ZEUGE GESUCHT/PHANTOM LADY

Stilübung eines Giganten des 'Film Noir'

Scott Henderson (Alan Curtis) trifft in einer Bar eine namenlose Frau, der er anbietet, ihn in ein Cabaret zu begleiten. Als er heimkommt, erwartet ihn mit Inspektor Burgess (Thomas Gomez) und dessen Handlangern die Polizei: Seine Frau wurde ermordet, er steht unter Verdacht. Da Henderson und seine Frau an diesem Abend einen Streit hatten und ihre Ehe sowieso nicht mehr gut lief, deuten die Indizien auf ihn als Täter hin. All seine Beteuerungen können ihm nicht helfen, niemand derer, die ihn in dieser Nacht gesehen haben – der Barkeeper, der Taxifahrer, die Sängerin des Theaters, die sich darüber aufregte, daß seine Begleiterin den gleichen Hut trug, wie sie auf der Bühne – kann sich noch an die Dame erinnern, während alle eine Erinnerung an ihn zu haben scheinen. Scott wird verurteilt und zum Tode verurteilt. Niemand hält mehr zu ihm, nur seine Assistentin Carol „Kansas“ Richman (Ella Raines) glaubt nicht daran, daß der Mann, den sie heimlich liebt, eines Mordes fähig wäre. Also beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln, wird dabei aber recht schnell von Burgess unterstützt, der ebenfalls nicht glaubt, daß ein Mann, der einen Mord begeht, als Alibi eine Frau vorweisen würde, die nicht auffindbar ist. So suchen die beiden gemeinsam. Schließlich taucht auch Hendersons bester Freund, der Maler Jack Marlow (Franchot Tone) auf, der sich ebenfalls für Henderson einsetzen will. Als Carol es ein letztes Mal bei der Varietékünstlerin versuchen will, stößt sie auf den Namen jener Schneiderei, die ihr die Hüte der Künstlerin herstellt, dort nachgefragt, kommt sie darauf, daß eine der Schneiderinnen gegen ihre Arbeitsbestimmungen eine Kopie für eine junge Dame hergestellt hat, die sich als Insassin einer Nervenheilanstalt entpuppt. Als Carol ihre Neuigkeiten mit Marlow teilen will, findet sie in dessen Appartement eine Reihe von Indizien, die ihn als den Kopf hinter der Verschwörung gegen Scott Henderson entlarven. Er hatte eine Affäre mit Hendersons Frau, als er sie aufforderte mit ihm nach Südamerika zu gehen, sie sich jedoch weigerte, Scott zu verlassen, brachte er sie um und ließ es durch Bestechung all der betreffenden Personen so aussehen, als hätte Scott seine Gattin ermordet. Bevor Burgess ihn verhaften kann, bringt Marlow sich um.

Billy Wilder – Fritz Lang – Robert Siodmak: Es wäre wahrscheinlich eine eigene Untersuchung wert, den Zusammenhang zwischen jüdischen Emigranten und der spezifischen Atmosphäre, dem speziellen Hang zur Düsternis des Film Noir (gerade des frühen Film Noir der 40er Jahre) zu untersuchen[1]. Denn es sind schon diese drei Regisseure deutscher/deutschsprachiger Herkunft gewesen, die alle die Erfahrung der Flucht vor den Nazis und des Verlusts von Heimat – und Sicherheit – gemacht hatten, die den Noir maßgeblich, wenn auch ein jeder auf sehr eigene Art und Weise, geprägt haben. Wilder war der Zyniker, immer der Misogynie verdächtig, Lang der Realist, der an Entwicklung und psychologischer Raffinesse Interessierte, Siodmak der Romantiker, der auch und gerade in dieser kleinen Stilübung von 1944 zeigt, daß er Noir und Melodrama zusammendenkt.

