DIE LETZTEN MÄNNER DES WESTENS. ANTIFEMINISTEN, RECHTE MÄNNERBÜNDE UND DIE KRIEGER DES PATRIARCHATS

Tobias Ginsburg geht dort hin, wo es richtig weh tut

„Toxische Männlichkeit“, „alte weiße Männer“, „die Herrschaft des Patriarchats“ – es sind Bezeichnungen wie diese, die in den vergangenen Jahren für massive Verstimmungen unter den Herren der Schöpfung sorgten. Vor allem die angesprochenen älteren weißen Herren sind erbost, scheint doch ihre Expertise und Erfahrung nicht mehr gefragt, was natürlich am Selbstbild nagt. Aber es ist ja wahr. Einst sagte ein Sprichwort, nichts sei so gefährlich, wie alte weiße Männer, denn sie hätten nichts mehr zu verlieren. Und annähernd 5000 Jahre Patriarchat scheinen genügend Evidenz für solch eine Einschätzung zu liefern. Zumal die Entwicklungen der vergangenen Jahre genau dies zu bestätigen scheinen: Ob Donald Trump, Wladimir Putin, Jarosław Kaczyński oder auch der nicht ganz so weiße Xi Jinping, sie alle scheinen, bevor das eigene Ende dann doch in Sicht kommt, noch einmal beweisen zu wollen, daß sie die Hoheit über die Geographie, die Gesellschaft und vor allem über Frauenkörper haben. Entweder wollen sie bestimmen, wie Frauen mit ihren Körpern umzugehen haben, was sich vor allem im niemals müden Kampf gegen Abtreibungen niederschlägt, oder aber sie glauben, ihr Mannsein, gepaart mit Ruhm (oder was sie dafür halten) und Macht erlaube ihnen Zugriff auf jeden Frauenkörper, der sie interessiert.

Ja, das ist leider wirklich toxisch. Daß sich aber unterhalb der sichtbaren Ebene dieser Mächtigen ein virulentes Maß toxischer Männlichkeit in den Blasen des Internets angesammelt hat, das wird erst nach und nach sichtbar, wird erst nach und nach bemerkt. Allerdings gab es in den letzten Jahren und Jahrzehnten doch immer mal wieder sichtbare – und tödliche – Zeichen, daß und was sich da zusammenbraut. Ob Anders Breivik, der in Norwegen 77 Menschen tötete und sich dabei als Retter des Abendlandes wähnte, ob der Attentäter von Christchurch, der in zwei Moscheen 51 Menschen umbrachte, oder sei es jener Mann, der in Halle letztlich „nur“ zwei Menschen tötete, weil sein Ziel, die Synagoge, offenbar nicht zu erstürmen war – all diese Männer erklärten in meist wirren Pamphleten, die sie gern als „Manifest“ betrachtet sehen wollten, daß der Feminismus maßgeblich für den Verfall der Sitten und Werte im Westen – oder, wie es bei ihnen meist pathetisch heißt: Im Abendland – verantwortlich sei. Der Attentäter von Halle bekannte sich sogar explizit zu der etwas seltsam anmutenden Bewegung der Incels (Involuntary Celibates; unfreiwillig Zölibatäre), der Männer angehören, die enthaltsam leben, weil sie keine geeignete Partnerin finden. Verantwortlich auch hier der Feminismus, der die Frauen weg vom Herd und vom Heim geführt und deshalb dazu beigetragen habe, daß Frauen ihre angestammten – sprich: die ihnen von Männern zugewiesenen – Plätze aufgegeben hätten.

