WOLFMAN/THE WOLFMAN
Remake und Neuinterpretation - ein recht würdiger Nachfolger zum Klassiker von 1941
1891. Der Schauspieler und Lebemann Lawrence Talbot (Benicio del Toro) kehrt auf die dringende Bitte der Verlobten seines Bruders, Ms. Gwen Conliffe (Emily Blunt), auf das väterliche Anwesen nach England zurück. Der Bruder sei verschollen, Lawrence werde gebraucht. Sein Vater, Sir John Talbot (Anthony Hopkins) empfängt den verlorenen Sohn mit mildem Spott und kaltem Lächeln. Der Bruder sei gefunden, Lawrence wohl zu spät gekommen. Lawrence will die Leiche des Bruders sehen, der Arzt zeigt ihm die fürchterlich zugerichteten Überreste und händigt ihm die Habseligkeiten aus, die bei dem Leichnam gefunden wurden, darunter ein seltsames Medaillon. Entgegen der väterlichen Anordnung, das Haus in Vollmondnächten nicht zu verlassen, reitet Lawrence nachts ins Zigeunerlager, in der Hoffnung dort von der alten Maleva (Geraldine Chaplin) Näheres zu erfahren. Sie erzählt ihm davon, daß es einen Fluch gebe, der wohl auch auf dem Hause Talbot lasten könne und der besage, daß sich die Männer der Sippe in Vollmondnächten in Werwolfe verwandelten. Während Lawrence bei der Alten ist, kommen Polizisten ins Lager, weil sie den Tanzbären der Zigeuner im Verdaht haben, für den Mord an Lawrence Bruder und anderen verantwortlich zu sein. Die Situation droht zu eskalieren, als das Lager von einem pelzig anmutenden Tier angegriffen wird, das etliche Zigeuner tötet. Auch Lawrence wird von ihm gebissen.
Während seiner Rekonvaleszenz kümmert sich Gwen um ihn. Seine Wunden verheilen auffallend schnell und Lawrence spürt, daß Veränderungen mit ihm vorgehen – sein Gehör ist geschärft, ebenso der Geruchssinn. Die Dorfbewohner, von dem Aberglaube um den Fluch und die Werwölfe angesteckt, wollen Lawrence beim nächsten Vollmond einsperren, da sie ihn verdächtigen, infisziert zu sein. Ein Abgesandter von Scotland Yard, Francis Aberline (Hugo Weaving) versucht, die Bevölkerung zu beruhigen und zugleich, den Fall aufzuklären. Sir John kann verhindern, daß man seinen Sohn inhaftiert.
Lawrence beginnt aufgrund der Veränderungen, selber an die Gerüchte zu glauben. Er will, daß Gwen die Gegend verlässt, da er nicht weiß, ob er sie vor sich schützen kann. In der kommenden Vollmondnacht entdeckt Lawrence einen heimlichen Schrein seines Vaters, der immer noch um Lawrence´ lange verstorbene Mutter, die angeblich Selbstmord begangen hat, trauert. Als der Vollmond aufgeht, transformiert Lawrence tatsächlich ein einen Werwolf. Er tötet einen Trupp Männer, die ihm auflauern wollten und erwacht am nächsten Tag blutverschmiert in seinem Bett. Sein Vater entdeckt ihn und lässt ihn durch Aberline verhaften und nach London bringen. Dort, eingesperrt in eine Psychiatrie, soll Lawrence aus der Schußlinie genommen werden, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Zugleich soll Lawrence mit Hilfe allerhand therapeutischer Verfahren – Bäder in eiskaltem Wasser beispielsweise – einer Art Gehirnwäsche unterzogen werden, da er aller Welt erzählt, er sei ein Werwolf.
Nach einem Monat in der Anstalt kommt Sir John seinen Sohn besuchen. Nie bestand ein sonderlich nahes Verhältnis zwischen den beiden, doch nun wird Sir John erstmals deutlich: Er ist seit vielen Jahren mit dem Fluch des Wolfs belegt, seit er auf einer Expedition gebissen wurde. Lange Jahre ließ er sich in Vollmondnächten einkerkern, doch schließlich wollte er den Trieb nicht mehr unterdrücken oder domestizieren und befreite sich. Als Wolf tötete er sogar seine Frau, was Lawrence einst als sehr kleines Kind beobachtete und deshalb weggeschickt wurde. Sir John tötete auch Lawrence Bruder, da er es nicht habe ertragen können, ihn an Gwen zu verlieren. Doch mehr als alles andere liebe er den Zustand, ein Wolf zu sein. Es verleihe ihm Macht, mache ihn zu einem dem Menschen überlegenen Wesen. Auch leitet er das Recht aus seinem Zustand ab, töten zu dürfen, es sei die natürliche Bestimmung des Tieres, zu töten und zu fressen. Lawrence weist ihn darauf hin, daß er nicht fresse, nur töte. Sir John fegt den Einwand mit einm Lachen hinfort. Lawrence solle selber erleben, was es bedeute, Wolf zu sein, sich dem Blutrausch hinzugeben.
