällig überhaupt alles Leben ist. Denn auf ihren Rundgängen in den Gängen und Etagen der Bürotürme rund um die Wall Street, begegnen ihnen immer wieder Sonderformen der Opfer jener namenlosen Seuche. Diese verharren an dem Ort, an dem sie mutiert sind oder es hat sie dorthin zurückgezogen: Zu den Orten ihres Lebens, vielleicht; in ihre leeren Büros und einsamen Wohnungen. Und je mehr Spitz sich in diese Leben hineindenkt, desto mehr verwischen die Unterscheide, verwischt das Davor und Danach.

Sprunghaft wird das erzählt, assoziativ. Geschult an dem spezifisch amerikanischen Witz eines Richard Brautigan oder Kurt Vonnegut, gelingt es Whitehead, einen eigenen Ton zu finden, der den Schrecken vermittelt, indem er ihn durchaus mit Sarkasmus profaniert, zugleich aber eine Grundtrauer darüber zulässt, daß da etwas zugrunde geht, das bei all seiner Fehlerhaftigkeit auch eine Hoffnung ausdrückte, eine Idee und eine Utopie, die zumindest für einen kurzen Moment in der Geschichte galten. Sarkasmus ist natürlich die Strategie, in Anbetracht dessen, was aus der Idee wurde, nicht in pure Verzweiflung zu verfallen. Doch sollte man Whiteheads Roman auch nicht als beißende Gesellschaftskritik verstehen, dazu geht Spitz – und durch ihn der Autor – zu freundlich, zu nachsichtig mit dem durchschnittlichen Amerikaner um. So bleibt eher eine fein ironisierte Trauer um eine Spezies, die eigentlich ganz gute Anlagen hatte aber an ihren Eitelkeiten und Sehnsüchten gescheitert ist. Folgerichtig – und damit verrät man nicht zuviel – kann diese manchmal essayistisch wirkende Aneinanderreihung von Gedanken und Reflektionen auf der spärlichen Handlungsebene kaum in einem Happy End aufgehen. Wenn man, bevor Schulen, Gerichte und Behörden überhaupt funktionieren, schon wieder mit dem schönen Schein beschäftigt ist, dem Glanz, den man verbreiten kann und will, dann hat man aus dem Geschehenen nichts gelernt und wird schlußendlich an der alten Dekadenz, Eitelkeit und Gefallsucht verrecken.

Doch diese Erkenntnisse, die der Roman auch eher halbherzig vermittelt, sind nun wirklich nicht der Weisheit letzter Schluß, interessanter schon sind die Beobachtungen, die Spitz hinsichtlich der teils grotesk anmutenden amerikanischen Alltagskultur anstellt, spannend oft die Geschichten, die um die ihn umgebenden Figuren angerissen werden. Ein Panorama des Amerikaners als Subjekt, egal ob er ein Lehrer, Beamter, Angestellter, ob er ein Verbrecher oder ein Polizist gewesen ist. Ein stolzes Völkchen, das Whitehead da vor Mark Spitz´ Augen Revue passieren lässt. Durchaus mit Zuneigung geschildert. Manchmal mit einem durchaus auch bösartigen Blick auf Schwächen. Und dann plötzliche Einbrüche krasser Gewalt, wenn die Realität einer Zombieinvasion Spitz´ Überlegungen ein Ende bereitet und Whitehead sich nicht scheut, mit wenn auch kurzen, so doch drastischen Bildern, dieser Realität Ausdruck zu verleihen und die Dringlichkeit des Geschehens zu vermitteln. Doch findet das Ganze nicht zusammen. Will man der Figur des fleischfressenden Untoten hier noch irgendeine andere Funktion als die der äußeren Bedrohung (eine Rolle, die im Kino-Western klassisch der Indianer einzunehmen hatte), die die Pioniere der „neuen Zeit“ zusammenschweißt, zuschreiben, will man noch irgendeine allegorische Bedeutung aus ihr herauslesen, dann wird es am ehesten die Metapher des vereinzelten, aggressiven, ellenbogenbewehrten Großstädters sein, der im Notfall auch über Leichen geht, immer hungrig nach…ja, nach was eigentlich? Whiteheads Held lässt uns in seinen Meditationen deutlich spüren, daß die dekadente Kultur des Westens zwar eine Menge Spaß gemacht haben mag, aber zwangsläufig nur in den Untergang führen konnte. Und doch schimmert eben immer die Liebe des gebürtigen New Yorkers für diesen Moloch, dieses Monstrum einer Stadt und seine Bewohner durch die Zeilen. So bleibt der Text in sich zwiespältig, unentschlossen und die reichhaltige innere Handlung, in der Mark Spitz in seinen Erinnerungen durchaus auch den uramerikanischen Pioniergeist auferstehen lässt, manchmal geradezu beschwört, und die wenige äußere Handlung, die von extremer Gewalt, von Grauen und Leid, aber auch Freundschaft und Zuneigung kündet, scheinen nie kohärent zueinander zu finden.

Man fragt sich, was den Autor eines so schönen Bandes wie THE COLOSSUS OF NEW YORK (2003) dazu bewogen haben mag, eine Beschwörung des amerikanischen Traums als postmodernen Strohhalm in teuflischen Zeiten, eine dann letztlich doch triviale Zombieapokalypse und eine manchmal geradezu schlendernde Betrachtung der Stadt New York so zusammenzubringen? Momentweise drängt sich dann der Eindruck auf, es hier mit der Aufgabe eines ‚creative writing‘-Kurses für Fortgeschrittene zu tun zu haben: Und bitte, bei aller Düsternis, treiben Sie´s nicht zu bunt, entlassen Sie den Leser trotz allem mit einem irgendwie positiven Gefühl – der Leser bleibt aber eher ratlos denn erschrocken mit diesem schmalen Band zurück.

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