PLATOON: Der Krieg, der Junge und die Nation

Oliver Stones psychoanalytische Deutung des Kriegs in Vietnam

Chris Taylor (Charlie Sheen) gelangt 1967 an die Front, nahe der kambodschanischen Grenze. Hier wird er davon in Kenntnis gesetzt, daß man mit jedem Tag, den man dem Ende seiner Dienstzeit näher kommt, wertvoller wird. Neulinge wie er sind zum Abschuß frei gegeben. Chris versucht, sich so gut es geht in die Abläufe einzugliedern. Während einer seiner Wachen wird das Lager von feindlichen Kräften angegriffen, Männer sterben, Chris wird verantwortlich gemacht. Allerdings war er nicht schuld, ein Kollege hatte seine Wachablösung verschlafen. Chris kommt mit einer leichten Verwundung ins Lazarett, schließlich kehrt er zurück zu seiner Abteilung und wird dort zum „Mädchen für alles“. Nach und nach wird er der Gruppe der „Potheads“ eingegliedert, die sich um den Sergeanten Elias (Willem Dafoe) gebildet hat und der viele Schwarze angehören. Sie sind Pot-, also Marihuanaraucher.. Damit stehen sie diametral der Gruppe um Sergeant Barnes entgegen, die sich an Alkohol halten. Elias und Barnes sind Berufssoldaten, die beide mehrere Dienstzeiten in Vietnam hinter sich haben. Bei verschiedenen Gelegenheiten, v.a. bei der Kontrolle eines vietnamesischen Dorfes, in dem Reis, Waffen, möglicherweise Viet-Cong-Kämpfer aufgetan werden und es daraufhin zu Gräueltaten an der Bevölkerung kommt, wird Chris zu einer Art Symbol, um das Elias und Barnes kämpfen, ein Spielball. Jeder der beiden will seinen Einfluß auf den jungen Mann geltend machen. Bei einem Hinterhalt, den das Platoon einer NVA-Einheit legt, kommt es zur Eskalation. Die Männer können gerade noch ausgeflogen werden, Elias und zwei andere Marines bleiben zurück. Während die Hubschrauber abheben, bricht der verletzte Elias durch den Busch auf die Lichtung der LZ, der Landezone, Barnes läßt dennoch abheben und ausfliegen, Elias stirbt im Geschützfeuer der NVA-Soldaten. In der Folgezeit kommt es wiederholt zu Spannungen zwischen Chris und Barnes, bis es schließlich, mitten in einem heftigen Gefecht, zu einer Art Showdown zwischen den beiden kommt.

Vielleicht liegt es daran, daß Oliver Stone selbst in Vietnam gedient hat und zwar – wie der Hauptprotagonist seines Films PLATOON (1986) – als Freiwilliger. Sein Film jedenfalls wurde bei Erscheinen frenetisch gefeiert – weniger von der Kritik, vielmehr von den Veteranen des Krieges. Die beteuerten wieder und wieder, der Regisseur habe ein treffendes Bild des Konflikts geliefert. Wollte man mentalitätsgeschichtlich vorgehen, wäre es also eine feine Sache, sich anhand dieses Werks mit Fragen der Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinanderzusetzen.

