MALIGNANT

Was an einem (post)modernen Filmemacher wie James Wan gefällt - und was eher nicht

1993 kommt es in einer Klinik zu einem Zwischenfall mit einem Patienten, bei dem Mitarbeiter verletzt und sogar getötet werden. Die zuständige Ärztin Doktor Florence Weaver (Jacqueline McKenzie) beschließt daraufhin, daß es „an der Zeit ist, den Krebs herauszuschneiden“…

Seattle in der Gegenwart: Die hochschwangere Madison Lake-Mitchell (Annabelle Wallis) kommt eines Abends nachhause und gerät schnell in eine Diskussion mit ihrem Gatten Derek (Jake Abel). Dieser wirft ihr vor, daß die erneute Schwangerschaft ein Risiko darstelle, da sie bereits mehrere Fehlgeburten hatte. Die Diskussion artet in einen handfesten Streit aus, bei dem Derek Madisons Kopf gegen eine Wand stößt. Sie wird daraufhin ohnmächtig. Als sie wieder erwacht, ist die Polizei im Haus und Derek tot – er wurde auf fürchterliche Art und Weise ermordet.

Madison erinnert sich, einen Traum gehabt zu haben, in welchem sie nicht nur Dereks Ermordung gesehen hat, sondern selbst von dem Mörder angegriffen wurde.

Im Krankenhaus wird Madison von ihrer Schwester Sydney (Maddie Hasson) besucht. Es kommt zwischen den beiden zu einer Aussprache, bei der Madison Sydney offenbart, daß sie selbst adoptiert wurde und keine Erinnerungen an ihr Leben vor ihrem achten Lebensjahr habe. Sie wisse nicht, wer sie sei.

Die Detectives Kekoa Shaw (George Young) und Regina Moss (Michole Briana White) verhören Madison und machen dabei deutlich, daß sie sie durchaus der Tat – des Mordes an ihrem Ehemann – für verdächtig halten.

Madison darf zurück in ihr Heim. Sie stellt fest, daß ihr Hinterkopf weiterhin blutet. Zudem wird sie von weiteren Visionen heimgesucht – darunter wird sie so auch Zeugin des (imaginierten?) Mordes an Doktor Weaver.

In einem Museum, in dem die Unterwelt Seattles zu bestaunen ist, wird die Führerin der Tour, Serena (Jean Louisa Kelly) überfallen und entführt. Sie kommt zu sich, gefesselt und offenbar an einem geheimen Ort gefangen gehalten, wo sie ein ihr unbekannter und maskierter Mann bedroht.

Moss und Shaw gehen dem Fall nach und stoßen so auch auf Dr. Weaver, vor deren Ermordung Madison sie warnt. In Weavers Haus stoßen die Ermittler auf ein Foto der jungen Madison. So können sie den Zusammenhang rekonstruieren: Madison war einst Weavers Patientin.  Die Ärztin war unter anderem für Schönheitschirurgie zuständig. Offenbar hat sie auch die junge Madison behandelt.

Nachdem Madison eine erneute Vision hatte, wie ein weiterer der 1993 beteiligten Ärzte – Dr. Fields (Christian Clemenson) – ermordet wird, meldet sich telefonisch ein Mann bei ihr und erklärt, er wäre „Gabriel“.

Bei einem Besuch bei ihrer Mutter erfahren Madison und Sydney, daß Madison einst einen imaginären Freund hatte, der sich Gabriel nannte, der allerdings langsam verblasst sei, nachdem Sydney geboren worden sei.

Nachdem die Ermittler durch eine Notiz in den Unterlagen Dr. Weavers einen Zusammenhang auch zu dem ermordeten Doktor Gregory hergestellt haben, bitten sie Madison, sich einer Hypnose zu unterziehen.

So erfährt Madison nicht nur, daß ihr Geburtsname Emily May lautete und sie von ihrer leiblichen Mutter wegegeben wurde, sondern sie erfährt auch von Gabriel, einem vermeintlichen Jugendfreund, der ausgesprochen eifersüchtig war und ihr sogar befahl, das neugeborene Baby – Sydney – zu töten. Erst langsam konnte sich Madison von „Gabriel“ lösen bis sie ihn vergaß.