Man kann (und möchte) darüber einfach lachen. Vor allem dann, wenn man sich einmal anonym auf den entsprechenden Seiten herumgetrieben und festgestellt hat, was für Gestalten sich da tummeln. Daß es möglicherweise an ganz anderen Gründen liegen könnte – ewige schlechte Laune, Hygiene, schlichtweg keine Ausstrahlung – , daß die Damenwelt sich mit Grausen abwendet, darauf scheinen die wenigsten dort zu kommen. Nein, der Feminismus – drunter macht man(n) es nicht. Immerhin kann man sich so noch ein wenig Exklusivität sichern, ein wenig in der Annahme leben, man sei wichtig und wesentlich. Anstatt der eigenen vollkommenen Bedeutungslosigkeit im großen Weltengefüge ins Auge blicken zu müssen.

Aber ganz so einfach ist es nicht. Leider. Denn aus dieser Subkultur entwächst etwas, das durchaus virulent, das durchaus gefährlich ist, wie die obigen Beispiele gezeigt haben. Mögen sie die Spitze es Eisbergs markieren, ihre Opfer sind tot, haben keine Zukunft, kein Leben mehr. Und innerhalb der Szene werden diese Typen gefeiert. Ja, da braut sich etwas zusammen. Etwas Ungutes. Etwas, das langsam ans Tageslicht gekrochen kommt und meint, es habe ein Recht: Recht auf Sex, Recht auf Überlegenheit, Recht auf Herrenmenschattitüde. Und ja, die Nähe zu rechtsextremistischen Kreisen, in denen man(n) ja seine Männlichkeit wiederfinden zu müssen glaubt, weil ohne die sei man(n) nicht wehrhaft, diese Nähe ist fast immer gegeben. Doch selbst das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Vielmehr sickert dieses neue alte Männlichkeitsbild auch in jugendliche Subkulturen ein und dadurch auch in die Köpfe junger Menschen, vor allem junger Männer. Seien es Deutsch-Rapper wie Kollegah u.a., die eben diese alte neue Männlichkeit nicht nur offensiv, sondern vor allem ausgesprochen aggressiv vertreten, seien es Metalbands, die sich nicht nur in einer Fantasy-Welt wähnen, sondern deren Werte auch in der realen Welt zu etablieren gedenken – Werte, die konträr zu zivilen, demokratischen Gesellschaften stehen – oder seien es schlichte Rechtsrockbands, deren Publikum mit freiem Oberkörper und „Sieg Heil!“ brüllend vor der Bühne pogt – die Gesellschaft sollte schon hinschauen, wenn sich da einige entkoppeln und der Meinung sind, Bürgerkrieg, Apokalypse und Diktatur seien erstrebenswerte Zustände in Massengesellschaften.

Der Autor und Regisseur Tobias Ginsburg, der 2018 mit einem Undercover-Bericht aus der Reichsbürgerszene von sich reden machte, wiederholte seine Recherchen, diesmal aber unter eben jenen toxischen Männern, von denen oben die Rede war. DIE LETZTEN MÄNNER DES WESTENS. ANTIFEMINISTEN, RECHTE MÄNNERBÜNDE UND DIE KRIEGER DES PATRIARCHATS (2021) heißt sein Bericht aus der Machoblase. Naturgemäß, es wurde eben erwähnt, streift er dabei immer wieder auch den Bereich der Rechtsradikalen und Rechtsextremisten, da vor allem dort der Kampf gegen die Moderne und Postmoderne, gegen alles, was mit „68“ chiffriert wird, gegen Pluralismus, Diversität und Liberalismus gefochten wird. Ginsburg, selber jüdischen Glaubens, setzt sich also einer Sphäre aus, in der Antifeminismus und Antisemitismus eine gefährliche, ebenfalls toxische Allianz eingehen. Der Wirrkopf, der in Halle versuchte, die Synagoge zu überfallen und, nach eigener Aussage, möglichst viele Juden zu töten, erklärte während des Livestreams, den er unablässig von seinem Vorhaben ins Netz einspeiste, explizit, daß hinter allem – auch und vor allem hinter dem Feminismus – „der Jude“ stünde. Einen kausalen Zusammenhang blieb er schuldig, aber der ist in seiner Szene wahrscheinlich auch nicht nötig, man(n) versteht sich, man(n) kennt die Codes.