So sehr Oliver Stone zu diesem Zeitpunkt, mitten in der Ära Ronald Reagan, auch als Liberaler, sogar als Linker galt – in seinem erst vierten Film sind genügend subtile Hinweise versteckt, die ihn durchaus dem Zeitgeist anpassen. Der herrschende Zeitgeist war geprägt vom Aufkommen eines neuen Chauvinismus im Geiste der revisionistischen Filmen eines Sylvester Stallone – ab 1982 lieferte der mit der Reihe um den Veteranen John Rambo in den ersten drei FIRST BLOOD-Filmen (1982/85/88) eine klar geschichtsrevisionistische Sicht auf einen Krieg, der Amerika viel gekostet hatte, vor allem Selbstvertrauen und die Sicherheit, moralisch auf der „richtigen“ Seite zu stehen. Rambo insinuierte, der Krieg sei wahlweise absichtlich verloren worden – klassische ‚Dolchstoßlegende‘ – oder aber dauere in Wirklichkeit noch an, da es immer noch amerikanische Gefangene in geheimen Camps im Dschungel gäbe. Stone will seriös wirken und unbedingt eine realistische Sicht auf den Krieg bieten, weit ist er entfernt von der comichaft überhöhten Gewalt und den ebenso brachialen wie einfachen Lösungen, die Stallone in seinen actiongeladenen Zerstörungsorgien bietet. Und doch schwingt auch bei Stone ein subtextuelles Raunen mit, das uns wissen lässt: Es ist anders gewesen, als es die „Babykiller!“ schreienden Demonstranten vor dem Pentagon dargestellt haben. Stone bietet ein hoch ambitioniertes, ausgesprochen ambivalentes Drama, das vielschichtig sowohl ein realistisches Bild des Krieges in Südostasien bieten, wie es auch eine Allegorie sein will, die, auf einer Metaebene erzählt, den Krieg dann momentweise nur noch als Silhouette oder sichtbares Zeichen innerer Vorgänge des Individuums wie des Kollektivs nutzt.

Um die äußere Handlung muß man sich also weiter nicht kümmern. Im Grunde stellt  PLATOON das Alltagsleben von Soldaten – Marines – im Vietnamkrieg dar. Stone schafft eine Atmosphäre, die wohl recht nah an jene herankommt, die in den diversen Camps geherrscht hat. Die Drogen, der Rock’n’Roll, die Langeweile, die Trinkerei, die Patrouillen, die Rassenproblematik, die Unkenntnis der Soldaten und ihr junges Alter – alles Klischees, die die Narration dieses Krieges, seine mediale Verarbeitung – zunächst im Fernsehen und in Zeitschriften, dann in Büchern und im Kino – mit sich brachte, die aber durchaus auf wirklichen Erfahrungen und Beobachtungen und also auf einer realen Grundlage beruhen. Wie die meisten Klischees. Stones Film trug natürlich massiv zu dieser Klischeebildung und -verbreitung bei.

Sehr viel interessanter als der Plot ist die Symbolik, derer Stone sich bedient, um seine Version dieses Krieges darzustellen. Der ist ihm selten ein Politikum, vielmehr wird er zu einer Mannesprüfung, einem Initiationsritus junger männlicher Amerikaner. Deren Reifungsprozeß wird gleichgesetzt mit dem des Landes und so spiegelt sich der Konflikt im Einzelnen, der Einzelne kann aber ebenso zum Symbol für den Konflikt, für die kriegführende Nation selbst werden. Er geht das ganze Unterfangen streng dialektisch an, hält sich dabei an binäre Oppositionen, die ihm als Thesen/Antithesen dienen: Zwei Männer  kämpfen um die Seele eines jungen Kerls. Zudem wird ein quasi-religiöser Rahmen für das Drama geboten, wodurch die Geschehnisse noch zusätzlich überhöht werden: Der Infanteriesoldat Chris Taylor steht zwischen dem von Willem Dafoe zu einer Christusfigur stilisierten Sgt. Elias Grodin und dem von Tom Berenger sinister gegebenen Staff Sgt. Robert E. Lee Barnes[1] – Kräften des Guten  wie des Bösen. Beide versuchen, den jungen Mann mit ihren jeweiligen Mitteln auf ihre jeweilige Seite zu ziehen. Der Konflikt Elias/Barnes spiegelt den der „Potheads“ (Marihuanaraucher) und der „Rednecks“ – so die Bezeichnung für die „Trinker“: „Rednecks“, reaktionäre Kerle, die rassistisch und machohaft ständig austragen, wer der härteste „Kerl“ ist; wobei Barnes immer gewinnt. Die „Potheads“ sind den heimatlichen Hippies nicht ganz unähnlich – Hippies, die es halt in den Krieg verschlagen hat.  Elias ist hier allerdings eher eine Ausnahme, ist er doch, wie Barnes, Berufssoldat – beide sind Hunde des Krieges. Die meisten der Männer, die Elias nahestehen, verfluchen hingegen den Krieg und wollen einfach nur überleben und nach Hause. Sie stehen im filmischen Kontext somit auch für die Stimme der Vernunft. Die „Rednecks“ um Barnes scheinen viel eher einer Kaste der „Krieger“ zu entstammen. Sie begreifen den Krieg als etwas persönliches, sie fühlen und führen ihn im Herzen. Eine weitere Opposition, die Stone auch nutzt, um die Konflikte der Heimat stellvertretend in den Krieg selbst hinein zu verlegen. Womit der Krieg – zumindest spezifisch dieser in Vietnam – als etwas die gesamte Gesellschaft betreffendes, bestimmendes und vereinnahmendes gedeutet wird, was er ja durchaus auch war. Barnes‘ Haß auf Elias ist natürlich auch der Haß des Südstaatlers auf alles, wofür der Norden als Hort der Moderne steht: Homosexuelle, Kommunisten, Liberale usw. Anhand dieser beiden Figuren kann Stone zeigen, wo und mehr noch wie tief der Riß durch die amerikanische Gesellschaft verlief, den dieser Krieg verursachte. Stone wird hier alles zum Dualismus. Alles ist binär. Alles ist Zweikampf. Alles verhält sich antithetisch zueinander.