Bei einer Vorführung verwandelt sich Lawrence erneut und kann ausbrechen. Es gelingt ihm eine rasante Flucht durch London, bei der ihm die Polizei mit Aberline an der Spitze dicht auf den Fersen ist. Zurück auf dem väterlichen Anwesen, wo Lawrence dem Fluch ein Ende machen will, kommt es schließlich nicht nur zu einem Show-Down zwischen Vater und Sohn, sondern auch zwischen Aberline und seinen Mannen und den Werwölfen. Dabei wird Aberline von Lawrence gebissen, es gelingt, Sir John zu töten. Gwen muß einsehen, daß ihr neuer Geliebter Opfer des Fluchs wurde. Sie erschießt ihn mit einer Pistole, die Aberline zuvor mit silbernen Kugeln geladen hatte.
Während all die mythischen Halbwesen wie Vampir, Mumie oder Frankensteins Monstrum in den vergangenen 70 Jahren schier unendlich viele filmische Auftritte absolvieren durften, musste der Werwolf immer ein etwas abseitiges Dasein fristen, da die Figur weder die Ambiguität der Blutsauger hatte, noch die Tragik des Ungeheuers. Der Werwolf stand im Grunde immer nur für die animalische Seite des Menschen, wenn das Tier im Manne (oder durchaus auch in der Frau) durchbrach, dann war das Ergebnis für seine Umwelt meist tödlich. Einmal verwandelt, ist der Werwolf wirklich nur noch die wortwörtlich reißende Bestie. Auch in den zahlreichen Horror- und Fantasyfilmen des neuen Millenniums, die dank fortgeschrittener CGI-Technik auch in vergleichsweise billigen Produktionen große (oder groß wirkende) Effekte erzeugen können, taucht der Werwolf nur als Zweit-Identität von hauptamtlichen Vampiren oder als Side-Kick eben jener auf. Der klassische Werwolf-Film, THE WOLF MAN (1941), der seinen Star Lon Chaney berühmt machen sollte, fand so auch nie einen angemessenen Nachfolger oder gar ein Remake. Ungeachtet der Bearbeitung durch die Hammer Studios, die das Motiv vom Wolfsmenschen anfangs der 1960er Jahre in CURSE OF THE WEREWOLF (1961) zwar aufgriffen, jedoch völlig anders, ganz eigen, behandelten, dauerte es bis 2010, als Joe Johnston THE WOLFMAN (2010) vorlegte, der im groben Handlungsgerüst dem Klassiker folgte, sich jedoch eklatante Freiheiten in der Bearbeitung erlaubte. Eher eine Neuinterpretation denn ein Remake, gelang Johnston ein atmosphärisch dichter Film, der durchaus zu unterhalten versteht.
Stammte das Drehbuch des Originals auch vom großen Curt Siodmak, Andrew Kevin Walker und David Self nutzten es lediglich als roten Faden. Sie behielten wohl die Ausgangskonstellation bei – lang verschollener Sohn kehrt auf das Anwesen eines patriarchalen und herrschsüchtigen Vaters heim – , ebenso die Entwicklungen und den Verlauf der Geschichte, doch im Grunde war es das. Die Veränderungen waren so stark, daß sich damit auch der Plot an entscheidenden Punkten ändern musste. Zunächst verlegten die Autoren die Handlung ins 19. Jahrhundert und nahmen ihr damit den ganzen psychoanalytischen Firlefanz, den das Original seinem Publikum umständlich näher zu bringen suchte, wenn überhaupt wird der Klassiker der Hammer Studios herangezogen und die psychischen Auswüchse in der Psyche dessen, der vom Fluch befallen wird, werden gezeigt. So gibt es eine ausgewachsene Episode in einem sehr schön am Rechner alten Stichen nachempfundenen London, wo Lawrence in einer psychiatrischen Anstalt mit recht drastischen Methoden von der Wahnvorstellung, er sei ein Wolfswesen, geheilt werden soll. Sein Ausbruch und die Flucht durch London erlauben es Johnston AN AMERICAN WEREWOLF IN LONDON (1981) seine Referenz zu erweisen, ist John Landis` Kultfilm aus den frühen 80ern mittlerweile doch mindestens solch ein Klassiker, wie es THE WOLF MAN oder CURSE OF THE WEREWOLF für sich beanspruchen dürfen.