Während der Sitzung kracht eine den Anwesenden unbekannte Frau durch die Decke in Madisons Haus. Es ist Serena, die offenbar auf Madisons Speicher gefangen gehalten wurde. Während Serena ins Krankenhaus eingeliefert wird, wird Madison nun als Tatverdächtige hinter all den Morden verhaftet und ins Gefängnis gebracht.

Sydney macht sich allein auf den Weg in jene Psychiatrie, wo vor 27 Jahren, im Jahr 1993, jener Vorfall geschah, der Dr. Weaver veranlasste, „den Krebs herauszuschneiden“. In den verstaubten Archiven des mittlerweile geschlossenen Hospitals entdeckt Sydney Unterlagen, die beweisen, daß Madison seit ihrer Geburt mit einem sogenannten „parasitären Zwilling“ verwachsen gewesen ist, der vor allem durch telepathische Fähigkeiten mit seiner Umwelt kommunizierte. Gabriel scheint bösartig gewesen zu sein, weshalb Dr. Weaver einst beschloss, ihn von Madison zu trennen. Dabei wurde der an Madisons Rücken angewachsene Körper des Zwillings zwar entfernt, sein Hirn jedoch wurde in Madisons Kopf verpflanzt, da eine Trennung nicht möglich gewesen wäre, ohne dem Mädchen erheblichen Schaden zuzufügen.

Sydney schlußfolgert, daß es der Schlag gewesen sein muß, mit dem Derek Madisons Schädel gegen den Schrank gestoßen hat, der den an sich ruhigen, also schlafenden, Gabriel geweckt habe. Der übernimmt nun wohl offenbar Madisons Körper, wobei er sie rückwärts bewegt und seine Fingerabdrücke „falsch herum“ an den Tatorten zu finden sind.

Im Gefängnis wird Madison in eine Gemeinschaftszelle gesperrt, wo die anderen Insassen bald begreifen, in ihr ein willfähriges Opfer vor sich zu haben. Doch als sie beginnen, Madison zu bedrängen, übernimmt einmal mehr Gabriel die Kontrolle über ihren Körper und schlachtet nicht nur die anderen Gefangenen, sondern auch sämtliche in der Station befindliche Polizisten ab. Zumindest hat es den Anschein, denn Madison weiß schon längst nicht mehr, wo ihre Visionen enden und die Realität beginnt.

Gabriel macht sich in Madisons Körper auf, das Krankenhaus zu besuchen, wo Serena liegt. Er will sich an ihr rächen, weil sie ihn und Madison einst weggegeben hatte. Im Krankenhaus kommt es zu einer fürchterlichen Szene, als Sydney und Detective Shaw hinzukommen und Zeugen werden, wie Gabriel physisch und sehr real aus Madisons Körper hervorbricht. Er will Serena töten aber auch Sydney, die seinen Platz in Madisons Leben eingenommen habe und dafür büßen müsse.

Doch nun wacht Madison ihrerseits auf und stellt sich Gabriel. In einem Raum, der nur in ihrem Innern existiert, gelingt es Madison, Gabriel in ein imaginäres Gefängnis zu stecken, wo er bleiben soll. Er erklärt, er werde eines Tages wieder ausbrechen, woraufhin Madison ihrerseits versichert, beim nächsten Mal vorbereitet zu sein.

Madison befreit Sydney, die von Gabriel mit einem Krankenbett eingeklemmt wurde. Die beiden Schwestern halten sich in den Armen und Madison versichert Sydney, daß auch wenn sie keine leiblichen Schwestern seien, Sydney in ihrem Leben doch immer den Platz einer Blutsverwandten habe.

Während die Schwestern einander halten, hört man jenes elektrische Brummen, das jedes Mal ertönte, wenn Gabriel sich bemerkbar machte…

Als 2004 SAW (2004) auf den Leinwänden der Welt erschien, war mit dem Regisseur James Wan ein neuer Stern am Himmel des Genre-Kinos aufgegangen. Der Regisseur griff Motivik und Handlungsverlauf des in den späten 70er und den frühen 80er Jahre beliebten Slasher-Films auf und kombinierte sie mit der Logik der immer beliebteren Videospiele. Wie im Abzählreim wurden die Protagonisten von einem neurotischen Moralapostel ins Jenseits befördert, bzw. mussten sich selbst oder gegenseitig ins Jenseits befördern, um zu überleben, was wie die einzelnen Levels in einem Videospiel abgearbeitet wurde (wobei es eine Studie wert wäre, herauszufinden, inwiefern sich die Logik der Videospiele ihrerseits aus der Logik eben jener Filme der 80er Jahre speiste, das Prinzip aufgriffen und verfeinerten).