Der Krieg ist das Medium, durch welches dieser junge Kerl, Chris Taylor, nun also zum Mann reifen kann und soll. Der Krieg wird zu seinem Initiationsritus, im Jünger´schen Sinne zu einem  „Stahlgewitter“. Aber es entscheidet sich hier nicht nur, ob dieser Chris Taylor ein Mann wird, sondern – wesentlicher – was für ein Mann er wird. Entscheidet er sich für den dunklen Weg – Barnes` Weg, der den Krieg als Geliebte betrachtet, dem Irrsinn, dem Furor des Kampfes und des Tötens anheimfällt? Oder wird es Elias´ Weg sein, für den sich Chris entscheidet – der Weg eines Kriegers, der den Kampf durchaus als Lebensform begreift, ihn jedoch nicht sucht, ein Mann, der den Krieg in seinem inneren Wesen zu begreifen scheint, ihn zugleich aber nicht in sein Innerstes einlässt, vielmehr sich, seine Seele, zu schützen versteht? Stone inszeniert die Auseinandersetzung zwischen Taylor und Barnes als Emanzipationsgeschichte. Taylor muß sich befreien, er muß seine eigenen Gründe erkennen, warum er – er ganz persönlich – in diesen Krieg gezogen ist. Er kann nicht nur in der Hoffnung in den Krieg ziehen, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen. Die Auseinandersetzung und Abrechnung mit Barnes wird schließlich zur symbolischen Loslösung des Sohnes vom (übermächtigen) Vater und dessen Erwartungen. Erwachsen werden, zum Mann reifen, beinhaltet auch, eigene Entscheidungen auf der Basis eigener Erfahrungen und Werte zu treffen und zu möglichen Konsequenzen zu stehen – was exakt die Erfahrung ist, die Taylor macht. Elias, der in seiner Erscheinung jugendlicher und agiler wirkt als Barnes, nimmt da eher die Rolle eines großen Bruders ein. Er kann die Richtung weisen, nicht jedoch stellvertretend Kämpfe kämpfen, die ein jeder selbst bestehen muß. Stone´sche Dialektik: Ein Teil von Chris wird Barnes Wesen und sogar seine Methoden adaptieren, gar in sich suchen und zulassen müssen, um eben diesen Barnes, der dem inneren Wesen des Krieges so viel mehr zu entsprechen scheint als zum Beispiel Elias, überwinden zu können. Im Kern ein Entwicklungsdrama, spielt sich all dies nicht umsonst im terminologischen Kontext der Familie ab. Denn „Familie“ als Institution läßt sich hervorragend kurzschließen mit dem Begriff der „Nation“, der sowohl der einzelne, als auch die Familien dienen und der selbst wiederum mit familiärer Bedeutung aufgeladen werden kann.