PHANTOM LADY (1944) kann nicht annähernd mit Siodmaks Klassikern wie THE SPIRAL STAIRCASE (1945) oder gar THE KILLERS (1946) mithalten, auch Werke wie DARK MIRROR (1946) oder CRISS CROSS (1949) überragen diesen Film deutlich. Zu getragen, im Tempo zu langsam und v.a. ohne große Variation, nahezu ohne Action, ist PHANTOM LADY deshalb interessant, weil er zweierlei zeigt: Einmal generell, wie man mit einem offenbar äußerst geringen Budget dennoch Atmosphäre schafft, spezifisch jedoch, wie Siodmak seine eigenen Handschrift entwickelt und ausarbeitet. Ob in einer Gerichtsverhandlung oder während Henderson die Leiche seiner Frau gezeigt wird: Um größeren Budgetansprüchen aus dem Wege zu gehen, zeigt der Regisseur lediglich Reaktionen. So sehen wir während der Verhandlung über Scott den Zuschauerraum des Gerichts und dort die Reaktionen in den Gesichtern der Zuhörer. Denn wir hören zugleich eine Art Potpourri der Plädoyers des Staatsanwalts und von Scotts Verteidiger. Das sind wunderbare kleine Miniaturen und Skizzen von Gesichtern des durchschnittlichen Bürgers, der sich an den Unbilden des anderen vergnügt, froh, daß es den und nicht ihn selbst getroffen hat. Nahezu eine kleine Studie des amerikanischen Durchschnittsbürgers in seiner ganzen Rechtschaffenheit, wenn man so will. Immer wieder greift Siodmak auf dieses Stilmittel zurück, die Reaktion auf ein Geschehen zu zeigen, anstatt das Geschehen selber ins Bild zu setzen. Doch merkt der Zuschauer bald, daß er es hier eben auch mit einem Mittel, aus der Not eine Tugend zu machen, zu tun hat. Daß kein einziger wirklich kassenträchtiger Star den Film trägt, ist ein weiterer Hinweis, daß hier mit einem äußerst bescheidenen Etat gearbeitet wurde. Umso auffälliger, daß es Siodmak gelingt, vor allem aus seiner Hauptdarstellerin Ella Raines eine durchaus ansprechende Leistung herauszuholen. Franchot Tone, dessen größte Rolle neben seinem oscarnominierten Roger Byam in THE MUTINY ON THE BOUNTY (1935) wohl die als Gatte von Joan Crawford war, verpasst Jack Marlow die nötige schmierige Verschlagenheit einerseits, macht aber sogar dessen Not als hingehaltener Liebhaber andererseits momentweise deutlich, so daß Siodmak trotz fehlender großer Namen auf eine durchaus verlässliche Darstellerriege zurückgreifen konnte.

Anders als bei Wilder, sind Siodmaks Frauen keine ‚Femme fatales‘, keine Monster, die Männer in deren Untergang treiben, sondern entweder Opfer oder aber durchaus selbstbestimmte Ladies, die ihr Schicksal in die Hand nehmen. So ist „Kansas“ – der Spitzname fällt allerdings nur im Original, die deutsche Synchronisation verzichtet komplett auf die Nennung – zwar vielleicht ein Provinzmädchen, doch ist sie weder dumm, noch ängstlich und erst recht nicht falsch, im Gegenteil: Sie ist es, die auf Hendersons Unschuld besteht und sich für ihn einsetzt, sogar, wenn es gefährlich zu werden droht (so gibt sie sich undercover als leichtes Mädchen aus, um mit dem Schlagzeuger jener Varietéband anzubandeln, der Scott und die Unbekannte gesehen haben muß). Eine frühe Figur weiblicher Emanzipation. Und anders als Wilder und meist auch Lang, ist Siodmak bereit, seinem Personal ein für den Noir untypisches Happy End zu gönnen.

Auch muß Siodmaks Gespür für Licht/Schatten-Reize erwähnt werden. Es gibt Momente – beispielhaft jene Szene als Carol Scott kurz vor seiner anstehenden Hinrichtung im Gefängnis besucht und der Lichteinfall durch das einzige Fenster fast eine sakrale Stimmung beschwört – die geradezu expressionistisch anmuten. Daher auch der Eindruck, daß hier aus Siodmaks Sicht eine Fingerübung vorliegt, denn einiges, was hier erprobt und ausprobiert wird, taucht doch später in seinen deutlich besser budgetierten und also aufwendigeren Filmen wieder auf, findet dort dann Verwendung, findet auch dort dann die gänzlich angemessene Form.

Dennoch können all die Vorzüge dieses kleinen Films – übrigens auch eine Variante des von Hitchcock geschätzten und populär gemachten ‚the Wrong Man‘-Motivs – nicht darüber hinwegtäuschen, daß er eben nicht viel mehr als ein Fingerübung ist. Logiklöcher (wieso wartet die Polizei auf Henderson, als dieser heimkommt? Wer hat die Leiche eigentlich gefunden?), inszenatorische Schwächen – Timing und Tempo – und mangelhaftes Budget machen die Angelegenheit zu guter Durchschnittsware (als die sie auch deutlich sichtbar gedacht war) des frühen Film Noir.
[1] Barbara Steinbauer-Grötsch tut das z.T. in ihrem hervorragende Werk DIE LANGE NACHT DER SCHATTEN. FILM NOIR UND FILMEXIL. Berlin, 2003.

 

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