Wan jedenfalls avancierte neben Eli Roth, der etwa zur gleichen Zeit mit dem Gewalt-Porno HOSTEL (2005) reüssiert hatte, zu einem der führenden Filmemacher im Horror-Genre. Nahezu alles, was er anfasste, wurde zu einem Erfolg. Mit INSIDIOUS (2010) reformierte er den Geisterfilm, mit der CONJURING-Serie (an 2013) vertiefte er das Sub-Genre und erweiterte es um den Haunted-House-Mythos, also das Geisterhaus. Für den Comic-Verlag DC realisierte er die Verfilmung um den Superhelden AQUAMAN (2018). Danach kehrte er dann in sein ureigenes Metier zurück und drehte mit MALIGNANT (2021) einen astreinen Horrorfilm mit Anteilen eines Psychothrillers.

So weit, so gut. Man muß Wan attestieren, daß er seine Hausaufgaben immer schon gemacht hat und hatte. Seine Filme sind Hommage und Erneuerung in einem, sie sind kommerziell erfolgreich und konnten – zumindest mit dem ersten SAW-Film, der sich, natürlich, zu einer Serie ausweitete, an der Wan als Produzent und Drehbuchautor weiterhin beteiligt blieb – dem Genre auch meist etwas hinzufügen, bzw. konnten sie Sujets, die eher ein Schattendasein führten, wieder auf den Radar des Publikums zurückbringen. Warum aber stößt Wan in der Community der älteren Liebhaber des Genres nicht auf die Akzeptanz und Gegenliebe, die er eigentlich verdient hätte und die auch gerechtfertigt ist? Wieso wirken seine Filme oftmals so manipulativ, berechnet und berechnend und dadurch gelegentlich auch reaktionär? Wo liegt der Unterschied zu den bahnbrechenden Horrorfilmen der 70er Jahre – oder auch zu der Welle neuer, harter bis härtester Horrorfilme, die in den vergangenen Jahren aus Europa, bevorzugt aus Frankreich, kamen? MALIGNANT ist ein Film, an dem man diese Fragen exemplarisch abarbeiten kann.

Vorweg muß man vielleicht einige Details klären. Es geht nicht darum, James Wan zu verdammen oder seinen Filmen die Qualität abzusprechen. Im Gegenteil – die Qualität seiner Filme ist unbestritten. Wan versteht sein Handwerk nahezu perfekt, was allerdings unter „Hausaufgaben machen“ subsumiert werden sollte. Er weiß, wie man grundlegend Spannung und Atmosphäre erschafft und hält, er versteht eine Menge vom speziellen Timing, das ein Horrorfilm zwingend braucht, er weiß Spannungssequenzen zu inszenieren und erschafft gemeinsam mit Kameramann Michael Burgess ein Tableau aus Bildern, welches mit den besten des Fachs durchaus mithalten kann. An sich also alles bestens. Und doch bleibt gerade in diesem Film immer ein Rest, den einige Zuschauer vermissen (werden). Vielleicht ist es das Neurotische, die Hysterie, auch das Rohe und Unfertige, was manche Horrorfilme gerade der 70er Jahre auszeichnete. Denn mit dieser Hysterie ging immer auch ein gewisser Un-Perfektionismus einher, der den besten dieser Filme – allen voran seien hier Wes Cravens THE LAST HOUSE ON THE LEFT (1972) und THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) von Tobe Hooper genannt – eine authentische Dringlichkeit gab, die man nur schwerlich herstellen kann. Wir reden hier also keinesfalls über Hochglanzprodukte, wie es letztlich THE EXORCIST (1973) oder THE OMEN (1976), zwei der größten Horrorfilmerfolge der 70er Jahre, gewesen sind, sondern über kleine, abseitige, authentische Filme, die sich ihr Publikum per Mund-zu-Mund-Propaganda suchen mussten und meist erst einmal Erfolg in den Studentenkinos oder den Mitternachtsvorstellungen in den Metropolen hatten. Klassischer Prototyp dieser Entwicklung war George A. Romeros Zombie-Film NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968), der gleichsam ein No-Budget-Film war und über die Jahre einen enormen Kult-Status errang und somit auch kommerziellen Erfolg generierte.

