DIE FÜNF GEÄCHTETEN/HOUR OF THE GUN – Dekonstruktionen am Heldenmythos
John Sturges greift ein von ihm bereits behandeltes Thema erneut auf und erzählt es gegen den Strich
Tombstone, Arizona, 1881. Am O.K. Corral kommt es zu einer Schießerei, bei der die drei Earp-Brüder Wyatt (James Garner), Morgan (Sam Melville) und Virgil (Frank Converse), sowie der Spieler, Trinker und Zahnarzt Doc Holliday (Jason Robards) gegen Billy Clanton (Walter Gregg) und die McLaury-Brüder Frank (David Perna) und Tom (Jim Sheppard) antreten und diese töten. Auch Holliday, Virgil und Morgan werden verwundet.
Ike Clanton (Robert Ryan) verklagt den zum Zeitpunkt des Vorfalls als Deputy Marshal vereidigten Wyatt Earp wegen Mordes an seinem Bruder und den Gebrüdern McLaury. Bei einer Anhörung verhöhnt Earp den lokalen Sheriff, da dieser zu Clantons Männern gehört. Da die halbe Stadt Zeuge der Schießerei war und gesehen hat, daß es ein offener Kampf war, wird Wyatt Earp freigesprochen.
Virgil stellt sich erneut zur Wahl als Marshal, wird jedoch von einigen Männern Clantons niedergeschossen. Nun tritt Morgan an und auch er wird Opfer eines Mordanschlags am Abend der Wahl.
Wyatt will Virgil und dessen Familie sowie den Leichnam von Morgan aus der Stadt bringen und nimmt dafür den Zug Richtung Kalifornien. Bei einem Zwischenhalt kommt es erneut zu einem versuchten Anschlag auf die Earps, der allerdings zu Wyatts Gunsten entschieden wird. Er tötet dabei Frank Stillwell (Robert Phillips), einen Vertrauten von Ike Clanton.
Wyatt Earp kehrt nach Tombstone zurück, wo nun erneut einer von Clantons Männern das Sagen als Marshal hat. Earp zieht sich zurück und besorgt sich beim Gouverneur des Staates Arizona eine Beförderung zum Bundes-Marshal, wodurch sich seine Kompetenzen ausweiten. Er muß sich allerdings einer weiteren Anhörung stellen, da Clanton ihn erneut anklagt, diesmal für den Mord an Stillwell. Auch diese Anhörung verlässt Earp ohne Anklage und als freier Mann.
Doc Holliday bietet ihm an, einige Männer zu finden, die sich ihnen anschließen, um jene Männer zu finden und zu stellen, die Earp als Mörder seines Bruders ausgemacht hat. Holliday wittert eine Gelegenheit, Geld zu verdienen. Er, ein professioneller Spieler, braucht immer Bargeld. Auch die von ihm angeheuerten Männer ködert er mit der ausgelobten Belohnung. Die allerdings gibt es nur für lebende Gefangene.
Wyatt führt mehrere Situationen herbei, die es nur erlauben, die Gesuchten zu erschießen. Doc weist ihn mehrfach darauf hin, daß er sich verrennt und seine Kompetenzen ausnutze. Nachdem Wyatt Andy Warshaw (Steve Inhat), der beteuert, die Attentate auf die Earp-Brüder zwar beobachtet, aber nie daran teilgenommen zu haben, und der sich auch auf kein Duell mit Wyatt einlassen will, in eben dieses Duell zwingt und tötet, kommt es zwischen ihm und Holliday zu einer schweren Auseinandersetzung.
Holliday wirft Earp vor, sich zu verändern, nicht mehr jener Mann zu sein, der allseits bewundert wird, weil er für Recht und Ordnung eintritt, sondern nur noch ein von Rachegelüsten Getriebener sei. Earp, der das nicht hören will, schlägt Holliday nieder.
Der bricht daraufhin zusammen. Earp bringt ihn in ein Sanatorium. Holliday leidet an Tuberkulose und soll sich auskurieren.
Clanton, der seinen Männern zuvor erklärt hatte, daß es für Männer wie sie nun darauf ankäme, sich in Position zu bringen, da bald die Herren von der Ostküste kämen und Geld in den Westen brächten, die damit aber auch die Macht an sich reißen würden, wird in die Defensive gedrängt. Die Honoratioren in Tombstone, die geschlossen hinter den Earps stehen, sind ein Vorzeichen der von Clanton beschriebenen Entwicklungen. Clanton verliert zusehends den Rückhalt bei seinen Leuten, die teilweise von den Herren der Stadt gekauft werden, damit sie die Gegend verlassen.
Clanton zieht sich nach Mexiko zurück, wo er sich als Viehdieb verdingt. Unter anderem stiehlt er Vieh der Regierung.