Denn natürlich kann und soll die geschilderte Konstellation allegorisch gedeutet werden: Nach den „guten“ Kriegen in Europa, die immer halfen, das Massensterben schnell zu beenden und mindestens einmal ein übles diktatorisches Regime stürzten, nach dem härteren und grimmigeren Krieg im Pazifik und dem Menschheitsverbrechen des Atombombeneinsatzes, nach dem weit schlechter vertretbaren, rein ideologischen Krieg in Korea, kulminiert Amerikas asiatisches Abenteuer schließlich, gleichsam einer mythischen Entscheidungsschlacht, in Vietnam. Hier entscheidet sich nicht nur das Schicksal des jungen Chris, hier, so der Subtext, hier entscheidet sich das Schicksal einer Nation. Sie hat sich dunklen Kräften hingegeben und wir werden sehen, ob noch genug des „Guten“ in ihr steckt, sich den Fängen der kriegerischen Verführung zu entwinden. Elias oder Barnes? Engel oder Teufel? Oppositionen allemal.

So steht Chris Taylor, Stones Alter Ego, also auch stellvertretend für das Land. Für viele Amerikaner seiner Generation war mit dem tödlichen Attentat auf John F. Kennedy 1963 etwas zuende gegangen, was gern als „unschuldig“ bezeichnet wird. Jene Kräfte, denen sich das Land anheim gegeben hat, machten sich die Propagandamaschinerie des Weltkriegs wie die des kalten Krieges der 50er Jahre zunutze, um ihre keineswegs romantischen Anliegen durchzusetzen. Stone, der dies später, in dem als zweiter Teil einer „Vietnam-Trilogie“ bezeichneten Film BORN ON THE FOURTH OF JULY (1989), thematisierte, sagt von sich selber, daß er auf das John-Wayne-Image des harten Kerls reingefallen sei und den Krieg wie Chris Taylor als Stahlbad der Mannwerdung begriffen habe. Verführt und an der Ehre gepackt – immerhin hatten die Väter (sic!) in einem als gerecht titulierten Krieg Großes geleistet – war Stone wie viele bereit gewesen, seinem Land zu dienen, ohne zu merken, daß er den süßen Verheißungen falscher Versprechen aufgesessen war. Barnes‘, mit seinem von Narben verunstalteten Gesicht, steht für eben diese dunklen Kräfte. Alles deutet – man bedenke den religiösen Rahmen – natürlich darauf hin, daß er, wie die von ihm repräsentierten Kräfte, des Teufels ist: ebenfalls verführerisch, von herber Attraktivität, herausfordernd, nicht totzukriegen, unbezwingbar.