Für (post)moderne Filmemacher wie Wan, die von Beginn an mit großen Budgets und der Unterstützung von renommierten Studios arbeiten konnten (wobei SAW allerdings mit einem vergleichsweise kleinen Etat verwirklicht wurde), eine kaum mehr vorstellbare Ochsentour durch die Provinz und die Nächte. Was Romero, Hooper und auch Craven, später John Carpenter und andere, in minutiöser Eigenarbeit herstellen mussten – vor allem die Splatter- und Goreeffekte ihrer Arbeiten – konnten Wan und seine Mitstreiter gegebenenfalls am Rechner entwerfen, wodurch rein bildlich natürlich eine höhere Authentizität erreicht wurde, ein sehr viel ausgeprägterer Realismus in der Darstellung von Gräueltaten, Wunden und auch von Monstrosität. Aber sie haben es auch mit einem Publikum zu tun, daß um all diese Möglichkeiten des CGI, der modernen computergestützten Animation, weiß.

Wenn also in SAW oder auch hier, in MALIGNANT, Körper geöffnet werden, Wunden klaffen und das Blut spritzt, können wir uns zu einem hohen Prozentsatz sicher sein, daß das alles nur virtuell stattfindet. Betrachtet man sich die Schlachtorgien in einem Film wie Romeros DAWN OF THE DEAD (1978), weiß man, daß die Darsteller wirklich bis zum Hals in diesen schmierigen, ekelerregenden Substanzen gestanden haben, die Maskenbilder und F/X-Spezialist Tom Savini für die Zombie-Sause zusammengepanscht hatte. Wir sehen in den älteren Filmen das Wollen und den Willen zum Ekel und wissen natürlich auch hier, daß es Effekte sind. Und doch sind wir viel eher schockiert, als bei den weitaus realistischeren Effekten, die heutzutage durch CGI erreicht werden können, da wir ahnen, daß während des Drehs nur wenig Kunstblut geflossen ist. Einige der modernen Filmemacher kehren mittlerweile zu handgefertigten Effekten zurück, da sie das Problem erkannt haben. So schlecht ein handgemachter Effekt auch sein mag – sein physisches Passieren vor der Kamera löst etwas im Zuschauer aus, was computergestützte Bilder nur selten erreichen.

Nun setzt Wan in MALIGNANT allerdings nicht auf ausschweifende Splatter-Effekte, obwohl der Film auch diese aufweist. Vielmehr will Wan den Zuschauer in ein Labyrinth des (psychischen) Schreckens führen, in dem dieser nicht mehr erkennen kann, was Wirklichkeit, was Einbildung und was Vision ist. Seine Geschichte dreht sich um eine junge Frau, die zunehmend von fürchterlichen, nahezu halluzinogenen Sequenzen heimgesucht wird, bis sie begreift, daß die Geschehnisse, derer Zeugin sie wird, offenbar nicht nur wirklich passieren, sondern daß sie selbst unmittelbar daran beteiligt ist. Und da wir zu Beginn des Films in ein Krankenhaus versetzt werden, in dem ein seltsames, nur schemenhaft erkennbares Wesen offenbar durch Telepathie mit den Ärzten kommuniziert, ahnen wir bald, daß es zwischen diesem und der jungen Frau wohl einen Zusammenhang geben muß. Und so hat es der Zuschauer schließlich mit einer Variante des „parasitären Zwillings“ zu tun. Ein Motiv, das Frank Henenlotter in seinem Underground-Klassiker BASKET CASE (1982) und Stephen King einige Jahre später in seinem Roman THE DARK HALF (erschienen 1989, von Romero 1993 verfilmt, just in jenem Jahr – sic! – in dem Wans Film beginnt) verwendeten. So gesehen also auch kein neues Phänomen, jedoch eines, welches der Horrorfilm bislang sicherlich noch nicht zur Genüge ausgespielt hat und welches fraglos einiges an Potenzial bietet.