Earp seinerseits erhält das Angebot, zum Chef-Marshal der Bundesregierung aufzusteigen, was ihm später weitere Karriereschritte ermögliche. Er bittet um Bedenkzeit, er müsse sich diesen Schritt überlegen.
Holliday, den Earp besucht, weiß, daß Earp diese Auszeit in Wirklichkeit nutzen will, um Clanton in Mexiko aufzuspüren und zu töten. Trotz seiner Bedenken und seiner mittlerweile kritischen Sicht auf den Freund, reitet er mit ihm gen Süden.
Mit Hilfe der Regierungssoldaten in Mexiko gelingt es Earp und Holliday, Clantons Versteck ausfindig zu machen. Sie stöbern ihn auf und es kommt zu einem schnellen und finalen Schußwechsel zwischen ihm und Earp. Earp bleibt Sieger und Ike Clanton stirbt eines schnellen Todes.
Zurück im Sanatorium erklärt Holliday Wyatt, daß der seine früheren Worte vergessen solle, er habe sich geirrt, Earp sei nach wie vor der richtige Mann für den Job des Chef-Marshals des Bundes. Earp verabschiedet sich von Doc Holliday und bricht auf. Er trifft auf einen der Würdeträger aus der Stadt, der ihn nach seinem neuem Job fragt. Wyatt Earp erklärt, daß er den nicht antreten werde. Seine Zeit als Gesetezshüter sei vorbei, er ziehe weiter, vielleicht nach Kalifornien, zu Virgil und dessen Familie.
Dann bricht er auf.
Holliday spielt derweil, im Rollstuhl sitzend, Karten mit einem Pfleger.
Ende der 1960er Jahre hatte es fundamentale Veränderungen im Western-Genre gegeben. Nach der frühen Phase der „heldischen“ oder „patriotischen“ Western der 1930er Jahre und der klassischen Periode der 1950er, in denen das Genre „erwachsen“ wurde, seine Figuren gern psychologisierte und generell genutzt wurde, um gesellschaftliche, ideologische oder soziale Themen aufzugreifen – mithin damit auch überfrachtet wurde – und viele Western-Produktionen mit Stars, einem hohen Budget und ebenso hohem Aufwand hergestellt wurden, hatte es sich zum Ende der Dekade weitestgehend erschöpft. In vielerlei Hinsicht wirkte es auserzählt, die Geschichten begannen, sich zu wiederholten, großartige Neuerungen waren kaum mehr zu erwarten. Die federführenden Regisseure – John Ford, Howard Hawks, Anthony Mann, Budd Boetticher oder Raoul Walsh u.a. – lieferten noch das eine oder andere Meisterwerk ab, wandten sich anderen Themen zu oder begannen, sich zu wiederholen. Wirklich kraftvolle Genrebeiträge kamen nur noch gelegentlich zustande, meist sogar eher im B-Movie-Sektor. Allerdings hatte mit Leuten wie Robert Aldrich oder Richard Brooks eine neue Generation von Regisseuren damit begonnen, die alten, müden Helden in neue Kontexte zu setzen und das Genre behutsam zu verändern und aufzufrischen. VERA CRUZ (1954) ist vielleicht das prägendste Beispiel dafür. Gary Cooper, einer jener Recken aus Hollywoods klassischer Periode, und Burt Lancaster, damals einer der hellsten Sterne am Himmel über der Traumstadt, wurden von Aldrich in ein Setting jenseits der Grenze zu Mexiko geführt, wo sie Männer verkörperten, die kaum mehr etwas Heldisches an sich hatten. Sie waren professionals, Söldner, die für jene arbeiteten, die ihnen am meisten Gewinn versprachen. Diese Männer sind zynisch, brutal und bar aller Verpflichtungen oder Verantwortung gegenüber einem Gemeinwesen, wie es bspw. die Helden in John Fords Filmen auch zu diesem Zeitpunkt in gewissem Sinne immer noch waren. Und schließlich setzte VERA CRUZ Mexiko auf die Karte der mythischen Sehnsuchtsorte des Westerns. Damit antizipierte er die kommende Dekade.