Überhaupt bedient sich THE WOLFMAN überall, wo es passendes gibt und verlässt damit die Pfade des reinen Remakes. Der Film kann und will nicht verheimlichen, daß seine Referenzen mediale Vorbilder sind. Daß der Fluch schon bei Geburt weitergegeben wird und man nicht einfach nur zufälliges Opfer des Untiers wird, teilt der Film mit CURSE OF THE WEREWOLF, Sir John Talbots Philosophie der überlegenen Wolfs-Art klingt in THE HOWLING (1981) an. Das psychologische Moment spielt in den meisten Werwolf-Filmen eine Rolle, hier wird es erstmals offen widersprüchlich genutzt, indem es Lawrence mit der bekannten Angst vor dem eigenen Schicksal als unberechenbares Untier ausstattet, seinen Vater hingegen als Connaisseur seiner Fähigkeiten darstellt, die ihn das Leben intensiver empfinden lassen. Arrogant und egozentrisch, wie ihn nur der Shakespeare-, Serienkiller- und Göttervaterdarsteller Anthony Hopkins hinbekommen konnte, setzt sich Sir Talbot grundsätzlich über die Bedürfnisse eines jeden ihm bekannten Menschen hinweg – im Falle seiner Frau eben über deren Bedürfnis, zu leben. Die Psychoanalyse, die im Original noch so bestimmend war, spielt nun keine Rolle mehr, vielmehr wird die Psychiatrie in ihren Anfängen gezeigt, was wahrlich kein schöner Anblick ist. Johnstons Horrorkabinett wirkt wie eine Mischung aus den Einrichtungen in Filmen wie JACOB`S LADDER (1990) oder FROM HELL (2001): Albtraumartige Orte, dunkel, feucht, hallende Gänge, die sich in einem düsteren Nichts verlieren, flackernde Ober- und Gaslichter, Kacheln an Wänden und Böden, klebrig von rostbraun Verkrustetem, schmutzige Lachen auf dem Boden. Daß Max von Sydow wie ein leibhaftiger Geist – der Geist des klassischen Hollywood? – in einem nur im Director´s Cut zu besichtigenden Auftakt Lawrence den im Original von Larry Talbot gekauften Spazierstock mit Silberknauf schenkt, mutet da vielleicht nur noch wie eine Petitesse an, doch ist es, wie so vieles hier, in den Details und der Mise-en-Scène ein ebenso angemessener wie augenzwinkernder Gruß in die Tiefen der Filmhistorie und damit auch Beweis dafür, wie liebe- und respektvoll die Macher des Films mit ihren Vorbildern umgehen wollten.
THE WOLFMAN ist kein reines Produkt des ökonomischen Kalküls, keineswegs. In das ganze Unternehmen wurde trotz eines immensen Budgets von nahezu 150 Mio. Dollar offensichtlich auch viel Herzblut investiert. Vielleicht liegt darin seine größte Schwäche – er nutzt die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, vor allem die digitalen Mittel, gern und oft. Sehr oft, vielleicht schon deutlich zu viel. So stimmungsvoll und durchaus unheimlich die Settings auch gestaltet sein mögen, kommt sich der Film in diesen Momenten mit seiner hochauflösenden Technik selbst in die Quere, denn auch Dreck kann artifiziell wirken, wenn er zu genau arrangiert, zu sauber drapiert ist. In oft hyperrealistischem Look werden dem Zuschauer doppelt und dreifach gefilterte Albträume serviert. In diese Falle tappt THE WOLFMAN dann doch gelegentlich. Überzeugend sind die Effekte da, wo sie helfen, wirklich furchterregende Wesen aufeinander los zu lassen. Die CGI-Technik macht da vieles möglich; darüber zu streiten, ob die herkömmlichen Stop-Motion-Techniken den virtuellen vorzuziehen seien, ist müßig. So gesehen ist THE WOLFMAN einer der besseren Beweise dafür, daß man mit moderner Technik eben auch Atmosphäre schaffen und – immer im Zusammenspiel mit einem guten Buch und guten Schauspielern – einen überzeugenden Schocker voller Anspielungen und versteckter Hinweise produzieren kann.
THE WOLFMAN war entgegen den Erwartungen ein Flop und man kann darüber spekulieren, daß der Wolfsmensch nach wie vor nicht das überzeugendste aus der Riege der mythologischen Halb- und Tierwesen ist. Ein geplanter Nachfolger wurde schließlich als Spin-Off unter dem Namen WEREWOLF: THE BEAST AMONG US (2012) nachgeschoben, doch auch der konnte keine neue Begeisterung für das Subgenre entfachen. Es bleibt dem Werwolf also nur ein obskures Schicksal in den anrüchigeren Ecken der Gattung vorbehalten. THE WOLFMAN gibt sich redlich Mühe auch inhaltlich groß aufzufahren, die Idee der Wolfs-Gattung als überlegene Rasse oder Art hat seinen Reiz, leider spielt das Drehbuch diese Momente nicht aus, sondern gibt sie zugunsten konventioneller Plotentwicklung und herkömmlichen Spannungsaufbaus auf. Und schließlich gefällt es dem Film dann auch, in harten Action- und Splatterszenen zu kulminieren, macht es der Kamera sichtlich Spaß allerlei Gekröse und Gedärm, klaffende Wunden, abgetrennte Gliedmaße und Ströme von Blut in Szene zu setzen. Da kommt der Film dann in gewisser Weise ganz zu sich und behauptet trotz aufgeblasenen Budgets und aufgeblasener Effekte nichts weiter, als ein Horrorfilm zu sein. Und darin ist er dann doch recht gelungen.