Wan nutzt die Implikationen dann auch für einige der ekelerregenderen Szenen seines Films. Gabriel – so der Name des parasitären Zwillings – bricht sich bei Gelegenheit Bahn aus dem Köper seiner Schwester Madison. Ein Vorgang, der naturgemäß blutig ist und den Wan nutzt, um das Publikum nachhaltig zu schockieren. Was ihm im Übrigen auch durchaus gelingt. Generell lässt sich auch hier sagen: MALIGNANT macht alles richtig. Sowohl das Aussehen der Kreatur, also des Zwillings, überzeugt, als auch die Art, wie er sich selbst „gebiert“. Was er dann mit seinen Opfern – all jenen, die einst daran beteiligt waren, ihn von seiner „Wirtin“ Madison zu trennen – im Einzelnen anstellt, erfüllt zunächst auch die Anforderungen eines jeden Freunds des gehobenen Splatters. Allerdings lässt sich genau daran auch ablesen, wie berechnend Wan vorgeht. Denn wie schon in SAW, dessen Produktionsdesign zunächst allerhärteste Kost erwarten lässt, zieht sich die Kamera immer dann zurück, wenn die Sache allzu haarig zu werden droht. Auch hier unterscheidet sich ein Regisseur wie Wan von seinen Kollegen, die das Horror-Genre dreißig Jahre zuvor revolutionierten. Denn letztlich weiß der Regisseur immer, wie weit er gehen kann, um vom amerikanischen Filmsystem ein Rating zu bekommen, das seinen Film nicht in die Schmuddelkinos der Bahnhofsviertel und die reinen XXX-Buden, also die Pornokinos, verbannt. Undenkbar, daß Romero, Hooper (zumindest der Hooper von 1974) oder jemand wie der oben erwähnte Frank Henenlotter Zugeständnisse an die Zensur und Filmbewertung gemacht hätten. Lieber nahmen sie in Kauf, daß ihre Filme nur einem kleinen aber feinen Publikum zugänglich waren, welches sich nicht scheute, auch in die abgelegeneren Lichtspielhäuser zu pilgern.

Auch das Ende von Wans Film weist in diese Richtung: Anstatt den Zuschauer mit einem echten Schock zu entlassen, besinnen sich Wan und Drehbuchautor Akela Cooper auf die guten alten amerikanischen Werte. Die Familie muß zusammenhalten, dann wird sie auch wieder integrativ und wieder hergestellt und aller Schrecken löst sich in Wohlgefallen auf. Spätestens, wenn Madison und ihre (nicht leibliche) Schwester Sidney sich in den Armen liegen und einander beteuern, daß sie Schwestern seien, gleich ob in ihnen dasselbe Blut flösse. Der Horrorfilm erfüllt mittlerweile eher die Funktion, die einst Märchen zukam: Erbauungsgeschichten, moralisierend und dabei wenig humorvoll. Sicher, auch Sally, das Final Girl aus THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE, kann schließlich ihren Häschern entkommen. Doch nichts ist gut, wenn sie es schafft, auf die Ladefläche eines Pick-Ups zu klettern, um ihren eine Kettensäge schwingenden Häscher Leatherface hinter sich zu lassen. Sie hat ihren Bruder und ihre Freunde verloren und verliert sich selbst im giftigen Gelb der texanischen Sonne. Nichts wird je wieder gut sein in ihrem Leben. Das sieht am Ende von MALIGNANT dann doch ganz anders aus. Obwohl Madison in der Gestalt Gabriels – oder Gabriel in ihrer Gestalt, wenn man so will – ca. dreißig Mediziner und Polizisten getötet hat – eine Szene, in der Wan es sich nicht nehmen lässt, die härteren Effekte einmal bis zum letzten auszuspielen, wobei er auf eine Schnitt- und Montagetechnik setzt, die den Zuschauer aber eher erahnen als sehen lässt, was da geschieht – suggeriert die Schlußszene, daß eben doch alles wieder ins Reine kommt. Es ist ein versöhnlicher Schluß, dessen gesellschaftlichen Implikationen durchaus als eher reaktionär betrachtet werden können.