1960 drehte John Sturges, der für einige der ganz großen Genre-Werke der 50er Jahre verantwortlich zeichnete – GUNFIGHT AT THE O.K. CORRAL (1957) und LAST TRAIN FROM GUN HILL (1959) wären hier, was Status und Erfolg betrifft, zuerst zu nennen – THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) und etablierte endgültig den Typus des Pistoleros, des Söldners, der angeheuert wird und sich für Geld verdingt. Ein Ensemblefilm par excellence, lieferte THE MAGNIFICENT SEVEN die Blaupause, die einige Jahre später in Italien von einem jungen Filmemacher namens Sergio Leone aufgegriffen und endgültig ausgearbeitet und definiert wurde. Dessen Held ist kein solcher mehr, es ist ein Anti-Held, der konsequenterweise nicht einmal mehr einen Namen trägt (bzw. in der deutschen Fassung den Allerweltnamen „Joe“, den ihm aber der Besitzer des Saloons ungefragt andichtet). Er handelt ausdrücklich nur zum eigenen Vorteil. Wenn dabei Verbesserungen für die armen Bewohner eines mexikanischen Dorfes herausspringen, ist das schön, steht aber nie in seinem Fokus. Dieser „Fremde ohne Namen“ wurde von Clint Eastwood verkörpert und er und Leone schufen damit den Prototypen jener Protagonisten, die in den kommenden zehn Jahren jenes Subgenre bevölkern sollten, das sich Italo-Western nannte und sich vor allem durch oftmals linkslastige, vage gesellschaftskritische, ausgesprochen zynische und brutale Geschichten und Handlungen hervortat. Filmemacher wie Sam Peckinpah, die den sogenannten Spätwestern etablierten, führten die Neuerungen, die den Italo-Western ausgemacht hatten – vor allem die explizite Darstellung von Gewalt – wieder zurück ins Mutterland des Genres und ließen es für einen kurzen Moment auch hier noch einmal aufleben, bescherten ihm auch einige späte Highlights und Klassiker. Ihr Referenzrahmen waren sowohl die Historie selbst – oftmals erzählten sie vom Niedergang des Westens, davon, wie er durch die frühe Moderne eingeholt und letztlich seiner Möglichkeiten als Ort der Freiheit und Entfaltung beraubt wurde – als auch der klassische Western, an dem sie sich abarbeiteten, den sie zitierten, manchmal parodierten und immer auch hofierten.
John Sturges hatte also entscheidenden Anteil an der Erneuerung des Genres und lieferte mit HOUR OF THE GUN (1967) schließlich selbst einen Beitrag zum Spätwestern. Zehn Jahre, nachdem er in GUNFIGHT AT THE O.K. CORRAL die berühmte Schießerei in Tombstone, Arizona, erstmals filmisch behandelt und nach Fords MY DARLING CLEMENTINE (1946) die bis dato wohl beste, zumindest wichtigste, Bearbeitung des Stoffes vorgelegt hatte, griff er das Thema nun erneut auf, erzählte es diesmal allerdings sowohl inhaltlich als auch stilistisch vollkommen anders.
GUNFIGHT AT THE O.K. CORRAL entwickelt sich – wenn auch auf Umwegen und für einen Western von John Sturges erstaunlich uneinheitlich – auf den Shoot-Out hin, der vom Regisseur dann als Glanzstück eines Kampfes inszeniert und allgemein als ein Höhepunkt im Genre betrachtet wurde. Burt Lancaster gab einen Wyatt Earp, der eine Autorität und blendende Figur am Firmament von Recht und Ordnung war; Kirk Douglas stellte einen Doc Holliday dar, der eher einem Strizzi glich, als dem melancholisch veranlagten Spieler und Trinker, den einst Victor Mature in Fords MY DARLING CLEMENTINE verkörpert hatte. Wie Fords Film deutete auch Sturges Star-Western das Ereignis nach Gutdünken um und war, wenn auch bei Weitem nicht so dem Mythos verhaftet wie der Vorgänger, doch weit von der historischen Wahrheit entfernt. Der Antagonist der Earps, Ike Clanton, musste in beiden Filmen sterben, was im jeweiligen dramaturgischen Kontext folgerichtig war, beide Filme postulierten die Schießerei als Endpunkt eines nahezu fatalen Konflikts, der, den Regeln und Konventionen des Genres verpflichtet. nur gewaltsam zu lösen ist.
Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Vor allem die Dauer des Schußwechsels betrug in der Realität wohl ca. 30 Sekunden, dann lagen drei der Widersacher der Earps und Hollidays tot im Staub. Sowohl Ford, als auch Sturges, mussten daraus aber mehr machen, da der Waffengang nun mal der erklärte Höhe- und Schlußpunkt ihrer jeweiligen Werke war. HOUR OF THE GUN verfährt nahezu diametral entgegengesetzt. Schon während der Credits zu Beginn des Films können wir die Vorbereitung der Schießerei beobachten, wir sehen, wie Earp und seine Brüder sowie Holliday sich treffen und dann zum Gatter aufbrechen. Das alles findet in der grellen Mittagssonne statt, was den wahren Bedingungen recht nahe gekommen sein dürfte. Ein Schnitt zum O.K. Corral zeigt die – ebenfalls den realen Ereignissen entsprechende – Aufstellung der Clanton-Brüder Ike und Billy und der McLaurys. Die Earp-Brüder werden vom lokalen Sheriff gebeten, sich zurückzuziehen, die Clantons hätten zugestimmt, die Stadt zu verlassen. Ike Clanton, den Robert Ryan in einer routinierten Vorstellung als zynischen, machtbewussten Mann spielt, zieht sich in einen nahe gelegenen Laden zurück und so schießen Billy Clanton, die McLaurys, die Earps und Holliday aufeinander. Billy Clanton und die beiden McLaury-Brüder sterben, Morgan und Virgil Earp und auch Holliday sind verwundet, Ike und seine restlichen Leute verlassen den Schauplatz des Geschehens. Das Ganze dauert nicht einmal eine Minute und kommt damit der Realität recht nahe. Der eigentliche Film aber beginnt erst jetzt.
Edward Anhalt hatte das Drehbuch auf Vorlage eines Sachbuchs geschrieben, das sich eingehend mit der Schießerei am O.K. Corral beschäftigte. Das Werk TOMBSTONES EPITAPH von Douglas D. Martin untersuchte, wie es zu der Feindschaft zwischen den Earps und Ike Clanton kam und vor allem, wie es nach der Schießerei weiterging. Es ist diese Geschichte – das Danach – , die Anhalt und Sturges interessierte und die der Regisseur in Szene setzen wollte. In groben Zügen hielten sich Drehbuch und Regie auch an die Geschehnisse, wie sie Martin in seinem Buch beschrieben hatte. Doch allerspätestens mit der Konfrontation zwischen Wyatt Earp und Ike Clanton am Ende des Films verlassen auch Anhalt und Sturges den Boden der „wahren Begebenheiten“ und liefern einen kurzen, brutalen und eindeutigen Shoot-Out, in dem Earp seinen langjährigen Widersacher tötet. Clanton wurde zwar wirklich erschossen, doch wahrscheinlich nicht durch Earp und erst recht nicht in Mexiko, wie es der Film darstellt. Ein solches Ende war einer in sich abgeschlossenen Dramaturgie und vor allem der Figurenzeichnung geschuldet und ebenso unausweichlich, wie der Tod Ike Clantons am O.K. Corral in den früheren Filmen. Sturges selbst bekannte allerdings, daß es ihm zwar um historische Genauigkeit gegangen sei – was dem Film von der Kritik dann auch vorgeworfen wurde, weil diese Akkuratesse deutliche Spuren in Spannungsaufbau und Dramaturgie hinterlassen habe – doch mehr noch habe er zeigen wollen, daß ein Vorfall wie jener am Gatter eben nicht einfach mit dem Tod der vermeintlichen Finsterlinge beendet sei, sondern etwas mit den Beteiligten mache, sie verändere und innerlich zerstöre.
Anders als viele Kollegen seiner Generation, war John Sturges keiner jener Regisseure, die ihre Western mit Analyse, zerquälten Helden oder allzu vielen Selbstzweifeln der Protagonisten auflud. Seine Männer – und Sturges war ein ausgewiesener Männerfilmer – reagieren auf die sich stellenden Aufgaben und handeln nach dem Gebot, zu tun, was getan werden muß. Was das mit ihnen anrichtet, welche Folgen das zeitigt, bedenken sie nicht, stattdessen nehmen sie die Konsequenzen stoisch hin, im Notfall sind sie bereit, zu sterben. Die MAGNIFICENT SEVEN waren in gewisser Weise ein Vorläufer von Sam Peckinpahs THE WILD BUNCH (1969) – Söldner, die wissen, daß ihre Art zu leben, ihre Art, ihr Geld zu verdienen, immer auch bedeuten kann, dabei draufzugehen. Und wie die Männer in Peckinpahs Meisterwerk, suchen auch einige von Sturges sieben Revolverhelden den Tod geradezu. Doch so oder so ist der Tod das Berufsrisiko und spielt lediglich eine untergeordnete Rolle. Sturges Helden stellen vielleicht die Routine ihres Lebens in Frage, doch niemals das Leben selbst. Darin unterscheiden sie sich fundamental von einem Will Kane in Fred Zinnemanns HIGH NOON (1952) oder dem Sheriff, den Anthony Perkins in Anthony Manns THE TIN STAR (1957) spielt. Sturges ist so gesehen weitaus mehr Traditionalist gewesen, als es bspw. Mann je war, der einen neuen, tief in eigene Schuld und Reue verflochtenen Typus Mann in den Western einführte, welcher in seinen fünf großen Filmen mit James Stewart von diesem kongenial dargestellt wurde.
