STONER

Berichte aus der akademischen Parallelwelt...

Bereits 1965 in Amerika erschienen, liegt John Williams Roman STONER nun auch auf Deutsch vor. Nominell ein sogenannter Campus-Roman, der von dem Englischdozenten William Stoner erzählt, umfasst das ca. 350seitige Werk aber das gesamte Leben dieses „kleinen““ Mannes.

Geboren auf einer Farm im ländlichen Ohio Ende des 19. Jahrhunderts, schicken die Eltern den jungen William nach Columbia, damit er dort ein Studium der damals neuen Agrarwissenschaften absolviert. Doch die Begegnung mit dem Dozenten Archer Sloane läßt ihn seine Liebe zur Literatur entdecken. So wechselt er ohne das Wissen der Eltern zur Literaturwissenschaft, schließt das Studium ab, promoviert und wird schließlich Dozent an seiner eigenen Alma mater, da aufgrund des Ersten Weltkrieges junge Dozenten Mangelware sind. Er heiratet Edith, eine stille und scheinbar sehr sensible Frau, deren Eltern im eleganten St. Louis leben. So geht es dahin, sein Leben: Er überwirft sich mit Kollegen, findet Freunde und verliert sie auch wieder, eine junge Studentin, die ebenfalls an seiner Universität promovieren will, wird seine Geliebte, bis die Konventionen und Stoners Feinde diese Liebe unmöglich machen. Auch Edith wird zusehends seine Feindin, scheint sie sich doch von ihm um ein Leben, ein anderes Leben, betrogen zu fühlen? So richtig findet Stoner nie heraus, was sie ihm eigentlich vorwirft. Das einzige gemeinsame Kind – Grace – wird früh schwanger und geht mit einem Mann, den sie nicht liebt und der ihr den Gefallen tut, bald nach der Hochzeit im Südpazifik zu fallen. Ihr Kind überläßt sie größtenteils ihren Schwiegereltern und selbst verfällt sie dem Alkohol. Stoner wird alt, kann den einen oder anderen Sieg über seinen Erzfeind Lomax – Fachbereichsleiter in der Universität – erringen, nicht jedoch über den Tumor, der ihn nach und nach zerfrißt. Stoner stirbt Mitte der 50er Jahre, von wenigen betrauert, von vielen als Kauz betrachtet, ungeliebt und rückblickend auf ein Leben, dessen Möglichkeiten er nicht ausgenutzt hat.

Williams schildert dieses „ganz normale Leben“ in einem nahezu lakonischen Ton. Weder hat er große Sympathien für seine Hauptfigur, noch lehnt er sie ab. Beschrieben wird das Leben eines Mannes, der in einer Zeitenwende, zu Beginn der Moderne, lebt. Er nutzt einige der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, die sich dadurch auftun (überhaupt zu studieren ist ungewöhnlich für seinen Hintergrund, das Studienfach zu wechseln ist sicherlich der mutigste Schritt dieses Lebens) und läßt viele andere aus. Williams führt seine Figuren nicht vor, gibt sie nie der Lächerlichkeit preis, sondern schildert – nüchtern, manchmal beiläufig, ohne Drama oder besondere Höhepunkte – den Ablauf der Jahre und die darin entscheidenden Episoden. Der Leser allerdings taucht dabei tief ein in die Gedankenwelt, das Empfinden dieses Menschen und auch in die Entfremdung, die er immer wieder ebenso sich selbst wie seiner Umwelt gegenüber erfährt. Manchmal schwer erträglich in der Gleichmütigkeit, mit der Stoner bereit ist, die Widrigkeiten des Lebens zu ertragen, empfindet man dennoch eine wehmütige Sympathie für diesen Mann, der sich relativ fair reflektiert. Er ist kein Held, auch kein Schurke, er gibt sich Mühe im Rahmen seiner Möglichkeiten, er ist natürlich ein Aufsteiger, was ihn lange fremdeln, Vieles aber auch ertragen läßt, er ist ein Lehrer, aber meist kein guter, und er ist feige. Feige vor dem Leben.