Ginsburg schleuste sich in Burschenschaften ein, er traf Politiker, die sich für gemäßigt, wenn nicht gar „Mainstream“ halten und doch die unglaublichsten Aussagen über Frauen vom Stapel lassen, er freundete sich mit zwei Rappern – Chris Ares und Prototyp – an, die ein übertriebenes Männlichkeitsideal von „definierten Körpern“ mit unterschwelligem Antisemitismus und recht offen zur Schau gestellter Rechtsideologie kombinieren und er reiste nach Polen, wo die „Männerlobby“ mittlerweile regierungsnahe Ämter und Beraterfunktionen übernommen hat. Es wird deutlich, daß zum Antifeminismus auch immer eine ausgeprägte Schwulenfeindlichkeit hinzukommt. Damit rennt man im erzkatholischen Polen natürlich offene Türen ein, ist homophobe Politik dort doch längst Staatsräson.

Gerade dieser letzte Teil des Berichts ist interessant, denn hier wird doch einiges offengelegt, das auch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit, sprich: in den Medien, selten Erwähnung findet. Wie stark eine Organisation wie Ordo Iuris, nach eigenen Angaben ein Think Tank mit beratender Funktion, sowohl in polnische Regierungskreise wie auch in europaweite Netzwerke rechter und ultrarechter Organisationen verwoben ist, kann durchaus Beklemmung auslösen, ja, Angst machen. Allerdings wird gerade hier auch deutlich, wo die Ultrarechte immer wieder an ihre eigenen, im Grunde selbstgesteckten Grenzen stößt. Denn durchaus ist man interessiert, wie denn die Brüder im Geiste im Ausland so ticken, andererseits liegt man bspw. mit den Russen grundsätzlich über Kreuz, hat Polen doch ein historisch gewachsen schlechtes Verhältnis zum östlichen Nachbarn. Und ähnlich ist es mit den Deutschen. Sicher, die AfD ist so etwas wie der natürliche Verbündete einer rechten Organisation, andererseits steht gerade diese Partei immer unverhohlener in der Tradition der dunkelsten deutschen Vergangenheit, unter der ja nicht zuletzt die Polen fürchterlich gelitten haben. In diesem Abschnitt wird aber noch etwas anders deutlich: Diejenigen, die hier, in einem Land wie Polen, den Kampf für eine offene, plurale, diverse Gesellschaft aufnehmen, gehen dabei (noch) weitaus höhere Risiken ein, als deutsche Aktivisten. Denn in Polen unter Kaczyński darf ein linker, queerer oder einfach nur demokratisch gesinnter Aktivist nicht unbedingt damit rechnen, daß die Staatsmacht in personam der Polizei sich schützend vor ihn stellt – oder sonderliches Interesse an der Aufklärung eines etwaigen Hassverbrechens zeigt.

Ginsburg schreibt sich selbst immer ein, er erklärt seine eigenen Ängste, berichtet von der Anstrengung, die es bereitet, immer wieder in die Rolle eines AfD-affinen überzeugten deutschen Mannes zu schlüpfen, der die Schnauze von den „Weibern“ und deren Muckerei gestrichen voll hat. Daß es ihm dabei nicht immer gelingt, sachlich zu bleiben, liegt dabei auf der Hand. Dies ist, folgerichtig, auch kein sachlich-nüchterner Bericht, keine auf Quellen und Studien gestützte Analyse, kein soziologisch oder sozialpsychologisch fundierter Sachtext. Dies ist eine Liveschalte direkt aus der Männerhölle. Und der Autor lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wo er selbst steht. Im Gegenteil – er gibt seiner Verachtung gegenüber seinen Kontakten deutlich Ausdruck, mehr noch, er nennt sie nicht nur seine Gegner, nein, er erklärt die meisten dieser Typen klar zu seinen Feinden. Aber was soll man auch tun, wenn man ununterbrochen die Feindseligkeit spürt, die von diesen Männern gegen alles ausgeht, das nicht in ihre engen Weltbilder passt. Frauen, Linke, Juden.