In HOUR OF THE GUN weicht Sturges dann aber grundlegend von diesem Prinzip ab. Wyatt Earp in der Interpretation von James Garner ist ein brutaler, zielgerichtet den Tod bringender Rächer, der Menschen benutzt, um seine Ziele zu erreichen und dafür von seinem Freund Doc Holliday mehrfach zur Rede gestellt wird. An entscheidender Stelle bietet Holliday, der als Revolverheld, als eiskalter Mörder, verschrien war, Earp von seinem Whiskey an und als dieser ablehnt, wirft Holliday ihm vor, ein bigotter Schweinehund zu sein: Es ginge Earp um Rache und sonst nichts. Sein stetes Beharren auf Recht und Ordnung sei lediglich ein Vorwand, straflos Menschen zu töten und wenn er so töte, wie er, Holliday, immer getötet habe – schnell, hart und skrupellos – , dann könne er auch genau so saufen. Earp dreht sich um und schlägt seinem Freund dafür ins Gesicht, was beim zu diesem Zeitpunkt bereits von der Tuberkulose gezeichneten Holliday schließlich einen Zusammenbruch zur Folge hat.
In den beiden klassischen Filmen zur Schießerei am O.K. Corral ist Wyatt Earp meist ein Held, der entweder – wie in Fondas Interpretation in Fords Film – durch die Umstände gezwungen wird, die Rolle einzunehmen, die ihn dann berühmt, ja legendär, machen sollte, oder aber eine Recht und Gesetz verpflichtete Autoritätsperson, wie es Lancaster in Sturges früherem Film zum Thema war. Das ändert sich in HOUR OF THE GUN. James Garner, der von der zeitgenössischen Kritik, aber auch noch von Joe Hembus in seinem WESTERN-LEXIKON, als phänomenale Fehlbesetzung angesehen wurde, ist ein schweigsamer Wyatt Earp, ein Mann, der sich hinter einer Fassade aus Rechtschaffenheit verschanzt, die er glaubt, nicht mehr erklären zu müssen. Er beharrt auf dem Wort des Gesetzes und stellt sich als dessen unbestechlicher Vertreter dar. Doch wie Doc Holliday, schwant auch dem Zuschauer nach und nach, daß hinter Earps ganzem Brimborium, hinter seinen pathetischen Worten und dem demonstrativ zur Schau gestellten Marshal-Stern, vor allem Hass und Rachegefühle gären. Spätestens, wenn er Andy Warshaw in ein Pistolenduell zwingt, das der oben beschriebenen Szene mit Holiday vorausgeht, wird klar, daß Earp nicht vorhat, auch nur einen der Männer am Leben zu lassen, die er für schuldig des Mordes an seinem Bruder Morgan und des Attentats auf Virgil Earp hält.
Ohne allzu viele Dialogzeilen gelingt es Garner durchaus, die Entwicklung vom selbstgerechten Marshal, der, sich seiner Kompetenzen nur allzu bewusst, kein Problem damit hat, auf den Sheriff von Tombstone herabzublicken und ihn vor Gericht zu verhöhnen, zu einem noch schweigsameren Mann, der nur noch auf Rache sinnt, glaubwürdig zu vermittteln. In dieser Lesart der Geschichte nimmt Doc Holliday eine eher dienende Funktion ein. Jason Robards legt ihn so auch an. Er verzichtet auf die typischen Hustenanfälle, er stellt Hollidays Trinkerei nicht allzu sehr aus und daß dieser Mann gefährlich ist, bleibt eher Behauptung, als daß man es dem Spiel ansieht. Da der Film mit der Schießerei selbst einsetzt, ist die Freundschaft zwischen Earp und Holliday bereits etabliert und gesetzt. Sturges vertraut hier darauf, daß sein Publikum entweder mit der Story vertraut ist oder aber die früheren Filme kennt. In Folge dessen, was dann geschieht, wird Holliday eher zu einer Art Kommentator von Earps Handeln und erklärt dieses, nicht zuletzt dem Marshal selbst, wie der Chor in einer antiken Tragödie. Seine dramaturgische Funktion ist weitaus stärker auf Earps Charakter und Persönlichkeit hin zugeschnitten, die im Mittelpunkt des Films steht.