Früh in seiner universitären Laufbahn ordnet ein Freund sich selbst, Stoner und den gemeinsamen Freund Gordon Finch der Universität als einer Art Parallelwelt zu, eine Welt für jene, die mit der Welt selbst nicht zurecht kämen, die aber eine Idee hätten von Welt. Eine literarische, in ihrem Falle. Die Universität als eine Art Hort für die Aus-der-Welt-Gefallenen. Sowohl dieser Freund – Dave Masters, der für Stoner zeitlebens ebenso eine Referenzgröße zur Wirklichkeit, wie eine Art Vorbild bleiben wird – als auch Finch melden sich freiwillig zu den Truppen des Ersten Weltkriegs, Stoner bleibt daheim. Masters fällt, die Wirklichkeit holt zumindest ihn maximal ein. So wird die Universität für Stoner also ebenso zu einem Schutzwall, wie sie ihm Substitution für die Realität bietet: Feinde, Freunde, eine Liebe, die wirklicher ist, als es seine Ehe als Liebschaft je war. Letztlich lebt Stoner ein literarisches (Ersatz)Leben, was natürlich eine schöne Spielerei mit einer Romanfigur ist. Er ist zu feige für die Wirklichkeit, könnte man sagen. Er verharrt lieber in einer schrecklichen Ehe, die er kennt, als das Wagnis einzugehen, mit der Frau, die er wirklich liebt, in ein vollkommen anderes Leben aufzubrechen. Daß ihre Zeit ein solches Leben sehr schwer machen würde, daß sowohl Stoner, als auch seine Geliebte (die schließlich in New York Karriere macht und damit auch klar eine ANDERE Möglichkeit dieser Zeit markiert) wissen und akzeptieren, daß dies schlicht nicht möglich ist (zu sein scheint), zeigt seine Mittelmäßigkeit, auch seine Feigheit. Es zeigt aber auch, wie genau Williams hinschaut, wie präzise er mit dieser so nüchternen Sprache, diesem lakonischen Ton seine Beobachtungen zu schildern versteht.

John Williams, ein Zeitgenosse Wallace Stegners (obwohl fast eine Generation jünger als dieser) und Richard Yates‘, schreibt wie diese in einem modernen Stil über eine Zeit, die man eher mit Sherwood Anderson und seinem Meisterwerk WINESBURG, OHIO verbinden würde: Stoner entstammt einer verarmten Farmersfamilie, die Schilderungen seiner jungen Jahre, in denen er studiert, in den Ferien aber sofort heimfährt, um den Eltern zu helfen, sind schon beeindruckendes Zeugnis einer Nation im Aufbruch, auch der so oft besungenen „unbegrenzten Möglichkeiten“, die Amerika ja angeblich bietet. Das Ethos der harten Arbeit ist hier reine Voraussetzung für die Bewegung der Figuren. Williams aber war vor allem Universitätsdozent und kannte also das Innenleben einer Universität in einer kleineren Stadt im mittleren Westen der USA und er kannte auch das Umfeld, in dem man dort zu leben hatte. Seine Schilderung eben dieses universitären Lebens fällt manchmal gehässig aus, wobei auch die Gehässigkeit beiläufig bleibt und somit kaum auffällt. Daß die ihm bös‘ gesinnten Kollegen und Studenten oft als körperlich eingeschränkt/behindert gezeichnet werden, kann man Williams freundlich dahingehend auslegen, daß es eine Metapher für die Spezifik dieses Lebens sein soll – ein verkopftes Leben, das sich abschottet gegen die wahren Unbilden, die Stoner – eine weitere Metapher, wie so mancher Name hier – auf Grund seiner Herkunft kennt. Er ist körperliche Arbeit gewohnt, er ist in ein vollkommen anderes Leben gewechselt (ohne das alte zwingend verlassen zu wollen, sein Wechsel ist keine Flucht aus etwas, sondern eine Hinwendung zu – Literatur). Er ist in gewissem Sinne dort, wo er hingehört. Und dennoch ist er dort nicht wirklich behaust.

John Williams seziert das alles auf wundervoll stille Art und Weise. Er hat ein kunstvolles Konstrukt gesponnen. Das liest sich scheinbar so leicht und man gleitet dieser Sprache folgend dahin und oft bleiben einzelne Gedanken hängen, die sich dann aber als erstaunlich widerständig, gar widerborstig erweisen in diesem eleganten Geflecht. Was so gleichmütig erscheint, offenbart tiefsitzenden Schmerz, ohne sich erklären zu müssen, und es ist schmerzlich zu lesen, weil es die Dinge so genau betrachtet und so gnadenlos folgerichtig darstellt. Große Literatur.

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