Bei all dem wurde hier bisher kaum Wert auf filmische Spezifika gelegt. Denn das muß man dann doch konstatieren: MALIGNANT weist massive Logiklöcher im Drehbuch auf. Einige sind so offensichtlich – Madisons leibliche Mutter wird von ihrer Arbeitsstelle in einem unterirdischen Museum in Seattle entführt, wobei sie nahezu jeden Fehler macht, den Protagonisten in Horrorfilmen machen können, wie bspw. allein in einen dunklen Gang vorzudringen, aus dem seltsame Geräusche dringen – , daß man sich fragt, ob Buch und Regie sie absichtlich eingefügt haben; andere sind offensichtlich dem Vorankommen der Story geschuldet, da das Drehbuch sonst zu große Umwege nehmen müsste, um an sein Ziel zu gelangen. Warum aber sollte ein Drehbuchautor – oder ein Regisseur – absichtlich massive Fehler und Un-Logiken in seinen Film einbauen? Genau dies verweist auf James Wans Verortung in der Postmoderne. Er zollt seinen Vorbildern Respekt, indem er eben nicht nur inhaltlich an sie anschließt, sondern auch ihre Fehler kopiert, wohl wissend, daß allerspätestens seit Wes Cravens Alterswerk SCREAM (1996) genau diese typischen Un-Logiken in Horrorfilmen geradezu erwartet werden. Doch ist in MALIGNANT eben auch offensichtlich, wo es nicht mehr um Referenzen geht, sondern wo das Drehbuch sich verschluckt. Dadurch entsteht eine Unschärfe, die gewollte Fehler und ein sich Durchmogeln ununterscheidbar werden lässt. Schwer zu bewerten, wo das eine aufhört und das andere beginnt.

In einem Interview mit der Sueddeutschen Zeitung im Januar 2023 erklärte der Maler Daniel Richter, weshalb ihn bspw. die Kunst eines Paul Klee nie wirklich interessiert habe: Sie sei ihm zu wenig neurotisch, zu glatt, zu gelungen, zu ausbalanciert. Es ist genau dieses Verdikt, das sich hier übertragen lässt: MALIGNANT und die Filme von James Wan generell, erfüllen genau diese Prämisse. Sie sind eben nicht neurotisch, sie sind auch nicht hysterisch, sondern sie sind sowohl in ihrer Schockmotivation als auch in ihrer kommerziellen Ausrichtung genau austariert, weisen eine nahezu perfekte Balance auf und sie sind exakt berechnet. Darüber hinaus ließe sich aber auch Wans Inszenierungsstil in das von Richter geltend gemachte Muster einpassen: auch hier ist alles akkurat, es stimmt jede Einstellung, jeder Schock sitzt, jeder Spannungsmoment ist exakt so, wie er sein muß. Alles schlicht gelungen. Aber – einmal abgesehen davon, daß Wan hier nicht wirklich die Schauspieler zur Verfügung hat, die es dann doch bräuchte, um die Story gänzlich glaubwürdig rüberzubringen – genau diese Balance trägt eben auch dazu bei, daß das Publikum sich zwar erschreckt, daß dieses Publikum aber auch jedes Mal weiß, warum. Und zwar immer schon, bevor das Ereignis dann auch wirklich eintritt. Mit anderen Worten: Wans Inszenierung macht den Film allzu oft auch vorhersehbar. Eben berechenbar. So, wie er selbst berechnend ist, wird er auch für den Zuschauer berechenbar und damit durchschaubar.

Diese Filme/dieser Film sind/ist also eher Ausdruck als Analyse, eher Symptom denn Definition oder auch nur Interpretation eines (gesellschaftlichen, sozialen, psychischen) Zustands, sie ähneln eher einer Achterbahnfahrt, als daß sie ernsthaft verstören. Sie treiben ihre Wurzeln nicht tief genug, um wirklich an ein individuelles oder kollektives Unwohlsein zu rühren, welches nachhaltig sich bemerkbar machen würde. Ein Film wie MALIGNANT geht vorüber, wie eine Fahrt in Geister- oder Achterbahn eben vorübergeht; danach braucht man vielleicht einen Moment Pause, aber dann kann man durchaus noch eine Bratwurst und ein Bier zu sich nehmen. Die Furcht, das Unwohlsein, welches einige seiner Vorgänger aus den 70er und den frühen 80er Jahren erzeugen konnten, liegt für MALIGNANT außer Reichweite. Aber sicherlich ist das auch gar nicht gewollt. Es ist eben Unterhaltung – und im Moment zieht Furcht.

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