In den beiden früheren Filmen ist Holliday die interessantere Figur. Sie ist ambivalenter, geprägt durch Todesnähe und Todesverachtung, ein Schattenwesen, das, auf dem schmalen Grat zwischen Killer und gebildetem Ostküstenabkömmling changierend, allerhand Eigenheiten in sich vereint, die ebenso widersprüchlich wie anziehend wirken. In den beiden früheren Filmen sind die Hauptfiguren dieses Dramas auch gleichberechtigt. Die Freundschaft, ihre Entwicklung, die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten, auch im Hinblick auf das Gesetz und seiner Auslegung, sind der Fokus dieser Filme. Fonda, der sicherlich der bessere Schauspieler war, und Victor Mature haben eine Menge Szenen, die die Gleichwertigkeit dieser beiden Männer aus- und unter Beweis stellen. Hollidays romantische Düsternis bildet einen wichtigen, wenn nicht wesentlichen, Gegenpol zu Earps gutaussehendem Glanz. Gefahr, eine gewisse Brutalität, geht von beiden aus. Bei Lancaster und Douglas in GUNFIGHT AT THE O.K. CORRAL verhält es sich ähnlich. Auch sie sind im Kontext des Films gleichberechtigt. Allerdings sind sie mehr Mensch, weniger Prototyp, wie es Fords Figuren waren. Sturges gesteht Earp sogar die „Schwäche“ zu, Holliday um Hilfe in dem bevorstehenden Kampf zu bitten. Die Schauspieler, beide Meister ihres Fachs, entsprechen dabei der Gleichwertigkeit der Rollen. Während bei Ford recht lange offen bleibt, ob Earp und Holliday Freunde oder Feinde sind, ist Lancasters Earp, der seinen Pflichten nachkommen will, eher genervt, weil die Anwesenheit Doc Hollidays meist Ärger bedeutet, doch dem Charme, den Douglas seiner Figur angedeihen lässt, vermag auch er sich nicht lange zu entziehen.
In HOUR OF THE GUN ist Earp eindeutig die treibende Kraft, die Hauptperson. Es ist sein Trachten nach Rache, das die ganze Handlung überhaupt in Gang setzt. Holliday macht mit. Vordergründig verspricht er sich davon Geld, denn auf die Banditen, die es zu stellen gilt, sind hohe Kopfgelder ausgesetzt. Dazu müssen sie aber lebend gefangen werden. Je mehr Holliday begreift, daß Earp sie alle töten wird, desto mehr wächst er in die oben beschriebene Rolle des Kommentators hinein, die Freundschaft zum Marshal steht zwar im Vordergrund, aber auch auf dem Spiel. Sie wird prekär, denn er erkennt in Earp mehr und mehr einen Mann, der eben nicht mit „offenen Karten“ spielt, was für einen professionellen Spieler wie Holliday ein Unding ist. Man muß ehrlich spielen, ehrlich seine Ansinnen artikulieren und ehrlich sich selbst gegenüber sein. So kommt es auch zu der Auseinandersetzung nachdem Earp Warshaw erschossen hat. Hier spricht Holliday offen aus, was aus Earp geworden ist, wozu er sich entwickelt hat. Und Earp schlägt ihn dafür. Hollidays Krankheit, bis dahin mit lediglich ein, zwei Hustern angedeutet, wird erst danach zu einem Faktor der Handlung. Er endet in einem Sanatorium, das er nur noch einmal verlässt, um Earp nach Mexiko zu folgen und Clanton zu stellen. In der letzten Szene des Films besucht Earp seinen Freund noch einmal in der Klinik. Holliday sitzt, in eine Decke gewickelt, im Rollstuhl. Er nimmt seine früheren Worte zurück und erklärt, Earp hinge viel zu sehr an Recht und Gesetz, um den ihm angebotenen Posten des Bezirks-Marshals abzulehnen, und daß das auch gut so sei. Und doch entscheidet sich Earp nun anders und erklärt einem Bekannten, den er vor der Klinik trifft, daß er nicht mehr als Gesetzeshüter arbeiten wolle und könne.
Sturges zeigt einen Wyatt Earp, der sich gewandelt hat, der erst seine Berufung vergisst und sich seinen Emotionen hingibt, der seinen Freund dafür straft, ihm diese Entwicklung deutlich vor Augen zu halten und schließlich, nachdem er bekommen hat, was er wollte, einsehen muß, daß er damit sein Recht verspielt hat, seiner ursprünglichen Berufung weiter nachzugehen. Es sind bittere Einsichten, die HOUR OF THE GUN seinem Publikum präsentiert. Es ist eine deutliche Absage an all die Gesetzeshüter, nicht zuletzt jene, die Sturges selbst in seinen Filmen antreten ließ, die problemlos töten und dennoch weitermachen konnten wie zuvor. Oder, wie Lancaster im älteren Film, zumindest problemlos weiter ziehen und ihr persönliches Glück suchen. Männer, in denen ihr Handeln, das Töten, scheinbar nie etwas auslöst, sie nie in ihrem Inneren betrifft, deren Seelen unbefleckt bleiben. Garners Wyatt Earp hingegen ist ein Gezeichneter, zerfressen von niederen Gefühlen, vielleicht sogar gefühllos nach allem, was er getan hat. Er ist ein einsamer Mann, der im Schlußbild allein mit seiner Kutsche in die Weite fährt, während Doc Holliday mit einem Pfleger der Klinik Karten spielt und ihm nicht mehr nachblickt. Mit Jason Robards, der im Vergleich auch mit einem guten James Garner immer noch der bessere Darsteller ist, steht Sturges ein Schauspieler zur Verfügung, der diese dienende Rolle angemessen auszufüllen vermag, sich zurücknimmt und nur wenige Szenen und wenige Gesten braucht, um in Bezug auf Earp zu agieren.