Und Barnes – und damit auch die Kräfte, die er repräsentiert – wird immer teuflischer. Wenn er Elias „opfert“, ist das auch ein eklatanter Verstoß eines ehernen Gesetzes der U.S. Marines: ‚No man left behind‘. Wir bringen unsere Jungs raus – lebendig oder tot. Indem Stone Barnes solche Regeln verletzen läßt, schließt er dessen Brutalität wieder mit den konkreten Erfahrungen der kämpfenden Truppen kurz: Barnes hält sich an keine substanziellen Regeln mehr und wird schließlich als reines Geschöpf des Krieges gezeigt, das außerhalb dieses Systems nicht existieren kann, hat ihn doch längst verschlungen, was den Krieg so verführerisch macht für einen bestimmten Typus Mann. Das macht Barnes vielleicht zu einem perfekten Soldaten, aber unberechenbar und gefährlich für jeden, der an seiner Seite steht. In gewissem Sinne könnte man in Barnes einen Verwandten des Col. Kurtz aus APOCALYPSE NOW (1976/79) erkennen, bevor der dann endgültig dem Wahn verfällt; oder aber die Vulgärversion dieses philosophischen Barbaren, barbarischen Philosophen darstellt. Auch in Coppolas Meisterwerk muß sich ein Jüngerer vom älteren Vorgesetzten emanzipieren, muß sich dessen ebenso verlockender wie tödlicher Logik entziehen, die längst die Vernichtungsideen, die hinter jedem Krieg stecken, verinnerlicht hat. Wobei Coppola keinem seiner Protagonisten noch viel Hoffnung zuwachsen läßt. Deren Emanzipationsversuche mögen individuell mit der Tötung des Übervaters gelingen, der die Gesellschaft längst durchdringenden Todeslogik wird keiner mehr entrinnen. Hier wie dort wird „Vietnam“ also zu einer Chiffre. Anders als bei Coppola, wird es bei Stone jedoch zu keiner Chiffre eines gesellschaftlichen Zustands, sondern zur Chiffre der Schwelle vom Jüngling zum Manne, wie es zur Chiffre wird für die fundamentalen Entscheidungen, die eine Nation zu treffen hat. Die symbolische Ebene scheint Stone die eigentliche Handlung, das Wesentliche seines Films zu sein. Daß man diese Initiation ebenso auf „böse“ (Barnes) wie auch auf „gute“ (Elias) Art und Weise durchlaufen kann, ist eben die zentrale Aussage: Es geht nicht darum, das Ritual – also den Krieg –  in Frage zu stellen, es geht darum, es „richtig“ zu vollziehen.

Elias (der biblisch konnotierte Name deutet an, daß er einem Propheten oder gar Engel gleicht) hingegen stirbt einen Opfertod. Seine Geste prägte damals, 1986, als der Film erschien, die Plakate: Mit hoch erhobenen Armen, den Kopf in den Nacken gelegt, in die Knie gezwungen, muß dieser Mann sterben, muß den Platz räumen, den Chris einzunehmen hat. Der wiederum muß dieses Opfer annehmen und Elias Kampf quasi weiterführen und zum Ende bringen. Die kathartische Auseinandersetzung mit Barnes wartet nun auf ihn. Elias kann sie nicht ausfechten, hat Chris aber den Weg gedeutet. In dieser Auseinandersetzung wird der dann zum Mann werden, dabei seine endgültige Entscheidung treffen, ob er sich der Verführung durch den Krieg und seiner Mittel hingibt oder widerstehen und seine Seele retten, wenn auch nicht unbefleckt halten kann. Hier verläßt der Film das realistische Szenario und nutzt den Krieg nunmehr als Setting für eine hoch symbolische Deutung: Auch das Land muß sich entscheiden, welchen Weg es gehen will. Es muß, wie Taylor, erwachsen werden, sich seiner Geschichte, seiner Schuld stellen, kann sich nicht mehr wegducken und verstecken hinter dem breiten Rücken der Vätergeneration. Wenn Chris´ Gönner sein an Pathos kaum zu überbietendes Ende erleidet, kann der Zuschauer nicht anders, als hier auch die Opferung von „Gottes eigenem Land“ auf dem Altar untergangsversessenen Zynismus´ zu erkennen. Stone folgt einer Doppelstrategie: Er überführt das Wesen des Konflikts ins Innere – des einzelnen wie des Landes – und überhöht ihn damit zugleich, wenn er immer wieder religiöse Symbole und Anspielungen nutzt, anstatt ihn einer akkuraten historischen Analyse zu unterziehen. Statt ihn als spezifisches Geschehen in seinen unterschiedlichen Kontexten zu untersuchen, wird der Krieg dieser Kontexte vielmehr enthoben und mythisiert. In der Korrespondenz mit dem inneren Reifungsprozeß, den Chris Taylor durchläuft, bekommt der Vietnamkrieg nach Oliver Stone den Status einer psychoanalytischen Metapher im Freud´schen Sinne. Man ist erstaunt, zu welch gewagt einfachen – und manchmal aufdringlichen – Mitteln Stone immer mal wieder greift.