Der manchmal schnoddrige Ton kann dabei auf die Länge des Textes – immerhin deutlich über 300 Seiten – durchaus auch einmal enervierend wirken. Vor allem aber stellt sich auch hier einmal mehr die Frage, für wen der Autor die Gefahren und den ganzen Stress eigentlich auf sich genommen hat? Denn die, die dies lesen, wissen Bescheid, sind oft genug selbst Opfer rechter oder antifeministischer Gewalt geworden, sie verfolgen aufmerksam, wie sich die Gesellschaft entwickelt, wo mit klarer Kante gegen die beschriebenen Formen der Gewalt vorgegangen wird und wo dies unterbleibt. Die, die dies lesen sollten, die es lesen müssten, die werden den Teufel tun und das Buch jemals in die Hand nehmen. Außer vielleicht, um es ins Feuer zu werfen. Das ist das Problem all der gut gemeinten Studien, Analysen, Gesprächs- und Diskussionsanleitungen, der soziologischen, psychologischen, politischen und kulturellen Untersuchungen zum Thema – auch dies alles bildet eine Blase, in der die immer gleichen Autoren und Wissenschaftler sich an ein immer gleiches Publikum richten. So haben Unterfangen wie das von Ginsburg auch immer etwas Tautologisches.

Dennoch – ein Buch wie dieses ist wichtig und es bietet hier und da auch dem ohnehin Interessierten Neues. Vor allem aber fungiert es eben auch als eine Aufmunterung, als eine Aufforderung. Lasst uns weitermachen, lasst uns nicht nachgeben in unseren Bemühungen, diesen Ort, den wir Welt nennen, zu einem besseren Ort zu machen. Lasst uns aufstehen für unsere Rechte und – vielleicht das wichtigste überhaupt an einem Text wie diesem – lasst uns nicht in die Falle derer tappen, die für sich reklamieren, „Männlichkeit“ definieren zu können und damit lediglich Klischees von vorvorgestern reproduzieren. Man kann auch als Mann Gegner des Patriarchats sein, es gibt eine andere, neue Männlichkeit, die eben nicht patriarchal ausgerichtet und organisiert ist, die Härte und Brutalität keineswegs für unabkömmlich hält, wenn es darum geht, den eigenen Standpunkt als Mann zu definieren. Wenn all den Rappern und Incels, wenn den AfDlern und Möchtegernkriegern nichts anderes einfällt, als in ihrem Selbstbild auf Plattencover drittklassiger Metal-Bands aus den 80ern zurückzugreifen, dann ist das letztlich deren Problem. Denn sie sind darin vor allem eines: bemitleidenswert.

Und ja, vielleicht ist es an der Zeit, den „alten weißen Männern“ (zu denen sich der Verfasser dieser Zeilen langsam auch zählen darf) einfach zu sagen: Ja, ihr habt recht. Ihr liegt mit all euren Befürchtungen richtig. All eure Ängste sind vollkommen berechtigt, denn eure Zeit ist tatsächlich um. Wir haben uns nun tausende von Jahren angeschaut, wohin eure Herrschaft führt und sie hat uns nicht viel Gutes gebracht. Wenn euch die Phantasie fehlt, Neues zu erproben, die Fähigkeit abgeht, euch in Frage zu stellen, so tut es uns leid, aber wir haben nicht mehr die Zeit, auf euch und einen eventuellen Sinneswandel zu warten. Es eilt, wir müssen aus den Herrschafts-, den Machtfallen und -verhältnissen, die ihr geschaffen habt, endlich heraus. Denn sonst sind wir alle am Ar***.

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