Auch die Darstellung von Ike Clanton unterscheidet sich fundamental zu jener, die Ford und Sturges selbst in den früheren Filmen angeboten haben. Bei Ford ist es vor allem Walter Brennan als Old Man Clanton, ein Patriarch, der seine Söhne an der kurzen Leine führt, der im Fokus steht, Ike tritt dahinter zurück. In Sturges GUNFIUGHT AT THE O.K. CORRAL ist Ike wiederum ein eher noch junger Mann, brutal und eigensinnig, vor allem aber ein Viehdieb, der die Earps aus dem Weg schaffen will, um seinen Geschäften ungestört nachgehen zu können. Ryan interpretiert Ike Clanton anders. Ryan selbst, mit seinem zerklüfteten Gesicht, den eingefallenen Wangen und der hohen Stirn, wirkt an sich schon älter, als die früheren filmischen Inkarnationen dieses Charakters. Dementsprechend ist Clanton hier ein Mann, der veritable Interessen hat, durchaus auch außerhalb des Gesetzes, der aber – an einer Stelle expressis verbis – erklärt, daß der Westen, wie Männer wie er ihn kennen, nicht mehr lange existieren wird und es dringend Not tut, jetzt seine Pfründe zu sichern. Er spricht von den „Ostküstlern“, die in den Westen kommen und mit ihrem Geld bestimmen werden, wer die Macht hat, wer das Sagen und wie es hier wirtschaftlich weitergehen wird. Er hat seine eigene Hausmacht in der Stadt Tombstone und in beiden Gerichtsszenen wird deutlich, daß die Earps keineswegs unumstritten sind. Zwar stehen die Honoratioren der Stadt weitestgehend hinter Wyatt und seinen Brüdern, doch als es zur Marshal-Wahl kommt, gewinnt Morgan diese nur knapp. Clantons Mann Pete Spence rückt sofort auf, nachdem Bill Brocius Morgan erschossen hat. Auch diese Darstellung kommt der Realität weitaus näher, als es die früheren Filmen dargestellt haben.
Für Sturges Verhältnisse ist das eine Menge Psychologie, die er aber nicht verbalisiert – außer in der bereits mehrfach erwähnten Auseinandersetzung zwischen Holliday und Earp – sondern, da wieder ganz seinem Stil verpflichtet, in Gesten, Bewegungen und Mimik seiner Darsteller zum Ausdruck kommen lässt. Das Problem, wenn man denn von einem solchen sprechen will, ist der Verlauf der Geschichte, der alles andere als gradlinig ist. Es wurde Sturges immer wieder vorgeworfen, sein Film sei langweilig, es käme keine Spannung auf und all die komplizierten Verwicklungen seien zu umständlich, erforderten zu viele Umwege und Nebenhandlungen. Wenn man einen geradlinigen, klassischen Western erwartet, in dem Gut und Böse, richtig und falsch klar definiert sind, stimmen die Vorwürfe. HOUR OF THE GUN ist umständlich, das ist nicht von der Hand zu weisen. Und er ist kompliziert. Wer kein Kenner der diversen Kompetenzunterschiede zwischen Sheriff, Marshal, Bezirks- oder Territorial-Marshal ist, hat schon ein Problem, auseinander zu halten, weshalb die Earp-Brüder zu welchem Zeitpunkt im Recht sind und wann nicht. Es gibt gleich zwei Gerichtsverhandlungen, bzw. gerichtliche Anhörungen, die sich im Kern genau auf diese Kompetenzen stützen. Zweimal wird Wyatt Earp durch Ike Clanton des Mordes angeklagt, beide Male wird er von den Vorwürfen freigesprochen. Als er nach Tombstone zurückkehrt, nachdem sein Bruder Morgan dem feigen Attentat zum Opfer gefallen ist und er den zum Krüppel geschossenen Virgil und dessen Familie aus der Stadt gebracht hat, erwartet ihn eine Posse von Clantons Leuten, die alle zu Deputy-Sheriffs ernannt wurden. Hier ergreift Earp dann lieber die Flucht, nachdem ihm seine Verbündeten aus der Stadtverwaltung den Sachverhalt erklärt haben und weshalb seine bisherige Kompetenz in den Stadtgrenzen möglicherweise nicht mehr gilt. Ein weiteres Problem für den Freund des klassischen Western sind die zeitlichen Abläufe. Manchmal glaubt man, es seien nur Tage vergangen und merkt dann, es müssen Wochen sein, dann wieder nimmt man es als Zuschauer genau andersherum wahr. Ausnahmsweise stimmt ausgerechnet bei einem Timing-Meister wie Sturges genau dieses nicht.