Auch und gerade in der Darstellung der Dualität Elias/Barnes und deren Einfluß auf Chris Taylors Seele greift Stone auf starke, zunächst einfach erscheinende inszenatorische Mittel zurück, die sich allerdings als doppelbödig erweisen. Er läßt den Konflikt auch in Actionsequenzen die Inszenierung bestimmen, trägt ihn hinein in äußerst realistische Szenen, die eine eindeutige Haltung zum spezifischen Geschehen ebenso schwierig machen, wie zum Gesamtkonflikt. Wenn das Platoon ein vietnamesisches Dorf durchkämmt, auf der Suche nach Waffen für den Viet Cong, kommt es zu einer exemplarischen Auseinandersetzung zwischen Barnes ausgesprochen aggressiven Anhängern, die gewalttätig gegen die Dorfbewohner vorgehen wollen, da sie diesen nicht trauen, und den ebenso nervösen, jedoch beherrschten Männern, die hinter Elias stehen. In dieser Szene wird auch Taylor als jemand gezeigt, der sich von der allgemeinen Stimmung anstecken läßt. Er feuert mehrmals auf die Füße eines jungen Dorfbewohners, läßt ihn „tanzen“, besinnt sich aber, als es zu immer gewaltätigeren Maßnahmen gegen die Dorfbewohner kommt, und wird schließlich von Elias daran erinnert, wer und was sie eigentlich seien. Hier verdeutlicht sich, daß der Kampf um Chris Seele noch keineswegs entschieden ist.

Die Szene hat allerdings in ihrer Mehrdeutigkeit eine weit über den Dualismus Elias/Barnes und deren Kampf um den jungen Mann hinausgehende Funktion. In ihr kulminiert die ganze Ambivalenz des Films. Deutlich an das Massaker von Mỹ Lai im März 1968 erinnernd, inszeniert Stone sie so – darin auch in maximaler Distanz zu Coppola, der ein ähnliches Vorkommnis in APOCALYPSE NOW schildert – daß durchaus Zweifel daran aufkommen können, ob die Dorfbewohner so „unschuldig“ waren, wie die Geschichtsschreibung es gern hätte. Das Platoon wird am Ende einer Patrouille gezeigt, die Männer sind müde, die Nerven bis zum Zerreißen gespannt nach Tagen im Dschungel, sie wurden angegriffen, hatten Verluste und finden immer wieder Hinweise auf feindliche Aktivitäten, während sie sich dem Dorf nähern. Im Dorf stellen sich die Dinge ebenfalls uneindeutig dar, es werden Waffen und Verstecke für Menschen gefunden, die Dorfbewohner zeigen sich aus Sicht der Amerikaner nicht kooperativ, schließlich provoziert das Dauergrinsen eines vietnamesischen Jungen einen der Männer derart, daß es zur Eskalation kommt.

Gerade diese Szene fand großen Anklang bei den Veteranen, die den Film so feierten, verdeutliche sie doch genau das Chaos, die Unübersichtlichkeit, denen man sich in Vietnam allerorten ausgesetzt sah. Kulturelle Probleme und Barrieren – Sprache, Gesten, ein mißinterpretiertes Lächeln – tragen dazu ebenso bei, wie die bereits erwähnten Drogen, die Anspannung und der allgemeine Verdruß. Ohne daß Stone allzu explizit wird – die Inszenierung der gesamten Szene konzentriert sich vor allem auf die Konflikte zwischen den Männern des Platoons, ist auf maximalen Spannungsaufbau und Dramatik angelegt – gelingt es ihm hier doch, Widerhaken in die bis dato gültige Lesart gerade eines Verbrechens wie jenem in Mỹ Lai zu schlagen. Das apologetisch zu nennen, führt vielleicht zu weit, doch wirklich weit davon entfernt ist Stone nicht. Mindestens will er dem Publikum vermitteln, daß es schwierig war, immer richtig und falsch zu unterscheiden, auch eine psychologische Entlastung liefert er, indem er die enorme Anspannung, gepaart mit reiner Angst ums nackte Leben, deutlich zeigt. Über eine weitere Eskalation seines Kernkonflikts um Chris Taylors Seele hinaus, kann Stone aber auch gerade an dem jungen Mann exemplarisch zeigen, wie widersprüchlich sich auch jene verhalten haben, denen man eigentlich festen moralischen Grund attestieren möchte. Die „Dorfszene“ verdeutlicht wie keine andere des Films die Verführung durch die Macht, folgenlos über Leben und Tod anderer, als minder wahrgenommener Menschen, entscheiden zu können/dürfen.