Man kann die Vorwürfe als berechtigt ansehen, lässt dabei aber außer Acht, wie der Spätwestern funktioniert. Auch Peckinpahs Filme nehmen oft Umwege, sind gelegentlich zu umständlich und wirken konstruiert. Es gehört zum Wesen des Spätwesterns, daß seine Geschichten keine geradlinigen mehr sind. Sie sind gebrochen, wie die Helden, die hier präsentiert werden. Im Prinzip sind alle Spätwestern nicht nur ein Abgesang auf den Westen, wie er einmal war, sondern viel mehr noch ein Abgesang auf den Western, wie er einmal war. Sie brechen mit den Traditionen, mit den Regeln und Konventionen des Genres, und die besseren dekonstruieren diese. In VALDEZ IL MEZZOSANGUE (1973) bspw. fällt Sturges Fazit hinsichtlich der tradierten Entwicklungen einer heldischen Hauptfigur, hinsichtlich ihrer Handlungsmöglichkeiten, noch sehr viel bitterer aus. HOUR OF THE GUN erfüllt vergleichsweise eher einen dekonstruktiven Ansatz, was die Figuren, weniger, was Dramaturgie und Story betrifft. Denn schlußendlich bieten Sturges und Anhalt hier einen in sich geschlossenen Plot, der mit Clantons Tod, durch Earp herbeigeführt, Regeln und Konventionen des Genres entspricht und diese ungebrochen bedient. Ungewöhnlich ist eher der Weg, den die Geschichte zum abschließenden Shoot-Out nimmt, wie er inszeniert wird, und was dieser mit den Protagonisten macht. Gerade die Kürze des Duells zwischen Earp und Clanton, das darin der Eröffnungssequenz am O.K. Corral entspricht, betont die Sinnlosigkeit dieses Tötens. Es stellt sich keine Katharsis ein, keine Erlösung, nicht einmal Genugtuung. Earp tötet den Mann, den er seit Langem hasst und dann – ist er tot. Ike Clanton. Aber auch Wyatt Earp ist in gewisser Weise danach gestorben. Der heldische Gesetzeshüter legt seine Ämter nieder, bzw. tritt sie gar nicht erst an. Das, was den Namen Wyatt Earps ans Firmament des Westens geschrieben hat, ist durch den gnadenlosen Rachefeldzug diskreditiert, der Name verbrannt. Dieser Mann wird sein Leben weiter leben und von einem Ruhm zehren, den er – im wahrsten Sinne des Wortes – bereitwillig zerschossen hat.
Bezeichnend ist, daß der reale Earp seine letzten Jahre in Hollywood verbrachte und in den Kaschemmen rund um die Poverty Row mit seinen Heldentaten angab. 1929 starb er in Los Angeles. 1988 erschien Blake Edwards Komödie SUNSET (1988), ein Film, der von diesen frühen Tagen der Traumfabrik erzählt. Hier wird ein aufschneiderischer Wyatt Earp engagiert, um Tom Mix als Berater für einen Film zur Seite zu stehen. Wohl nicht ohne Hintergedanken besetzte Blake Edwards James Garner in der Rolle als Earp und verwies damit deutlich auf John Sturges früheren Film. Am Ende schließen sich also die Kreise und alles bleibt in der Film-Familie.
Unter den Filmen von John Sturges sticht HOUR OF THE GUN deutlich heraus. Sowohl positiv, wie auch negativ. Er entspricht nicht mehr dem Stoff, den der Regisseur so zuverlässig abgeliefert hatte, zugleich zeigt er aber – wie im Falle John Fords – wie ein Meister seines Fachs, ein Künstler, das eigene Werk reflektiert und hinterfragt. Es ist ein schwieriger Film, entspricht aber mit all seinen vermeintlichen Unzulänglichkeiten durchaus den zeitgenössischen Filmen und ist damit auf der Höhe der Zeit. Seiner Zeit. Für den Westernliebhaber, der nicht nur an herkömmlicher Ware interessiert ist, den Entwicklung und Abarten des Genres beschäftigen, ist auch HOUR OF THE GUN nicht nur ein spannender, sondern durchaus auch unterhaltsamer Film.