Stone bringt eine ganze Reihe zwiespältig zu nennender Ansichten im Film unter, erstaunlicherweise ohne seinen Nimbus des kritischen Liberalen zu verlieren. Der Film ist voller Anzeichen von verstecktem Revisionismus. So, wie der Film angelegt ist, läßt er sich nur schwer festlegen, bleibt immer ambivalent gegenüber sämtlichen Perspektiven, die man auf den Konflikt einnehmen könnte oder die einzunehmen der Film überhaupt zulässt. Ohne Zweifel stellt Stone die Amerikaner als übergriffig und brutal dar, doch genauso behaupten die Bilder und Dialoge, daß es eben auch gute Männer gegeben habe, daß man es im Grunde in Extremsituationen wie der geschilderten im Dorf mit Momenten im Leben zu tun habe, in denen sich der innere Kern, das Wesen des Einzelnen zeige. Weiß man aber – wie im Fall des zerstörten Dorfes Mỹ Lai – um die wirklichen Vorgänge, so erinnert man sich, daß es lediglich zwei Helikopterpiloten waren, die sich dem Geschehen entgegenzustellen versuchten und die zeitweise um ihr eigenes Leben fürchten mussten. Keineswegs hatte man es mit einer Truppe zu tun, die innerlich zerrissen war, aufeinander losging oder sich gegenseitig in Schach hielt, wie es PLATOON nahelegt. Stone gelingt es gerade in der geschilderten Szene bravourös, suggestiv die inhaltlich konkreten, die symbolischen und die subtextuellen Ebenen seines Films zu verdichten und so miteinander zu verweben, daß sich daraus das zentrale Narrativ des Films als „Stahlbad“, als „Mannesschmiede“, als Bildungsanstalt für den anständigen Staatsbürger, nahezu von selbst heraus destilliert. Zudem kann er hier anschaulich verdeutlichen, daß es schwierig ist, in solchen Konflikten eine weiße Weste und ein reines Gewissen zu bewahren.

Der Krieg als Fakt, als Instanz, wird dabei nie in Frage gestellt, in Frage gestellt werden bestenfalls die angewandten Methoden. Oliver Stone – wir haben es bereits gesehen – will den Krieg, spezifisch den Vietnamkrieg, nicht in seinen sozialen, historischen oder ökonomischen Kontexten analysieren oder hinterfragen. Wenn hier Kritik geübt wird, dann am ehesten daran, wie junge amerikanische Männer in einem Konflikt verheizt wurden, den selbst die, die beschlossen hatten ihn auszufechten, kaum überblickten. Der Krieg in Stones Wahrnehmung ist reines Faktum; der Irrsinn, der geschieht, entspringt der Psyche einzelner, ist keinesfalls ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Irrsinns, den Coppola in den Krieg in Vietnam hineinliest. Daß sich Stones zentraler Protagonist – Sohn aus besserem Hause, der, statt lau zu studieren wie seine Highschool-Kumpels, lieber in den Krieg ziehen und ein Mann werden will – freiwillig meldet, enthebt den Regisseur natürlich auch einer Auseinandersetzung mit der Frage nach dem ‚zureichenden Grund‘ für den Krieg. Der Krieg, der Konflikt, ist einfach da. Man kann ihn umgehen (Studium), man kann ihn kritisieren (Hippies), man kann ihn aber auch nutzen – als ganz persönliches Initiationsritual.

Ähnlich wie bei Coppola, Michael Cimino in THE DEER HUNTER (1978) oder auch Hal Ashby, der das ergreifende Heimkehrerdrama COMING HOME (1978) drehte, ist der Vietnamkrieg auch bei Stone eine rein amerikanische Angelegenheit. Die Darstellung der Vietnamesen ähnelt im Grunde denen der Indianer im klassischen Western: Gesichtslos tauchen sie auf, stellen eine Gefahr dar und werden getötet. Als menschliche Wesen sind sie nicht vorhanden. Sie werden, was die Ureinwohner bei John Ford waren: Teil der Natur, Teil einer natürlichen Bedrohung. Der Lebensraum dieses Feindes ist der Dschungel, darin er sich bewegt, als sei er mit ihm verwachsen. Für die amerikanischen Soldaten, so wie PLATOON sie uns darstellt, sind diese Feinde eher ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu sich selbst, weniger ein externer Feind. Der wahre Gegner, so insistiert PLATOON, lauert im Innern jedes einzelnen und ist auch nur dort zu bezwingen. Es sind unsere Dämonen, die uns verführen wollen, die es zu bezwingen gilt. Schlimmstenfalls nimmt Stone hier eine überheblich zu nennende, vielleicht sogar rassistische Position ein; bestenfalls zeigt er anhand des Umgangs mit dem Gegner, wie Amerika, dem berühmten Elefanten im Porzellanladen gleich, grundsätzlich mit sich selbst beschäftigt und bar aller Empathie für den Rest der Welt, immer Elend und Tod mit sich brachte, wenn es meinte eben diesem Rest seine Ideen und Ideale nahebringen zu müssen – ob mit Waffengewalt oder kulturimperialistischer Geste, wie Hollywood und mit ihm der Western sie qua definitionem darstellen.

In all seinen Zusammenhängen, Allegorien und Symbolen ähnelt PLATOON wirklich eher einem Western als einem herkömmlichen Kriegsfilm. Barnes und Elias könnten auch die Brüder aus DUEL IN THE SUN (1946) sein, die um die schöne Jennifer Jones kämpfen. Chris könnte einer langen Ahnengalerie von Söhnen entstammen, die im klassischen Western kämpfen und geopfert werden. Stone stellt also auch eine gewisse Kontinuität zu Größen des klassischen Hollywood her. Ununterbrochen spielt er mit der Möglichkeit der Mythisierung und stellt sich damit direkt in einen Kontext mit einem Großen wie John Ford. Allerdings ist Stone zu klug, als daß er nicht begreifen würde, daß er keineswegs ein derart ungebrochenes Narrativ behaupten darf, wie Ford das einst konnte. Auch an diesem Punkt, an dieser Grenze, bleibt Stone mit seinem Film also ambivalent, bietet seinem Publikum Interpretationsmöglichkeiten und Perspektiven, die durchaus sowohl kritisch wie verherrlichend gelesen werden können.

Es ist erstaunlich, wie ein im Grunde inszenatorisch konventioneller, eher mittelmäßiger, im Schnitt manchmal unsauberer und im Timing schwacher Film doch solche Resonanz hervorrufen konnte. Und von allen Seiten zu vereinnahmen war. PLATOON steht damit – seiner Zeit durchaus voraus – für das postmoderne Kino der 90er Jahre und der ersten Dekade des neuen Jahrtausends, die sich nicht mehr festlegen lassen, weder in ihrer Haltung, noch in ihrer Aussage. Gerade für den Kriegsfilm sollte das grundlegende Folgen haben.

 

[1] Ohne die Analyse zu weit treiben zu wollen, sei der Hinweis gestattet, daß Stone es sich nicht nehmen läßt, seinen Antagonisten den Namen des führenden konföderierten Generals des Sezessionskrieges tragen zu lassen. Dies suggeriert gleich mehrere Dualitäten: Nord und Süd (und wofür sie symbolisch stehen), Sieger und Verlierer, zwei Seiten eienr Medaille, die „Amerika“ genannt wird.

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